Diese Absage!
Vom schadenfroh flimmernden Monitor stachen die Buchstaben, winzigen Folterwerkzeugen gleich, direkt in sein Innerstes. Sie bewiesen ihm, dass sein gesamtes Leben und Schaffen nichts weiter war als ein wahnwitziger Traum. Ein Traum, der sich in einem Tränenstrom aus Papierfetzen aufgelöst hatte.
Seine letzte Hoffnung, der Verlag, in dem seine Träume eine Heimat suchten, tat viel mehr, als diese abzuweisen. Es hatte nicht einmal genügt, seine Träume zu vernichten… nein, ihre Wahrhaftigkeit, ihre Existenz wurde in Frage gestellt.
Harte, professionelle Worte gewannen das verzweifelte Tauziehen mit seinen eigenen. Aufgrund einer formell nicht völlig korrekt verfassten Ansage wurde ihm – ihm, dessen ganzes Leben sich zwischen Buchseiten abgespielt hatte – Unbelesenheit vorgeworfen. Dass er sich von der gängigen „Literatur“ unterscheiden wollte, wurde als Unkenntnis derselbigen ausgelegt. Wenn er so gerne schrieb, solle er seine Werke erst einmal mit Verwandten und Bekannten teilen, bevor er sich an den riesigen Marktplatz der Öffentlichkeit wagte – so lautete die in trockenen Floskeln verfasste Botschaft.
Aber er hatte weder Verwandte noch Bekannte. Keinen, der sein Geschreibsel lesen oder gar ernst nehmen wollte. Er wurde nicht einmal belächelt, denn niemand kannte ihn.
Nein, er hatte keine Leser. Und erst recht keine Freunde. Niemanden, der um ihn weinen würde.
Er war nur ein hoffnungsloser Träumer – zu verweichlicht, um außerhalb seiner Papierblase zu überleben. Ein unerkanntes Genie, wie sie kommen und gehen, ohne die Welt zu verändern, ohne dass ihre eigene Wolke sie mit einem Goldregen überschüttet. Er war ein Niemand. Somit war es jenen, die bescheid wussten, ein Leichtes, seinen Namen auszuradieren. Ihn auszulöschen.
***
Irgendein Gefühl bewegte sie dazu, einmal nach ihrem Nachbarn zu sehen. Noch nie zuvor war er ihr durch irgendetwas als durch seine Schüchternheit aufgefallen. Still wie er war, hatte sie mit ihm nur selten Worte gewechselt. Doch der wenige Kontakt hatte ausgereicht, um ihre Neugierde zu wecken.
Obwohl sie trotz langem Suchen auf Amazon kein einziges Werk von ihm gefunden hatte, wusste sie, dass er ein talentierter Schreiber gewesen war – ohne dass sie je etwas von ihm gelesen hatte.
Sie hätte ihn gerne näher kennen gelernt, doch hatte sie irgendetwas daran gehindert. Diese Aura der Unerreichbarkeit, die ihn umgab, wann immer sich ihre Wege kreuzten. Nicht die arrogante Art von Unerreichbarkeit – es war viel mehr eine unbegreifliche Angst, ihm wehzutun, indem sie ihn durch eine unerwartete Ansprache aus seiner Traumwelt holte. Irgendwie ahnte sie, dass er sie niemals daran teilhaben lassen würde, selbst wenn er es wollte.
Aber war es nicht unsinnig, derartige Gedankengänge an einen exzentrischen Nachbarn zu verschwenden, von dem sie so wenig wusste?
Trotz allem klingelte sie, von einem seltsamen Drang getrieben, an seiner Tür. Eigentlich hätte sie nach dem ersten Klingeln aufgeben sollen… aber etwas zwang sie, weiterzuklingeln.
Irgendwann stellte sie fest, dass die Tür offen war. Und obwohl sie so etwas normalerweise nicht tun würde, platzte sie einfach herein. Betrat ohne Einladung, ohne Erlaubnis die kleine Wohnung, die allen Klischees über Schriftsteller entgegen sehr aufgeräumt war. Ordentlich, bis auf einen Stoß bedruckter Blätter, die mitten im Zimmer verstreut lagen und sie auf eine schaudererregende Weise an weiße Blütenblätter erinnerten.
Inmitten von ihnen und ebenso blass wie das Papier, lag er: der Schriftsteller, der sich jetzt wohl als toter Poet bezeichnen ließ. Sie sah seinen hageren, auf die eigenen Werke gebetteten Körper, und sah ihn gleichzeitig nicht. Seine Augen waren geschlossen, doch war nichts von der erwarteten Ruhe in seinem Gesicht zu entdecken. Keine Erleichterung, nur eine tiefe Enttäuschung hatte sich wie eine schwere Maske auf sein unscheinbares Gesicht gelegt.
Im ersten Moment war sie nicht im Stande, anders zu reagieren als mit einem langen, gellenden Schrei, der sich ohne ihr Zutun ihrer Kehle entrang.
***
Längst war er in eine Leichenhalle gefahren worden. Sie wusste schon jetzt, eine der wenigen zu sein, die seiner Bestattung beiwohnen würden. Es war verrückt, doch trauerte sie um diesen Fremden mehr als beim Tod ihrer eigenen Mutter, die vor kurzem an Altersschwäche gestorben war. Etwas war an dem Selbstmord des erfolglosen Autors, was sie mehr bedrückte als es ein friedlicher Tod konnte.
Da es keinen Erben gab oder sonst jemanden, der sich für den Tod ihres Nachbarn interessieren würde, durfte sie sich in seiner Wohnung umschauen. Einige Minuten oder Stunden war sie einfach vor diesem weißen Tränensee aus Papier gestanden, von welchem aus er in eine bessere Welt aufbrechen wollte. Erst jetzt entdeckte sie am Boden auch die leeren Verpackungen von Schlafmittel – unheilvolle Zeugen seiner Verzweiflung.
Ebenso unauffällig wie der Tod seiner Werke war wohl auch sein eigener vonstatten gegangen. Als wäre es nichts besonderes, sondern eine Art Nachbearbeitung – nachdem der Schriftsteller im eigentlichen Sinne lange vor seinem Selbstmord verstorben war. Die meisten Manuskripte waren im Aktenvernichter hingerichtet worden, völlig unspektakulär. Dabei hätte eine dramatische Verbrennung der eigenen Kreationen sehr gut zum romantischen Schreiber gepasst, der sich an den Urbildern der Schriftsteller zu orientieren schien. Doch war er wohl zu rücksichtsvoll gewesen, um mit einem Feuer womöglich seine Mitmenschen zu gefährden.
Mechanisch begann sie, die immer noch am Boden verstreuten Manuskriptseiten aufzusammeln. Nachdem sie, ihrem Ordnungsdrang folgend, die Blätter zu einem Stapel geordnet hatte, fing sie an, zu lesen. Dabei stand sie genau an der Stelle, an der der Tote vor kurzem erst gelegen war. Es erschien ihr eine Art Frevel, ein unverzeihliches Eindringen in seine einsame Wohnstätte, sich in einen der schäbigen Sessel zu setzen.
Außerdem war sie zu gefesselt; sein Werk berührte sie zu sehr, als dass es ihr eine andere Bewegung als das fieberhafte Führen der Augen über die Zeilen erlaubte.
Sie las keinen Verlagsnamen, ebenso wenig wie sie ein Genre oder eine Zielgruppe erkennen konnte. Nicht die Arbeit eines Lektors las sie, und erst recht kein Marketingprodukt.
Sie las eine Geschichte.
Vom schadenfroh flimmernden Monitor stachen die Buchstaben, winzigen Folterwerkzeugen gleich, direkt in sein Innerstes. Sie bewiesen ihm, dass sein gesamtes Leben und Schaffen nichts weiter war als ein wahnwitziger Traum. Ein Traum, der sich in einem Tränenstrom aus Papierfetzen aufgelöst hatte.
Seine letzte Hoffnung, der Verlag, in dem seine Träume eine Heimat suchten, tat viel mehr, als diese abzuweisen. Es hatte nicht einmal genügt, seine Träume zu vernichten… nein, ihre Wahrhaftigkeit, ihre Existenz wurde in Frage gestellt.
Harte, professionelle Worte gewannen das verzweifelte Tauziehen mit seinen eigenen. Aufgrund einer formell nicht völlig korrekt verfassten Ansage wurde ihm – ihm, dessen ganzes Leben sich zwischen Buchseiten abgespielt hatte – Unbelesenheit vorgeworfen. Dass er sich von der gängigen „Literatur“ unterscheiden wollte, wurde als Unkenntnis derselbigen ausgelegt. Wenn er so gerne schrieb, solle er seine Werke erst einmal mit Verwandten und Bekannten teilen, bevor er sich an den riesigen Marktplatz der Öffentlichkeit wagte – so lautete die in trockenen Floskeln verfasste Botschaft.
Aber er hatte weder Verwandte noch Bekannte. Keinen, der sein Geschreibsel lesen oder gar ernst nehmen wollte. Er wurde nicht einmal belächelt, denn niemand kannte ihn.
Nein, er hatte keine Leser. Und erst recht keine Freunde. Niemanden, der um ihn weinen würde.
Er war nur ein hoffnungsloser Träumer – zu verweichlicht, um außerhalb seiner Papierblase zu überleben. Ein unerkanntes Genie, wie sie kommen und gehen, ohne die Welt zu verändern, ohne dass ihre eigene Wolke sie mit einem Goldregen überschüttet. Er war ein Niemand. Somit war es jenen, die bescheid wussten, ein Leichtes, seinen Namen auszuradieren. Ihn auszulöschen.
***
Irgendein Gefühl bewegte sie dazu, einmal nach ihrem Nachbarn zu sehen. Noch nie zuvor war er ihr durch irgendetwas als durch seine Schüchternheit aufgefallen. Still wie er war, hatte sie mit ihm nur selten Worte gewechselt. Doch der wenige Kontakt hatte ausgereicht, um ihre Neugierde zu wecken.
Obwohl sie trotz langem Suchen auf Amazon kein einziges Werk von ihm gefunden hatte, wusste sie, dass er ein talentierter Schreiber gewesen war – ohne dass sie je etwas von ihm gelesen hatte.
Sie hätte ihn gerne näher kennen gelernt, doch hatte sie irgendetwas daran gehindert. Diese Aura der Unerreichbarkeit, die ihn umgab, wann immer sich ihre Wege kreuzten. Nicht die arrogante Art von Unerreichbarkeit – es war viel mehr eine unbegreifliche Angst, ihm wehzutun, indem sie ihn durch eine unerwartete Ansprache aus seiner Traumwelt holte. Irgendwie ahnte sie, dass er sie niemals daran teilhaben lassen würde, selbst wenn er es wollte.
Aber war es nicht unsinnig, derartige Gedankengänge an einen exzentrischen Nachbarn zu verschwenden, von dem sie so wenig wusste?
Trotz allem klingelte sie, von einem seltsamen Drang getrieben, an seiner Tür. Eigentlich hätte sie nach dem ersten Klingeln aufgeben sollen… aber etwas zwang sie, weiterzuklingeln.
Irgendwann stellte sie fest, dass die Tür offen war. Und obwohl sie so etwas normalerweise nicht tun würde, platzte sie einfach herein. Betrat ohne Einladung, ohne Erlaubnis die kleine Wohnung, die allen Klischees über Schriftsteller entgegen sehr aufgeräumt war. Ordentlich, bis auf einen Stoß bedruckter Blätter, die mitten im Zimmer verstreut lagen und sie auf eine schaudererregende Weise an weiße Blütenblätter erinnerten.
Inmitten von ihnen und ebenso blass wie das Papier, lag er: der Schriftsteller, der sich jetzt wohl als toter Poet bezeichnen ließ. Sie sah seinen hageren, auf die eigenen Werke gebetteten Körper, und sah ihn gleichzeitig nicht. Seine Augen waren geschlossen, doch war nichts von der erwarteten Ruhe in seinem Gesicht zu entdecken. Keine Erleichterung, nur eine tiefe Enttäuschung hatte sich wie eine schwere Maske auf sein unscheinbares Gesicht gelegt.
Im ersten Moment war sie nicht im Stande, anders zu reagieren als mit einem langen, gellenden Schrei, der sich ohne ihr Zutun ihrer Kehle entrang.
***
Längst war er in eine Leichenhalle gefahren worden. Sie wusste schon jetzt, eine der wenigen zu sein, die seiner Bestattung beiwohnen würden. Es war verrückt, doch trauerte sie um diesen Fremden mehr als beim Tod ihrer eigenen Mutter, die vor kurzem an Altersschwäche gestorben war. Etwas war an dem Selbstmord des erfolglosen Autors, was sie mehr bedrückte als es ein friedlicher Tod konnte.
Da es keinen Erben gab oder sonst jemanden, der sich für den Tod ihres Nachbarn interessieren würde, durfte sie sich in seiner Wohnung umschauen. Einige Minuten oder Stunden war sie einfach vor diesem weißen Tränensee aus Papier gestanden, von welchem aus er in eine bessere Welt aufbrechen wollte. Erst jetzt entdeckte sie am Boden auch die leeren Verpackungen von Schlafmittel – unheilvolle Zeugen seiner Verzweiflung.
Ebenso unauffällig wie der Tod seiner Werke war wohl auch sein eigener vonstatten gegangen. Als wäre es nichts besonderes, sondern eine Art Nachbearbeitung – nachdem der Schriftsteller im eigentlichen Sinne lange vor seinem Selbstmord verstorben war. Die meisten Manuskripte waren im Aktenvernichter hingerichtet worden, völlig unspektakulär. Dabei hätte eine dramatische Verbrennung der eigenen Kreationen sehr gut zum romantischen Schreiber gepasst, der sich an den Urbildern der Schriftsteller zu orientieren schien. Doch war er wohl zu rücksichtsvoll gewesen, um mit einem Feuer womöglich seine Mitmenschen zu gefährden.
Mechanisch begann sie, die immer noch am Boden verstreuten Manuskriptseiten aufzusammeln. Nachdem sie, ihrem Ordnungsdrang folgend, die Blätter zu einem Stapel geordnet hatte, fing sie an, zu lesen. Dabei stand sie genau an der Stelle, an der der Tote vor kurzem erst gelegen war. Es erschien ihr eine Art Frevel, ein unverzeihliches Eindringen in seine einsame Wohnstätte, sich in einen der schäbigen Sessel zu setzen.
Außerdem war sie zu gefesselt; sein Werk berührte sie zu sehr, als dass es ihr eine andere Bewegung als das fieberhafte Führen der Augen über die Zeilen erlaubte.
Sie las keinen Verlagsnamen, ebenso wenig wie sie ein Genre oder eine Zielgruppe erkennen konnte. Nicht die Arbeit eines Lektors las sie, und erst recht kein Marketingprodukt.
Sie las eine Geschichte.