Die Woche hatte für Nick Hohenstein schon nicht gut begonnen. Am ersten Tag streikte die Waschmaschine. An Tag zwei bemerkte er, dass er noch keine neue Monatskarte gekauft hatte, befand sich in diesem Moment aber schon in der Straßenbahn und wurde von einem Kaugummi kauenden Kontrollknirps um vierzig Euro erleichtert. Mittwoch begann mit der Whatsapp seiner Freundin, er könne sie mal. Auf Nachfrage Nicks sprach sie die Trennung aus und erklärte das Urteil für sofort vollziehbar. Es hatte sich angedeutet, Nick war ein paarmal zu oft fremd gegangen, aber ehrlich gesagt hatte er geglaubt, sie würde das verstehen, Berlin war doch so. War sie nicht auch damals aus ihrem verspießten Paderborn geflohen, um ein intensives, aufregendes Leben zu beginnen? Sie waren doch noch keine dreißig. Am Donnerstag hatte ihm sein Vermieter mit freundlichen Grüßen seine Umzugspläne kundgetan, die Frau sei schwanger, man brauche eine größere Wohnung, da könne er die Kündigung wegen Eigenbedarfs ja sicherlich verstehen. Freitag schien zunächst gut anzulaufen. Im Büro musste er sich nur den üblichen Spott anhören, das war kein Problem mehr, wurde zur Gewohnheit. Auch die Arbeit war nicht unerträglicher als sonst, Rechnungswesen war halt so. Er hatte pünktlich Feierabend machen können und freute sich – wenn man in seinem Leben von Freude sprechen konnte - auf den Abend mit einigen Kumpels in einer Moabiter Eckkneipe. Die Woche schien einen versöhnlichen Ausklang zu nehmen. Doch dann legte ein dicker Verkäufer eines Kreuzberger Spätkaufs die Stange Zigaretten wortlos auf den Tresen und langte mit seinen Wurstfingern nach dem Geldschein.Nick griff hastig nach der Packung, wandte sich um und hatte die Türklinke schon in der Hand, als er einen grellen Ton vernahm, wie er in Kaufhäusern bei Ladendieben ertönt.
Der Fette fasste seinen Arm und zog daran.
„Moment. Sie bleiben mal schön hier. Der Schein ist gefälscht. Die Zigaretten her, aber zügig.“
„Blödsinn. Der ist frisch vom Bankautomaten. Lass mich in Ruhe, ich hab‘s eilig. “
„Stopp, sagte ich, ich rufe jetzt die Polizei. Der Falschgelddetektor ist zertifiziert. Hiergeblieben.“
„Hast du nicht verstanden, Fettsack? Ich werd gleich sauer. Verdammt, lass mich los, du Wichser.“
„Ja hallo, mein Name ist Dressler, ein Kunde hat mit Falschgeld gezahlt und wird gewalttätig. Bitte kommen Sie schnell. Cottbusser Tor, ..“
Was dann folgte, war für Nick im Nachhinein nicht mehr nachvollziehbar. Irgendwas in seinem Hirn muss ausgesetzt haben. Als er wieder zu sich kam, ließ er den Rest der zerbrochenen Flasche Club Mate auf den Boden fallen, nahm den Geldschein an sich und verließ den Spätkauf, leise die Tür zuziehend. Er überquerte langsam die Straße und rannte los. Er stieg in einen Bus, ohne zu wissen, wohin der fuhr. Erst jetzt bemerkte er Flecken auf seiner schwarzen Lederjacke. Ein Polizeiwagen mit Blaulicht rauschte am Bus vorbei. Nick stieg an der nächsten Haltestelle aus und zog trotz der Kälte und des feinen Regens die Jacke aus, sicherheitshalber. Er würde heute mal richtig einen trinken gehen. War nicht seine Woche.
Werbung. Sven Hundemann will noch schnell eine Flasche Wein kaufen, bevor der Spielfilm weitergeht, zieht seine Schuhe an und geht die Treppe runter. Kaisers hat noch auf, obwohl mehrere Spätkaufs näher sind. Dort kauft er aus Prinzip nicht. Er hasst sie mehr als alles andere in seinem Leben, und am meisten verabscheut er den Spätkauf unter seinem Fenster, mitsamt seinem fetten Betreiber Horst Dressler. Jeden Abend lungern dort verlauste Penner vor der Tür herum, saufen ein Bier nach dem anderen, grölen und urinieren in und auf alles, was abseits des Gehweges nicht ausreichend beleuchtet ist. Zum Beispiel in den Hauseingang im Innenhof, das Stückchen Grün im Innenhof, den Fahrradabstellbereich. Gerade im Sommer kann Sven aufgrund des Lärms und seiner sich in solchen Nächten steigernden Wut oft nicht schlafen. Er muss früh raus, weil er jeden Morgen nach Wolfsburg pendelt, wo er seit fünfundzwanzig Jahren als Ingenieur bei VW arbeitet. Umziehen kam nie in Frage, Berlin gegen Wolfsburg, das war Freude gegen Trostlosigkeit, Freiheit gegen Gefängnis. Zuletzt kam er immer müder an den Arbeitsplatz, sein Chef hatte ihn sogar einmal gerügt, weil er bei einer Tagung mit einem wichtigen Kunden mehrfach gegähnt hatte. Der Spätkauf raubt ihm den Schlaf. Sven sprach Dressler immer wieder auf den Lärm an, anfangs freundlich. Ob der Stehtisch für Schwerstalkoholiker vor dem Laden wirklich nötig sei. Doch Dressler meinte, das gehe ihn einen verdammten Dreck an. Es begann eine Spirale der Feindseligkeiten. „Krieg im Kiez“, hieß es vor Monaten in einem Stadtmagazin, Anwohner klagt gegen Spätkauf. Sven hatte Dressler angeschwärzt. Sonntags und an Feiertagen darf ein Spätkauf laut Ladenschlussgesetz nur Reiseartikel verkaufen, doch ein ums andere Mal entdeckte Sven Nudelpackungen und andere Alltagswaren im Sortiment. Er machte heimlich Fotos, die er ans Ordnungsamt schickte. Erst durch den Artikel erfuhr Sven, dass die Verstöße mit hohen Bußgeldern geahndet worden waren. Er ballte die Faust. Das geschah dem recht. Doch damit war der Streit nicht beigelegt, im Gegenteil. Dressler hing eines Tages Namen und Adresse seines streitlustigen Nachbarn steckbriefartig im Fenster des Kiosks auf. Wütende Anrufe, ja sogar Drohungen gingen bei Sven ein. Als er seinen Briefkasten eines Morgens bis oben hin mit brauner Scheiße gefüllt vorfand und sich fast übergeben musste, legte sich ein Schalter in seinem Hirn um. Wutentbrannt rannte er auf die Straße und schnappte sich eine Eisenstange, die zu einer Baustelle gehörte. Der Spätkauf hatte noch geschlossen. Sven holte aus und schlug mit finsterem Blick gegen das Fenster, das daraufhin in tausend Stücke zerbarst. Doch das Klirren hatte seinen Verstand noch nicht wieder eingeschaltet. Er schlug weiter um sich, bis er durch das Fenster in das Ladeninnere gelangen konnte. Dort machte er weiter, holte Dosen von Regalen, warf Getränkekisten um, zerschmetterte einige Spirituosenflaschen durch gezielte Schläge. Erst als ein Passant mit entsetztem Blick an die Tür klopfte, wachte er aus seiner blinden Wut auf. Das ganze hatte ihn fast sechstausend Euro gekostet, die er zur Vermeidung einer Schadensersatzklage und eines Strafantrages wegen Sachbeschädigung widerwillig überwies. Danach passierte eine Weile nichts, doch unter der Oberfläche konnte das ganze jederzeit wieder hochgehen, was jeder in der Nachbarschaft spürte.
Sven sieht im Vorbeigehen durch die Tür des Spätkaufs jemanden auf dem Boden liegen. Er tritt näher und öffnet die Tür. Dort liegt bewegungslos Horst Dressler. Aus einer Blutlache ragt der Bauch einer zerbrochenen Flasche Club Mate. Sirenen heulen, Reifen quietschen.
Der Fette fasste seinen Arm und zog daran.
„Moment. Sie bleiben mal schön hier. Der Schein ist gefälscht. Die Zigaretten her, aber zügig.“
„Blödsinn. Der ist frisch vom Bankautomaten. Lass mich in Ruhe, ich hab‘s eilig. “
„Stopp, sagte ich, ich rufe jetzt die Polizei. Der Falschgelddetektor ist zertifiziert. Hiergeblieben.“
„Hast du nicht verstanden, Fettsack? Ich werd gleich sauer. Verdammt, lass mich los, du Wichser.“
„Ja hallo, mein Name ist Dressler, ein Kunde hat mit Falschgeld gezahlt und wird gewalttätig. Bitte kommen Sie schnell. Cottbusser Tor, ..“
Was dann folgte, war für Nick im Nachhinein nicht mehr nachvollziehbar. Irgendwas in seinem Hirn muss ausgesetzt haben. Als er wieder zu sich kam, ließ er den Rest der zerbrochenen Flasche Club Mate auf den Boden fallen, nahm den Geldschein an sich und verließ den Spätkauf, leise die Tür zuziehend. Er überquerte langsam die Straße und rannte los. Er stieg in einen Bus, ohne zu wissen, wohin der fuhr. Erst jetzt bemerkte er Flecken auf seiner schwarzen Lederjacke. Ein Polizeiwagen mit Blaulicht rauschte am Bus vorbei. Nick stieg an der nächsten Haltestelle aus und zog trotz der Kälte und des feinen Regens die Jacke aus, sicherheitshalber. Er würde heute mal richtig einen trinken gehen. War nicht seine Woche.
Werbung. Sven Hundemann will noch schnell eine Flasche Wein kaufen, bevor der Spielfilm weitergeht, zieht seine Schuhe an und geht die Treppe runter. Kaisers hat noch auf, obwohl mehrere Spätkaufs näher sind. Dort kauft er aus Prinzip nicht. Er hasst sie mehr als alles andere in seinem Leben, und am meisten verabscheut er den Spätkauf unter seinem Fenster, mitsamt seinem fetten Betreiber Horst Dressler. Jeden Abend lungern dort verlauste Penner vor der Tür herum, saufen ein Bier nach dem anderen, grölen und urinieren in und auf alles, was abseits des Gehweges nicht ausreichend beleuchtet ist. Zum Beispiel in den Hauseingang im Innenhof, das Stückchen Grün im Innenhof, den Fahrradabstellbereich. Gerade im Sommer kann Sven aufgrund des Lärms und seiner sich in solchen Nächten steigernden Wut oft nicht schlafen. Er muss früh raus, weil er jeden Morgen nach Wolfsburg pendelt, wo er seit fünfundzwanzig Jahren als Ingenieur bei VW arbeitet. Umziehen kam nie in Frage, Berlin gegen Wolfsburg, das war Freude gegen Trostlosigkeit, Freiheit gegen Gefängnis. Zuletzt kam er immer müder an den Arbeitsplatz, sein Chef hatte ihn sogar einmal gerügt, weil er bei einer Tagung mit einem wichtigen Kunden mehrfach gegähnt hatte. Der Spätkauf raubt ihm den Schlaf. Sven sprach Dressler immer wieder auf den Lärm an, anfangs freundlich. Ob der Stehtisch für Schwerstalkoholiker vor dem Laden wirklich nötig sei. Doch Dressler meinte, das gehe ihn einen verdammten Dreck an. Es begann eine Spirale der Feindseligkeiten. „Krieg im Kiez“, hieß es vor Monaten in einem Stadtmagazin, Anwohner klagt gegen Spätkauf. Sven hatte Dressler angeschwärzt. Sonntags und an Feiertagen darf ein Spätkauf laut Ladenschlussgesetz nur Reiseartikel verkaufen, doch ein ums andere Mal entdeckte Sven Nudelpackungen und andere Alltagswaren im Sortiment. Er machte heimlich Fotos, die er ans Ordnungsamt schickte. Erst durch den Artikel erfuhr Sven, dass die Verstöße mit hohen Bußgeldern geahndet worden waren. Er ballte die Faust. Das geschah dem recht. Doch damit war der Streit nicht beigelegt, im Gegenteil. Dressler hing eines Tages Namen und Adresse seines streitlustigen Nachbarn steckbriefartig im Fenster des Kiosks auf. Wütende Anrufe, ja sogar Drohungen gingen bei Sven ein. Als er seinen Briefkasten eines Morgens bis oben hin mit brauner Scheiße gefüllt vorfand und sich fast übergeben musste, legte sich ein Schalter in seinem Hirn um. Wutentbrannt rannte er auf die Straße und schnappte sich eine Eisenstange, die zu einer Baustelle gehörte. Der Spätkauf hatte noch geschlossen. Sven holte aus und schlug mit finsterem Blick gegen das Fenster, das daraufhin in tausend Stücke zerbarst. Doch das Klirren hatte seinen Verstand noch nicht wieder eingeschaltet. Er schlug weiter um sich, bis er durch das Fenster in das Ladeninnere gelangen konnte. Dort machte er weiter, holte Dosen von Regalen, warf Getränkekisten um, zerschmetterte einige Spirituosenflaschen durch gezielte Schläge. Erst als ein Passant mit entsetztem Blick an die Tür klopfte, wachte er aus seiner blinden Wut auf. Das ganze hatte ihn fast sechstausend Euro gekostet, die er zur Vermeidung einer Schadensersatzklage und eines Strafantrages wegen Sachbeschädigung widerwillig überwies. Danach passierte eine Weile nichts, doch unter der Oberfläche konnte das ganze jederzeit wieder hochgehen, was jeder in der Nachbarschaft spürte.
Sven sieht im Vorbeigehen durch die Tür des Spätkaufs jemanden auf dem Boden liegen. Er tritt näher und öffnet die Tür. Dort liegt bewegungslos Horst Dressler. Aus einer Blutlache ragt der Bauch einer zerbrochenen Flasche Club Mate. Sirenen heulen, Reifen quietschen.