Tödliche Verhältnisse

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itsme

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Es war ein grauenhaftes Bild, das sich ihnen bot. Die milde Sonne des frühen Spätsommertages änderte daran auch nichts. Noch einmal hatte Hauptkommissar Schorn diese Bilder vor Augen, als er den Schlussbericht unterschrieb. Ein Fall wurde abgeschlossen, der nicht vor Gericht verhandelt werden würde.

Ein einmotoriges Reiseflugzeug war nördlich von Michelstadt im Odenwald, knapp unterhalb einer Bergkuppe, in einen lichten Fichtenwald gestürzt. Kurz vor dem Aufschlag auf den Waldboden wurden die Tragflächen durch Bäume abgerissen. Sie lagen gut dreißig Meter hinter dem völlig deformierten Rumpf des Flugzeuges. Die Insassen auf den Vordersitzen waren herausgeschleudert worden. Die grotesk verkrümmte Leiche einer Frau lag mehr als zwanzig Meter vor dem Flugzeug, aufgefangen von einem Brombeergebüsch, die fast nackte Leiche eines Mannes hing, mit dem Kopf nach unten, aufgespießt auf Aststummel, an einem Fichtenstamm, wenige Meter vor dem Flugzeug. Die beiden Mitflieger auf den Rücksitzen, ein Mann und eine Frau, waren in ihren Gurten gefangen, eingequetscht zwischen Hinter- und Vordersitzen. Verbogene Metallteile, zersplittertes Plexiglas, zerfetze Teile der Innenverkleidung, blutverschmierte Kleidungsstücke ? grauenhaftes Chaos, so hatte es Schorn vor Augen, so war es akribisch festgehalten in der Akte, die er nun schloss.

Seit den späten Abendstunden des 15.9. wurde das Flugzeug vermisst. Gemäß Flugplan hätte es, aus Perpignan kommend, um 21:35 Uhr in Köln landen sollen. Um 22:25 Uhr wurde Save and Rescue verständigt. Zu der Zeit mussten die Tanks leer sein. Gegen 08:00 Uhr morgens am Folgetag fand ein Bauer das Wrack. Die Feuerwehr löste um 08:23 Uhr Alarm aus. Die Maschinerie begann zu laufen.

Flugzeugabstürze sind auch Sache der Kripo. Nichts jedoch deutete auf Fremdverschulden. Der Einsatz schien reine Routine zu werden. Ein Flugunfall wie er immer wieder vorkam. Ursache: Technisches- oder menschliches Versagen, häufig beides zusammen. Es war eine kleine Ungereimtheit, die Schorn aufmerksam werden ließ.
>Wir sollten uns das genauer ansehen Roland<,
meinte er zu seinem Kollegen, Oberkommissar Roland Geppert.
>Es ist doch ganz offensichtlich ein Unfall Friedhelm. Warum überlässt du die Sache nicht der Unfalluntersuchungskommission des Luftfahrt Bundesamtes?<
>Wir wissen wer an Bord war. Das wurde ja bereits ermittelt. Alle vier Personen besaßen einen Pilotenschein. Eigentümer des Flugzeugs, und Pilot mit der größten Erfahrung war Thomas Herder. Er besaß sogar eine Instrumentenflug Berechtigung.<
Schorn schaute erneut durch das zersplitterte hintere Fenster der Kabine und dann zu dem Mann im Baum.
>Herder war eindeutig der älteste Insasse, also ist es der auf dem hinteren rechten Sitz.<
>Er hat eben einen anderen fliegen lassen. Du fährst ja auch nicht immer selbst Auto.<
>Flugzeugeigentümer, zumal wenn sie die größte Erfahrung besitzen, setzen sich so gut wie nie nach hinten während des Fluges. Ich weiß das von einem Freund, der selbst fliegt; schon garnicht bei einem Flug im Ausland, der auch noch mit einer Nachtlandung enden sollte.<
>Meine Güte Friedhelm, es sind doch Gründe denkbar sich nach hinten zu setzen.<
>Mag sein. Vielleicht ist es nur ein tödlicher Fehler von ihm gewesen, aber ich schlafe besser, wenn wir alles andere ausschließen können.<
>Willst du das volle Programm?<
>Ja Roland, das volle Programm, und vorher wird hier nichts verändert.<

Stunden später war alles vermessen und fotografiert. Die Expertenteams von Luftfahrt Bundesamt (LBA) und Kripo hatten ihre Arbeit vor Ort erledigt. Die Leichen von den Rücksitzen konnten geborgen, das Wrack der Kabine zur weiteren Untersuchung in eine Werkstatt der Polizei gebracht werden. Der Pathologe hatte auf diesen Zeitpunkt gewartet. Bereits nach seinem ersten Blick durch die Kabinenfenster, bemerkte Schorn die Zweifel in seinem Gesicht. Seine stumme Frage hatte der Mediziner nur mit einem knappen: >Wenig typisch Friedhelm<, beantwortet. Jetzt wurde es schnell Gewissheit.
>Mehr zu den Todesursachen, wenn ich sie auf meinem Tisch hatte, nur so viel vorab: Sie waren bereits vor dem Absturz tot.<
>Schau sie dir gut an Doc, auch die anderen beiden, die ja offenbar an den Folgen des Aufpralls gestorben sind.<
Mit einem freundschaftlichen Tatsch auf den Oberarm verabschiedete sich Schorn. Geppert schwieg.

Und dann kamen die Ergebnisse, Puzzlestücke, aus denen sich das Drama an Bord der Bonanza D-EKLG rekonstruieren lassen sollte, so hoffte Schorn.

Thomas H., 48 Jahre, Geschäftsführer im Betrieb seiner Frau Isabell, starb durch fünf Stiche mit einem spitzen, schmalen Gegenstand in die Brust etwa 3 Stunden vor dem Aufschlag. Alle Stiche lagen links des Brustbeines. Sie wurden nahezu senkrecht geführt.

Sina V., 31 Jahre, ledig, Ärztin, starb durch eine Kombination von Schlaftabletten und einem Barbiturat etwa 2 Stunden vor dem Aufschlag. Sie war im dritten Monat schwanger von Thomas H.. An ihrer linken Hand befand sich Blut von Thomas H..

Isabell H., 40 Jahre alt, starb durch vielfache Brüche, u.a. der Wirbelsäule und massive Organquetschungen als Folge des Absturzes. An ihrer linken Hand befand sich Blut, das ihrem Mann zugeordnet werden konnte. Unter zwei Fingernägeln von Fingern ihrer rechten Hand befanden sich Gewebespuren des Thomas H., die vermutlich von seinem rechten Ohr stammten. Es wurde ein Blutalkoholspiegel von 0,75 Promille festgestellt.

Björn E., 36 Jahre, ledig, Verkaufsleiter im Betrieb der Isabell H., starb ebenfalls durch vielfache Brüche der Wirbelsäule, des Schädels und durch massive Organquetschungen. Außerdem wurden durch die Aststummel Lunge und Leber durchbohrt. Unter den Fingernägeln von drei Fingern der rechten Hand befanden sich Hautpartikel, die von Isabell H. stammten, vermutlich von Kratzspuren auf ihrer linken Gesichtshälfte. Seine rechte Hand war durchstochen, vermutlich mit dem selben Gegenstand, mit dem Thomas H. getötet wurde.

Das LBA stellte in seinem Untersuchungsbericht, dem auch eine Stellungnahme der Flugsicherung zum Flugweg der Bonanza beigefügt war, fest, dass die Maschine keine technischen Fehler aufwies, die einen Absturz herbeigeführt haben könnten. Schlechtes Wetter scheide als Unfallursache ebenfalls aus. Sie sei horizontal waagerecht, in einem Winkel von ca. siebzig Grad in die Bäume geflogen, und in einem Winkel von ca. fünfzig Grad auf den Boden aufgeschlagen. Der Gashebel stand auf Vollgas, die Zündung war ausgeschaltet. Die Ausrüstung des Flugzeuges und die Lizenzierung dreier Insassen ließen einen sicheren Nachtflug zu.

Aus der Art und dem Maß der Verformung des Propellers sei zu schließen, dass der Propeller lediglich durch den Fahrtwind drehte. Die Aufschlaggeschwindigkeit dürfte kaum mehr als einhundert Knoten betragen haben. Die Flugsicherung stellte fest, dass die Maschine ihren geplanten Flugweg etwa fünfzig Meilen südlich von Nancy verlassen und einen deutlich östlicheren Kurs eingeschlagen habe. Funkkontakt habe in den letzten Stunden nicht mehr bestanden.

Die Spurensicherung fand im hinteren rechten Fußraum einen Stechzirkel, wie er von Fliegern für Navigationszwecke benutzt wird, mit dem Blut von Thomas H. und blutigen Fingerabdrücken von Isabell H. und Sina V., außerdem den zerknüllten Abschiedsbrief von Sina V. mit Fingerabdrücken von Isabell H.. Blutspuren von Thomas H. wurden auf dem rechten Armaturenbrett und dem rechten vorderen Sitz gefunden. Auf dem nach links geschwenkten Balkensteuer fanden sich Fingerabdrücke von allen vier Insassen, besonders deutliche auf der Rückseite des Balkens waren von Björn E..

Die Berichte füllten viele Seiten. Ihnen waren Fotos, Diagramme, Tabellen und Skizzen beigefügt. Schorn hatte sie wieder und wieder gelesen und eine Theorie entwickelt deren Plausibilität er nachzuweisen versuchte.

>Was ist da abgegangen Friedhelm? Lässt sich das überhaupt rekonstruieren?<
>Ich denke es geht. Wir haben zwar keine Zeugen, aber reichlich Fakten und Indizien. Wobei ...<
Er schaute zu Wojke, dem LBA Mann.
>Ich habe Zweifel, ob ich aus dem Unfallbericht des LBA die richtigen Schlüsse ziehen kann. Die Materie ist mir zu fremd.<
>Fragen sie nur Herr Schorn.<
Wojke saß betont lässig in seinem Bürostuhl und genoss seine Experten Rolle.

>Wir wissen sicher, dass sich Sina T. selbst umgebracht hat, aber ich meine, es ist unklar wer Thomas H. ermordete. Genauso unklar ist, ob der Crash ein Unfall war oder Selbstmord. Und wenn es Selbstmord war, wer hat da wen in den Tod gerissen? Ein Motiv für den Mord hatten beide Frauen Friedhelm.<
>Als die Maschine in den Wald stürzte, war Sina längst tot.<

Die Herders waren kinderlos geblieben. In ihrem Bekanntenkreis galten sie als schwierig, genauer; sie als hysterisch, blasiert und berechnend, er als Egozentriker und krankhafter Selbstdarsteller. Ihre Verbindung wurde als >zweckmäßig< eingeschätzt. Sina V. hatten die Herders im Fliegerclub kennengelernt.
>Es gab nicht mal Gerüchte über die Vogt und den Herder im Club. Die haben die Affäre perfekt geheim gehalten.<
>Die stille Sina hat´s ihm leicht gemacht, aber Frauen wie sie können gefährlich werden Roland. Früh die Eltern verloren, ewig gebüffelt für ihr Studium; sie hatte Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, er nach Frischfleisch. Werden solche Frauen zurückgewiesen, können die Emotionen überkochen. Aus Verzweiflung, Erniedrigung und Frust wird Resignation und Hass. Ja und dann knallt´s. Sie war Linkshänderin, hatte sein Blut an den Fingern, und ihre Fingerabdrücke waren auf der Tatwaffe. Auch aus ihrer Position links hinten konnte sie durchaus zur Mörderin werden.<
>Der Pathologe ist sich nicht sicher, aber sie könnte schon geschlafen haben. Außerdem findet sich in ihrem Abschiedsbrief zwar Herders Zurückweisung als Grund für ihren Selbstmord, aber kein Hinweis auf Mordbereitschaft.

Wie wäre es mit folgender Version Friedhelm: Frau Herder ersticht ihren Mann, nachdem sie den Abschiedsbrief von Sina gelesen hat, und schiebt Sina den Mord in die Schuhe, indem sie ihr den blutverschmierten Zirkel in die Hand drückt? Der Eckold spielt mit. Wir wissen doch, dass zwischen den beiden was lief. Der Karriere geile Eckold kriegt anschließend den Geschäftsführer Posten für sein Schweigen.<
>Und wieso finden wir Gewebe von Frau Herder unter Eckolds Fingernägeln? Es muss Handgreiflichkeiten zwischen den Beiden gegeben haben. Womit wir wieder bei der Frage wären: Unfall oder Selbstmord.<
Schorn wandte sich zu Wojke.
<Ist ein Sitzplatzwechsel während des Fluges eigentlich problemlos möglich in diesem Flugzeugtyp und welchen Sinn könnte das ergeben? Wir wissen, dass Herder auf dem rechten Vordersitz ermordet wurde. Wir fanden ihn aber hinten rechts. Eckold saß zunächst vorne links, später aber vorne rechts. Frau Herder wechselte von hinten rechts nach vorne links.<
>Die Umplatzierung ist zwar etwas mühsam, lässt sich aber bewerkstelligen. Der Grund für den Umzug in diesem Fall dürfte sein: Eckold hatte nur einen einfachen Privatpiloten Schein und wenig Flugerfahrung. Herder fungierte praktisch als Lehrer. Er besaß als Einziger an Bord ein IFR. Der Volksmund sagt: Blindflugschein. Frau Herder hatte eine Nachtflug Berechtigung und einige Flugerfahrung. Es machte also Sinn nach dem Tod von Herder die Plätze zu wechseln.<
>Verstehe.<
Schorn rieb eine Weile seine Nase.
>Also Roland, wenn sie die Plätze gewechselt haben, stell dir das mal unter den Bedingungen vor; blutüberströmter Herder, blutverschmierte Sitze. Sie wollten überleben, zu dem Zeitpunkt jedenfalls. Der geschätzte Zeitpunkt an dem Herder starb stimmt übrigens recht gut mit dem der Kursabweichung überein. Es muss Chaos geherrscht haben an Bord.<

Die Spurensicherung stellte in der Wohnung von Björn E. DNA Material von Isabell H. sicher, auch in seinem Bett. In seinem Schreibtisch lag ein Geschäftsführer Vertrag mit einem Münchner Unternehmen ? Konkurrenz von Herder. Der Vertrag wurde nur wenige Tage vor dem gemeinsamen Urlaubsflug unterschrieben. Isabell H. hatte einen Monat zuvor eine Detektei mit der Überwachung von Eckold beauftragt. Sie hegte den Verdacht, Eckold könnte ein Verhältnis mit einer anderen Frau haben. Eine Bankbuchung brachte die Polizei auf die Spur der Detektei. Ein ?Fremdgehen? konnte Eckold nicht nachgewiesen werden.

Die Polizei von Perpignan übermittelte ein Foto, aufgenommen von einer Kamera an der Tankstelle des Flughafens während der Betankung des Flugzeuges. Alle vier Personen standen meterweit voneinander entfernt. Ihre Blicke berührten sich nicht. Sie schienen sich zu ignorieren. Jeder war für sich.

>Herr Wojke, wir haben auf der Rückseite der Verbindung zwischen Steuerhorn und Durchführung des Steuergestänges durch das Armaturenbrett ausgeprägte Fingerabdrücke von Herrn Eckold gefunden. Eckold hat offenbar mit einigem Kraftaufwand versucht, das Steuer Richtung Sitz zu ziehen. Das bedeutet doch, er wollte die Maschine nach oben ziehen oder?<
>Richtig.<
>Könnte das die Selbstmordtheorie erhärten?<
>Könnte es, wenn man zusätzlich bedenkt, dass der Gashebel auf Vollgas, die Zündung aber auf ?off? stand. Eckold hat vermutlich Vollgas gegeben, um ein ?Nose up? Moment zu erreichen. Frau Herder wird daraufhin die Zündung ausgeschaltet haben, um dem entgegen zu wirken. Für die Steuerbewegungen besaß sie die bessere Hebelwirkung. Es blieb also bei dem eingeleiteten steilen Gleitflug.<
Schorn nickte. Er hatte verstanden.
>Roland, das war´s. Fakten, Indizien, Hinweise, alles was wir haben, lässt sich schlüssig nur zu einer einzigen logischen Geschichte verbinden.<
Gepperts Blick verriet, dass er nicht alle Verknüpfungen herstellen konnte, die zwangsläufig zu einem bestimmten Ablauf des Geschehens führten.
>Du wirst es in meinem Bericht nachlesen können Roland. Wenn du mir einen Fehler nachweisen kannst, lade ich dich zu Currywurst mit Fritten ein.<
Schorn grinste, nahm seine Jacke vom Haken und verabschiedete sich in den Feierabend.

Sechs Monate später mussten die Erben der Firma ?Herder Armaturen? Insolvenzantrag stellen. Ausgesprochen ?kundenfreundliche? Vertragsgestaltungen aus der Zeit des tödlich verunglückten Verkaufsleiters Eckold führten zu nicht einhaltbaren Verpflichtungen.
 
Das ganze ist ja sehr sachlich, so wie ein Bericht aufgebaut. Ich würde zumindest die Diskussion etwas farbenfroher, mit ein wenig Gefühl und Leben ausfüllen. Dan hättest du acu einen schönen Gegensatz, der etwas Spannung in die Geschichte hereinbringt.
 
Hi, Itsme,

dein Tatsachenbericht hat seine Stärken, die Personenbeschreibungen sind sehr gut getroffen, der Einstieg, der Spannungsbogen, ich hab es mehrfach durchgelesen und mir daraus ein Bild zusammengesetzt. Nur eine Frage ist für mich offen geblieben. Warum ist Björn B., der aufgespießte Verkaufsleiter, fast nackt? Das passt irgendwie nicht ins Bild. Beim Abflug ist die Gruppe fotografiert worden, da ist er vermutlich nicht fast nackt gewesen, beim Abstzurz war er es. Warum hat er sich ausgezogen? In der Rekonstruktion deines Tatherganges findet dieser Umstand keine Beachtung.

Kannst du mir nachträglich erklären, warum der Kripobeamte Schorn diese Tatsache in seine Fallklärung nicht mit einbezieht? Oder hast du das Wort "fast nackt" bewusst eingebaut, um den Leser - so wie mich - dazu zu bringen, sich seine eigenen Gedanken zu machen?

Bin sehr gespannt auf deine Antwort.

Eine neugierige Zwillingsjungfrau
 



 
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