Tom Donner und der Meteoritenwurm

In den Tiefen unseres Sonnensystem, zwischen Mars und Jupiter, wo kaum noch Licht hinreicht, liegt eine kalte, wüste Gegend. Hier fliegen zahllose Felsbrocken durch das All, Wolken von Trümmern, und kleine Monde. Sonst ist es hier dunkel, einsam und leer. Nur die eisigen Kometen auf ihrer langen Reise schauen ab und an auf einen kurzen Besuch vorbei. Diese Region heißt Asteroidengürtel.

Es sind schon wilde, verwegene Gesellen, die Männer und Frauen, die hier draußen unterwegs sind. Wagemutig müssen sie sein, geschickt und klug, denn jede Hilfe ist weit entfernt. Stück um Stück, Abschnitt für Abschnitt durchkämmen sie den Asteroidengürtel, immer auf der Suche nach dem „Pieps!“ kleiner Roboter.

Die Menschen hatten ihre Suche nach Metallen, Erzen und anderen seltenen Rohstoffen auf den Weltraum ausgedehnt, und der Asteroidengürtel war ein lohnendes Ziel. Es hätte viel zu lange gedauert, alle Felsen und Monde einzeln anzufliegen. Deshalb hatten sie Tausende winzig kleiner Roboter gebaut und ins All geschossen. Die flogen nun durch den Asteroidengürtel und spähten mit ihren Sensoren in die Dunkelheit, immer auf der Suche nach einem wertvollen Brocken. Waren die Messwerte interessant, sürzten sie sich hinab auf den Felsen, krallten sich an seiner Oberfläche fest und schickten ein Signal hinaus: „Pieps!“. Hier gibt es was zu holen. Auf den Karten der Asteroidenjäger erschien dann ein kleines Kreuz; ein neuer Hinweis, den sie zu überprüfen hatten.

Auch an diesem Tag war Tom Donner mit seinem Düsendrachen unterwegs, um seinen Abschnitt des Gürtels zu erkunden. Das sind wendige kleine Flitzer, die Düsendrachen! Schnell genug, um einem Brocken auf Kollisionskurs auszuweichen, und robust genug, auch mal einen kleinen Rempler wegzustecken. Und dabei sind sie so klein, dass sie auf größeren Asteroiden sogar landen können. Warum sie Düsendrachen heissen? Wegen ihrer Sonnensegel. Die können sie ausfahren, wenn ihnen der Treibstoff knapp wird, und das Licht der Sonne zum Auftanken nutzen. Und wenn so ein Weltraumhopser mit ausgebreiteten Flügeln im Sonnenlicht schwebt, ist das schon ein toller Anblick!

Vorsichtig steuerte Tom durch eine dichte Wolke kleiner und mittelgroßer Asteroiden. Seine Monitore waren voller Anzeigen, er musste sich höllisch konzentrieren, immer wieder Ausweichmanöver fliegen und – Moment mal. Was war das denn? Der kleine Felsen da unten links im Hauptschirm, an dem er eben vorbeigeflogen war – hatte der wirklich grüne Flecken?

Eigentlich völlig unmöglich. Aber Tom war lange genug Asteroidenjäger, um seinem Instinkt und seinen scharfen Sinnen zu vertrauen, und die goldene Regel aller Weltraumfahrer sagt: Wenn du im All etwas merkwürdiges siehst, dann schau es dir unbedingt näher an. Denn es könnte was ganz besonderes sein!

Also trat Tom Donner auf die Bremse. Die Gegenschubraketen feuerten und bremsten den Drachen ab. Tom flog eine Rolle und überkopf zurück in die Richtung, wo er den kleinen Asteroiden vermutete, und tatsächlich – da tauchte er auf dem Bildschirm auf. Schwebte friedlich und ruhig vor ihm im Asteroidenfeld. Ein eher kleiner Brocken; vielleicht so groß wie fünf Fußballfelder, die jemand zu einer Kartoffel zusammengeknüllt hatte. Und er hatte, wirklich und wahrhaftig, grüne Flecken.

Tom checkte seine Datenbank. Ja, da gab es einen Eintrag. Vor einiger Zeit hatte ein Roboter hier seinen „Pieps!“ abgesetzt. Angeblich solle es hier etwas Eisen geben, aber so wenig, dass es eine Untersuchung eigentlich nicht lohnte. Wenn da nicht diese rätselhafte Farbe wäre… Kurz entschlossen setzte Tom zur Landung an.

Und das war gar nicht so einfach. Auf so einem kleinen Himmelskörper gibt es fast keine Schwerkraft, und jeder kleine Stoß, jeder Hüpfer kann einen zurück ins All treiben. Sehr behutsam setzte Tom auf, dann verankerte er die Landefüße seines Drachens fest im Gestein. Er kletterte in seinen Raumanzug, sicherte sich mit einer Rettungsleine, und stieg aus.

Auf den ersten Blick war hier nicht viel los. Der Asteroid sah aus wie so ziemlich jeder andere auch – ein Klumpen aus Fels, Geröll und Staub. Er war übersät mit kleinen Kratern und Kratzern, Spuren der Einschläge kleinerer Meteoriten. Tom ging langsam weiter. Und dann, plötzlich, stand er am Rand einer Fläche, die vollständig bedeckt war von grünem Glibber. Ein hübsches Apfelgrün, das leicht im Dunkeln leuchtete, um genau zu sein.

Tom starrte fassungslos auf die grüne Fläche, die vor ihm lag wie eine Wiese, nur eben ein bisschen schleimiger. Sowas hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen! Und wie er da so stand und starrte, fing plötzlich der Boden unter seinen Füßen an zu vibrieren, brummte wie ein lautlos gestelltes Handy. Tom fuhr zusammen und starrte auf seine Füße. In den Ritzen zwischen den Steinen blitzten blaue Lichter! War er auf einem Geisterasteroiden gelandet? Oder hatte er am Abend vorher etwas falsches gegessen…?

Neben seinem Bein geriet ein kleiner Hang in Bewegung, rutschte ab, und zwischen dem Staub und den losen Steinen – da wand sich ein fingerdickes, steingraues Würmchen. Offenbar versuchte es, sich aus dem losen Material zu befreien. Dabei vibrierte es, immer wieder, und blinkte aufgeregt wie eine winzige blaue Rettungsboje. Tom griff zu, schnell und sicher, und zog das Würmchen vorsichtig aus dem Schutt.

Da hielt er es nun in seiner behandschuhten Hand. Ganz leicht. Ganz vorsichtig. Und war völlig fasziniert. Was beim Schweif von Halleys Komet war das? Er drehte und wendete seine Hand, und untersuchte das Würmchen von allen Seiten. Er trat ein wenig weiter nach links, und tatsächlich, das Blinken schien langsamer zu werden. Er drehte sich nach rechts, das Würmchen blinkte schneller. Er hob die Hand hoch, und das Würmchen blitzte ununterbrochen – und Tom sah einem meterdicken Felsbrocken, der aus den Tiefen des Asteroidengürtels direkt auf sie zuflog…

Jetzt war aber höchste Eisenbahn! Er setzte das kleine Würmchen ab und hangelte sich an seiner Rettungsleine zurück zu seinem Düsendrachen. Die Motoren liefen schon warm, als er dort ankam. Auf den Stufen zum Einstieg aber saß schon das Würmchen, und blinkte ihn erwartungsfroh an. „Na sag mal, du bist ja fix!“ meinte Tom. Blink. Blink. machte das Würmchen. „Was soll denn das nun werden? Willst du etwa mit?“ Blink. Blink. „Sicher? Wir kennen uns doch noch gar nicht!“ Das Würmchen sah ihn an und wartete. „Na gut“, sagte Tom, „jetzt aber nichts wie los!“ Die beiden stiegen ein und der Düsendrache hob ab. Sekunden später krachte der Felsen genau da auf den Asteroiden, wo Tom und das Würmchen sich begegnet waren, und hinterließ dort einen hübschen neuen Krater.

Tom Donner aber schrieb zwei Nachrichten der höchsten Dringlichkeitsstufe an die Zentrale. Erstens: Ich habe eine neue außerirdische Lebensform entdeckt, und ich nenne sie „Meteoritenwürmer“. Zweitens: An alle Asteroidenjäger! Aufpassen! Wenn ihr da draußen Brocken mit grünen Flecken entdeckt, Finger weg – denn dort leben die Meteoritenwürmer. Die dürfen wir nicht stören.

Tom und der Meteoritenwurm wurden schnell gute Freunde. Das Würmchen hatte sich entschieden, an Bord zu bleiben, und zusammen erlebten sie viele Abenteuer. Dabei rettete es Tom mehr als einmal den Hals, denn wenn Gefahr drohte, dann blinkte und summte es zur Warnung. Dafür knabberte es manchmal einen Eisennagel, und gelegentlich musste Tom ein Bröckchen grünen Schleim aus seinem Düsendrachen fegen – aber das war völlig ok. Andere Asteroidenjäger, die Haustiere dabei hatten, mussten ja auch mal das Katzenklo leeren.
 



 
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