Tot im Kühlwagen

von Sir Charles Blackwood

Ernst Schubert war seit seinem 14. Lebensjahr, direkt nach Abschluß der Hauptschule bei der Bahn. Ein Beruf, der ihm Spaß machte. Quasi eine Tradition in der Familie. Sein Vater und auch sein Großvater waren schon bei der Bahn. Zwar hatte es bis heute keiner von Ihnen je zu einer höheren Position gebracht, geschweige denn, zu einer sicheren, pensionsberechtigten Beamtenstelle, doch die Bahn, die große weite Welt, das war ihr, das war sein Leben.
Mittlerweile war Ernst Schubert 22 Jahre alt. Sein Leben hatte einen eingefahrenen Trott: morgens um 5 Uhr aufstehen, um 6 Uhr mit dem Vater zusammen am Verschiebebahnhof sein, den Dienst beginnen und am Abend um 17 Uhr Feierabend. Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Am Wochenende hin und wieder in die Disco. Aber so richtig war es nichts für ihn. Er lebte zurückgezogen, war recht introvertiert und hatte so seine Probleme mit den Mädchen. Nicht zuletzt wegen seines Handicaps – er stotterte, sobald jemand ihn direkt ansah.
Heute hatte er eine andere Aufgabe bekommen. Er sollte einige Güterwagen, die auf dem Abstellgleis standen, überprüfen. Eine neue, für ihn besondere Aufgabe, die ihn nervös machte, seinen Tagesrhythmus durcheinander brachte.
Als er im Halbdunkeln, leichte Nebelschleier ließen das Bahngelände dämonisch, mystisch erscheinen, das Nebengleis erreichte, sah er schemenhaft die Wagen stehen. Wenige Schritte nur, und er hatte den ersten Wagen, den es zu überprüfen galt, erreicht. Die Seitentüre stand auf, er schwang sich in den Wagen. Vom Schwung angeschoben, schlug die Türe zu. Er stand im Stockdunkeln und sah gar nichts mehr. Ein Druck auf den Schalter der Maglite, die starke Stablampe flammte auf und ließ den Innenraum erkennen. Er versuchte die Türe wieder zu öffnen, doch sie klemmte, ließ sich nicht aufschieben. Er leuchtete den Innenraum ab und stellte fest, daß er in einem Kühlwagen stand. Der Schreck fuhr im in die Glieder. Frühestens heute abend, wenn sein Vater auf ihn wartete, er die Stechuhr nicht drückte, würde man ihn suchen. Das wären über 12 Stunden, die er in dem Kühlwagen zubringen mußte. Er hatte schon davon gehört, daß Menschen in dieser Zeit elendig erfroren waren.
Heinz Schubert zog die Jacke enger, schlug den Kragen hoch. Die Kälte schien schon an ihm hochzukriechen. Ihn fröstelte. Jetzt habe ich auch noch meine Tasche mit dem heißen Kaffee stehenlassen. Lediglich das Notizbuch, den Stift und die Checkliste hatte er eingesteckt. Er rüttelte wieder an der Türe, doch sie gab keinen Millimeter nach. Sicher war der Sicherungsriegel außen zugefallen. Das hieß aber auch, daß er jetzt wenigstens einen halben Tag, wenn er Pech hatte, bis zum nächsten Morgen hier aushalten mußte. Seine Füße wurden kalt. Er trat auf der Stelle, um sich warm zu halten. Es half. Kurze Zeit später schwitzte er, daß seine Wäsche naß wurde. Er hielt ein, da seine Muskeln krampften. Eine weitere halbe Stunde später kroch die Kälte wieder seine Beine hoch. Er hatte sich mittlerweile auf eine in der Ecke stehende Metallkiste gesetzt. Mittlerweile hatte er einen Entschluß gefaßt: er wollte, wenn er hier schon erfrieren mußte, seinen Tod akribisch dokumentieren. Und so schrieb er von Zeit zu Zeit einen Zettel, versehen mit Datum und genauer Uhrzeit, seinen genauen Zustand. Wie die Beine gefühllos wurden, wie er immer schläfriger wurde, die Kälte in seine Knochen kroch, er verwirrt wurde…

Am nächsten Morgen suchte man Heinz Schubert. Und man fand ihn auch recht schnell in dem Kühlwagen. Er lag in der Ecke des Kühlwagens, um sich herum jede Menge beschriebene Zettel, und war tot. Mit Entsetzen laß man die Dokumentation seines Erfrierungstodes. Doch was allen unverständlich war, war die Tatsache, daß erstens Mitte August die Nachttemperatur nur so um die 18°C lag und das Kühlaggregat des Kühlwagens gar nicht in Betrieb war. Sicher, er konnte sich nicht befreien, da die Sicherheitsverriegelung, aus welchen Gründen auch immer, zugeschnappt war, doch bei diesen milden Temperaturen konnte er unmöglich erfrieren. Hatte Heinz Schuberts Gehirn ihm einen Streich gespielt? Hatte es ihm das Gefühl des Erfrierungstodes so glaubhaft vorgespielt, ihn erleben lassen, daß er tatsächlich daran gestorben war?


Entscheiden Sie selber:
Kann es sein, das diese Geschichte, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag, der reinen Wahrheit entspricht? Oder habe ich Sie einfach nur geschickt hinters Licht geführt? Vieles ist doch bei näherer Betrachtung anders, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Ist es ein moderner Mythos, der selbst Fachleute in die Irre führt?
 

Retep

Mitglied
Morgen Sir Charles Blackwood,

deine Geschichte beginnt mit einer kurzen Einleitung, ist flüssig geschrieben, die Sprache passt zum Text, der Schluss hat mich überrascht.

Ein paar kleine Anmerkungen:

Ernst Schubert war seit seinem 14. Lebensjahr, direkt nach Abschluß der Hauptschule [blue],[/blue] bei der Bahn.
Zwar hatte es bis heute keiner von Ihnen je zu einer höheren Position gebracht, geschweige denn [red],[/red] zu einer sicheren, pensionsberechtigten Beamtenstelle
Vom Schwung angeschoben, schlug die Türe zu.
- es ist doch eine Schiebetür

Der Schreck fuhr [blue]ihm[/blue] in die Glieder.
die er in dem Kühlwagen zubringen [blue]musste.[/blue]
da[blue]ss[/blue] Menschen in dieser Zeit elendig erfroren waren.
- ich nehme an, dass du ß nach der alten Rechtschreibung setzt

mit dem heißen Kaffee [blue]stehen lassen[/blue].
Er hatte sich mittlerweile auf eine in der Ecke stehende Metallkiste gesetzt. Mittlerweile hatte er einen Entschluß gefaßt:
Und man fand ihn auch recht schnell in dem Kühlwagen. Er lag in der Ecke des Kühlwagens,
Mit Entsetzen [blue]las[/blue]
Zu deiner Frage:
Ich denke, es ist durchaus möglich, dass die Geschichte sich so ereignet hat. Ich habe von ähnlichen Fällen gehört.

Interessante Geschichte.

Gruß

Retep
 



 
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