Totgeburt

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Morris

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Totgeburt

Die Zeit - gestohlen.
Die Wahrheit - in Trümmer verpackt.
Die Bewegung - vergessen.
Rastlosigkeit als alles verbrennender, höllischer Schmerz.
Die Augen - Schatten.
Der Mund - nicht da.
Der Hals - kalt.
Der Blick - starr.
Die aus allen Löchern triefende Flüssigkeit nimmt kein Ende.
Im Ohr ist es laut.
So laut, dass jeder Schimmer der Lust in ein hohles,
Schweigendes Bild aus aschefarbenen Strichen und Zeichen paralysiert wird
Und brennt wie Säure für die Augen nach drei durchwachten Nächten
Jedes Mal, wenn man darauf seinen Blick wendet.

Die Ähnlichkeit - verwachsen.
Die Spur - noch da.
Die Richtung - eine ist noch übrig.
Träume, die an der Kraft zähren, bis keine mehr zum Aufstehen verbleibt.
Das Wissen - war falsch.
Die Liebe - ein Fremder.
Humor - tat weh.
Gemeinsamkeiten - in der Kindheit geblieben.
Eine eisweiße Maske mit Löchern in blutenden Augen starrt mich an,
Seit Stunden.
Das Geheul ist voller Furcht und voller Krankheit, die wie ein Pendel
Immer wieder immer wieder trifft und verschwindet im Feuereisenhimmel
- hier sieht man herauf und sieht den Boden der Hölle funkelnd tot glühen.

Der Morgen - verfallen.
Das Frühjahr - verwelkt.
Das Wasser - vergiftet.
Ein Schrei bricht jedes Mal die Sekunde der Ruhe
Und lässt an Rasiermesser denken.
Der Zwang - mehrbändig.
Sexualität - drei Seiten.
Besinnung - unmöglich.
Körper - Qual.
In jeder Nacht spüre ich die Würmer unter der Haut meiner Seele wühlen.
Aufgebläht in bestialischem Gestank. Verdorben in Form eines Embryos
- es war eine Totgeburt.

Die Wände - rot blutend.
Die Luft - ganz allein.
Das Bett - in der Mitte.
Ein sauberes Stück Papier fällt sanft von der Höhe
Und legt sich wohltuend auf meine Stirn.
Der Abschied - verpasst.
Die Bilder - verloren.
Das Mädchen - gegessen.
Der Junge - verhungert.
Nach einhundert Jahren von Dreck gespeist von Unrat genascht
Doch nur mit Schweinen verkehrt mit knospenden Beulen am ganzen Leib
Doch nur gepflockt mit einem stumpfen Stück erregten Fleisches
Bis durch den Hinterkopf heraus.
Und nie gestorben nie geändert nie gewagt nie in Gewalt umgeschlagen
Und nie was gesagt und nie auch nur ein Mal geweint oder geklagt.
Muss gegen die Krankheit kämpfen.
Ich muss die Heilung finden.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Wahnsinn!
Wahnsinn – So muss er sich wohl anfühlen. Und da reicht es wohl auch, dass der Betroffene von allen Anspielungen (wie "Das Mädchen - gegessen. / Der Junge - verhungert.") bzw. und ihr beziehung zueinander (wie "Das Frühjahr - verwelkt./Das Wasser - vergiftet.") versteht.


Details:

++ Besser wäre statt “brennt wie Säure für die Augen": "brennt wie Säure in den Augen".
++ Das Wort heißt "zehren" nicht "zähren".
++ Meinst du wirklich „Maske mit Löchern in blutenden Augen" oder doch eher „Maske mit Löchern blutender Augen"?
++ Es fehlen – zur bessern Lesbarkeit – oft Kommas.
++ "Ein Schrei bricht jedes Mal die Sekunde der Ruhe / Und lässt an Rasiermesser denken." sticht durch verhältnismäßig „unpoetischen Klang“ vom Rest ab. Wie wäre es mit “Ein Schrei tötet den Augenblick Ruhe. / Jedes Mal. Rasiermessergleich"?


Ansonsten: Außerordentlich beeindruckend
 



 
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