Traubenerwachen (gelöscht)

Status
Für weitere Antworten geschlossen.
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ah, wie schön, jemand neu hier.

GrüßDich, "sorglos",

Dein Nickname wird den Problemaufwerfern, noch nicht ganz abgestorbener Hauptast der modernen Lyrik, Sorgen bereiten. Nichts ist denen fremder als Sorglosigkeit. Es gibt aber ganze Blumensträuße an Formen und Formlosigkeiten, Problemverstricktheit und Gelöstheit, Ästhetik und Antiästhetik - nun also Deine heiter-sorglosen Beiträge.

Du hast eine naturbeschreibende Skizze gewählt, die aber nicht einfach einen Eindruck aus einem größeren Zusammenhang ausschneidet, sondern alte Stilmittel einsetzt, als da wären Personifikation - eine schreitende und tanzende Sonne - und Standardsituationen wie Tanz und Kuß. Und diese Standards mit der Sprachsubstanz etwas altertümlicher Formulierungen, denn sag mal, "schreitest" Du, wenn Du zur Arbeit eilst? Lobst Du Deinen Partner für seine "Anmut"? Hast Du schon mal eine Dame mit einem goldenen Schleier gesehen? Gibt es wenigstens im "Mann ohne Eigenschaften" noch Damen, die verschleiert zum Walzertanzen schreiten? Das Stilmittel altertümlich parfümierter Wörter kann allerdings bewußt eingesetzt werden, um Klischees hervorzuheben, das Befremdliche als Verfremdung.

Ein Hügel.
Auf einmal schreitet die Sonne
so anmutig schön
im goldnen Schleier zum Tanze.
Das anmutig schöne Schreiten widerspricht der Überraschung des "Auf einmal". Diese Überraschung paßt auch nicht zum Schleier, denn wenn es naturalistisch gemeint ist, nämlich: daß die grelle Sonne hinter oder neben, etwa am Rand eines Hügels hervorbricht, dann würde die neblige Verschleierung das mildern, abdämpfen.
Aber es ist nicht naturalistisch, sondern mythisch-märchenhaft, wie die Klischees, die etwas übernutzten Versatzstücke des Bildes nahelegen.

Streift zärtlich der Traube Seele [blue]inverser Genetiv[/blue]
mit vollmundig süßem Kuss, "vollmundig" oder "streift"? innerer Widerspruch; zwei [blue]Adjektive [/blue]
dass diese sogleich errötet, "sogleich" [blue]?[/blue]
die andre erblassen muss.
Gehört eigentlich in die Rubrik "Gereimtes". Dort würde es weniger auffallen, da etwa die Hälfte der dort veröffentlichten Gedichte Gartenlaubenlyrik ist. (Die andere Hälfte sind belämmert-lustige Limericks.) In der Landschaftsmalerei dort gehst Du natürlich unter, denn die Wachsfiguren des Kabinetts sind oft genauer den alten Vorlagen nachgestaltet als diese Erstlingsseiten Deines Skizzenbüchleins. Allerdings ist es fruchtbarer, Beiträge im Ungereimten unterzubringen, denn die nichtreimenden Autoren lesen die gereimten Stücke gar nicht, und die meisten Lyriker reimen nicht. Und ziehen die Augenbrauen hoch bei Deinem Nicknamen.

Reifungsvorgänge im Weinberg laufen anders. Niemals ist die Reife der ersten Beeren, die sich umfärben, Ursache dafür, daß die anderen blaß bleiben. Vielmehr beschleunigt die Reife der ersten Beeren die der benachbarten.
Aber das ist natürlich metaphorisch von Dir so gemeint. Denn Deine Weinbeeren haben menschliches Gemüt, wie Deine Sonne. Und dann gibts Neid. Nun ja, eine putzige Verkleinerung der Natur. Kaputte Metapher: das Bild wird nur für den kurzsichtigen Stropheneinsatz gebrochen. Anthropomorphismen, die die Natur verkleinern und umfälschen, taugen nicht mal für Märchen, ihre Putzigkeit verdirbt den ästhetischen Sinn.

grusz, hansz
 
Status
Für weitere Antworten geschlossen.



 
Oben Unten