Traumnacht

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Verboholiker

Mitglied
Traumnacht

Oft sitze ich auf der Veranda
Sehe die Fledermäuse am Himmel tanzen
Versuche die Nacht zu sehen

Der Tisch, der Stuhl
Das Holz lebt und knarrt
Die Kerze ist zur Hälfte verbraucht
Nur ein zartes Licht ist dort
Das im Wind zuckt
Und der Markise Rest über mir zeigt
Wenn ich nach oben sehe
Was ist

Ich gehe hinein, in mein Haus
Um zu schlafen
Manchmal schlafe ich
Jedoch draußen auf der Veranda
Träume kalte Träume
Sehe falsche Sterne
Nur Fetzen vor meinem Gesicht
Die Wunden reißen
Die bleiben und sind immer
Auch wenn ich gerade nicht bin

Manchmal sehe ich, dass die Fäden
Die einst gerissen
Worte auf meinen Rücken zeichnen
Die ich nicht lesen kann

Manchmal schlafe ich im Garten
Ich liege im Graß, kühle meinen Rücken
Im Tau, der mir unverständlich scheint
Aber wohlige Befriedigung bringt

Am Abend sehe ich die Fledermäuse
An den Spitzen der Bäume fliegen sie
Sehe den Mond am südlichen Himmel
Der mir wie eine Kugel erscheint
Und die Schatten, die langsam kriechen

Ich gehe in mein Haus
Ich mag den Morgen
Ja, weil er- kommt
 

revilo

Mitglied
hallo ,
ein interessanter Text, der aber m.E. nicht als Lyrik einzuordnen ist.....eindeutig Prosa.......

manchmal schlafe ich
auf der veranda und
zähle falsche sterne

ich mag den morgen
weil er kommt

Lg revilo
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo verboholiker,

mir gefällt der text, auch in seiner länge...

ich möchte mich einerseits revilo anschließen
und rufen:
aber das ist doch eher prosa.

aber, es ist eine bilderstrecke
sozusagen mit "deutlichen" Worten
( im wahrsten sinne des Wortes!)

Wenn ich es einordnen müsste, würde ich sagen
es hat was von einem altersmilden bukowski
und von einem hemmingwaytext mit zeilenumbrüchen.

Nichtdestotrotz ist die extreme verdichtung
von revilo gelungen
und
ja, ich mag den morgen,
weil er kommt

gruß ralf.

P.S.

aber warum soll das experimentelle lyrik sein?
;)
 

Verboholiker

Mitglied
Hallo,

danke für die Kommentare. Hätte nicht gedacht, dass mein Entlein jemand liest, weil sehr, sehr autobiographisch.

Warum Lyrik?
Nun, in erster Linie, weil ich persönlich es so sehe, trotz narrativer, prosaischer Elemente. Die Verse und Strophen sind auch in dieser Form nacheinander entstanden, ohne dass ich dabei im Sinn hatte, einen Text zu schreiben. Wenn ich jetzt die Versform aufheben würde, ginge doch ziemlich viel an Wirkung verloren. Jeder Vers hat seine Prägnanz, die in einem Texte vielleicht unterginge.
Es ist also vielleicht allein die äußere Form, die mich denken lässt, dass es sich eher um Lyrik handelt. Eine "falsche" oder "richtige" Einordnung gibt es doch nicht; es gibt sicher unendlich viele Beispiele in der Lyrik. Wenn Ihr das anders seht, respektiere ich das natürlich.

Warum "experimentell"?
Oh, wieder eine persönliche Entscheidung von mir. In der Tat, weil ich es so empfinde. So ziemlich alles, was ich geschrieben habe, sehe ich eher als experimentell an. Vielleicht auch gerade wegen der Einwände, dass es sich doch eher um Prosa handelt.

Danke! Gruß, M.
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo Verboholiker,

wenn Du unter Deinem Text auf "Bearbeiten" klickst, erscheint er wieder in dem ursprünglichen Formular. Dann kannst Du ändern wann und was immer Du möchtest. Danach klickst Du auf "Ausführen".

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Verboholiker

Mitglied
Traumnacht

Oft sitze ich auf der Veranda
Sehe die Fledermäuse am Himmel tanzen
Versuche die Nacht zu sehen

Der Tisch, der Stuhl
Das Holz lebt und knarrt
Die Kerze ist zur Hälfte verbraucht
Nur ein zartes Licht ist dort
Das im Wind zuckt
Und der Markise Rest über mir zeigt
Wenn ich nach oben sehe
Was ist

Ich gehe hinein, in mein Haus
Um zu schlafen
Manchmal schlafe ich
Jedoch draußen auf der Veranda
Träume kalte Träume
Sehe falsche Sterne
Nur Fetzen vor meinem Gesicht
Die Wunden reißen
Die bleiben und sind immer
Auch wenn ich gerade nicht bin

Manchmal sehe ich, dass die Fäden
Die einst gerissen
Worte auf meinen Rücken zeichnen
Die ich nicht lesen kann

Manchmal schlafe ich im Garten
Ich liege im Gras, kühle meinen Rücken
Im Tau, der mir unverständlich scheint
Aber wohlige Befriedigung bringt

Am Abend sehe ich die Fledermäuse
An den Spitzen der Bäume fliegen sie
Sehe den Mond am südlichen Himmel
Der mir wie eine Kugel erscheint
Und die Schatten, die langsam kriechen

Ich gehe in mein Haus
Ich mag den Morgen
Ja, weil er- kommt
 

Pola Lilith

Mitglied
Ein schöner Text

(noch ohne "Reh", aber mit "Riss")

anmutig geschrieben
(das erlaube ich mir, auch einem Mann zu sagen)

etwas Tendenz zum Klischee (Wunden, lonesome Cowboy, jmd. hat ganz gut hier zu Hemmingway assoziert)

Ansonsten wunderbar !
 
A

AchterZwerg

Gast
Hallo Verboholiker,
in letzter Zeit beschäftige ich mich intensiv mit (lyrischen) Stillleben (ich weiß nicht, wie das richtig heißt :cool: ), der Name dieser strengen Art ist dir als Germanist aber sicherlich geläufig. In diese Kategorie ordne ich deinen Text ein, der mir streckenweise gut gefällt, aber m. E. öfter Überlängen zeigt.
Ich stelle dir einmal eine gekürzte Version vor (als Stillleben gestaltet), die sich jeglicher Interpretation enthält, alles dem Leser überlässt, an deinen Worten aber möglichst wenig verändert. Ich bin gespannt, was du dazu sagen wirst ...
Traumnacht

Der Tisch, der Stuhl
Das knarrende Holz
Die Kerze zur Hälfte verbraucht
Nur ein zartes Licht ist dort
Das im Winde zuckt

Ich gehe hinein um zu schlafen
Träume kalte Träume
Sehe falsche Sterne

Manchmal schlafe ich im Garten

Kühle meinen Rücken
Sehe Fledermäusen zu
Und dem Mond am südlichen Himmel
Den Schatten die langsam kriechen

Gehe zurück in mein Haus

Ich mag den Morgen
Weil er kommt
Das wäre quasi eine komplette Entkernung, die auf den ersten Blick "unlyrisch" anmuten kann, aber sich aufgrund ihrer spezifischen Art doch experimentell gut ins Genre fügt.
Grüßle
der 8.
 
A

AchterZwerg

Gast
@ Pola
Danke schön. Ist wirklich eine spannende Sache, diese Art. In noch kürzerer Form heißt sie wohl cut up.
Grüßle
der 8.
 

Verboholiker

Mitglied
Hallo, ihr Tanten,
Pola und Zwerg,

hier nun eine verspätete Antwort. Man kann es so machen, wie es der 8. Zwerg vorgeschlagen hat. Da würde ich sogar noch weiter gehen, noch weitere Schnitte ansetzen, wenn ich denn damit leben könnte.
Die Frage ist: Will der Autor das? Im Gegensatz zu vielen anderen Sachen, die ich geschrieben habe, hat dieses einen besonderen Wert, da es stark autobiographisch ist und schon viele Jahre existiert.
Es ist ein spontanes Gedicht, das ich nach dem Tod meiner Mutter geschrieben habe. Nein, es ist nicht *kurz* danach entstanden, sondern in den Monaten danach, quasi im melancholischen Fahrwasser.

Zitat:

„Manchmal sehe ich, dass die Fäden
Die einst gerissen
Worte auf meinen Rücken zeichnen
Die ich nicht lesen kann“

Da dachte ich spontan an Kafkas „Strafkolonie“, das ist ganz klar die Analogie. Aber das Thema ist in der Antike zu finden, ich komme nur nicht drauf. Eigentlich bedeutet das, um mal aus dem Dichter-Nähkästchen zu plaudern, ganz konkret: Peinigung durch Selbstvorwürfe aufgrund vieler ungeklärter Fragen, die aber leider nicht mehr besprochen werden können, da der Mensch verstorben ist. Auch das „Urteil“ kann das Lyrich nicht in Erfahrung bringen, es zieht sich zurück, ohne Antwort.
Und es schafft sich auf seine Art eine gewisse Linderung:

Zitat:

„ Ich liege im Gras, kühle meinen Rücken
Im Tau, der mir unverständlich scheint
Aber wohlige Befriedigung bringt.“

Noch immer befindet sich das Lyrich in diesem „ungewissen“ Zustand, es empfindet Befriedigung im Gras liegend, Wunden werden… nicht geheilt, aber soweit gekühlt, dass sie fast als (scheinbar) geheilt angesehen werden können. Beispiel: Man schlägt sich mit dem Hammer auf den Daumen, es schmerzt höllisch, tierisch viel Gewebe ist dabei zerstört worden, die Nerven liegen quasi blank und senden ständig diesen Schmerzimpuls an das ZNS. Wenn man den Daumen nun in Eiswasser taucht… verblasst dieser Schmerz. Wenn man nun ein guter Selbstbetrüger ist, vergisst man, was man vorher hatte, aber auch was einen empfangen wird, wenn man den Dauen hinaus zöge.

Zitat:

„Am Abend sehe ich die Fledermäuse
An den Spitzen der Bäume fliegen sie
Sehe den Mond am südlichen Himmel
Der mir wie eine Kugel erscheint
Und die Schatten, die langsam kriechen“
Der „Abend, die „Fledermäuse“, ein Gefühl von „Endzeit“ kommt auf. Die Fledermäuse habe ich, muss ich zugeben, in vielen Nächten am Bonner Rheinufer beobachtet, nicht nur alleine, sondern auch mit Freunden, Musik, Gesang etc., also ist dieses Gefühl nicht negativ besetzt.
„Der Mond, der wie eine Kugel erscheint“ ist etwas schwieriger zu erklären, wenn ich es denn überhaupt schaffe. Kurzum ist es eine Art Kopernikanische Wende, vor allem die Räumlichkeit des Mondes zu sehen, für das Lyrich, versteht sich. Es ist sich letztlich bewusst, dass, wie soll ich es ausdrücken, „die Welt dreidimensional ist“, dass es mehr gibt, nach dem man streben kann, auch wenn man glaubt, alles verloren zu haben. Das ist ein kleiner Höhepunkt, bevor „die Schatten, die langsam kriechen“ es verschlucken, aber ja auch nicht ohne Hoffnung, wie es ausgedrückt wird.

„ Ich mag den Morgen
Ja, weil er- kommt“

Das kurze Stocken durch den Gedankenstrich vor dem letzten Wort hat im Prinzip die Funktion, eben kein „Happy Ending“ zu evozieren, sondern den nachdenklichen Ton des gesamten Gedichtes zu unterstreichen. Das Lyrich sagt einerseits, dass es den Morgen gerne empfangen würde, ist sich aber dabei nicht hundertprozentig sicher. Es- zweifelt.
Okay, nun genug der Lyrik-Analyse. Falls Ihr gerne schnibbeln wollt, habe ich kein Problem damit. Wie gesagt: Die Version des 8. Zwerges (=meines Lieblingszwerges) hätte man natürlich auch gelten lassen können.

Gruß,

Sir M. Verboholiker
 



 
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