Tschau! (bearbeitet)

5,00 Stern(e) 1 Stimme
„Und damals, als wir noch mit den Autos raus sind und `nen Umzug gemacht haben! Hat ja keiner gefragt. Also haben wir einen Bulli genommen, raus aus dem Werkstor, paar Möbel gefahren, merkte keine Sau...Aber das ist heute alles nicht mehr möglich...“
Burkhard schmiert sich noch ein Brötchen und streicht während des Essens, scheinbar ohne es zu merken, mit der Hand über sein Abschiedsgeschenk. Eine Tafel ist es, mit Bildern unseres Test-Teams, mit unseren Unterschriften und mit Modellen von Fahrzeugen, die er für uns bearbeitet hat. Es gab auch Urkunden, Karten und Blumen von Kollegen und seinem Meister, doch Burkhard sagt, dass er sich über unsere Tafel am meisten freut. Ich bin fast ein bisschen stolz.
Heute ist sein Abschied. Sein letzter Tag in diesem Konzern, sein letzter in seinem Arbeitsleben.
In einem Seitenraum der Werkhalle haben Kollegen für ihn eingedeckt, haben versucht, diesem eigentlich furchtbar tristen und kalten Raum mit bunten Servietten und einer Girlande ein bisschen Feierlichkeit einzuhauchen. Es gibt Brötchen, kalte Platten und Getränke.

Burkhard erinnert ein wenig an Barbapapa. Er wirkt gemütlich, ein freundlicher Großvater, vielleicht ein bisschen schwerfällig. Man sollte allerdings nicht glauben, wie elegant und leichtfüßig er zu einem Auto rennen konnte um das Radio lauter zu machen, wenn In-Grid ihr „Tu es fortu“ zum Besten gab.
Die fand er toll.
Dabei passierte es auch einmal, dass er meine hässlich-schöne grüne Kaffeetasse herunterriss. Statt eines Henkels hat diese Tasse nun eine Komposition aus Schlauchschellen und Zwei-Komponenten-Kleber an der Seite. Die gebe ich nicht mehr her.

Mittlerweile hat der Meister eine Rede gehalten, wirkte unbeholfen und fand nicht die richtigen Worte. Zum Schluss drückte er Burkhards Schulter, und das sagte mehr als alle Phrasen zuvor. “So sind sie, die vom alten Schlag“, sagt Burkhard, „Männer der Tat“ und grinst. Immer mehr Kollegen kommen mal vorbei und schütteln Burkhard die Hand. Tschau, mach’s gut.
Die ganze Woche war er schon melancholisch und fürchtete sich vor diesem Tag. Er erzählte viel von damals, und auch jetzt sitze ich da und höre ihm zu, was er und seine Kollegen in diesen über dreißig Jahren erlebt und verzapft haben. Wie sie zum Kühlwasserteich des Kraftwerks gefahren sind und dort gegrillt haben. Während der Arbeitszeit, versteht sich. Oder wie sie die heute alten aber damals neuen Transporter umgebaut, jede Neuerung bestaunt haben.
Ich höre gern diese Geschichten. Es hat so was von der guten alten Zeit. Als wenn man sich Schwarz-Weiß-Fotos ansieht und dabei etwas nostalgisch wird.
Das Arbeiten früher war anders, sagt Burkhard. Nicht unbedingt besser, aber anders. Er nennt es den „Business-Druck“, der den Leuten heute zu schaffen macht. Aber er sagt auch, jede Zeit war eine gute Zeit. Es gab zu jedem Zeitpunkt Menschen, mit denen er gern zusammengearbeitet hat. Er zählt mich auch dazu, sagt er, und ich bekomme schon wieder einen Kloß im Hals. Das geht mir sehr nah.

Burkhards Werkbank ist schon leergeräumt. Fort sind die kleinen Basteleien, die er dort stehen hatte. Der kleine Lüfter, den er während eines heißen Sommers aus einem Armaturenbrett ausgebaut hatte und dann mit einer alten Autobatterie betrieb. Oder dieses gemeine, hinterhältige, pfeifenähnliche Teil, das einem Russ ins Gesicht schoss, wenn man nach Burkhards Aufforderung hineinblies (er sagte vorher immer, es sei eine Hundepfeife). Konnte der sich diebisch freuen, und fast jeder ist darauf hereingefallen.
Ich werde melancholisch. Ich sehe Burkhard als jungen Mann, mit Frühstücksdose und Kaffeepott im Raucherraum, zotige Witze in der Pause erzählend. Oder in einem nagelneuen Kleinwagen, der heute wahrscheinlich schon zu Staub zerfallen ist. Er winkt und hupt und ist stolz auf das Auto, auf seine Firma und auf sich. Er ist einer von denen, er hat dieses Fahrzeug vom Gefühl her ganz alleine gebaut.
Ein Familienvater, der einen wesentlichen, und vielleicht nicht den schlechtesten Teil der letzten dreißig Jahre genau hier verbracht hat.
Ich vergesse seine Geschichten nicht, und wenn die Gelegenheit es zulässt, gebe ich davon etwas an andere weiter. Und frühestens an meinem letzten Tag wird er vergessen.

Es wird Mittag und Burkhard sagt, dass er langsam nach Hause muss. Ein Kollege wird ihn zum Tor fahren, mit seinen Urkunden, Karten, Blumen und unserer Tafel. Mist! Auf dem Weg durch die Flure haben wir Abschiedsplakate angehängt, die wird er jetzt nicht bemerken.
Ich weiß genau, dass ich ihn wahrscheinlich nie wiedersehen werde, egal, was man sich verspricht. Ich kämpfe schon wieder mit dem dicken Kloß und versuche, Burkhard noch etwas Bedeutsames oder Weises zu sagen. Doch bevor ich den Mund aufbekomme sagt er „Tschüß, mein Mädchen, und rauch’ nicht soviel“, und grinst.

Wir sprechen uns mit einigen Kollegen ab und kapern ein paar Versuchsfahrzeuge, die in der Halle stehen. Einfach so soll er uns nicht davonkommen. Als der Wagen mit Burkhard losfährt, hängen wir uns dran und veranstalten schon in der Halle ein ohrenbetäubendes Hupkonzert. Burkhard sieht sich erschrocken um, fängt dann über alle vier Backen an zu grinsen. Fast alle Arbeiter in dieser Halle unterbrechen kurz ihre Tätigkeit und schauen auf. Viele wissen nicht, was der Anlass dieser Aktion ist, sie kennen Burkhard noch nicht mal. Doch das ist egal, denn die meisten winken trotzdem. Auch draußen auf der Straße sehen die Leute auf, winken, manche glauben, jemand hätte geheiratet (auf einem Werksgelände, nee, ist klar). Die Sonne scheint und wir fahren ganz langsam aber sehr laut auf die Schranke am LKW-Tor zu. Alle Aufmerksamkeit gilt unserer Karawane.

Als wir am Tor ankommen und Burkhard allein weiterfahren lassen müssen lehnt er sich mit tränenüberströmtem Gesicht aus dem Autofenster und winkt und bedankt sich und weint.
Tschau, Burkhard, mach’s gut!
 



 
Oben Unten