Tsunami

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Pola Lilith

Mitglied
Die Welle

Die Welle


Klaus, Sabine und Tim aus Köln

Er schwamm ein paar Züge vorwärts, drehte sich dann um und winkte seinem kleinen Sohn zu, der mit orangefarbenen Schwimmflügel am Ufer stand und den neuen, roten Ball in die Höhe hob, damit er zurückkehrte und mit ihm spielte. Dahinter fand er Sabines Umriß an der selben Stelle im Sand liegend, wo er sie vor wenigen Minuten verlassen hatte. Knackig braun wollte sie werden, für ihn und ihre Freundinnen zuhause, die Weihnachten bei trübem Regenwetter verbringen mussten. Mit einer Kehrwendung schwamm er erneut in den glitzernden Horizont hinein, der dazu verführte, allem zu entfliehen. Vier Jahre waren sie verheiratet und aus dem unkomplizierten Mädchen von damals war eine kontrollsüchtige Person geworden. Aber auch er hatte sich verändert, hatte ohne den geringsten Widerstand seine freiheitlichen Ideale vom Alltag auffressen lassen. Jetzt war er einer von Vielen, die Urlaub, Auto und Wohnungseinrichtung mühsam abstotterten und das bischen Lebensfreude im Kommerz suchten. Er tauchte in das kühle Naß, wo die Grenzen des Lebens nur vom eigenen Atem gesteckt wurden. Wie es rauschte und rauschte. Immer stärker wurde das Rauschen, es dröhnte, rumorte, schaukelte seinen Körper auf und ab, hin und her. Atemholend hob er seinen Kopf über Wasser, schüttelte sich und blickte auf eine weiße Wand, die tosend auf ihn zukam. Verwirrt drehte er sich um. Sabine stand neben Tim und winkte ihm heftig zu. Er versuchte noch, zurückzuwinken, als ihn die Welle mit einem schmerzhaften Schlag erfasste, in die Bewusstlosigkeit führte, seinen Körper nach oben hob und Richtung Ufer schmetterte, wo seine Frau fassungslos mit Tim im Arm das Ungeheuerliche erwartete.


Sandra aus Flensburg

Wie ruhig das Meer in der Sonne glitzerte. Im Sonnenaufgang hatte sie die auslaufenden Fischerboote beobachtet. Jetzt legten die ersten Rückkehrer wieder am Ufer an und fröhlich drang vom Kai das Treiben der Frauen und Kinder zu ihr hoch, die den Männern halfen, den Fang in große Weidekörbe umzuschichten. Einen Moment lang erlag sie der Versuchung, den Hügel hinabzusteigen und sich in den Fluten abzukühlen. Zu unwirtlich wäre dann aber der Weg zurück in der Mittagsglut, wieder hoch zur anderen Seite, wo Ihr Hotel sie mit bestem Komfort und phantastischen Ausblick erwartete. Sie warf noch einen letzten Blick zum Horizont, als sie die Welle entdeckte, die sich hinter den Richtung Ufer schaukelnden Booten zu einer weißen Wand auftürmte, die höher und höher wurde und im nächsten Augenblick die hilflos rudernden Boote in sich aufsog. Sekundenlang war es vollkommen still. Dann erfüllte verzweifeltes Geschrei vom Kai den vormals so idyllischen Raum, während das Getier dem Ufer zuraste und die Luft zum Beben brachte. Unwillkürlich wich sie zurück, als die gischende Fracht donnernd über dem Kai zusammenfiel, Boote und Menschen samt Hütten und Bäume erfaßte und tosend durch das kleine Fischerdörfchen flutete, in dem jedes Davonlaufen vergeblich war, so schnell ging alles, so schnell. Schon erfaßte der gierige Schlund den alten Buddhaschrein am Fuß des Hügels und stieg über die letzten Palmkronen hinweg weiter zu ihr hinauf. Sie bewegte sich nicht und erwachte erst, als das Tosen zurückging, die Flut sich legte, es stiller und stiller wurde, bis nichts mehr war als der Ruf einer Möwe, die über den leblos treibenden Körpern ihre einsamen Kreise zog.


Der Fischer

Plötzlich war er weg. Er rief nach ihm, lockte mit gurrenden Tönen, umsonst. Vielleicht hatte er ein Weibchen gerochen, war toll geworden in seinen alten Jahren. Oder hatte ihn das sekundenlange Beben des Hüttenbodens verwirrt, das sie eine Stunde früher als gewöhnlich aus ihren Träumen gerissen, Khun zum Bellen und den Hahn zum Krähen gebracht hatte? Er spähte noch einmal in den dunklen Palmenhain, der nur an wenigen Stellen vom Mond erhellt wurde, über dessen Sichel die ersten Schleier des aufgehenden Tages zogen. Jetzt wurde es Zeit, und so entschied er sich, ohne seinen Begleiter loszufahren. Er nahm seine Mütze vom Kopf, legte sie unter einen Stein und löste sein Boot vom Uferpflock, sicher, daß der Hund genau an dieser Stelle auf ihn warten würde, wenn er mit seinem Fang zurückkehrte. Dann ruderte er in den ruhig schimmernden Horizont hinaus, während die Sichel des Mondes sich zunehmend rötlicher färbte und einen guten Tag versprach.

Khun blieb verschwunden. War er zum Ufer zurückgekehrt, um auf sein Herrchen zu warten? Oder lungerte er nun in den Hügeln, die von der Flutwelle verschont geblieben waren, die alles unter ihnen mitriß, auch sein Herrchen draußen auf dem Meer mit seinem Fang?

Leblos blieben die Körper, die samt dem Unrat ihrer Behausungen die aus dem Wasser ragenden Hügel umspülten, die Antwort schuldig. Allein der Wind trug noch die Melodie von Liebe über das Inselparadies, das von nun an wieder allein sich selbst gehören sollte.


Das Paar

Er saß rauchend und im Smoking der vergangenen Nacht im Schatten der Veranda. Sie hatten viel getrunken, und die Erinnerung an den blonden Engel, der sich ihm auf der Party an den Hals geworfen hatte, verstärkte das Pochen in seinen Schläfen. Bis zum Morgen hatte er es mit ihr getrieben, während Sabrina von einem Moment auf den anderen verschwunden blieb. Danach fand er sie am Strand und sie umarmten sich und fuhren schweigend und eng umschlungen nach Hause. Jetzt betrachtete er sie, wie sie in’s offene Meer hinausschwamm. Niemand sonst war da und das war gut so, hatten sie doch mit Bedacht diese einsame Bucht zur Wahlheimat ihrer Lust gewählt.. In letzter Zeit allerdings beschlich ihn ab und an ein Gefühl von Panik, Sabrina könnte sich in einen Anderen verlieben. War er alt geworden?

Er schloß für einen Moment die Augen und lehnte sich unter dem Flirrspiel der Sonne in den Gesang des Windes – bis ihn ein Rauschen zurücktrieb, ein Rauschen, das mehr und mehr anschwoll, näher und näher kam und sein Herz zum Tosen brachte.

Als er die Augen öffnete, sah er sie zum letzten Mal. Wie eine weiße Braut wurde sie von der Welle in den strahlend blauen Himmel gehoben, der selbst dann noch lachte, als Sabrina sich auflöste, ihr Schleier zum Ufer stieb und er im Rausch vergangenen Glücks dorthin gerissen wurde, wo alle Wünsche sich aufhoben im Nichts.
 

Wipfel

Mitglied
Hallo Pola,

Du versuchst sehr sensibel Dich in verschiedene Charaktere einzufühlen. Das macht einen großen Unterschied zu jenen, die an ihren Geschichten immer anfügen: Aber das war doch so! Schriftsteller erfinden. Sie phantasieren, erzählen Lügenmärchen, so dass anderen diese als wahre Geschichten erscheinen. Du kannst das. Ausgezeichnet sogar.

Übrigens, die Fischer (die auf dem Meer waren) haben so gut wie alle überlebt. So richtig hoch wurde die Welle ja erst in der Küstenregion. Eine Trilogie also? Das wäre reizvoll und könnte noch ausgebaut werden... Du machst das schon.

Grüße vom Wipfel
 
N

nobody

Gast
Hallo Pola,
meine Bewertung (7) ist durchaus positiv gemeint, ich lese deine Texte mit zunehmendem Interesse. Ich möchte mich Wipfels Kommentar anschließen: ausbaufähig.
Andererseits nach meinem Geschmack vielleicht auch durchaus wert, auf den einen oder anderen Schnörkel zu verzichten, z. B. freiheitliche Ideale, hilflos rudernde Boote, verzweifeltes Geschrei, idyllischer Raum, schmerzhafter Schlag, der Wind trug noch die Melodie von Liebe über das Inselparadies u.ä.
Soweit gefühlsmäßig, Textanalyse im engeren Sinne muss ich anderen überlassen, das kann ich nicht.
Grüße von Franz
 

Pola Lilith

Mitglied
Hallo Wipfel,

so - ...haben also so gut wie alle überlebt?

Dann war mein Fischer genau der so gut wie !

(und wer weiß, wo der sich überhaupt herumgetrieben hat!)

Gruß, Pola
 



 
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