Tür an Tür mit Mrs. Perfekt

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DocSchneider

Foren-Redakteur
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Damals, in den Siebzigern, wohnte ich Tür und Tür mit Mrs. Perfekt. Sie putzte die Schrauben der Klobrille mit Wattestäbchen, sie wienerte, schrubbte und moppte die Böden, sie ließ die Fenster ein Mal pro Woche neu erstrahlen. Kein Stäubchen hatte eine Chance bei ihr zu überleben. Alle vierzehn Tage wechselte sie die Bettwäsche, komme da was wolle. Die Kopfkissen hatten einen zusätzlichen Schonbezug, der jedes zweite Mal gewaschen wurde. Die guten Kristallgläser wurden ein Mal im halben Jahr gespült, genutzt wurden sie nie, aber sauber mussten sie sein.

Ja, Mrs. Perfekt jagte mir Angst ein. Ihre Schuhe waren so blank, dass sie mein Gesicht spiegelten, wenn ich während eines Gesprächs verschämt zu Boden sah, um nicht ihrem nahezu alabasterweißem Blusenkragen zu begegnen, der mich blendete. Meiner schien dagegen schwarz zu wirken. Mrs. Perfekt fegte und wischte die Außentreppe ihres Hauses beinahe täglich und als sich ein Hund daran begab, an die dort stehenden Geranientöpfe zu pinkeln, briet sie einen Schwamm in guter Butter und schaltete so den Hund aus. Der Schwamm hatte verdammt gut geschmeckt, aber bekommen war er ihm nicht.

Auch Mrs. Perfekts Garten war eine Glanzleistung. Die Blumenbeete harmonierten farblich miteinander in eben perfekter Weise, keine Schnecke verirrte sich dahin, kein unnützes Getier ließ sich finden. Der Rasen leuchtete englisch grün, er schien mit der Nagelschere gestutzt worden zu sein. Alle Gänseblümchen und jedes Unkraut wurde akribisch nach dem Mähen ausgestochen. Sogar die Vögel hielten sich an die Ordnung im Garten und sangen nicht in der Mittagszeit, wenn Mrs. Perfekt Augenpflege betrieb. Nur der Brunnen, reinlich gescheuert, plätscherte dann vor sich hin.

Besonders schlimm war es, wenn Mrs. Perfekt Frühjahrsputz betrieb, der doch eigentlich völlig unnötig war. Dann wurden die Rollläden außen und innen abgewaschen, sie stieg aufs Dach und fegte die Schindeln, sie wusch die Markise ab und reinigte auch den Kanaldeckel vor dem Haus. Trotz allem blieben Mrs. Perfekts graue Locken betonmäßig festgezurrt liegen, auch ihre Kittelschürze wies nur selten Flecken auf, denn natürlich hatte sie für jeden Tag eine frische und konnte sich jederzeit sehen lassen.

Ja, es war für mich als alte Schlampe eine schwierige Zeit neben Mrs. Perfekt. Doch wie immer im Leben arbeitete hier die Zeit für mich. Denn eines Tages war Mrs. Perfekts Zeit abgelaufen. Sie lag auf dem Friedhof, die Grabpflege hatte sie als alleinstehende, kinderlose Frau einem Gärtner übertragen. Dieser wagte nicht, ein Hälmchen Unkraut stehen zu lassen. Er hatte das Gefühl, andernfalls käme Mrs. Perfekt zurück.

Das ist alles lange her und heute freue ich mich über das leerstehende Haus. Es strahlt einen leicht morbiden Charme aus und - es lebt endlich. Spinnen, Fliegen und Mücken feiern fröhliche Urständ, sie haben alle Ecken zurückerobert, aus denen sie früher mittels Staubsauger entfernt wurden. Im Garten hat sich die Natur wieder ausgebreitet, neue Blumen und Pflanzen setzten sich selbst, der Rasen ist eine Biowiese geworden und der Brunnen ist längst überwuchert. Viele Tiere freuen sich über ein ungestörtes Leben.

Jetzt soll das Haus bald abgerissen werden, weil sich Mrs. Perfekts Erben nicht einigen können, was mit dem Anwesen geschehen soll. Es graut mir davor, wenn die Abrissbirne ihre Arbeit beginnt. Das gibt unheimlich viel Dreck.

Und dann kommt sie zurück, sie, Mrs. Perfekt, denn so viel Schmutz wird sie nicht reaktionslos ertragen können.
 



 
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