U-Bahn

JennyP.

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U-Bahn

Ich stehe frierend am Bahnsteig der U-Bahnhaltestelle. Es ist März und keine Minusgrade mehr, wenn es dunkel wird. Trotzdem ist mir kalt. Die modischen Sachen sind nicht wirklich vorteilhaft für die kühlen Wetterverhältnisse. Sie bedecken mich spärlich und sorgen dafür, dass ich mir immer wieder eine Erkältung zuziehe. Ich nehme es aber in Kauf. Das ist der Preis dafür.
Fünfzehn Minuten sind es noch, bis die nächste Bahn kommt. Wie soll ich die Zeit bloß rum kriegen? Wie immer, wenn ich diesen Satz denke, öffne ich meine weiße Handtasche und fange an in ihr herumzuwühlen. Irgend etwas interessantes wird darin schon zu finden sein. Ein Motorola Handy auf dem keine neuen Nachrichten abgespeichert sind. Ich sehe trotzdem mal in meinen Nachrichtenspeicher. Über die alten Nachrichten von penetranten männlichen Bekanntschaften, kann ich immer wieder lachen.
„Hey Jenny, du süße Maus, warum kommst du nicht vorbei, damit ich dir die Langeweile vertreiben kann. Am besten geht es mit Schlagsahne, Sekt und Fesseln.“
Oder, „Jenny, wenn ich an dich denke, muss ich schon wieder unter die Dusche hüpfen, damit ich nicht vor Hitze überkoche.“
Es sind immer dieselben inhaltslosen Sprüche, die zumindest vor Humor strotzen. Anrufen könnte ich jetzt auch niemanden. Ich habe schließlich kaum noch Geld auf meiner Karte. Im übrigen sind die Telefongebühren sowieso völlig überteuert. Die Spiele auf dem Handy habe ich auch schon hundertmal ausprobiert. Sie langweilen mich.
Direkt daneben finde ich mein Portemonnaie. Immer wieder Blätter ich die Visitenkarten der Ärzte durch, die Rabattkarten der Shoppingläden, meine eigenen Kinderfotos und mein ägyptisches Pfund, von dem ich nicht mehr weiß, wie viel es überhaupt wert ist.
Mit meiner Schminke kann ich im Augenblick nichts anfangen. Den Maskara, den Eyeliner, den Lippenstift und die Kondome kann ich wohl nicht an einer U-Bahnhaltestelle verwenden.
Kaugummis sind immer gut. Ein Airwave-Kaugummi für den frischen Atem und Ablenkung durch angestrengtes Kauen bis zur Kieferverkrampfung.
Im Grunde bleibt mir nichts anderes übrig, als zu den Schienen zu blicken und zu überlegen, wie jemand bloß auf den Gedanken gekommen sein mag, eine U-Bahn zu erfinden und schließlich zu bauen. Mit wie vielen Bauarbeitern mag wohl dieser Tunnel entstanden sein. Als hätte sich eine Art riesiger Wurm durch die Erde gebohrt und diese furchterregend dunkel Röhre hinterlassen.
Ein Blick auf die grell leuchtenden Reklametafeln und meine Gedanken schweifen ab. Warum müssen auf den Werbeplakaten immer superschlanke Topmodels Schokolade in den Händen halten und so tun, als würden sie davon auch noch abnehmen. Auch der Marlboroman passt nicht unbedingt in mein Weltbild. Als Nichtraucher mag ich mich in unangenehmer Kälte damit schwer tun, an qualmende Cowboys zu denken, die in tropischer Hitze auf ihrem Mustang die Prärie durchreiten und sich sagen, „ohne Marlboro bin ich ein Niemand“.
Die tristen düsteren Gesichter, die sich langsam um mich herum anhäufen, mögen wohl dasselbe denken oder an gar nichts. Sie sehen aus, als würden sie in der Luft hängen und angestrengt mit dem Atmen so beschäftigt sein, dass sie damit schon fast überfordert sind.
Zum Glück höre ich schon das ankündigende unheimliche Rauschen der U-Bahn. Wenige Geistesblitze später, sich ich die zwei leuchtend gelben Augen, die mit dem lauterwerdenden Geräusch im größer werden. Aus dem Dunkel heraustretend erblicke ich die wüste, graue von Dreck zerschlissene Fassade des Wurmes, der gemächlich seine Geschwindigkeit drosselt und neben mir zum stehen kommt. Eine karge ausladende Tür öffnet sich und zwingt mich dazu in den belebten Bauch des Wurmes zu steigen. Mir bleibt nicht viel Zeit. In meiner Überlegung stand die Menschenmasse völlig unbeachtet hinter mir, die sich nun in Bewegung setzt und mich durch die Tür schiebt. Natürlich bekomme ich keinen Sitzplatz mehr. Der letzte ging an eine alte Dame, die sich mit ihrem Krückstock bewaffnet, durch die Defensive kämpfte. Egal, das ist nichts ungewöhnliches in einer Großstadt, in der jeder nur an sich denkt. Ich will schließlich auch einfach nur nach Hause.
Nachdem sich alle Mitfahrer in der U-Bahn eingefunden haben und allgemein Ruhe eingekehrt ist, schließt sich die Tür mit einem schleifenden Laut. Mit sirenenartigem Gejaule setzt sich der Wurm wieder in Bewegung und rauscht in die Dunkelheit.
Nun habe ich keine weitere Möglichkeit, die äußere Umgebung zu betrachten, da durch die Fenster reine Finsternis zu erblicken ist. Irgendwohin muss ich allerdings schauen. Mir bleiben nur die tristen und genervten Gesichter um mich herum. Alle schweigen sie sich gegenseitig an und schauen sich auf die Füße.

Eine gedrückte Stimme bahnt sich schwerfällig ihren Weg an den stehenden Mitfahrer vorbei, die sich an Stangen und Haltschlaufen festhalten.
„Möchten sie eine Zeitung der Obdachlosen? Tun sie ein gutes Werk, indem sie die sozialen Opfer unterstützen...“
Niemand rührt sich, niemand sieht zu dem ärmlichen Zeitungsverkäufer, der sich seine Kleidung aus zerschlissenen und modrigen Stoffen selbst zusammengenäht haben muss.
„Einen Euro für eine Obdachlosenzeitung. Ein Euro kann schon viel für einen Obdachlosen ausrichten...“
Niemand hat einen einzigen Euro. Alle scheinen sie ihren einen Euro nötiger zu haben als der Obdachlose.
„Wollen sie keine Zeitung? Hätte mich auch gewundert. Egoistische Snobs.“ Antwortet der Obdachlose auf die Reaktionen der U-Bahninsassen.
Auch jetzt ist niemand bereit einen Euro zu spenden. Ich gebe auch keinen. Ich hätte genug Geld in meiner Tasche, dass ich ihm alle Zeitungen abkaufen könnte, die er bei sich trägt, aber ich tue es nicht. Ich weiß nicht, warum ich ihm kein Geld gebe. Wenn kleine Ponys und zottelige Lamas in der Fußgängerzone stehen, um Geld für ihren Zirkus zu sammeln, kann ich nie ohne eine kleine Spende vorüber gehen. Auch im Urlaub in Marokko oder Ägypten kann ich nicht anders und drücke bettelnden Kindern Bonbons und Schokolade in die schmutzigen Händchen, die sie sich ohne zu Kauen sofort einverleiben. Sie freuen sich darüber, als hätte ich für sie ein Wunder vollbracht. Ihre Freude und ihre Dankbarkeit bestärkt mich darin, etwas gutes getan zu haben.
Aber in der U-Bahn bin ich nicht besser als all die anderen geizigen Mitfahrer. Der einzige Grund ist wohl, dass ich nicht auffallen will. Ich möchte nicht, dass andere ihr Urteil über mich fällen, wenn ich einem, ihrer Meinung nach nicht Arbeitswilligen, eine Zeitung abkaufe. Somit würde ich die Arbeitslosen in ihrer Einstellung noch bestärken und sie nicht zur Arbeit zwingen. Vielleicht gebe ich kein Geld, weil ich mir nicht sicher bin, wirklich etwas gutes zu tun.
Andererseits möchte ich helfen. Irgendwann könnte ich durch die U-Bahn laufen und Zeitungen verkaufen, um mich durch die Einnahmen im Nötigsten zu ernähren. Aber warum bin ich so erpicht darauf, etwas gutes für die Menschheit zu tun. Ich glaube nicht an eine höhere Macht, die mir Absolution erteilen könnte. Vielleicht versuche ich mir auf diesem Weg, meine Zukunft zu sichern. Wenn ich gutes tue, wird man mir auch später helfen, wenn ich es nötig habe. Habe ich mir jetzt meine Chancen verbaut, indem ich nicht geholfen habe?
 

JennyP.

Mitglied
Hallo Rainer

Findest du die Geschichte denn so ironisch und witzig?
Das ist mir gar nicht aufgefallen. Ich hatte mit dem Text eine ganz andere Absicht und fand das Thema eher ziemlich ernst und bedrückend.
Aber vielleicht sollte ich noch ein paar Dinge daran verändern, sodass deutlich wird, wie ernst es mir damit ist.
Danke für deine Bemerkung

Tschau
 

Wanni

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Hallo Jenny

Ich hab auch schon öfter über diese Situation in der U-Bahn nachgedacht. Ich finde, das gehört wirklich nicht unter die Überschrift Satire. Du hast es wirklich gut getroffen und auch deine Begründung warum sich alle so verhalten, ist plausibel. Aber einen Kritikpunkt habe ich - deinen Stil.
Es ist irgendwie nicht flüssig, es klingt mehr wie ein Schultext. Trotzdem, mach weiter so
Tschau
 

JennyP.

Mitglied
Hey Wanni

Danke, für den Tipp. Ich glaube meine Texte hören sich immer sehr stark nach "Schulaufgabe" an, weil ich noch Abi mache und sehr viel für den Deutschunterricht schreibe. Ich dachte, dass merkt man nicht. Na mal schauen, ob ich daran etwas ändern kann.
Andererseits, wenn der Text nicht so flüssig zu lesen ist, braucht man länger dafür (logischerweise). Das bedeutet auch, dass man sich länger damit befasst und darüber nachdenkt und das ist es ja, was ich erreichen wollte.
Trotzdem danke.

Tschau
 



 
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