Über alle Grenzen

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anbas

Mitglied
Über alle Grenzen

Vom ersten Tag an begrüßte sie mich mit fast kindlich ausgelassener Freude. Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen, und ihre Art und Weise, wie sie mir begegnete, irritierte mich sehr. Kannten wir uns vielleicht doch von irgendwoher?

Sie behielt diese Fröhlichkeit mir gegenüber bei. Jedes Mal, wenn ich mich ihrem Kiosk näherte, winkte sie mir schon von weitem zu, lachte freudig und begann damit, eifrig die vor ihr liegenden Zeitungen zu sortieren. Wir sprachen zunächst nur wenig miteinander; eben nur das Notwendigste, das man beim Kauf von Zigaretten und Zeitungen so sagte. Doch irgendwann begann sie, mir persönliche Fragen zu stellen; wo ich arbeiten würde, was ich arbeite, ob ich Kinder hätte. Ich selber fragte sie nie etwas, beantwortete ihre Fragen aber gerne. Hin und wieder ließ ich auch einen kleinen Scherz in meine Antworten einfließen und genoss dann ihr herzliches und so unbeschreiblich fröhliches Lachen.

Sie war eine kleine, dickliche Frau mittleren Alters. Überhaupt nicht mein Fall. Ich stand eher auf den zierlichen Typ. Obwohl selber nicht gerade schlank, hatte ich schon beim Anblick von korpulenten Menschen meine Probleme. Trotzdem war ich von dieser Frau fasziniert – und das verwirrte mich zunehmend. Spielend leicht gelang es ihr, mein Herz zu öffnen. Es öffnete sich immer weiter, während meine inneren Widerstände stetig nachließen. Ich freute mich sogar von Tag zu Tag mehr darauf, wenn ich etwas aus ihrem Kiosk benötigte. Irgendwann ging ich sogar dazu über, auch Dinge bei ihr zu kaufen, die ich im nahegelegenen Supermarkt deutlich günstiger erhalten hätte. Und wenn sie einmal nicht selber in ihrem Kiosk war oder ich über eine längere Zeit nicht bei ihr vorbeischauen konnte, wuchs in mir eine Sehnsucht, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte.

So rauschten die Monate dahin. Selbst in der kalten Jahreszeit bemühte ich mich darum, mindestens einmal am Tag bei ihr vorbeizuschauen. Irgendwann fiel mir auf, dass ich ihren Namen gar nicht kannte. Ich hatte sie nie danach gefragt. Den erfuhr ich erst aus der Zeitung, als man über ihren Tod berichtete. Dort las ich auch, dass Yamina ursprünglich aus Nigeria stammte und zwei Kinder hinterließ. Sie war erschlagen worden – aus rassistischen Gründen hieß es.
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo,

du hast ein sehr aktuelles und brisantes Thema aufgegriffen, trotzdem bleibt die Gestaltung "blutleer", ist dein Text mehr Bericht als Prosa.

LG Franka
 

Joneda

Mitglied
Hallo anbas,

dadurch, dass man liest, wird man kein besserer Mensch,
doch die Begegnungen, die man des Tags führt,
führen oft auf die Worte zurück,
die man schon mal gelesen
und es spinnt sich fein ein Netz
aus allem darin,
deren Fäden vom Knotenpunkt her aus rühren.
So lass mich Deinen Text erweitern
mit zwei Zitaten, die mir nach Durchlesen Deines Textes
heute früh begegneten

Hass - "Hass bringt nichts, nur menschliche Bemühungen können die Welt verändern. Kinder werden nicht als Rassisten geboren." - (André Marter)
"Zur Gewalt musst du hassen lernen.
Zur Gewaltlosigkeit musst du lieben lernen." -( Phil Bosmans)

ansonsten, herrlich angerissen,
jeder darf seine Gedanken weiterführen,
einfach nur ein Sprungbrett in die Materie,
ins Leben

und

sehr traurig.

LG
 

rainleser

Mitglied
Hallo anbas,

gut gewähltes Thema. Gerade das der Text in Berichtsform geschrieben ist, also mit wenig Emotion, macht ihn für mich glaubhaft.
LG
Rainer
 

Kaleidoskop

Mitglied
Hallo anbas,

für mich hat dein Text funktioniert.

Er ist aus dem Leben gegriffen, jeder kann sich damit identifizieren.

Mich hast du infiziert.

Ich sah die Personen vor mir. Ich freute mich mit dem Erzähler, bis mich der Schluß in die Tiefe riss.

Du gehst erst am Ende auf die Nationalität der Kioskbesitzerin ein. Warum? Weil das Herz nicht in Farben sieht.

lg,
kalei
 

anbas

Mitglied
Ihr Lieben,

ich danke Euch für Eure Rückmeldungen! In Ansätzen etwas kontrovers, aber das darf es ruhig sein. Ich hatte noch mit ganz anderen Negativ-Kommentaren gerechnet - vielleicht kommen die ja noch :D.


@ Franka

Ja, der Text hat Berichtform, wenn er nicht zu 95% Fiktion wäre, würde er auch ins Tagebuch passen. So aber gehört er schon hier her. Mich reizte es, dieses brisante Thema so knapp wie möglich zu halten. Ob er dadurch "blutleer" wird / wirkt, ist, glaube ich, auch Geschmackssache.


@ Joneda

Schön, dass Dich der Text zu diesen Gedanken inspiriert hat. Ja, durch lesen allein - oder auch schreiben, singen von Protestliedern usw. lässt sich die Welt nicht ändern. Aus meiner Sicht können solche Texte aber kleine Steinchen sein, die mithelfen, den Weg zu einer besseren, friedlicheren Welt zu bauen.

Hier noch ein Zitat zum Thema Hass, das mir recht gut gefällt: "Wir ähneln denen, die wir hassen, mehr als wir denken" (Albert Sanchez Pinol). Das mag hart klingen, enthält aber viel Wahrheit.


@ Rainer

Auch Dir vielen Dank für die Rückmeldung. Ich denke auch, dass ein Text in Form eines Berichtes wesentlich tiefer gehen kann. Es bleibt aber - wie ich schon zu Frankas Kommentar schrieb - Geschmackssache.


@ Kalai

"Weil das Herz nicht in Farben sieht" - eine schöne Formulierung, die ich so noch nicht kannte. Ja, das ist ein Grund, vielleicht sogar der Hauptgrund, weshalb ich die Nationalität erst ganz zum Schluss nenne. Ich wollte aber auch das Thema "Nationalität" nicht in den Vordergrund stellen. Ich denke, dass der Text nicht so gut - wie Du schreibst - funktionieren würde, wenn ich mit der Nationalität begonnen und dann mit dem Thema "Traumtyp" bzw. "Nicht-Traumtyp" weitergemacht hätte. Für mich geht es auch bei "dick/dünn", "groß/klein" usw. um Grenzen, die zumindest viele Menschen für sich ziehen, wenn es um Sympathie/Antipathie geht. Daher wollte ich nicht mit der Nationalität sondern mit einer anderen Grenze beginnen, die überschritten wird. Somit bekommt diese Grenze mehr Bedeutung als die der Nationalität / Kultur.

In einem interkulturellen Seminar, das ich mal besucht habe, wurde der für mich interessante Ansatz vertreten, Unterschiede eben nicht an der Nationalität festzumachen, sondern am Individuum. Beispiel: Ein Bekannter von mir ist Franzose und lebt in Deutschland. Er hat auch einige Jahre in den USA gelebt. Er tut sich sehr schwer damit, eine andere Sprache zu lernen. Fast alle, denen ich das erzähle reagieren mit Bemerkungen wie "typisch Franzosen". Das kann man so sehen. Doch auch hier in Deutschland gibt es Millionen von Menschen, die sich schwer damit tun, eine andere Sprache zu lernen. Da würde niemand auf die Idee kommen, zu sagen "typisch deutsch" oder "der ist ja wie ein Franzose" – da ist es nur xyz, der / die sich mit dem Erlernen einer Sprache schwer tut. Umgekehrt sind längst nicht alle Deutschen so pünktlich und korrekt, wie es ihnen / uns nachgesagt wird. Ich finde diesen Ansatz hoch interessant, ohne dabei eben diese bestimmten nationalen Eigenheiten, die in einem Kulturraum verstärkt auftreten, ignorieren zu wollen. Es trifft beides zu. Doch ich denke, dass man dem Thema und den Menschen gerechter wird, wenn man sich jeden Menschen einzeln ansieht.

"Weil das Herz nicht in Farben sieht" - vielleicht sieht das Herz gar nicht, sondern spürt "nur" und "überstimmt" hin und wieder das, was das Auge uns meldet ;).


Liebe Grüße Euch allen

Andreas
 

Pola Lilith

Mitglied
Was willst du mit dem Text sagen

lieber Anbas: dass man dunkelhäutige Menschen, die einem in "kindlicher" Freude begegnen, nicht erschlagen darf/soll?

Diesen Text von dir finde ich leider nicht gut. Das Einzige, was er ausweist, ist der moralische Zeigefinger am Ende.

Von der Person, die es geschafft hat, dein Herz zu öffnen, erzählst du gar nichts (nur eine äußerliche Beschreibung), sie bleibt absolut blutleer (wie Franka schon angedeutet hat).

Nicht einmal Spuren eines Charakters werden hier aufgezeigt, dafür aber jene eines (durchaus gefährlichen) Klischees der "Kindmenschen - nicht zu verwechseln mit z.B. Hesses "Kindermenschen").

Ich vermute eher, falls die Geschichte auf eine reelle Begegnung fußt, dass du einfach mit der Frau gerne ins Bett gestiegen wärest (die ja eigentlich nicht dein Fall war, aber so kindlich fröhlich, so anders, vielleicht auch wg. der Hautfarbe) und dich dann der Zeitungsbericht zu der Geschichte veranlasst hat, die absolut nichts über diese Frau aussagt, jedoch über deine Verwirkung.
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Moderation:

Schade, der Beitrag war interessant, gab Denkanstöße, aber die Vermutungen greifen den Autor an und haben nichts mehr mit dem Werk zu tun.

Franka
 

Pola Lilith

Mitglied
Es ist ok

dass Ihr meinen Beitrag hierzu gelöscht habt.

Vermutungen unterhalb der Gürtellinie, ohne den Autor zu kennen, haben hier nichts zu suchen.

Ich habe später auch die HP des Autors besucht und möchte deshalb an dieser Stelle doch noch einen konstruktiven Ansatz geben:

Gerade weil Du, Anbas, eigentlich "Milieu"-Kenner sein solltest, wäre es wünschenswert, wenn ich hiervon wenigstens etwas auch in deinem Text über die besagte Dame erfahren dürfte.

Mit liebem Gruß, Pola
 

anbas

Mitglied
Hallo Pola,

auf die bereits kritisierten und ausgeblendeten Anmerkungen möchte ich nicht weiter eingehen. Ich freue mich aber über Deine Reaktion zu der Kritik von Franka!

Nun also zu Deinen anderen Anmerkungen:
Mag sein, dass die Frau "blutleer" erscheint. Doch wie soll der Prot etwas mehr von der Frau berichten, wenn er nichts weiter von ihr weiß? Es ist ein Teil der Tragik in dieser Geschichte, dass es zu keiner wirklichen Kommunikation kommt. Der Prot ist von ihrer Austrahlung fasziniert, doch er traut sich nicht den nächsten Schritt zu. Hier gibt es eine ganz andere Grenze, als die der Nationalität oder Kultur. Daher kann der Prot gar nicht viel mehr über die Frau erzählen.

Was das Ende betrifft, so bin ich auch noch am Überlegen. Ursprünglich endete die Geschichte nicht im Totschlag, war etwas "blutarmer" ;). Eigentlich gefiel es mir sogar besser, war aber nicht ganz realistisch bzw. stimmig. Hier kann ich mir noch am Ehesten eine Änderung vorstellen. Den moralischen Zeigefinger wollte ich zumindest nicht erheben. Es ging mir darum, wie bereits an anderer Stelle schon erwähnt, den kulturellen Unterschied weiter hinten an zu stellen.

Ich danke Dir auf jeden Fall für Deine Rückmeldung, da sie mich auf jeden Fall noch mal dazu gebracht hat, den Text kritisch zu beleuchten.

Liebe Grüße

Andreas
 

anbas

Mitglied
Hallo Pola,

mir geht es im Grunde um alle Grenzen, die man bei der Bewertung anderer Menschen zieht - egal, ob bewusst oder unbewusst. Das können natürlich kulturelle Grenzen sein, Hautfarbe usw. Oder andere, wie Bildungsstand, Hierachie, Glaube, Beruf - na ja, und was es sonst noch so alles gibt. Hier geht es aber vor allem darum, dass sich der Prot in eine Frau verliebt, die vom Aussehen (klein, dick) so gar nicht sein Typ ist. Dass sie aus einem anderen Land kommt - was für andere eine große Grenze darstellen kan - spielt für ihn keine Rolle. Ich hätte noch mehr solcher Grenzen einbauen können, hatte aber Angst, die Geschichte dann damit zu überfrachten.

Liebe Grüße

Andreas
 



 
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