Über den Sinn des Kutschefahrens

bosbach46

Mitglied
Über den Sinn des Kutschefahrens oder Wenn die Seele lacht

Lange vor Aristroteles dürfte es Menschen gegeben haben, die intensiv über den Sinn des eigenen Daseins nachdachten.

In der jüngeren Philosophie geht es häufig um die Beantwortung dessen, welche Gedankengebäude und Lebenshaltungen für den einzelnen Menschen sinnstiftend sind.

Hier wird der Versuch unternommen, über den Sinn des Kutschefahrens Auskunft zu geben.

Nähern wir uns einer Antwort:

Leben in einer Datenverarbeitungsgesellschaft bedeutet, eingebunden zu sein, in einen Ablauf nie endener Geschäftigkeit. Der Alltag ist orientiert an Arbeitszielen, an den Terminkalender und an vielschichtige Erwartungshaltungen.

Jeder kennt es im Stau zu stehen und jeder weiß, wie es ist, mit Pflichten beladen zu sein. Es ist, ein knappes Gut, mal entpflichtet einige Stunden genießen zu dürfen. Viele Menschen bleiben dauerhaft in einer zielorientierten Grundanspannung haften.

Leider, stöhnt Mancher, dem die Zeit, die er für sich brauchen würde, zerrinnt. Um mit sich klar zu sein, braucht man Zeit, weil Selbstwahrnehmung eben zeitabhängig ist. Unbestritten ist, dass eine zu geringe Selbstzuwendung der seelischen Gesundheit schadet.

Betrachtet man nun das Kutschefahren, entdeckt man zunächst ein beschauliches Tempo. Das Tempo wird bestimmt durch die Verfassung der Pferde, den landschaftlichen Gegebenheiten und dem Wetter. Mit der Temporeduzierung verändert sich der persönliche Wahrnehmungsschwerpunkt. Die Umgebung während einer Fahrt kommt eingehender zur Geltung. Plötzlich wirkt die Landschaft, zeigt sich die Natur, nähert sich das Wild oder ein Regenbogen schafft Freude. Der Geist begnügt sich mit dem, was er gerade sieht und fühlt.

Zudem erfordert das Fahren die vollständige Konzentration auf den Moment. Wie ist die Anlehnung, wie die Kopfstellung, ziehen die Pferde gleichmäßig, sind die Tiere gelöst, wie ist der Weg ?

Genau dieser Vorgang ist seelischer Balsam. Ähnlich wirkt eine Meditation, weil nur die Gegenwart zählt und das was in ihr gerade geschieht.

Viele Kutscher kennen den Zustand, wenn die alltäglichen Bürden schwinden. Wenn die Verbindung mit den Pferden stimmig geworden ist, entsteht ein glücksähnliches Gefühl.
Eine Verschmelzung mit der Natur und den Pferden findet statt. Fahren fördert die Besinnlichkeit, erweicht gedankliche Knoten und unterstützt die eigene Offenheit dem Leben gegenüber. Als Kutschfahrer hat man die Chance, das Leben mit dem Gefühl begreifen zu können. Das ist eine höhere Ausbeute, als den meisten Menschen gegönnt ist. Dafür schulden wire den Pferden unseren Dank.

Letztlich entwickelt sich in der Arbeit mit Pferden eine gesteigerte Lebensfreude. Zusammengefasst heißt "Kutschefahren" der Seele das Lachen zu ermöglichen. Das meine ich, ist Sinn genug. J.B.
 

Schakim

Mitglied
Interessante Beobachtung! Interessante Vergleiche!

Hallo, Bosbach!

Deine "Geschichte" regt zum Denken an... Doch müssen es immer Pferde sein und eine Kutsche? Für viele Leute reicht schon ein Hund, um dem Alltagstrott etwas Distanz abzugewinnen. Ein Spaziergang in der Natur, frische Luft atmen, dem freispringenden Hund zuschauen wie er freudig wedelnd einen Stecken zurückbringt... Die Sonnenstrahlen geniessen, den Wind um sich spüren...

Für die bewegungsarme Bevölkerung - das Berufsleben bringt es zumeist mit sich! - tut auch schon das "Rennen" (heute nennt man das "Joggen") im Wald oder über würzige Wiesen gut. Auch hier kann die Seele flügge werden.

Dein Text hat mir sehr gefallen. Ich hoffe er wird von vielen gelesen!

Mit einem herzlichen Gruss
Schakim
 

bosbach46

Mitglied
Kutsche und Pferde

hallo Schakim,

natürlich hast Du recht! Viele Wege führen in eine besondere Entspannung. Für mich und da wird es vielleicht versponnen, ist der Umgang mit Pferden (reiten u.fahren) ein Begreifen meines Seins im nicht-sprachlichen Bereich. Vor zwei Stunden war ich mit Dorina und Windy unterwegs. Es war eine Auftragsfahrt. Allein das Ohrenspiel der Pferde, wenn sie hören, ob ich etwas sage, empfinde ich als Geschenk. Oder die Arbeit mit einem "Rüppel", der im Stall alles und jeden umrennt, als eine Herausforderung, die gewaltfrei am erfolgreichreichsten zu händeln ist. Der letzte wirkliche
Menschenumwerfer, ist heute mein liebstes Pferd. Meine Frau nennt ihn Dackel. Aber, was soll es. Entscheidend ist das nie vorhersagbare "eins-werden" mit den Tieren, der umgebenden Natur und einer vorübergehenden Ich-Auflösung meiner Person. Also, für mich sind es Pferde. Danke, für deine Anmerkungen. Gruß J.B.
 



 
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