Überlebenskünstler

anbas

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Überlebenskünstler

Wir sitzen zusammen in einem Café. Haben uns seit langem nicht gesehen. Reden lebhaft über das, was war, was ist und was kommen wird. Es gibt viel zu erzählen. Mir scheint es so, als hätten wir uns nie aus den Augen verloren. Wir reden offen und frei von der Leber weg, es gibt kein Fremdeln und kein vorsichtiges Annähern.

Nach einiger Zeit schlägt sie vor, ein Erinnerungsfoto von diesem Abend zu machen, und öffnet ihre Handtasche, die neben ihr auf dem Stuhl liegt.

"Scheiße, ich habe meine Kamera gar nicht dabei", murrt sie nach einer Weile emsigen Wühlens.

"Ich bin auch ohne, habe sonst eigentlich immer eine mit", sage ich, ohne einen Blick in meinen Rucksack zu werfen - ich packe ihn anhand einer Checkliste stets neu bevor ich aus dem Haus gehe und weiß somit jederzeit ganz genau, was ich bei mir habe.

"Wie? Du hast sonst auch immer einen Fotoapparat dabei? Ich dachte, ich bin die Einzige, die so verrückt ist, und ständig ihren gesamten Hausrat mit sich herumschleppt".

"Was glaubst du, weshalb ich immer mit einem kleinen Rucksack herumrenne? Wenn ich mit Freunden unterwegs bin und jemand irgendetwas braucht, heißt es sofort 'Frag Manfred, der ersetzt eine ganze Karawane!'. Die wissen, dass ich vom Klopapier bis zum Schweizer Taschenmesser stets alles dabei habe."

Sie kichert.

"Das nennst du also einen 'kleinen' Rucksack. Na gut, das will ich jetzt mal so stehen lassen. Aber eine Taschenlampe und etwas zum Schuhe putzen wirst du sicherlich nicht da drin haben."

"Stimmt, aber dafür ein Englischwörterbuch, eine Ersatzbrille, einen Stadtplan und einen Kompass", entgegne ich lauernd, bereit für einen kleinen Wettkampf, wer am besten für das Überleben in einer Großstadt gerüstet ist.

"Auch nicht schlecht! Etwas Platz habe ich in meiner Tasche noch. Vielleicht passt ja das eine oder andere davon auch noch rein. Hm, allerdings muss ich dann wohl ein kleineres Fläschchen Desinfektionsmittel nehmen. Außerdem könnte ich das Nähzeug mit dem OP-Besteck in ein Etui zusammenpacken. Ja, dann müsste es gehen."

"Desinfektionsmittel? OP-Besteck?" Mir verschlägt es den Atem.

Sie lacht laut auf.

"Du, ich könnte mit dem, was ich in meiner Handtasche habe, locker eine Herz-OP durchführen. Habe alles nötige dafür mit dabei."

Ich nicke anerkennend.

"OK, hast gewonnen", sage ich grinsend. Insgeheim beschließe ich aber, dass ich in ihrer Gegenwart keine Herzprobleme bekommen möchte.
 



 
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