Es waren noch genau 4 Monate bis zu den großen Ferien und wir, das heißt Helen, Jana und ich, konnten es kaum erwarten. Überall hörten wir die Stimmen anderer Schüler, die bereits Pläne schmiedeten, was sie in den Sommerferien alles machen wollten. Die einen wollten unbedingt nach Italien, da sei es im vergangenen Jahr noch so wunderbar gewesen. Und dieser süße Italiener mit den braunen Augen. Hach, nein…
In einer anderen Ecke diskutierte man leiser, doch bei dem Wort Spanien, kreischte die kleine pubertierende Mädchengruppe los und lautstark unterhielt man sich dann darüber was die eine dort erlebt hat, was die andere erleben wird und die letzte niemals erfahren wird. Bei den Jungen im gleichen Alter standen andere Länder ganz oben. Der eine flog nach Ägypten, Verwandte besuchen. Ein anderer sprach vom Bodensee und wieder ein anderer erzählte sein letztes Abenteuer in einem amerikanischen Feriencamp. Auf letzteren war ich irgendwie neidisch. So jung und schon einmal um die halbe Welt.
Meine Freundin Helen kommt aus Großbritannien. Ihre Eltern sind kurz nach Helens drittem Geburtstag nach Deutschland immigriert. Doch das merkt man ihr nicht an. Sie spricht fehlerfrei Deutsch. Einige ihrer Vorfahren waren, nach den Angaben ihres Vaters, irischer Abstammung, was ihr Aussehen erklärt. Ein bisschen zu blasse Haut mit Sommersprossen, grüne Augen und dazu kupfernes Haar. Sie selbst findet sich hässlich, wogegen wir, also Jana und ich nur widersprechen können. Jana ist das Gegenteil von Helen. Sie hat pechschwarzes Haar und ist braungebrannt. Ihre Augen sind jedoch von einem klaren Blau und scheinen alles in sich aufzunehmen. Sie hat ebenso wie Helen einen wachen Verstand, ist aber dennoch recht abenteuerlustig, was ich erstaunlich finde.
Und ich? Nun, erst mal stelle ich mich vor. Mein Name ist Laura. Ich bin genau wie Helen und Jana 15 Jahre alt. Im Gegensatz zu den beiden habe ich blondes Haar und braune Augen. Sommersprossen verzieren meine Nase und meine Haut ist einfach nur blass. Aber bei mir sieht es nicht einmal ansatzweise so gut aus wie bei Helen. Im Gegenteil. Ich sehe einfach nur … seltsam aus. Weiß. Irgendwie. Doch wie soll es anders sein, ich höre von meinen Freundinnen genau das Gleiche wie meine Freundinnen von mir: „Mach dir keinen Kopf. So schlimm ist es gar nicht. Du siehst gut aus. Das passt zu dir.“
Ja, ja, ja. Das kennen wir ja schon. Für den Augenblick bin ich zwar immer beruhigt. Aber Zweifel sterben nicht so leicht. Sie kommen wieder. Und bei mir zu jeder Tages- und Nachtzeit. Na ja. Waren wir stehen geblieben? Ach ja. Bei den großen Ferien.
Nun, meine Eltern eröffneten mir zwei Monate vor den Ferien wo wir die Ferien verbringen würden. Das heißt, meine Eltern fuhren nach Österreich mit meinem kleinen Bruder Jonas. Er ist erst fünf und durfte deshalb mit. Ich hingegen wurde in ein Ferienlager verfrachtet. Okay, das klingt jetzt wirklich negativ. Dabei habe ich mich im ersten Augenblick wirklich gefreut. Schließlich würden das die ersten Ferien ohne meine Familie sein. Doch dann ging ich in die Schule und wie es halt so ist, wird man gefragt, wohin es geht. Hmm… Ich wusste es, aber ich wollte es nicht rausrücken. Also versuchte ich es mit Schweigen, dann mit lügen. Nichts. Sie, also Helen und Jana, bohrten vielleicht rum, das glaubt ihr nicht. Es war einfach nur scheußlich. Und das Einzige was ich dachte oder denken konnte war: „Hilfe, meine besten Freundinnen sind zu neugierigen Biestern mutiert.“ Von ihrem eigenen Ferienort hatten sie nämlich noch kein Wort erzählt. Aber wenn ich nicht mal meinen Freundinnen von meinem Urlaubsort erzählte, wem dann. Und so tat ich, was ich tun musste. Ich hob den Kopf, straffte die Schultern, sah fest in ihre Augen und sprach mit fester Stimme die Worte, die sie so verzweifelt hören wollten.
„Ich werde nach Norddeutschland in ein Ferienlager fahren während allen sechs Wochen. Nach Tönning.“ Schweigen. Ich hatte felsenfest mit irgendwelchem Gekicher gerechnet. Aber nein. Beide starrten mich an wie ein Auto. Mir war das überhaupt nicht geheuer. Ich legte den Kopf schief und rümpfte die Nase bis Helen endlich das Schweigen brach. „Ich auch“; sagte sie. Ich sah sie an, konnte nicht fassen, was sie da gesagt hatte und als auch noch Jana sagte, dass sie ebenfalls in dasselbe Camp musste, konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Ich fing an zu lachen, bis mir der Bauch wehtat. Nach einer Weile stimmten Jana und Helen mit ein und wir bildeten ein hübsches kicherndes Trio. Selbst als wir wieder in die Klasse mussten, wurden wir noch immer von Lachanfällen geschüttelt. Unser „Nativespeaker“, Mr. Lancely, fand das nicht so witzig wie wir und als er uns das dritte Mal ermahnen musste, sagte er: „Ihr bekommt eine Extraaufgabe zu morgen“, sagte er mit seinem amerikanischen Akzent. Und wieder hatten wir das Pech noch mehr zu lachen. Ich weiß nicht mehr, wie wir den Tag überstanden, aber am Ende des Schultages waren wir noch immer aufgekratzt. Helen plante schon fleißig und Jana stand ihr in nichts nach. Nicht, dass ich mich nicht beteiligt hätte. Im Gegenteil. Meine Ideen waren genauso willkommen wie ihre. Und während wir gemeinsam in unsere Straße fuhren (wir wohnen alle in derselben Straße) fingen wir fleißig an zu planen. Wir verblieben damit, dass wir uns am Abend anriefen. Unsere Eltern hatten so eine Sonderschaltung, dass wir alle drei miteinander telefonieren konnten und dass mit nur einem Telefon. Das ist eine Konferenzschaltung. Genau, das war das Wort, das ich immer wieder vergesse. Wir haben immer unsere Uhrzeit, wann wir miteinander telefonierten. Meistens war das gegen sechs Uhr am Abend. Entweder machten wir auf diese Art Hausaufgaben (vor allem im dunklen Winter) oder wie heute Planungen.
„Als erstes schauen wir uns um, oder?“, schlug Helen vor.
„Klar. Was sollten wir denn sonst machen?“, erwiderte Jana, „Unsere Koffer auspacken?“
„Normalerweise ja“, meldete ich mich, „aber nicht ohne meine Eltern. Am liebsten aus dem Koffer wohnen.“
Helen lachte, aber Jana war dagegen. „Also ein bisschen Ordnung muss aber sein, sonst finde ich mich nicht zurecht. Aber ansonsten kann man das Experiment ja ausprobieren, oder?“
„Muss eigentlich immer Ordnung sein, Jana?“, schaltete ich mich ein wenig genervt ein. „Ich meine, es soll doch Spaß machen. Und Ordnung macht mir überhaupt keinen Spaß.“
„Übersichtlichkeit ist aber notwendig, um Spaß zu haben“, erwiderte Jana.
„Hey Girls“, rief Helen. „Ich dachte, wir wollten Pläne machen und nicht über Ordnung im Camp diskutieren.“ Sie klang fast ein wenig enttäuscht darüber, in welche Richtung sich unser Gespräch entwickelt hatte.
„Wenn Laura sich über Ordnung aufregt, ist das nicht meine Schuld.“
„Entschuldigung“, sagte ich, aber es war nicht so gemeint. Es klang schnippisch und eingeschnappt. Beinahe hätte ich aufgelegt, doch Helen hielt uns beide zurück als sie sagte: „Und ich dachte, wir wären Freundinnen.“
Wir schwiegen eine Weile, bis ich schließlich seufzte und mich erneut entschuldigte. Doch diesmal meinte ich es ernst. Jana nahm meine Entschuldigung an und entschuldigte sich nun ihrerseits bei mir. Und nun widmeten wir uns erneut der Planung unserer Ferien.
„Glaubt ihr“, warf Jana unvermittelt dazwischen, „es gibt auch Jungs dort?“
„Ich hoffe doch“, sagte Helen prompt und brachte uns damit zum Lachen.
„Schön wäre es ja, aber wirklich realistisch klingt das nicht“, gab ich zu Bedenken.
„Für dich könnten wir ja mal nach einem schicken Jungen Ausschau halten. Erzähl uns doch mal, wie er am besten aussehen sollte.“ Helens Aufforderung wurde von Jana tatkräftig unterstützt. Das einzige, was mir in dem Augenblick durch den Kopf ging war: „Zum Glück können sie mich nicht sehen.“ Die Hitze stieg mir in die Wangen und beschämt sagte ich nur: „Nein.“
„Och, komm schon. Wir sind deine Freundinnen.“ Und dann ging es los: „Bitte, bitte, bitte, bitte…“
„Jaaaa, also gut“, kapitulierte ich schließlich. „Er sollte größer sein als ich.“
„Das dürfte nicht allzu schwer sein“, unterbrach mich Jana und kicherte.
„Lass sie doch mal ausreden“, wies Helen sie zurecht. „Weiter, Laura. Er soll größer sein…“
„… und etwas älter. Außerdem sollte er ein Lächeln haben, das…“
„Ja?“, fragten sie gedehnt, als ich kurz inne hielt.
„…das mich umhaut. Blaue Augen, klar wie der Ozean. Braune Haare, schmale Lippen. Intelligent und humorvoll, ganz klar. Einen Spießer brauch ich nicht. Abenteuerlustig und spontan muss er sein. Ja, das war so in etwa alles.“
„Das war’s, sagst du?“, fragte Jana, „bei deiner Beschreibung dürfte die Zahl der passenden Personen auf 0,00001% gesunken sein.“
„Lass sie doch“, ergriff Helen für mich Partei. „Besser als jedem hinterher zu rennen, was Hosen trägt.“ Ein empörter Aufschrei und ein Klicken in der Leitung sagten uns, dass Jana die Anspielung auf sie verstanden hatte.
„Ich glaube, dass diese Bemerkung nicht angebracht war“, stellte ich vorsichtig fest. „Du hast recht“, stimmte Helen mir deprimiert zu. „Ich werde mich bei ihr entschuldigen. Die Frage ist nur, ob sie abnimmt, wenn ich sie anrufe.“
„Bestimmt, wir sind doch Freundinnen.“
„Aber du kennst doch Jana. Sie ist so leicht eingeschnappt. Sollte ich nicht lieber bis morgen warten?“
„Könntest du denn schlafen, wenn du wolltest?“, fragte ich sie, obwohl wir beide wussten, dass Helen viel zu sehr darunter leiden würde, um irgendwie ein Auge zutun zu können. „Okay, Laura, du hast gewonnen. Ich rufe sie an und sage dir anschließend, wie es ausgegangen ist.“
Wir beendeten das Telefonat, doch keine fünf Minuten später klingelte das Telefon erneut. „Hallo?“
„Sie hat mir nicht verziehen“, heulte Helen. „Sie… sie hat einfach wieder aufgelegt, als ich mich gemeldet habe.“
„Sie muss sich einfach wieder beruhigen, Helen. Das ist alles. Du weißt doch wie sie ist.“
„Ja, aber könntest du nicht mal mit ihr reden?“, schluchzte Helen. „Dich schmeißt sie bestimmt nicht aus der Leitung.“
„Aber…“
„Bitte, Laura. Ich bitte dich. Sprich du mit ihr.“
Ich seufzte und kapitulierte. „Okay. Ich ruf zurück.“
Die nächste halbe Stunde verbrachte ich damit, Jana davon zu überzeugen, dass sie sich wieder mit Helen versöhnen sollte. Mein Hauptargument, dass wir doch Freundinnen wären, hörte sie alle fünf Minuten und irgendwann schien sie das wohl zu nerven. „Hast du auch noch andere Argumente?“
„Äh, ja. Wie wollen wir denn die Ferien in einem Camp überstehen, wenn ihr zwei nicht miteinander sprecht?“
„Wir sprechen weniger als eine Stunde nicht mehr miteinander. Übertreib bitte nicht.“
„Dann sprich wieder mit Helen.“
„Warum sollte ich? Ich renn doch nur allem hinterher, was Hosen trägt.“
Ich schlug die Hand vor die Stirn und versuchte verzweifelt, irgendetwas zu finden, das Jana beruhigen konnte. „Jana, du weißt, dass das nicht so gemeint war. Helen tut es furchtbar leid. Du musst ihr zuhören. Gib dir einen Ruck.“
„Hat sie dich geschickt?“
„Ja.“
„Sie muss sich selbst entschuldigen und nicht jemanden vorschicken.“
„Sie hat bereits angerufen, Jana. Hast du vergessen, dass du sie einfach abgehängt hast?“
Ich hörte wie sie seufzte und konnte mir gut vorstellen, dass sie jetzt auf ihrem Bett saß und nachdenklich auf ihrer Unterlippe kaute.
„Okay. Ich werde sie anrufen“, hörte ich schließlich ihre Stimme und war unendlich erleichtert. „Danke“, sagte ich, wünschte ihr eine gute Nacht und legte auf.
Kurz vor elf Uhr am Abend erreichte mich eine SMS und mit müden Augen las ich die Botschaft. „Danke, danke, danke!“ Helens Nachricht zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen und beruhigt schlief ich ein.
In einer anderen Ecke diskutierte man leiser, doch bei dem Wort Spanien, kreischte die kleine pubertierende Mädchengruppe los und lautstark unterhielt man sich dann darüber was die eine dort erlebt hat, was die andere erleben wird und die letzte niemals erfahren wird. Bei den Jungen im gleichen Alter standen andere Länder ganz oben. Der eine flog nach Ägypten, Verwandte besuchen. Ein anderer sprach vom Bodensee und wieder ein anderer erzählte sein letztes Abenteuer in einem amerikanischen Feriencamp. Auf letzteren war ich irgendwie neidisch. So jung und schon einmal um die halbe Welt.
Meine Freundin Helen kommt aus Großbritannien. Ihre Eltern sind kurz nach Helens drittem Geburtstag nach Deutschland immigriert. Doch das merkt man ihr nicht an. Sie spricht fehlerfrei Deutsch. Einige ihrer Vorfahren waren, nach den Angaben ihres Vaters, irischer Abstammung, was ihr Aussehen erklärt. Ein bisschen zu blasse Haut mit Sommersprossen, grüne Augen und dazu kupfernes Haar. Sie selbst findet sich hässlich, wogegen wir, also Jana und ich nur widersprechen können. Jana ist das Gegenteil von Helen. Sie hat pechschwarzes Haar und ist braungebrannt. Ihre Augen sind jedoch von einem klaren Blau und scheinen alles in sich aufzunehmen. Sie hat ebenso wie Helen einen wachen Verstand, ist aber dennoch recht abenteuerlustig, was ich erstaunlich finde.
Und ich? Nun, erst mal stelle ich mich vor. Mein Name ist Laura. Ich bin genau wie Helen und Jana 15 Jahre alt. Im Gegensatz zu den beiden habe ich blondes Haar und braune Augen. Sommersprossen verzieren meine Nase und meine Haut ist einfach nur blass. Aber bei mir sieht es nicht einmal ansatzweise so gut aus wie bei Helen. Im Gegenteil. Ich sehe einfach nur … seltsam aus. Weiß. Irgendwie. Doch wie soll es anders sein, ich höre von meinen Freundinnen genau das Gleiche wie meine Freundinnen von mir: „Mach dir keinen Kopf. So schlimm ist es gar nicht. Du siehst gut aus. Das passt zu dir.“
Ja, ja, ja. Das kennen wir ja schon. Für den Augenblick bin ich zwar immer beruhigt. Aber Zweifel sterben nicht so leicht. Sie kommen wieder. Und bei mir zu jeder Tages- und Nachtzeit. Na ja. Waren wir stehen geblieben? Ach ja. Bei den großen Ferien.
Nun, meine Eltern eröffneten mir zwei Monate vor den Ferien wo wir die Ferien verbringen würden. Das heißt, meine Eltern fuhren nach Österreich mit meinem kleinen Bruder Jonas. Er ist erst fünf und durfte deshalb mit. Ich hingegen wurde in ein Ferienlager verfrachtet. Okay, das klingt jetzt wirklich negativ. Dabei habe ich mich im ersten Augenblick wirklich gefreut. Schließlich würden das die ersten Ferien ohne meine Familie sein. Doch dann ging ich in die Schule und wie es halt so ist, wird man gefragt, wohin es geht. Hmm… Ich wusste es, aber ich wollte es nicht rausrücken. Also versuchte ich es mit Schweigen, dann mit lügen. Nichts. Sie, also Helen und Jana, bohrten vielleicht rum, das glaubt ihr nicht. Es war einfach nur scheußlich. Und das Einzige was ich dachte oder denken konnte war: „Hilfe, meine besten Freundinnen sind zu neugierigen Biestern mutiert.“ Von ihrem eigenen Ferienort hatten sie nämlich noch kein Wort erzählt. Aber wenn ich nicht mal meinen Freundinnen von meinem Urlaubsort erzählte, wem dann. Und so tat ich, was ich tun musste. Ich hob den Kopf, straffte die Schultern, sah fest in ihre Augen und sprach mit fester Stimme die Worte, die sie so verzweifelt hören wollten.
„Ich werde nach Norddeutschland in ein Ferienlager fahren während allen sechs Wochen. Nach Tönning.“ Schweigen. Ich hatte felsenfest mit irgendwelchem Gekicher gerechnet. Aber nein. Beide starrten mich an wie ein Auto. Mir war das überhaupt nicht geheuer. Ich legte den Kopf schief und rümpfte die Nase bis Helen endlich das Schweigen brach. „Ich auch“; sagte sie. Ich sah sie an, konnte nicht fassen, was sie da gesagt hatte und als auch noch Jana sagte, dass sie ebenfalls in dasselbe Camp musste, konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Ich fing an zu lachen, bis mir der Bauch wehtat. Nach einer Weile stimmten Jana und Helen mit ein und wir bildeten ein hübsches kicherndes Trio. Selbst als wir wieder in die Klasse mussten, wurden wir noch immer von Lachanfällen geschüttelt. Unser „Nativespeaker“, Mr. Lancely, fand das nicht so witzig wie wir und als er uns das dritte Mal ermahnen musste, sagte er: „Ihr bekommt eine Extraaufgabe zu morgen“, sagte er mit seinem amerikanischen Akzent. Und wieder hatten wir das Pech noch mehr zu lachen. Ich weiß nicht mehr, wie wir den Tag überstanden, aber am Ende des Schultages waren wir noch immer aufgekratzt. Helen plante schon fleißig und Jana stand ihr in nichts nach. Nicht, dass ich mich nicht beteiligt hätte. Im Gegenteil. Meine Ideen waren genauso willkommen wie ihre. Und während wir gemeinsam in unsere Straße fuhren (wir wohnen alle in derselben Straße) fingen wir fleißig an zu planen. Wir verblieben damit, dass wir uns am Abend anriefen. Unsere Eltern hatten so eine Sonderschaltung, dass wir alle drei miteinander telefonieren konnten und dass mit nur einem Telefon. Das ist eine Konferenzschaltung. Genau, das war das Wort, das ich immer wieder vergesse. Wir haben immer unsere Uhrzeit, wann wir miteinander telefonierten. Meistens war das gegen sechs Uhr am Abend. Entweder machten wir auf diese Art Hausaufgaben (vor allem im dunklen Winter) oder wie heute Planungen.
„Als erstes schauen wir uns um, oder?“, schlug Helen vor.
„Klar. Was sollten wir denn sonst machen?“, erwiderte Jana, „Unsere Koffer auspacken?“
„Normalerweise ja“, meldete ich mich, „aber nicht ohne meine Eltern. Am liebsten aus dem Koffer wohnen.“
Helen lachte, aber Jana war dagegen. „Also ein bisschen Ordnung muss aber sein, sonst finde ich mich nicht zurecht. Aber ansonsten kann man das Experiment ja ausprobieren, oder?“
„Muss eigentlich immer Ordnung sein, Jana?“, schaltete ich mich ein wenig genervt ein. „Ich meine, es soll doch Spaß machen. Und Ordnung macht mir überhaupt keinen Spaß.“
„Übersichtlichkeit ist aber notwendig, um Spaß zu haben“, erwiderte Jana.
„Hey Girls“, rief Helen. „Ich dachte, wir wollten Pläne machen und nicht über Ordnung im Camp diskutieren.“ Sie klang fast ein wenig enttäuscht darüber, in welche Richtung sich unser Gespräch entwickelt hatte.
„Wenn Laura sich über Ordnung aufregt, ist das nicht meine Schuld.“
„Entschuldigung“, sagte ich, aber es war nicht so gemeint. Es klang schnippisch und eingeschnappt. Beinahe hätte ich aufgelegt, doch Helen hielt uns beide zurück als sie sagte: „Und ich dachte, wir wären Freundinnen.“
Wir schwiegen eine Weile, bis ich schließlich seufzte und mich erneut entschuldigte. Doch diesmal meinte ich es ernst. Jana nahm meine Entschuldigung an und entschuldigte sich nun ihrerseits bei mir. Und nun widmeten wir uns erneut der Planung unserer Ferien.
„Glaubt ihr“, warf Jana unvermittelt dazwischen, „es gibt auch Jungs dort?“
„Ich hoffe doch“, sagte Helen prompt und brachte uns damit zum Lachen.
„Schön wäre es ja, aber wirklich realistisch klingt das nicht“, gab ich zu Bedenken.
„Für dich könnten wir ja mal nach einem schicken Jungen Ausschau halten. Erzähl uns doch mal, wie er am besten aussehen sollte.“ Helens Aufforderung wurde von Jana tatkräftig unterstützt. Das einzige, was mir in dem Augenblick durch den Kopf ging war: „Zum Glück können sie mich nicht sehen.“ Die Hitze stieg mir in die Wangen und beschämt sagte ich nur: „Nein.“
„Och, komm schon. Wir sind deine Freundinnen.“ Und dann ging es los: „Bitte, bitte, bitte, bitte…“
„Jaaaa, also gut“, kapitulierte ich schließlich. „Er sollte größer sein als ich.“
„Das dürfte nicht allzu schwer sein“, unterbrach mich Jana und kicherte.
„Lass sie doch mal ausreden“, wies Helen sie zurecht. „Weiter, Laura. Er soll größer sein…“
„… und etwas älter. Außerdem sollte er ein Lächeln haben, das…“
„Ja?“, fragten sie gedehnt, als ich kurz inne hielt.
„…das mich umhaut. Blaue Augen, klar wie der Ozean. Braune Haare, schmale Lippen. Intelligent und humorvoll, ganz klar. Einen Spießer brauch ich nicht. Abenteuerlustig und spontan muss er sein. Ja, das war so in etwa alles.“
„Das war’s, sagst du?“, fragte Jana, „bei deiner Beschreibung dürfte die Zahl der passenden Personen auf 0,00001% gesunken sein.“
„Lass sie doch“, ergriff Helen für mich Partei. „Besser als jedem hinterher zu rennen, was Hosen trägt.“ Ein empörter Aufschrei und ein Klicken in der Leitung sagten uns, dass Jana die Anspielung auf sie verstanden hatte.
„Ich glaube, dass diese Bemerkung nicht angebracht war“, stellte ich vorsichtig fest. „Du hast recht“, stimmte Helen mir deprimiert zu. „Ich werde mich bei ihr entschuldigen. Die Frage ist nur, ob sie abnimmt, wenn ich sie anrufe.“
„Bestimmt, wir sind doch Freundinnen.“
„Aber du kennst doch Jana. Sie ist so leicht eingeschnappt. Sollte ich nicht lieber bis morgen warten?“
„Könntest du denn schlafen, wenn du wolltest?“, fragte ich sie, obwohl wir beide wussten, dass Helen viel zu sehr darunter leiden würde, um irgendwie ein Auge zutun zu können. „Okay, Laura, du hast gewonnen. Ich rufe sie an und sage dir anschließend, wie es ausgegangen ist.“
Wir beendeten das Telefonat, doch keine fünf Minuten später klingelte das Telefon erneut. „Hallo?“
„Sie hat mir nicht verziehen“, heulte Helen. „Sie… sie hat einfach wieder aufgelegt, als ich mich gemeldet habe.“
„Sie muss sich einfach wieder beruhigen, Helen. Das ist alles. Du weißt doch wie sie ist.“
„Ja, aber könntest du nicht mal mit ihr reden?“, schluchzte Helen. „Dich schmeißt sie bestimmt nicht aus der Leitung.“
„Aber…“
„Bitte, Laura. Ich bitte dich. Sprich du mit ihr.“
Ich seufzte und kapitulierte. „Okay. Ich ruf zurück.“
Die nächste halbe Stunde verbrachte ich damit, Jana davon zu überzeugen, dass sie sich wieder mit Helen versöhnen sollte. Mein Hauptargument, dass wir doch Freundinnen wären, hörte sie alle fünf Minuten und irgendwann schien sie das wohl zu nerven. „Hast du auch noch andere Argumente?“
„Äh, ja. Wie wollen wir denn die Ferien in einem Camp überstehen, wenn ihr zwei nicht miteinander sprecht?“
„Wir sprechen weniger als eine Stunde nicht mehr miteinander. Übertreib bitte nicht.“
„Dann sprich wieder mit Helen.“
„Warum sollte ich? Ich renn doch nur allem hinterher, was Hosen trägt.“
Ich schlug die Hand vor die Stirn und versuchte verzweifelt, irgendetwas zu finden, das Jana beruhigen konnte. „Jana, du weißt, dass das nicht so gemeint war. Helen tut es furchtbar leid. Du musst ihr zuhören. Gib dir einen Ruck.“
„Hat sie dich geschickt?“
„Ja.“
„Sie muss sich selbst entschuldigen und nicht jemanden vorschicken.“
„Sie hat bereits angerufen, Jana. Hast du vergessen, dass du sie einfach abgehängt hast?“
Ich hörte wie sie seufzte und konnte mir gut vorstellen, dass sie jetzt auf ihrem Bett saß und nachdenklich auf ihrer Unterlippe kaute.
„Okay. Ich werde sie anrufen“, hörte ich schließlich ihre Stimme und war unendlich erleichtert. „Danke“, sagte ich, wünschte ihr eine gute Nacht und legte auf.
Kurz vor elf Uhr am Abend erreichte mich eine SMS und mit müden Augen las ich die Botschaft. „Danke, danke, danke!“ Helens Nachricht zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen und beruhigt schlief ich ein.