Um Pimmels Willen.
Das Datum war mit energischen Zügen ins Heft geschrieben worden, und auch die Überschrift des Aufsatzes war Jenny nicht schwer gefallen. Darunter prangten aber nur vier einsame Worte: [/i]Das männliche Genital ist[/i].
Mit jedem Buchstaben war Jennys Ratlosigkeit gewachsen, und nun hockte sie schon sicher zehn Minuten da, kaute abwechseln auf ihrem Füller und an ihren Fingernägeln und starrte aus dem Fenster.
Beschreibe das Genital des anderen Geschlechts. Sachlich, hatte Frau Sommer noch hinzugefügt. Keine Ferkeleien oder pubertierende Phantasien. Immer schön sachlich bleiben.
Jenny schnaubte verächtlich. Wie sollte man bei so einem Thema sachlich bleiben. Oliver und Alexander, die im Unterricht hinter ihr saßen, hatten sich gleich einen Wettstreit in Sauereien geliefert, und Cornelia hatte in der Pause gleich verbreitet, daß sie schon einmal „einen angefaßt“ hatte. Klar. Ihr jüngster Bruder war ja auch erst ein halbes Jahr, und sie durfte beim Wickeln helfen. Etwas anderes konnte sich Jenny kaum vorstellen.
Hilfesuchend glitt ihr Blick hinüber zum aufgeschlagenen Biologiebuch. Ein bindegewebiger Schwellkörper. Becken- und Begattungsorgan. Daneben eine reichlich häßliche Zeichnung. Blutorgane, Damm-Muskel, Harnröhre. Samenstränge! Über so etwas konnte man doch nicht schreiben! Nun gut, man konnte, aber eigentlich verspürte Jenny nicht die geringste Lust darauf. Immerhin stellte dieses männliche Genital mit Abstand den Körperteil, der in der männlichen Selbsteinschätzung den Löwenanteil trug. Das konnte doch kaum an Samensträngen liegen, die man nicht einmal sehen konnte.
Daß Jungs komisch waren, wußte Jenny spätestens seit ihrem zwölften Geburtstag, aber daß sie so ein unglaubliches Buhei um ein mehr oder weniger großes Stück Fleisch machten, das zwischen ihren Beinen baumelte, machte sie Jenny jetzt, wo sie darüber nachdachte, fast noch suspekter. Was konnte an dem Ding schon so besonders sein, abgesehen davon, daß es den Jungs die Demütigung ersparte, in einer langen Schlange vor der Damentoilette zu warten, wenn ein netter Baum so nah war.
Seltsam. Woher wußte der Penis eigentlich, wann er pinkeln und wann – wann es Zeit für das andere war? Konnte da nicht etwas schief gehen? Angeekelt hob Jenny die Oberlippe. Allein die Vorstellung, daß einer in ihr Bett pinkelte, während sie drin lag, und daß sie den dann auch noch anfassen sollte, reichte aus, um ihr die Lust am Älterwerden zu verderben.
Um sich abzulenken, sprang Jenny auf und lief durchs Zimmer. Rein theoretisch leuchtete ihr dieser ganzer Sexualkram ja ein, praktisch konnte er ruhig noch auf sich warten lassen. Vielleicht konnte man das Mysterium des Mannes zwischen seinen Beinen ja auch erst begreifen, wenn man uralt war, so mit zwanzig oder so.
Ob man ihn steuern konnte, überlegte Jenny und steuerte selbst wieder ihren Schreibtisch an. Ihre Füße reagierten ganz selbstverständlich auf ihren Wunsch, aber sie wußte, daß Jungs ihren Pimmel beim Pinkeln festhielten, damit nicht alles im wahrsten Sinn des Wortes in die Hose ging. Wenn das beim Sex genauso war, wie sollte das dann jemals funktionieren? Oder quetschten die Männer ihr so heiß geliebtes bestes Stück einfach so lange vorwärts, bis sie irgendwo anstießen?
Als der Fußball vorgestern Alexander recht hart im Unterleib getroffen hatte, hatte er sich mit Tränen in den Augen auf dem Schulhof gewunden. Auch wenn Jenny den Verdacht nicht verleugnen konnte, daß Alexander dabei übertrieben hatte, so mußte es ihm doch weh getan haben. Jungs weinten nicht, wenn es nicht wirklich weh tat. Also mußte sie die Theorie mit dem Quetschen wohl über den Haufen werfen.
Überhaupt, was fühlte man damit? War der Pimmel so wie eine Hand? Oder wie die Nase, oder wie ein Bein? Manchmal sprachen sie im Fernsehen von einem elften Finger oder einem dritten Arm, aber soweit Jenny wußte, konnte man damit nichts tragen. Gut, der Pimmel hatte ja auch schon zwei Aufgaben, eine dritte wäre wohl zuviel. Aber spürte man damit zum Beispiel die Naht in der Unterhose? Konnte ein Junge da frieren? Oder schwitzen?
Jenny starrte frustriert auf den Anfang ihres Aufsatzes. Das männliche Genital ist. Ziemlich fragwürdig, hätte sie gern dahintergeschrieben. Wieso mußte sie überhaupt über etwas schreiben, daß sie nie besitzen würde? Auch nicht besitzen wollte, denn dann dürfte es mit dem Spagat in den Ballettstunden wohl Essig sein. Oliver hatte mal behauptet, schon bei dem Gedanken an so etwas würde ihm schwindelig vor Schmerzen. Ob ein Schlag zwischen die Beine den Jungs wirklich so weh tat? Oder suchten sie nur nach einer Ausrede, um endlich auch mal heulen zu dürfen?
Jenny griff entschlossen nach dem Füller. Es wurde Zeit, daß sie irgend etwas Konstruktives zustande brachte. Vielleicht konnte ihr Vater ihr ein paar Antworten.. nein. Ganz entschieden nein. Mit ihrem Vater würde sie nicht darüber reden, und auch nicht mit Gregor, dem Sohn der Nachbarn. Der war zwar schon vierzehn und ließ sich gönnerhaft dazu herab, ab und an mit ihr zu sprechen, wenn niemand zusah, aber ehe sie Gregor danach fragte, ob er seinen Pimmel mit etwas Mühe nicht beim Pinkeln auch ohne Hand steuern konnte oder wie genau es sich anfühlte, wenn man vom Fahrradsattel rutschte und auf die Stange knallte, würde Jenny eher vor versammelter Klasse ihre Hosen runterlassen. Sie wäre ja vor Scham im Erdboden versunken, bevor sie die Frage beendet hätte!
Für einen Moment fragte sich Jenny, ob sie Großvater in dieser Sache um Rat fragen sollte, verwarf aber auch diesen Gedanken. Ihr blieb wohl nichts anderes übrig, als allein damit fertig zu werden. Und wenn die einzige Hilfe, die ihr die Welt zu geben bereit war, ihr Biobuch war, dann würde es eben ein Aufsatz über Schwellkörper und Harnröhren und Samenstränge werden. Schließlich war es nicht ihre Schuld, daß die wichtigen Dinge niemals in Schulbüchern standen.
Das Datum war mit energischen Zügen ins Heft geschrieben worden, und auch die Überschrift des Aufsatzes war Jenny nicht schwer gefallen. Darunter prangten aber nur vier einsame Worte: [/i]Das männliche Genital ist[/i].
Mit jedem Buchstaben war Jennys Ratlosigkeit gewachsen, und nun hockte sie schon sicher zehn Minuten da, kaute abwechseln auf ihrem Füller und an ihren Fingernägeln und starrte aus dem Fenster.
Beschreibe das Genital des anderen Geschlechts. Sachlich, hatte Frau Sommer noch hinzugefügt. Keine Ferkeleien oder pubertierende Phantasien. Immer schön sachlich bleiben.
Jenny schnaubte verächtlich. Wie sollte man bei so einem Thema sachlich bleiben. Oliver und Alexander, die im Unterricht hinter ihr saßen, hatten sich gleich einen Wettstreit in Sauereien geliefert, und Cornelia hatte in der Pause gleich verbreitet, daß sie schon einmal „einen angefaßt“ hatte. Klar. Ihr jüngster Bruder war ja auch erst ein halbes Jahr, und sie durfte beim Wickeln helfen. Etwas anderes konnte sich Jenny kaum vorstellen.
Hilfesuchend glitt ihr Blick hinüber zum aufgeschlagenen Biologiebuch. Ein bindegewebiger Schwellkörper. Becken- und Begattungsorgan. Daneben eine reichlich häßliche Zeichnung. Blutorgane, Damm-Muskel, Harnröhre. Samenstränge! Über so etwas konnte man doch nicht schreiben! Nun gut, man konnte, aber eigentlich verspürte Jenny nicht die geringste Lust darauf. Immerhin stellte dieses männliche Genital mit Abstand den Körperteil, der in der männlichen Selbsteinschätzung den Löwenanteil trug. Das konnte doch kaum an Samensträngen liegen, die man nicht einmal sehen konnte.
Daß Jungs komisch waren, wußte Jenny spätestens seit ihrem zwölften Geburtstag, aber daß sie so ein unglaubliches Buhei um ein mehr oder weniger großes Stück Fleisch machten, das zwischen ihren Beinen baumelte, machte sie Jenny jetzt, wo sie darüber nachdachte, fast noch suspekter. Was konnte an dem Ding schon so besonders sein, abgesehen davon, daß es den Jungs die Demütigung ersparte, in einer langen Schlange vor der Damentoilette zu warten, wenn ein netter Baum so nah war.
Seltsam. Woher wußte der Penis eigentlich, wann er pinkeln und wann – wann es Zeit für das andere war? Konnte da nicht etwas schief gehen? Angeekelt hob Jenny die Oberlippe. Allein die Vorstellung, daß einer in ihr Bett pinkelte, während sie drin lag, und daß sie den dann auch noch anfassen sollte, reichte aus, um ihr die Lust am Älterwerden zu verderben.
Um sich abzulenken, sprang Jenny auf und lief durchs Zimmer. Rein theoretisch leuchtete ihr dieser ganzer Sexualkram ja ein, praktisch konnte er ruhig noch auf sich warten lassen. Vielleicht konnte man das Mysterium des Mannes zwischen seinen Beinen ja auch erst begreifen, wenn man uralt war, so mit zwanzig oder so.
Ob man ihn steuern konnte, überlegte Jenny und steuerte selbst wieder ihren Schreibtisch an. Ihre Füße reagierten ganz selbstverständlich auf ihren Wunsch, aber sie wußte, daß Jungs ihren Pimmel beim Pinkeln festhielten, damit nicht alles im wahrsten Sinn des Wortes in die Hose ging. Wenn das beim Sex genauso war, wie sollte das dann jemals funktionieren? Oder quetschten die Männer ihr so heiß geliebtes bestes Stück einfach so lange vorwärts, bis sie irgendwo anstießen?
Als der Fußball vorgestern Alexander recht hart im Unterleib getroffen hatte, hatte er sich mit Tränen in den Augen auf dem Schulhof gewunden. Auch wenn Jenny den Verdacht nicht verleugnen konnte, daß Alexander dabei übertrieben hatte, so mußte es ihm doch weh getan haben. Jungs weinten nicht, wenn es nicht wirklich weh tat. Also mußte sie die Theorie mit dem Quetschen wohl über den Haufen werfen.
Überhaupt, was fühlte man damit? War der Pimmel so wie eine Hand? Oder wie die Nase, oder wie ein Bein? Manchmal sprachen sie im Fernsehen von einem elften Finger oder einem dritten Arm, aber soweit Jenny wußte, konnte man damit nichts tragen. Gut, der Pimmel hatte ja auch schon zwei Aufgaben, eine dritte wäre wohl zuviel. Aber spürte man damit zum Beispiel die Naht in der Unterhose? Konnte ein Junge da frieren? Oder schwitzen?
Jenny starrte frustriert auf den Anfang ihres Aufsatzes. Das männliche Genital ist. Ziemlich fragwürdig, hätte sie gern dahintergeschrieben. Wieso mußte sie überhaupt über etwas schreiben, daß sie nie besitzen würde? Auch nicht besitzen wollte, denn dann dürfte es mit dem Spagat in den Ballettstunden wohl Essig sein. Oliver hatte mal behauptet, schon bei dem Gedanken an so etwas würde ihm schwindelig vor Schmerzen. Ob ein Schlag zwischen die Beine den Jungs wirklich so weh tat? Oder suchten sie nur nach einer Ausrede, um endlich auch mal heulen zu dürfen?
Jenny griff entschlossen nach dem Füller. Es wurde Zeit, daß sie irgend etwas Konstruktives zustande brachte. Vielleicht konnte ihr Vater ihr ein paar Antworten.. nein. Ganz entschieden nein. Mit ihrem Vater würde sie nicht darüber reden, und auch nicht mit Gregor, dem Sohn der Nachbarn. Der war zwar schon vierzehn und ließ sich gönnerhaft dazu herab, ab und an mit ihr zu sprechen, wenn niemand zusah, aber ehe sie Gregor danach fragte, ob er seinen Pimmel mit etwas Mühe nicht beim Pinkeln auch ohne Hand steuern konnte oder wie genau es sich anfühlte, wenn man vom Fahrradsattel rutschte und auf die Stange knallte, würde Jenny eher vor versammelter Klasse ihre Hosen runterlassen. Sie wäre ja vor Scham im Erdboden versunken, bevor sie die Frage beendet hätte!
Für einen Moment fragte sich Jenny, ob sie Großvater in dieser Sache um Rat fragen sollte, verwarf aber auch diesen Gedanken. Ihr blieb wohl nichts anderes übrig, als allein damit fertig zu werden. Und wenn die einzige Hilfe, die ihr die Welt zu geben bereit war, ihr Biobuch war, dann würde es eben ein Aufsatz über Schwellkörper und Harnröhren und Samenstränge werden. Schließlich war es nicht ihre Schuld, daß die wichtigen Dinge niemals in Schulbüchern standen.