Und dafür leben wir. Oder?

Anna

Mitglied
Ich bin tot. Das ist schön. Ich liege auf einer Wiese im hohen Gras. Das kitzelt mich.

Mein Körper zerfällt langsam. Verwesung wird das auch genannt. Das tönt eklig. Die Haut wird gräulich, die Augen liegen in Löchern. Aber die sind ja eh zu, die Augen. Das Fleisch beginnt sich von den Knochen zu lösen. Die Ameisen haben Freude daran. Krähen sind gekommen, sie haben den Tod schon gespürt, bevor ich überhaupt gestorben bin. Immer mehr von mir verschwindet, bald sind nur noch die Knochen übrig. Die bleichen dann langsam in der Sommersonne aus. Gut, jetzt kann nicht keinen Sonnenbrand mehr kriegen. In meinem Schädel haben sich Ameisen angesiedelt, diese seltenen Waldameisen, die besonders gross sind. Die hab ich schon als Kind gemocht, habe sie beobachtet, wie sie eine tote Blindschleiche frassen. Zum Glück gibt es Ameisen, ohne sie und die anderen Aasfresser wäre die Erde noch ein grösserer Müllhaufen, als sie es jetzt ist. Menschenmüll lebt da drauf. Ich war auch nicht mehr als ein Stück Müll, das wird mir jetzt immer mehr bewusst. Jetzt weiss ich, was von Menschen übrigbleibt, nach dem Tod. Das ist nicht viel. Recht so. ein Haufen Knochen, der löst sich auch auf.
Ich könnte jetzt einen Bauern mit seinem Traktor kommen lassen, der meine Kochen zerstückelt, es ist ja meine Geschichte, das könnte ich also tun. Oder einen wildernden Hund, von seinen Besitzern ausgesetzt, weil er sie angegriffen hat, der würde erfreut mein Skelett finden und an meinen zarten Knöchelchen knabbern. Es könnte mich auch eine Schlammlawine überrollen und in zweihundert Jahren oder mehr finden dann Roboter meine Überreste und freuen sich, wie wir uns freuten, als wir Dinosaurierknochen gefunden haben.
Tu ich nicht. Ich lass meine Knochen dort liegen und nie kommt jemand auf diese Wiese, der mich entdecken könnte. Das wird dann langweilig und ich stelle einen Antrag, dass meine Knochen schon mal in den Himmel können, während ich noch auf der Erde rumgeistere. Der wird abgelehnt und mein kleines Skelett muss dort im Gras liegen bleiben. So liegt es da. Die Ameisen sind aus meinem Schädel wieder ausgezogen, weil der zu klein wurde für ihren grossen Stamm. Einsame Knochen auf einer einsamen wilden Wiese, das bleibt von mir übrig. Von anderen bleibt weniger. Ein Häufchen Asche vielleicht. Oder ein Holzsarg, der nach 30 Jahren oder so wieder ausgebuddelt wird, und dann bleibt gar nichts. Das ist nicht viel. Und dafür leben wir. Oder?
 
A

amanojaku

Gast
wir leben für mehr

bei warmem wetter durch die schmalen gassen einer spanischen altstadt schlendern und über geschichten nachdenken die man sich selbst ausdenkt, am meer liegen mit der person die man liebt und dabei gemeinsam wunderbarer ruhiger musik lauschen um sich hin und wieder einen verliebten blick zuzuwerfen, merken wie man die kontrolle verliert, über undinge und tolpatschige ungefährliche dinge lachen, weltschmerz erfahren und teilen, sich aufraffen und etwas tun, der glanz in den augen der menschen denen man geholfen hat oder denen man etwas bedeutet, der geruch von einem benutztem bett, in warmem wasser baden, selbstgedrehte zigaretten vor einem altem haus in einer schlechten gegend auf der zweiten treppenstufe sitzend rauchen, die musik von CAKE, gründer tee und früchte tee, gurken und bananen, das vor sich hin summen von glücklichen menschen auf der strasse ebendso wie das schluchzen trauriger menschen denen man an seiner seite trost spendet, in die ferne sehen und vor sich hin träumen ...
...
ich könnte stundenlang solche sachen aufschreiben, und für all das lebe ich, und für viel mehr noch.

ich glaube das ende ist nicht der grund, es ist nur das ende und nichts als das ende. es ist nicht unbedingt etwas auf das man sich freut, aber es ist auch nicht so sonderlich wichtig.

trozdem nett geschrieben dein text.
 

Anna

Mitglied
natürlich leben wir für mehr!!!!

Sich in einem schönen sehr grünen und wilden Garten in die hohe Wiese legen und von allerlei Insekten gestochen werden
Die eigenwillig schöne Musik von Miss Stucky hören und sich freuen, dass man Musik auf so viele verschiedene Arten machen kann
Im Stall arbeiten, nach Heu und Pferden riechen und sich freuen, etwas geleistet zu haben
Unter einem Wasserfall stehen und sich von kaltem Wasser durchnässen lassen
In einem sehr klaren und kleinen Bergsee schwimmen und sich vor dem Seeungeheuer, das darin wohnt, fürchten ;)
Überhaupt. Einfach mal drauflos leben!

>ich glaube das ende ist nicht der grund, es ist nur das ende und nichts als das ende. es ist nicht unbedingt etwas auf das man sich freut, aber es ist auch nicht so sonderlich wichtig.<

Heute ist das „Ende“ oder was nachher eventuell noch kommt nicht mehr so wichtig. Im alten Ägypten war das Jenseits beinahe wichtiger als das Diesseits. Das ganze Leben war man darauf bedacht, alles gut zu machen, dass man im Jenseits ein möglichst schönes Leben hat...
Aber: ist ist wirklich „das Ende“? ist es nicht vielleicht nur „ein Ende“, nach dem vielleicht ein neuer Anfang kommt? Wieso sollte man sich darauf nicht freuen?

>trozdem nett geschrieben dein text.<
danke.

grosser gruss

Anna
 
A

amanojaku

Gast
hmm -> geschmeichelt

das war eine nette antwort auf meine antwort, hat mir gefallen.

tja, wenn ud jetzt wieder antwortest sehe ich das erst am 20.05.2001 weil ich zivi bin und 24 stunden bereitschaft auf dem jugendhof (kindern den dreck hinterherräumen) habe bis zum besagten 20.05.2001. aber das macht ja nichts.

dann kann ich es trozdem lesen, oder du antwortest garnicht erst und wanderst aus nach afrika um bei einem kleinen netten urwaldstamm zu leben der nichtmal weiss was der unterschied zwischen taschenlampe und cgi ist.

würde ich dir viel spass bei wünschen, hoffe aber doch dass du mir lieber eine nette mail an meqamanojaku.org schreibst und dir meine noch sehr unpersönliche (muss mich damit bewerben) homepage anschaust und spass mit meinen texten hast die man unter sonstiges tief tief tief unten findet weil sich die keiner mehr ansieht.

cu
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
das

könnte dir so passen, faul in der wiese liegen! na, wenigstens gibtst du den tieren was zu essen. aber das leben besteht aus geben und nehmen. sei nicht zu großzügig, du siehst ja, sie fressen dich auf und du hast gar nischt davon. nimm dir auch ein zipfelchen vom leben! lg
 

La Luna

Mitglied
Hallo Anna,

sehe es ähnlich wie Amanojaku.
Nicht das Ende ist das Ziel, sondern der Weg dorthin.

Das aber bestenfalls verblichene Knochen übrig bleiben, glaub' ich nicht so ganz.
Wie in einer Studie belegt (ich glaube vom Max-Planck-Institut), wird jeder Mensch, im Augenblick seines Todes um exakt 80g leichter.
80g - nicht mehr und nicht weniger - was immer das auch sein mag.
Ist doch interessant, oder?

Nehmen wir mal an, du hast Kinder.
Auch darin lebst du weiter.
Deine Erbanlagen werden fortbestehen und das nicht nur in deinen Kindern, sondern auch in der endlosen Kette, die nach ihnen kommt.

Philosophisch betrachtet:
Kann auf dieser Erde überhaupt etwas einfach so "verschwinden".
Was passiert nach der Verwesung, wenn augenscheinlich nichts mehr da ist?
Bist du wirklich verschwunden?

....

Siehst du?
In irgendeiner Form bleiben wir alle erhalten.
Und sei es nur als Molekülkette. ;)


In diesem Sinne....bis demnächst.


Gruß, Julia
 

Anna

Mitglied
Hallo Julia!

im moment hab ich noch keine Kinder, muss man ja in meinem Alter auch nicht...Weiterleben tun wir schon irgendwie, mindestens in Erinnerungen. Aber mir ist die Vorstellung lieber, dass ich nach meinem Tod einfach gar nichts mehr muss, nicht noch in irgendwelchen Erinnerungen herumgeistern oder im Jenseits oder gar als Geist. Das tönt vielleicht ein bisschen brutal oder was auch immer...im Moment hab ich irgendwie so zwei Seiten, eine die vor allem Fakten sieht und nach dem Tod wirklich weg wäre und eine, die auch weiter denkt, sich Gedanken macht, das kann es nicht sein, die siebzig Jahre die wir leben und was ist mit den achzig gramm, die wir beim Tod leichter werden? es ist schwer, sich zu entscheiden, was oder woran man glauben soll. Ich denke, was den Tod und das eventuelle Danach angeht, lass ich mir zeit, eine Entscheidung zu fällen. Das passiert dann beim tod, wenn ich dann merke, was da noch kommt oder nicht...

Grosser Gruss, Anna
 

Marc Mx

Mitglied
Die Totenstille als Genuß...

Ich finde den Text sehr schön! Die ersten beiden Sätze sind prägend! "Ich bin tot. Das ist schön." Damit wird eine gewisse Stimmung erzeugt. Eine gewisse Leichtigkeit macht das "tot-sein" zu einem Spiel. Der Text ist eine Art, mit Traurigkeit umzugehen... In ihm zeigt sich (meiner Meinung nach) eine Stimmung, die jeder Mensch schon empfunden hat - der es genießen kann, auf einem Gipfel zu stehen, nachdem er das dunkle Tal durchquert hat...
Dies ist ein einfacher, leicht geschriebener Text und sagt doch so viel, wenn man still ist und horcht...
Viele Grüße
MarcPlanet.de
 

Anna

Mitglied
Re: Die Totenstille als Genuß...

>Eine gewisse Leichtigkeit macht das "tot-sein" zu einem Spiel. <

Ein schönes Spiel. Die Ameisen kitzeln Dich, während Du da liegst und Dich von zarten Frühlingssonnenstrahlen wärmen lässt...

>Der Text ist eine Art, mit Traurigkeit umzugehen... <

Jaaaa, ich bin ein fürchterlich trauriger Mensch! Nein, natürlich nicht. Eine sehr klare Aussage! In einem gewissen Grad ist sie sicher richtig.

>In ihm zeigt sich (meiner Meinung nach) eine Stimmung, die jeder Mensch schon empfunden hat - der es genießen kann, auf einem Gipfel zu stehen, nachdem er das dunkle Tal durchquert hat...<

Meinst Du mit dem dunklen Tal das Leben und mit dem Gipfel den Tod?

Ich denke, die Stille ist für uns kurzzeitig erholsam. Aber wenn dann wirklich Totenstille herrscht, ist das mit ziemlich grosser Sicherheit nur noch unheimlich.
 

Marc Mx

Mitglied
Das wäre zwar auch eine interessante Variante

... aber nein! Ich meine mit dem Gipfel nicht den Tod! Das Tal steht für die Deppression, der Gipfel steht für jenes Glücksgefühl, das Du z.B. so unwiderstehlich mit dieser gewissen Szene mit Deiner Freundin im Regen auf dem Züricher-See beschrieben hast... Klasse! Wenn Du derartige Szenen in Deine Kurzgeschichten einbaust, könntest Du jenes Ziel erreichen, von dem fast alle träumen, die hier auf der Leselupe herumgeistern...
Übrigens war ich inzwischen auch schon auf Deiner HP. Schau da mal ins GP und ins Forum...
Viele Grüße
MarcPlanet.de
 

Anna

Mitglied
Re: Das wäre zwar auch eine interessante Variante

Du denkst wohl wieder ans veröffentlichen?

Habe das gesehen, auf der HP...
danke für den Diskussionsbeitrag
 



 
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