Und die Welt dreht sich weiter...

3,80 Stern(e) 4 Bewertungen

SvenKratt

Mitglied
Freitagabend, langweilig, Leben scheiße, Welt scheiße, alles scheiße. Ich frage mich, ob es wohl jedem so geht? An dem Abend, an dem man sich eigentlich freuen sollte, eine weitere Woche überlebt zu haben, habe ich natürlich nichts besseres zu tun, als Trübsal zu blasen.

Das Telefon klingelt. STefan ist dran. Party heute Abend bei Thomas. Ob ich kommen will? Weiß nicht. Vielleicht. Okay, ich bin in zehn Minuten bei dir. Tatsächlich, Stefan ist in zehn Minuten da, war sogar so umsichtig einen Six-Pack Bier mitzubringen. Also los, Schuhe an, Jacke an, Bier auf und los geht’s. Seltsam, dass ich mich immer so leicht überreden lasse.

Eine Viertelstunde später stehen wir vor der Haustür. Klingeln, warten, noch mal klingeln. Endlich wird die Tür geöffnet, laute Musik dringt von oben in meine Ohren, vermischt mit Gesprächsfetzen. Belangloses Zeug. Sofort nach oben, allen hallo sagen, Hände schütteln, Platz nehmen. Sofort wildes Anstoßen, ich beginne mich etwas zu entspannen. Ist doch eigentlich gar nicht so schlimm wegzugehen. Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.

Alle sind irgendwie glücklich, mein Blick fällt auf einige leere Bierflaschen. Klar. Die haben ja schon angefangen. Ich bin immer noch bei meinem ersten Bier, die Wirkung lässt auf sich warten, ich vergesse die Probleme der Welt noch nicht. In meinem Kopf spielt immer noch irgendein Tom Waits Song und ich starre ins Leere.


Inzwischen das zweite Bier geöffnet, allgemeines Gelaber, Lachen, und Geschwätz. Ich lehne mich zurück, schließe die Augen. Irgendwie gehöre ich nicht hier her. Vielleicht sollte ich wieder gehen? Na gut, ich bleibe noch, ich könnte ja was verpassen. Also schnell dieses Bier leeren und noch eins Trinken.

Inzwischen recht gesellige Runde, Jubel, Trubel, Trunkenheit. Punkrock durchströmt das Zimmer, Stefan und Jens hüpfen herum, beide schon ziemlich angetrunken, allgemeines Mitsingen, während Tom Waits in meinem Kopf eine weitere melancholische Ballade anstimmt. Na ja, drauf geschissen, man kann ja nicht immer im Selbstmitleid rumliegen, geh aus dir raus, sauf dich zu, hab Spaß! Das ist ein Befehl! Sir! Ja, Sir!


Hab schon aufgehört mein Bier zu zählen, vielleicht mein viertes oder fünftes, was weiß ich? Die Wirkung hat inzwischen eingesetzt, alles ist leicht verschwommen, irgendwie bunter, lebendiger und so. Ja, warum nicht? Man wird frei von allen Problemen dieser Welt, immun gegen das Leid. In Afrika verhungern die Leute, täglich sterben Millionen von Menschen und genauso viele werden im selben Augenblick geboren. Kriege werden gefochten, Kinder sterben, die ganze Welt geht baden. Doch das interessiert mich jetzt gerade überhaupt nicht, weil ich doch gerade so gemütlich hier sitze, weil alle so froh und happy sind, weil ich ein leckeres Bier in meiner Hand halte und weil Joey Ramone gerade so schön „What a wonderful world“ singt. Ja, die Welt dreht sich einfach weiter, egal, ob man was dagegen hat, oder nicht. Und ich hab keine Zeit, Trübsal zu blasen. Zeit ist Bier!


Inzwischen ziemlich besoffen, genauso wie die anderen, Lieder werden gegrölt, alles in allem ein gelungener Abend. Jugendlichenrealitätsflucht halt. Manche gehen Fahrrad fahren, um die Welt zu vergessen, andere bauen Modellflugzeuge und wir saufen uns halt zu und rauchen Gras. Was soll man denn sonst machen? Ist ja auch egal, war ne rhetorische Frage, ihr braucht nicht zu antworten. Ja ich weiß, das ist kein Leben, doch hab ich eine Wahl?

Und die Welt dreht sich weiter und ich dreh mich auch mit ihr und alle anderen auch und mir ist es egal.
Das Bier ist inzwischen verbraucht, es ist spät und ich gehe nach Hause. Ich möchte den Rausch noch etwas genießen, bevor ich am nächsten Morgen aufwache und mit Schrecken feststelle, dass sich die Welt immer noch dreht.
 
Hallo SvenKratt!

Dein Text bringt sehr selbstverständlich das Lebensgefühl des Helden, eines heutigen Jugendlichen, sage ich mal, zum Ausdruck. Das ist die große Stärke des Textes. Das macht ihn sympathisch. Den ersten Satz finde ich außerordentlich gelungen, er lässt eine Stimmung anklingen, die auch weitgehend durchgehalten wird.
„Freitagabend, langweilig, Leben scheiße, Welt scheiße, alles scheiße.“

Ja, das ist ein Satz, aus dem man eine Story entwickeln kann. Nun, ein bisschen etwas Prickelnderes hätte man sich als Ereignis wünschen können, doch gut, das ist nicht so wichtig. Ist halt wie im Leben des Protagonisten. Aufpassen musst du dort, wo die Sprache ins Klischee abzugleiten droht und wo du dich mit Floskeln eines anderen Sprachjargons behilfst.

“…habe ich natürlich nichts besseres zu tun, als Trübsal zu blasen.“

„Trübsal blasen“ ist nicht die Art, wie jemand spricht, der einen Text mit einem dreimaligen „Scheiße“ beginnt. „Trübsal blasen“ sagt das wohlerzogene Mädchen oder der Herr Studienrat. So passiert es dir an einigen wenigen Stellen, dass du die Härte deines Jargons (für mein Gefühl) nicht durchhältst. Es geht hier um die Konsequenz. Und um Präzision.
Noch so ein Satz, wo ich den Jargon prüfen würde: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“ Sagt das ein Jugendlicher heute auf der Party? Der Gras raucht? Ich zweifle etwas. Dieses Goethe-Faust-Zitat spielte aber wohl zu DDR-Zeiten (70er, 80er Jahre) eine gewisse Rolle. Die Jugendlichen im Westen sagten dagegen: „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein.“

„recht gesellige Runde“
Auch hier gefällt mir das „recht gesellige“ nicht so recht im Kontext, aber auch weil es abgegriffen ist. Wo liest man nicht überall "in geselliger Runde"? Schon wenn drei Rentner zusammensitzen (und Skat spielen?), ist das 'ne gesellige Runde.

Das waren also so ein paar Beispiele. Passender dagegen wieder so ein Satz:
Inzwischen das zweite Bier geöffnet, allgemeines Gelaber, Lachen[,] und Geschwätz.


Eine kleine Verständnissache:
„ Das Telefon klingelt. Party heute Abend bei Thomas. Ob ich kommen will? Weiß nicht. Vielleicht. Okay, ich bin in zehn Minuten bei dir. Tatsächlich, Stefan ist in zehn Minuten da…“
Hier unterstellte ich lesend zunächst, dass der Partygeber selbst anruft. War dann überrascht, dass da ein „Stefan“ in zehn Minuten da ist. Vielleicht drauf achten, dass schneller oder sofort klar wird, dass sich da zwei Leute vorab – also vor der Party für die Party – verabreden. An sich ein normaler Vorgang. Jedenfalls einfach mal auf Logik für den Leser überprüfen.

Ansonsten ein lockerer Text, m.E. im Ton weitgehend gut getroffen und richtig frisch! Der Anfang vor allem bringt den richtigen Ton, so dass das Lesen im Großen und Ganzen Spaß macht.

Viele Grüße

Monfou
 

SvenKratt

Mitglied
Monfou,

erstmal danke für deine Konstruktive Kritik. Freut mich, dass es dir einigermaßen gefallen hat.
Zum Jargon: Das ist nicht besonders einfach. Zumal ich in der Geschichte größtenteils meine eigenen Gedanken beschreibe, die nun mal auch solchge Sätze, wie "Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein" beinhalten. Klar, das findet sich kaum im Wortschatz eines durchschnittlichen Jugendlichen aber ich bin nun mal kein durchschnittlicher Jugendlicher. Also muss man mir die Gratwanderung, zwischen gehobener Sprache und Gossenslang nachsehen, da sich bei mir beides vermischt.
 



 
Oben Unten