Eike Leickart
Mitglied
Es klingelte; zwei Frauen standen vor der Tür – oder sage ich besser: Damen? Die größere war fraglos eine Dame, ihr eleganter, gerippter Mantel, die ledernen Handschuhe, das Barett, alles in Brauntönen gehalten. Ich war in Versuchung, sie mit „Gnädige Frau“ anzureden, schluckte das aber als unpassend herunter. „Ich denke, wir können eintreten!“, sagte sie zu ihrer kleineren Begleiterin, die ihr nicht unähnlich war, aber viel älter. Sie trug Hosen, eine Wetterjacke und eine Wollmütze. Beide sahen mich ganz kurz an, und als ich beiseitetrat, kamen sie herein, gingen grußlos an mir vorbei, steuerten zielbewusst, als sei die Wohnung ihnen vertraut, auf die Küche zu und setzten sich dort an den Tisch. „Kann ich Ihnen was anbieten?“, fragte ich. Aber sie schüttelten beinahe im Gleichtakt den Kopf oder, wie der Engländer sagen würde, die Köpfe. Dann steckten sie dieselben über den Tisch hinweg zusammen und begannen zu tuscheln. Ich zögerte einen Moment, aber mir wurde klar, dass ich hier nicht gebraucht wurde, ja, störte. Ich ging deshalb ins Wohnzimmer und setzte mich mit der Zeitung in Vaters Sessel. Neben mir stand der Kacheltisch, und darauf stand das Glas, in das ich mir vor Minuten einen Schluck Portwein gegossen hatte. Es machte mich glücklich, so völlig in der Nachahmung von Gewohnheiten meines Erzeugers aufzugehen. Die Damen in der Küche unterhielten sich nun, wo ich weg war, weniger und weniger leise – wenn ich eine Hand hinter das Ohr hielt, konnte ich verstehen, was sie sagten. Sie stritten sich über einen Jungen, der nach Aussage der einen ein „schlimmer“ gewesen sei. Nach Aussage der anderen habe er nicht anders gekonnt, man dürfe es ihm nicht übelnehmen. Von wem redeten sie? Und warum kamen sie dafür zu mir? Vage Schuldgefühle wallten in mir auf. Ich nippte am Portweinglas, leerte es und goss es noch einmal voll. Ein Tropfen fiel auf die Zeitung. Aber das war kein Portwein. Ich sollte sie hinauswerfen, dachte ich. Aber wie gelähmt blieb ich sitzen.