Ungelöste Fragen

HerbertH

Mitglied
Ungelöste Fragen

Zum Grab ein tiefes Loch, von Spaten ausgestemmt,
bewahrt vor Wolfsgebiss, doch nicht vor dem der Maden.
Schon durch den kleinsten Riss, von dort auf beide Waden
zieht es die Viecher hoch, vor Hunger ganz enthemmt.

Sie laben sich am Fleisch, Gestank wirkt nicht zum Schaden
der kleinen weißen Brut. Gebein wird fortgeschwemmt
von stiller Fressenswut. Im Grab, da wird geschlemmt.
Sie machen kein Gekreisch, wenn sie im Blute baden.

Seit alter Zeit bekannt, schreckt das die Menschen doch.
Sie glauben an den Tod, und schauen ganz gebannt
auf Sterbende in Not, weil Furcht in Herzen kroch.

Sie glauben nicht an Gott und betten sich galant
auf's eigene Schafott. Im Sarg dient dieses Loch
als Heim, als Heilsgarant. Ich lass es gern vakant.
 

Walther

Mitglied
Hallo Herbert,

Du meinst wohl "Wolfsverbiss" statt "Wolfsgebiss". Beim Verwesen der Leichen wird "Gebein nicht fortgeschwemmt", es bleibt vielmehr abgeknabbert übrig.

Hier "Sie glauben an den Tod, und schauen ganz gebannt" muß das Komma weg.

Das 2. Terzett ist so gar nicht gelungen, weil es einfach sachliche Fehler enthält und außerdem teilweise bezugslos an den Rest angeflanscht wirkt. Das ist unter Deinen bekannt großen Möglichkeiten und will mir so gar nicht schmecken. Ganz schlimm sind die beiden Schlußverse.

Sterbende, schon gar nicht Lebende, "betten sich galant aufs eigene Schafott." Warum "dieses Loch" als "Heilgarant dient" oder als "Heim", ist mir unerfindlich. Auch der Halbvers "Ich lass es gern vakant" vermag erst nach vielen Irrungen und Wirrungen der Gedanken wohl so entschlüsselt zu werden: "Ich will nicht sterben."

Auch sind die beiden Terzette nicht mehr in männlichen und weiblichen Kadenzen, sondern durchgehend männlich gereimt. Das nimmt beiden den ursprünglich getragenen Rhythmus des sechshebigen Jambus quasi durch die Hintertür wieder ab.

Fazit: Da mußt Du nochmal richtig ran!

LG W.
 

HerbertH

Mitglied
Ungelöste Fragen

Zum Grab ein tiefes Loch, von Spaten ausgestemmt,
bewahrt vor Wolfsgebiss, doch nicht vor dem der Maden.
Schon durch den kleinsten Riss, von dort auf beide Waden
zieht es die Viecher hoch, vor Hunger ganz enthemmt.

Sie laben sich am Fleisch, Gestank wirkt nicht zum Schaden
der kleinen weißen Brut. Gebein wird fortgeschwemmt
von stiller Fresser Flut. Im Grab, da wird geschlemmt.
Sie machen kein Gekreisch, wenn sie im Blute baden.

Seit alter Zeit bekannt, schreckt das die Menschen alle.
Sie glauben an den Tod und schauen ganz gebannt
auf Sterbende in Not, ob Furcht zur Faust sich balle.

Sie glauben nicht an Gott und betten sich galant
auf's eigene Schafott: Es gilt des Loches Falle
im Sarg als Heilsgarant. Ich lass es gern vakant.
 

HerbertH

Mitglied
Lieber Walther,

Du weisst, mir ist offene Kritik so wie die Deine viel lieber als ein mögliches Ignorieren. Dafür auf jeden Fall schon mal vielen Dank!

Eigentlich mag ich es ja lieber, wenn jeder Leser sich seine Interpretation selber ausdenkt. Daher sollen alle die, die das lieber mögen, lieber hier aufhören zu lesen :)

-------------------------->
Jetzt gehe ich aber doch auf Walthers Kritik ein, und interpretiere mein eigenes Geschreibsel:
<--------------------------

Ein Sarg kann schon vor dem Gebiss - wie auch vor dem Biss - eines Wolfes schützen. Insofern sehe ich hier keinen Zwang auf Wolfsverbiss zu wechseln.

Das Bild von der Madenflut, die das Gebein geradezu fortschwemmen, habe ich jetzt deutlicher herausgearbeitet.

Das Komma habe ich entsorgt.

Bei den beiden Terzetten habe ich jetzt alternierend weibliche und männliche Reime eingeführt. Ob das wirklich eine Verbesserung darstellt?

Inhaltlich ist das zweite Terzett in der alten wie auch der neuen Fassung nach meiner Lesart durchaus nicht "bezugslos angeflanscht": Sie, die Menschen, die sich vor dem Gefressenwerden - auch nach dem Tod - fürchten, gerade weil sie glauben, dass der Tod unausweichlich ist, glauben nicht wirklich an Gott. Obwohl "dort" etwas von Auferstehung steht, verlassen sie sich darauf, dass ihnen ein Sarg Schutz vor dem Aufgefressenwerden in der Kälte des Loches in der Erde liefert. Als Heim, als Heilsgarant gilt ihnen ein prunkvoller Sarg, nicht aber Gott. Durch ihre eigenen Ängste gelangen sie so auf den Richtplatz, auf das Schafott, auf dass sie sich der Mode folgend selbst gebracht haben.

Dieses Loch, diese Falle, diesen Selbstbetrug überläßt das LyrI den anderen. Gleichzeitig ist es sich aber bewusst, dass es nicht auskommt, dem Tod nicht entrinnen kann, und verfällt daher in eine Art schwarzen oder Galgenhumor, in dem das ganze Gedicht gehalten ist.

Ich vermute mal, dass diese Apologie Dich auch nicht voll überzeugen wird, lieber Walther, wobei ich Dir insofern recht gebe, als das, was ich mir bei dem Gedicht gedacht habe, beim Leser aus dem Sonett allein möglicherweise nicht richtig ankommt.

Und es sind auch in der jetzigen Variante einige neue Punkte aufgetaucht, die man vielleicht länger begründen müßte, als es die 14 Zeilen zulassen. "ob Furcht zur Faust sich balle" ist ein Beispiel, bei dem ich mir vorstelle, wie Menschen fasziniert zuschauen, ob die Furcht vor dem Tod sich endlich Luft macht als ein letzter Wutausbruch der Sterbenden.


lG

Herbert
 

Walther

Mitglied
Lb. Herbert,

das klingt jetzt in der Tat besser, aber ich bleibe immer noch verrätselt am Wegesrand zurück, weil die Argumentation mich irgendwie nicht mitnimmt. Ich finde die Idee interessant, einige Formulierungen auch, sogar die Form, aber: Der Inhalt will nicht so recht geschmeidig rüberkommen.

Sorry, aber der Text verträgt m.E. Reifung. Er hat Potential, aber bedarf noch der weiteren Bearbeitung. Meine ich. Aber meine Meinung ist nur eine. Und damit nicht in der Mehrheit. ;)

LG W.
 

HerbertH

Mitglied
Lieber Walther,

fast hatte ich mir das gedacht :). Ich folge jetzt Deiner Empfehlung und lasse das Gedicht reifen - in meinem Kopf. Hier belasse ich es erstmal in all seiner Widersprüchlichkeit.

Danke nochmal,mein Freund

lG

Herbert
 



 
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