Unglaublich

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Kater Hitler
Frau Heilmann war froh, wieder ein Haustier zu haben. Diesmal ein flügelloses, nämlich eine Katze. Genauer gesagt einen Kater. Ihr Liebling, der Wellensittich Tschilpi, war überrraschend aus dem Leben geschieden.
Nicht auf natürliche Weise. Eine Elster hatte es ihm genommen. Sie war in die Küche der Frau Heilmann eingedrungen, in der sich Tschilpi wie üblich auf dem Käfig sitzend aufhielt. Das Küchenfenster stand ein wenig offen, Frau Heilmann außer Haus. Sie hatte vergessen, es zu schließen. Als sie heimkehrte, fand sie nur einige Federn Tschilpis auf dem Küchenboden vor. Da die Elster keinen Bekennerhinweis hinterlassen hatte, vermutete Frau Heilmann Nachbars Katze Mimi als Täterin. Die war mit ihren zwölf Lebensjahren zwar schon betagt, doch noch rüstig genug, ein hilfloses Vögelchen zu erfassen und zu verspeisen. Eine Katze lässt das Mausen nicht, in diesem Falle nicht das Vögeln.
Frau Heilmann war lange Zeit untröstlich. Sie gab sich die Schuld am Tod Tschilpis, denn ein geschlossenes Küchenfenster hätte ihm das Leben erhalten. Sie war nahe daran, sich zu entleiben, um Tschilpi im Jenseits nahe zu sein. Der Pfarrer riet ihr von diesem Vorhaben ab. Der Tierhimmel, erklärte er, liege vom Menschenhimmel so weit entfernt, dass sie Jahre bräuchte, um zu Tschilpi zu gelangen. Eine weitere Schwierigkeit bestände darin, unter Milliarden von Wellensittichen den ihren zu finden. Er empfahl ihr, ein anderes Tier ins Haus zu holen.
Das tat sie, wenn auch schweren Herzens. Da sie die zwölfjährige Nachbarkatze nun abgrundtief hasste, wollte sie deren Lebenszeit verkürzen. Die ahnte davon nichts. Sie wunderte sich nur, als eines Tages ein strammer, braunfelliger Kater aus dem Hause der Frau Heilmann kam. Dass er ein Kater war, erkannte sie an dessen Imponiergehabe, denn er hielt den Schwanz steif nach oben gerichtet. Sein stolzer Gang ließ adlige Abstammung vermuten. Das war falsch. Er war ein ganz gewöhnlicher Dachhase, der nach der Unterbringung seines Herrchens im Altersheim im Tierheim Unterkunft gefunden hatte. Aus diesem erwarb ihn Frau Heilmann kostenlos, denn man war froh, ihn los zu sein.
Das sagte man der neuen Besitzerin jedoch nicht; sie sollte das beruhigende Gefühl haben, einen reinrassigen arischen Kater zu besitzen. Man lobte das Tier über den grünen Klee, nannte Eigenschaften, die ihn Adolf Hitler ähnlich machten, wenn der ein Kater gewesen wäre. Es sei rücksichtslos im Verhalten, von brutalem Vernichtungswillen beseelt, der weniger Mäusen gelte als vielmehr Artgenossen.
Frau Heilmann, die anfänglich einen demokratisch gesinnten Mäusefänger erwerben wollte, fand die faschistischen Wesenszüge des Katers dienlicher, da er der Nachbarkatze Mimi ohne Gewissensbisse tödliche Bisse zufügen werde. Der Tierheimdirektor machte Frau Heilmann den Kater auch in der Weise sympathisch, indem er dessen unbedingte Treue betonte. Begünstigt werde seine Ergebenheit auch durch den Namen Heilmann der Frau Heilmann, in dem das verpflichtende Wörtchen ‚Heil‘ stecke. Außerdem entspreche seine braune Fellfärbung der Modefarbe der einstigen Nationalsozialisten.
Wie jedes liebe Tier müsse auch er einen Kosenamen bekommen. Für ihn empfehle sich ‚Hitler‘. Sein bisheriger lautete ‚Kuschelchen‘. Ein viel zu weicher, seinem Charakter nicht entsprechend.
Frau Heilmanns Befürchtung, sie werde unangenehm auffallen, wenn sie rufe: „Hallo Hitler!“, denn ‚Heil Hitler!‘ sei nicht mehr statthaft, beseitigte der Direktor mit dem Hinweis, dass es kein Gesetz gebe, das das Benamen eines Tieres mit dem Familiennamen des einstigen Führers verbiete.
In der Kleinstadt T., in der Frau Heilmann wohnhaft war, wurde schnell bekannt, dass Hitler bei ihr ein und aus gehe. Meist durchs geöffnete Küchen- oder auch Kellerfenster.
Die Zweifler bezweifelten die Richtigkeit dieses Gerüchts. Hitler sei tot und weile deshalb nicht mehr unter den Lebenden. Auferstanden sei lediglich Jesus, kein anderer nach ihm. Diese Tatsache erhärtete der Pfarrer in einer Kanzelrede.
Die Literaturbegeisterten verwiesen auf den Spiegel-Bestseller Er ist wieder da, der auch verfilmt worden war. In ihm werde die Wiederauferstehung Hitlers spöttisch gesehen.
Als bekannt wurde, wer Hitler ist, verlangten die örtlichen Neofaschisten, denen sich bald alle im großen Deutschland anschlossen, dass ein einfacher Kater nicht den Namen des Führers tragen dürfe. Das sei eine Verunglimpfung und Verhöhnung der jüngsten deutschen Geschichte. Wenn schon ein Tier Hitler heißen solle, dann ein deutscher Schäferhund, wenn er nicht schon den Namen Blondi trage.
Frau Heilmann spielte mit dem Gedanken, Hitler zu entnamen und ihn anders zu benennen. Doch fürchtete sie, eine Namensänderung werde den Vernichtungswillen ihres Katers erlahmen lassen. Inzwischen waren weltweit tätige Medien auf ihn aufmerksam geworden. Die Bild-Zeitung machte ihre Leser mit der fetten Überschrift Heil Kater! auf das brutale Tier neugierig.
Kater Hitler war nicht verborgen geblieben, zu welchem Ruhm er gelangt war. Es währte nicht lange und die ersten Gräuelmeldungen über sein Tun wurden öffentlich. Man berief sich dabei auf wahrheitsgemäße Auskünfte der Frau Heilmann. Amnesty International fand es empörend, dass diese Frau den Tod der betagten Katze Mimi bejubelte. Man verglich sie mit Ilse Koch, der Gattin des ehemaligen Kommandanten des KZ Buchenwald.
Frau Heilmann rechtfertigte ihren Jubel mit den Worten, dass das Mistvieh Mimi den Tod ihres Wellensittichs Tschilpi zu verantworten hatte. Hitler habe ihr in dankenswerter Weise bei der Beseitigung der Mörderin geholfen.
Das Wehklagen der Mimi-Besitzerin erreichte nur wenige Herzen. Übereinstimmend fand man, dass Mimi in heimtückischer Weise nicht nur den lebenslustigen Wellensittich Tschilpi getötet hatte, sondern auch den Lebensfrohsinn der Frau Heilmann beeinträchtigt habe.
Der Internationale Tierschutzverein reagierte noch heftiger und verlangte, die Leiche der Vogelmörderin Mimi zu verbrennen und die Asche in alle vier Himmelsrichtungen zu verstreuen.
Während die Für- und Widermeinungen nun auch die Regierungen aller bedeutenden Staaten zur Stellungnahme zwangen, setzte Kater Hitler sein Handeln unbekümmert fort. Er verstümmelte nach Herzenslust Katzen, die sein Liebes- und Sexverlangen nicht stillen konnten. Als er feststellte, dass keine Katze ihm mehr willig sein wollte, wandte er sich abartig männlichen Hunden zu. Er wurde schwul. Als Schwuler geriet er nun in Schwulitäten mit den Besitzern der missbrauchten Hunde.
Auch deren Klagen wären ungehört verhallt, wenn nicht der Bürgermeister der Kleinstadt T. seine Stimme wider Hitler erhoben hätte. Er tat es wirkungsvoll und ließ Flugblätter aus einem Hubschrauber abwerfen. Deren Text verlangte die Ausführung eines Attentats auf Hitler. Diesen humanistischen Gewaltakt mit hoffentlich tödlichem Ausgang werde er mit 150 Euro belohnen.
Seinen Groll auf Hitler belegte er mit einem grässlichen Beispiel aus seinem Privatbereich. Der faschistische Kater habe seiner Dogge nach dem erzwungenen Geschlechtsakt beide Hoden abgebissen. Sie sei nun zeugungsunfähig. Ihr Bellen klinge nicht mehr hündisch, sondern wie das Plärren eines Säuglings.
Diese Missetat Hitlers erregte nicht nur die, die eine Dogge besitzen, sondern auch alle deutschen Hundehalter. Und die sind, wie man weiß, zahlenmäßig fast so stark wie die Gesamtbevölkerung.
Der landesweite Protest ließ auch auf den Hund gekommene Katholiken zu Protestanten werden. Da man ahnte, dass der Papst Rüden ohne Hoden gutheißen werde, richtete man die Protestnote an die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die zeigte sich aufgeschlossen, weil auch sie ein Hündchen am heimischen Herd liegen hatte. Dieses Geheimnis wäre bis ans Ende ihrer Tage geheim geblieben, wenn nicht die Protestnote sie zur diesbezüglichen Offenbarung veranlasst hätte. Sie aber zeigte sich letztendlich unbekümmert, da ihr Hündchen eine hodenlose Hündin ist.
Die durch den Bürgermeister von T. ausgelobten 150 Euro Belohnung lockten nicht einmal einen Obdachlosen unter der Brücke hervor. Für einen so dürftigen finanziellen Anreiz wollte niemand seine Hände mit Blut besudeln. So griff der Bürgermeister selbst zum Messer, um Hitler zu meucheln. Nach historischem Vorbild hätte er eine Sprengladung in Frau Heilmanns Küche, dem begehrten Aufenthaltsort Hitlers, deponieren können, doch fürchtete er, das gesamte Gebäude in die Luft zu jagen. Das hätte ihn vielleicht das Amt des Bürgermeisters gekostet.
Drei Tage später wurde bekannt, ausgestreut durch die Gattin des Bürgermeisters, dass sich ihr Gemahl beim Schneiden von Gurkenscheiben in die Hand geschnitten habe, und zwar so heftig, dass er fast verblutet wäre, wenn sie ihn nicht hilflos am Boden liegend vorgefunden hätte. Diese sorgsam ausgeklügelte Lüge ließ die Vegetarier aufhorchen, die daraufhin eine Anleitung unters Volk brachten, wie man Gurken ohne Blutverlust schnippelt.
Hitler hatte das Attentat unbeschadet überstanden, weil der Attentäter im Schutze einer mondlosen Nacht über eine Heilmannsche Fußbank gestolpert war und sich das Messer in die andere Hand gerammt hatte. Sein Wehgeschrei trieb Hitler in die Flucht und Frau Heilmann aus dem Bett. Als sie wirren Haares und Sinnes den blutenden Bürgermeister in der Küche vorfand, blieb ihr seine nächtliche Anwesenheit ein Rätsel. Er erfand eine Ausrede, die er unter dem Mantel strengster Verschwiegenheit mit Frau Heilmann aushandelte. Um sie wirklich mundtot zu machen, schenkte er ihr die 150 Euro Attentatsbelohnung. So kam nie ans Licht, auf welche Weise sich der Bürgermeister tatsächlich verletzt hatte.
Diese Geschichte würde sich zu einer unendlichen Geschichte ausweiten, setzte ich ihr nicht endlich den Schlusspunkt. Das tue ich mit dem Schlusssatz, dass sie von vorn bis hinten erdacht und erdichtet ist. Den Kater Hitler gab es nicht, die Frau Heilmann und den Wellensittich Tschilpi vielleicht. Das soll gesagt sein, um sie vor ungerechtfertigten Anfeindungen zu schützen.
Und die Moral von der Geschicht‘: Gib einem Tier den Namen Hitler nicht!
 



 
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