Unstillbar
Unruhig tigere ich in meiner kleinen Einzimmerwohnung hin und her. Es sind nur wenige Schritte, bis ich an eine Wand stoße und umkehren muss. Eins, zwei, drei, vier… und zurück.
Tageslicht fällt kaum herein, denn ich wohne im Souterrain. Vor einem halben Jahr bin ich hier eingezogen, damals im Frühjahr, nachdem meine Frau mich zusammen mit meiner gepackten Sporttasche vor die Tür gesetzt hat.
Nun bin ich hier gefangen, allein in dieser Absteige, aber auch allein in meinen Gedanken und mit den Stimmen, die mich auffordern, aktiv zu werden, etwas zu tun. Nicht, dass es erst bei meinem Rausschmiss begonnen hat. Schon vorher war ich regelmäßig in tiefsinnige Gedanken versunken, so tiefsinnig, dass ich mich schließlich verloren vorkam in dieser düsteren Welt, allein mit diesem dumpfen Klopfen im Kopf, allein mit dem Druck, der unaufhörlich wuchs, bis ich endlich ein Ventil fand. Aber bis dahin hatte ich meine Frau, die meinen Druck aushielt und mich von ihm befreite. Aber nun – bin ich allein mit allem.
Manchmal hilft es, weite Strecken zu Laufen. Wenn ich mich so richtig auspowere, bis ich mit brennenden Muskeln und rasselndem Atem nicht mehr kann. Die vom Körper freigesetzten Glückshormone überschwemmen mein Innerstes. Dann sinke ich ins Gras und komme langsam zur Ruhe, danach fühle ich mich besser. Zumindest für einen Moment.
Das Wetter hat sein Teil dazu beigetragen. Seit fast drei Wochen regnet es, kaum einmal ein Sonnenstrahl, der das Gemüt aufheitern könnte. Und dann dieses Erlebnis gestern Abend. Die Frau wollte einfach nicht so wie ich, und dann ist sie mir noch aus der Bar entwischt, bevor…
Seit Stunden dröhnt und pocht es in meinem Schädel und unregelmäßig dazwischen ein schrill einschneidendes Geräusch. Es verursacht mir körperliche Schmerzen. Schmerzen, die immer schlimmer werden und mich hier durch den Raum tigern lassen.
Ich reiße meine Laufklamotten aus dem Schrank und renne förmlich aus dem Zimmer, die Treppe hinauf und raus in den Garten, dann weiter auf einem Feldweg in die Botanik.
Schon bald läuft mir der Schweiß von der Stirn, er brennt in den Augen. Das Laufshirt klebt am Körper. Zweige sind im Weg, peitschen mir ins Gesicht, auf Arme und Beine. Weiter, schneller, noch ist es in mir, noch ist es nicht draußen. Noch dröhnt und kreischt es in meinem Kopf. Ich stolpere über eine Unebenheit, fange mich aber und hetze weiter, weiter.
Ich schaue nach vorne, wo der Weg an den Deich stößt und ihm dann parallel folgt. Ich biege um die Kurve und sehe mit einigem Abstand vor mir eine Läuferin. Junge Figur, knackiger Hintern, dunkles, wippendes Haar, Kopfhörer.
Ich schüttele meine Gedanken ab und denke an früher, an meine Frau, zu Hause, beim Sport, in der Disco, im Bett. Schön war es, schön wäre es, wenn. Aber die Gedanken lassen mich nicht los.
Ich bin dem Mädchen nun ganz nahe, sie hört mich nicht, ich rieche sie, ich spüre sie…
Weiter, weiter! Der Puls ist am Anschlag, die Oberschenkel brennen. Weiter!
Vor dem Haus sinke ich auf den Rasen, der Puls kommt langsam runter. Ein Blick auf meine Pulsuhr sagt mir, dass ich fast neunzig Minuten unterwegs gewesen bin. Wie kann das sein? Normalerweise schaffe ich meine Hausstrecke in knapp sechzig Minuten, mit Leichtigkeit. Ich schaue nochmals auf die Uhr. Aber das ändert nichts an der gelaufenen Zeit. Gedankenverloren wische ich den Speichel aus meinen Mundwinkeln, bemerke kaum das Blut, das sich mit dem Speichel vermischt. Nasenbluten?
Was ich jetzt brauche, ist eine heiße Dusche. Mit zitternden Fingern schließe ich die Wohnungstür auf und ziehe mich drinnen aus.
Eine herrliche Erfindung, so eine Dusche. Ich fühle mich besser, gereinigt vom Schweiß und schweren Gedanken. Das Dröhnen im Kopf ist wie fortgespült. Meine Eigentherapie hat einmal wieder angeschlagen. Laufen gegen Trübsal!
Abends höre ich in den Lokalnachrichten, dass draußen am Deich wieder eine junge Frau ermordet worden ist. Ermordet und vergewaltigt. So ein Schwein! Es muss fast zur gleichen Zeit gewesen sein, als ich auch am Deich war. Wäre ich nur etwas früher dort gewesen, dann hätte ich ihn vielleicht noch an der Tat hindern können. Vielleicht…
© Marten Petersen, 06. Oktober 2012
Unruhig tigere ich in meiner kleinen Einzimmerwohnung hin und her. Es sind nur wenige Schritte, bis ich an eine Wand stoße und umkehren muss. Eins, zwei, drei, vier… und zurück.
Tageslicht fällt kaum herein, denn ich wohne im Souterrain. Vor einem halben Jahr bin ich hier eingezogen, damals im Frühjahr, nachdem meine Frau mich zusammen mit meiner gepackten Sporttasche vor die Tür gesetzt hat.
Nun bin ich hier gefangen, allein in dieser Absteige, aber auch allein in meinen Gedanken und mit den Stimmen, die mich auffordern, aktiv zu werden, etwas zu tun. Nicht, dass es erst bei meinem Rausschmiss begonnen hat. Schon vorher war ich regelmäßig in tiefsinnige Gedanken versunken, so tiefsinnig, dass ich mich schließlich verloren vorkam in dieser düsteren Welt, allein mit diesem dumpfen Klopfen im Kopf, allein mit dem Druck, der unaufhörlich wuchs, bis ich endlich ein Ventil fand. Aber bis dahin hatte ich meine Frau, die meinen Druck aushielt und mich von ihm befreite. Aber nun – bin ich allein mit allem.
Manchmal hilft es, weite Strecken zu Laufen. Wenn ich mich so richtig auspowere, bis ich mit brennenden Muskeln und rasselndem Atem nicht mehr kann. Die vom Körper freigesetzten Glückshormone überschwemmen mein Innerstes. Dann sinke ich ins Gras und komme langsam zur Ruhe, danach fühle ich mich besser. Zumindest für einen Moment.
Das Wetter hat sein Teil dazu beigetragen. Seit fast drei Wochen regnet es, kaum einmal ein Sonnenstrahl, der das Gemüt aufheitern könnte. Und dann dieses Erlebnis gestern Abend. Die Frau wollte einfach nicht so wie ich, und dann ist sie mir noch aus der Bar entwischt, bevor…
Seit Stunden dröhnt und pocht es in meinem Schädel und unregelmäßig dazwischen ein schrill einschneidendes Geräusch. Es verursacht mir körperliche Schmerzen. Schmerzen, die immer schlimmer werden und mich hier durch den Raum tigern lassen.
Ich reiße meine Laufklamotten aus dem Schrank und renne förmlich aus dem Zimmer, die Treppe hinauf und raus in den Garten, dann weiter auf einem Feldweg in die Botanik.
Schon bald läuft mir der Schweiß von der Stirn, er brennt in den Augen. Das Laufshirt klebt am Körper. Zweige sind im Weg, peitschen mir ins Gesicht, auf Arme und Beine. Weiter, schneller, noch ist es in mir, noch ist es nicht draußen. Noch dröhnt und kreischt es in meinem Kopf. Ich stolpere über eine Unebenheit, fange mich aber und hetze weiter, weiter.
Ich schaue nach vorne, wo der Weg an den Deich stößt und ihm dann parallel folgt. Ich biege um die Kurve und sehe mit einigem Abstand vor mir eine Läuferin. Junge Figur, knackiger Hintern, dunkles, wippendes Haar, Kopfhörer.
Ich schüttele meine Gedanken ab und denke an früher, an meine Frau, zu Hause, beim Sport, in der Disco, im Bett. Schön war es, schön wäre es, wenn. Aber die Gedanken lassen mich nicht los.
Ich bin dem Mädchen nun ganz nahe, sie hört mich nicht, ich rieche sie, ich spüre sie…
Weiter, weiter! Der Puls ist am Anschlag, die Oberschenkel brennen. Weiter!
Vor dem Haus sinke ich auf den Rasen, der Puls kommt langsam runter. Ein Blick auf meine Pulsuhr sagt mir, dass ich fast neunzig Minuten unterwegs gewesen bin. Wie kann das sein? Normalerweise schaffe ich meine Hausstrecke in knapp sechzig Minuten, mit Leichtigkeit. Ich schaue nochmals auf die Uhr. Aber das ändert nichts an der gelaufenen Zeit. Gedankenverloren wische ich den Speichel aus meinen Mundwinkeln, bemerke kaum das Blut, das sich mit dem Speichel vermischt. Nasenbluten?
Was ich jetzt brauche, ist eine heiße Dusche. Mit zitternden Fingern schließe ich die Wohnungstür auf und ziehe mich drinnen aus.
Eine herrliche Erfindung, so eine Dusche. Ich fühle mich besser, gereinigt vom Schweiß und schweren Gedanken. Das Dröhnen im Kopf ist wie fortgespült. Meine Eigentherapie hat einmal wieder angeschlagen. Laufen gegen Trübsal!
Abends höre ich in den Lokalnachrichten, dass draußen am Deich wieder eine junge Frau ermordet worden ist. Ermordet und vergewaltigt. So ein Schwein! Es muss fast zur gleichen Zeit gewesen sein, als ich auch am Deich war. Wäre ich nur etwas früher dort gewesen, dann hätte ich ihn vielleicht noch an der Tat hindern können. Vielleicht…
© Marten Petersen, 06. Oktober 2012