Unter dem Dach

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Unter dem Dach



Wer hat eigentlich was von dem Dachboden erzählt?
Dieser Dachboden, der sich dort oben an den Giebel wie eine umgedrehte Furche schmiegt, und der immer verschlossen ist, wenn man denen glauben will,
die sich einmal hinaufgetraut haben.

Dort oben geht es nicht mit rechten Dingen zu, sagen einige, über die Schulter die Treppe hinauf weisend. Wenn jemand fragt, ob das mit den Kindern wahr ist, bricht das Gespräch plötzlich ab.
Nein, die haben sie längst abgeholt, flüstern sie,
damals…

Im Erdgeschoss hört sich das alles völlig verrückt an und die Briefträger nesteln genauso gelangweilt an den weißen Standartkästen herum, wie in anderen Häusern.
Aber schon wenn man einige Treppen hinauf gestiegen ist und die Geräusche aus den angrenzenden Wohnungen stiller und stiller werden, bekommt man eine Ahnung davon, was die Leute aus Parterre meinen, wenn sie sagen, „da geht man besser nicht hinauf“.

Einige behaupten, dass die Wohnungen ganz oben leer stehen, weil ein unverständliches Wispern durch die Schornsteine in die Wohnungen kriecht, und das obwohl die alten Kachelöfen längst abtransportiert wurden und die rußigen Belüftungsschächte zugemauert sind. Diese Leute behaupten außerdem, dass sie sehr bald ausziehen werden und alles schon gepackt steht, neben der Tür, die sie immer verschlossen halten.
Nicht wegen dem Verkehr oder der Luftverschmutzung, nein, wegen dem, was da oben ist …

Wenn es wahr ist, was man so erzählt, dann hatten die beiden Kinder eine eigene Sprache entwickelt, als man sie schließlich fand, und der ganze Dachboden war mit Schwalbenfedern übersät. Einen Berg mit Spatzenköpfchen entdeckte man in einer Ecke, die auch als Notdurftstelle diente.
Und als würde das nicht reichen, um diesen, bis tief in die Poren des Betons verschmutzten Ort für immer verschlossen zu halten, fand man an der Westseite des Giebels die Knochen mehrerer abgetriebener Föten.
Man darf es gar nicht aussprechen, aber die kleinen Knochen wiesen Spuren menschlicher Zahnreihen auf.
Wer diese Kinder waren, lässt sich nicht einmal vermuten.
Ein bedrückendes Schweigen senkt sich jedes Mal auf die Hausbewohner, wenn man fragt, wer sie dort hinaufgeschafft haben mochte.
Und es macht den Weg die Treppe hinauf nicht angenehmer, wenn man darüber nachdenkt, ob die betreffende Person nicht hinter einer dieser Türen steht und einen durch den Spion hindurch beobachtet.

Das alles hat sich direkt an der Hauptstraße, mitten in der Stadt und an einem belebten Ort ereignet. An einem Ort, an dem man nachts glaubt, die Sonne müsse jeden Augenblick aufgehen.
So hell erstrahlt das mitternächtliche Leben.
Und es gibt eigentlich nichts, was einen beunruhigen könnte, wenn man abends vom Parkplatz durch die Unterführung geht.
Immer raschelt´s und klingelt´s irgendwo, eine Handbremse wird festgezogen, Motoren gehen grummelnd an, ein Fernlicht flammt auf.
Und nicht zu vergessen die hohen Hackenschuhe, die einsam das Kopfsteinpflaster nageln.

Nein, man kann eigentlich nicht behaupten, dass das Haus an der Hauptstraße so sehr beängstigend ist. Man steht eigentlich nur da, die Hände tief in den Hosentaschen und findet´s irgendwie romantisch, wenn die Lichter nacheinander ausgehen und die Straßenlaternen zu summen beginnen.

Trotzdem befällt einen jedes mal ein Schauer, wenn die Schwalben unter dem Dach zu kreischen beginnen…
 
O

Orangekagebo

Gast
Hallo Marcus,

ich habe Deinen Text zwei Mal gelesen und dennoch gruselt es mich nicht.
Vielleicht habe ich Horror erwartet, oder Psycho, aber die Mystik um den alten Dachboden hat mich nicht gepackt.
Eventuell einfach zu erzählend, aber auch da fehlt das Feuer vom Meer der Halme und vom Schwarzen Gott.

Gruß, Karsten
 
Ja, Karsten,

es ist ein ganz anderer Stil - was zum Ausprobieren. In jedem Fall aber ist diese Art zu schreiben erzählender. Sie kommt sozusagen eher aus der Vorlese-, als aus der Leseecke.

Werde mal sehen, wohin mich dieses kleine Experiment führt.

Mit freundl. Grüssen,

Marcus
 



 
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