Unter dem First

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Joh

Mitglied
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Unter dem First


Du hast mir die Wohnung überschrieben, ein Geschenk. Oder ein Splitter, gepflanzt in meine Zufriedenheit, habe ich mich zuerst gefragt, als ich es schon wußte. Deinen Blick auf mein ausgefülltes Leben auffing, in dem du immer am Rande mitgeschwommen bist.

Ich habe auch das Gedächtnis deiner Räume übernommen, und steige die vielen Stufen zu dir hinauf. Unter dem First finde ich deine Speicherträume, darf endlich darin suchen, wie nie in dir. Speicher an Speicher, auf Tuchfühlung durch den Maschenzaun neben Nachbarn, die du ignoriert hast, damit sie dein Leben nicht verstören.

Unter dem Dach atmet das Haus Staub. Stauraum des Vergessens, statt es zu entsorgen, gespeichert, zum wieder hervorholen, entdecken lassen. Wartet auf neugierige Hände, die sich selbst wieder ausgraben, in den Kartons nach Träumen suchen, oder Entdeckungen machen von Wurzeln, die sie nie kennenlernten. Trauer, die darauf wartet, endlich den letzten Faden loszulassen, fortgehen zu lassen, auch verzeihen. Schätze, die längst keine mehr sind, noch daran erinnern, wie schwer es war, sie endlich nach Hause zu tragen. Rasch oxydiert, aber vielleicht leuchten sie wieder in Augen der Nachkommenden. Alte Kleider, Enthäutungen, aus Scham versteckt. Niemand, auch nicht die eigenen Augen sollen noch sehen können, aus welchem Leben, welchem Körper man heraus gewachsen ist. Zwischen Fliegendreck und Staubflocken in Spinnennetzen, die Fäden vom Gestern zu den Enkeln spinnen. Mit dem alten Hut den Großvater überstülpen, den mütterlichen Brautkranz, ganz vergilbt, wie ihr Mädchengesicht auf dem Foto. Dazwischen kleine Schätze von Fortgezogenen, die vielleicht wieder zurückkommen, um sich wiederzufinden. Bis dahin fremden Händen und Gedanken überlassen, die in Fragmenten stöbern. Der Reiz des erlaubten Spionierens, Wertloses wieder ins Licht stellen - oder es endgültig fortgeben.

Nun liegst du bloß vor mir, dein Verlorenes, zusammen mit dem Pullover in die Kiste mit den Motten gelegt. Damals, nach dem Urlaub am Mittelmeer, als du sagtest, du wolltest nicht den Duft des Feuers vom Sommer in den Winter tragen. Vielleicht hattest du damit unsere Nächte schon beiseite gelegt. Ein langer Sommer, den ich noch zwei Winter in deinen stetig spröder werdenden Armen festzuhalten versuchte, bevor ich meine wunde Haut zu deinen nichtssagenden Geschenken in einen Karton legte - und hier herauf trug. Meine Tränen sind darauf gefallen, in der Schrankecke von den Motten zerkrümelt und zwischen die Bodenbretter gerieselt.

Du hast die alte Apothekerkommode in den Schatten an die Wand gerückt. Daneben lugt durch den Nachbarkäfig der Erinnerungen ein Plastiksack, aus dem mir ein Teddyohr zuwinkt. Ein Stück Schlaftierkindheit, unvergeßlicher Trost für tränenreiche Kümmernisse unter der Bettdecke, salzig im Plüschfell verborgen, was nicht in Erwachsenenohren geflüstert werden konnte. Schlummernd, bis ein Kind kommt und es wieder wachküßt. Ich werde sentimental, lache in mich. Ob die Saat in dir vertrocknet ist, weil du immer noch den verlassenen Jungen in dir trugst? So daß wir die Träume von Kinderfüßen auf dem Speicher begruben, vor uns versteckten, weil ich das Warten nicht mehr ertrug.

Ich ziehe eine Schublade auf, finde mich darin. Alles, was ich dir nach diesem Sommer aus dem Herzen schenkte, hast du weggesperrt. Sorgfältig abgelegt auch die Briefe, die ich dir schrieb, als du schon vorbei gehört hast. Einige ungeöffnet, wie dein Gefühl für mich, vergessen sagtest du, was du nie gelesen.

Dazwischen alte Fotos Deiner Großmutter, die mit dem Duft im Haar, die Wangen zerfurcht wie die Kiefernstämme, in deren Schatten sie lebte. Hast sie nach Jahren wieder vorgeklaubt, mir gezeigt, als es dir grau wurde, um die wunden Schläfen. Hinter denen sich deine Einsamkeit in einem Knoten auswucherte, den man nicht herausschneiden konnte. Durch die Risse in der Schale hättest du hinausschlüpfen sollen, doch selbst meine Wärme hatte das nicht vermocht. Nur Tränen liefen endlich heraus.

Nicht alle mitgenommen von deiner Mutter, als sie einfach so ging, und dich dem Wald und deiner Großmutter überließ. Die den Duft der Bäume ins Haar gewaschen hatte und dich in ihre nadeligen Arme nahm, dich mit Pilzen und rauher Schale fütterte, an die du dich immer wieder schmiegtest und deine Haut schürftest. Zwei Verlassene fanden in stachliger Umarmung das Einzige, was sie noch spüren konnten. Sie wußte, daß deine Wunden so nicht heilen würden, und doch hätte sie dich niemals fortgegeben. Die Frucht ihrer Tochter, die sie an Mannes statt behielt und geliebt die Arme schloß. Der Mann, der unter dem Waldboden schlummerte, von seinem Stein aus, das dunkle Glück im Blick. Und du bist nur dieses eine Mal zurückgekehrt, als du sie begraben mußtest, unter dem Stein deines Großvaters. Wieder beisammen - und du bliebst endgültig allein. All das nur in Nebensätzen mit einem Lächeln erzählt, das so falsch war in deinen Augen, mit jedem Erzählen starben sie ein wenig mehr.

Zum ersten Mal sprachst du davon, als du wieder in der Stadt warst, hast mich gesucht, mich angerufen. Die Jahre dazwischen habe ich fortgewischt mit deiner Trauer, dich in den Arm genommen, dich zu meinem Freund gemacht. Immer deine dünne Wand zwischen uns, sind wir Hand in Hand weitergegangen. Ich wuchs in mir, habe dich mit durch andere Beziehungen genommen. Du warst irgendwann nur noch eine Hülle, die den Knoten im Kopf herumtrug, der dich aß.

Ich bin neugierig auf die anderen Schubladen, finde in der Nächsten Briefe, unfrankiert an eine mir Unbekannte, einen feinen Wollschal, noch duftend zwischen den Mottenlöchern, Notizzettel mit Mädchenhandschrift. Ich stöbere weiter in den Kammer, mit den sorgfältig sortiert Abgelegten. Viele ungeschickte Briefe, vergilbend, wie deine Sehnsucht, die dich fortzog und nie ankommen ließ, bei deinen Gefühlen. Hast sie versteckt durch die Nacht getragen, um Luft zu schnappen, von den Frauenkörpern, schlafende Puppen zwischen deinen zerknüllten Laken.

Oder warum hast du nie wieder von ihnen gesprochen, deinen schönen Orden, die du noch frisch vor mir ausgebreitet hast. Ich habe dir gesagt, daß ich mich freue, wenn es dir gut geht. Geglaubt hast du es nicht, dachtest ich verstecke meine Eifersucht, obwohl du doch fühlen mußtest, daß dir nur ein Teil meiner Liebe gehört, dem guten Freund.

Jetzt könnte ich dir nah sein, wären wir nicht endgültig auseinander gelebt. Ich werde dich den Spinnenwächtern überlassen, in eine Ecke gerückt, mit einem Tuch umhüllt, damit du endlich in mir schlafen kannst. Bevor ich es mir in deinem kalten Kokon gemütlich mache, mein Leben in deiner Schale ausbreite und die Fenster öffne, um das hereinzulassen, was du nie spüren konntest, weil du die Augen vor dem Verlassen geschlossen hast. Nicht sehen konntest, was du an Farben, mit denen du deine Welt hättest streichen können, ausgesperrt hast.

Er behält seine Sehnsucht
in frankierten Briefen
die in der Schublade vergilben
trägt sie durch Nachtstraßen
in Gesprächen hinter
glänzenden Phrasen versteckt
damit sie ihren
bittersüßen Geschmack behält
nicht in Enttäuschung ertrinkt
erwidert er Blicke auf Frauen
Lippen ohne Augenlächeln
legt sich nur zu Körpern ins Bett



Johanna Pless
7.2008



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noel

Mitglied
wunberbare bildworte,des textes


feine metaphern, gute verdichtungen...

nur der erste absatz scheint etwas verquer... vielleicht fehlt nur ein komma
aber er lässt sich nicht so aufnehmen wie der rest

& eines ist gewiss
ich werde ihn ein 2. mal lesen
 

Joh

Mitglied
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Unter dem First


Du hast mir die Wohnung überschrieben, ein Geschenk. Oder ein Splitter, gepflanzt in meine Zufriedenheit, das habe ich mich gefragt, als ich es schon wußte, deinen Blick auf mein ausgefülltes Leben auffing, in dem du immer am Rande mitgeschwommen bist.

Ich habe auch das Gedächtnis deiner Räume übernommen, und steige die vielen Stufen zu dir hinauf. Unter dem First finde ich deine Speicherträume, darf endlich darin suchen, wie nie in dir. Speicher an Speicher, auf Tuchfühlung durch den Maschenzaun neben Nachbarn, die du ignoriert hast, damit sie dein Leben nicht verstören.

Unter dem Dach atmet das Haus Staub. Es wartet Vergessenes, statt es zu entsorgen, gespeichert, zum wieder hervorholen, entdecken lassen. Harrend auf neugierige Hände, die sich selbst wieder ausgraben, in den Kartons nach Träumen suchen, oder Entdeckungen machen von Wurzeln, die sie nie kennenlernten. Trauer, die darauf wartet, endlich den letzten Faden loszulassen, fortgehen zu lassen, auch verzeihen. Schätze, die längst keine mehr sind, noch daran erinnern, wie schwer es war, sie endlich nach Hause zu tragen. Rasch oxydiert, aber vielleicht leuchten sie wieder in Augen der Nachkommenden. Alte Kleider, Enthäutungen, aus Scham versteckt. Niemand, auch nicht die eigenen Augen sollen noch sehen können, aus welchem Leben, welchem Körper man heraus gewachsen ist. Zwischen Fliegendreck und Staubflocken in Spinnennetzen, die Fäden vom Gestern zu den Enkeln spinnen. Mit dem alten Hut den Großvater überstülpen, den mütterlichen Brautkranz, ganz vergilbt, wie ihr Mädchengesicht auf dem Foto. Dazwischen kleine Schätze von Fortgezogenen, die vielleicht wieder zurückkommen, um sich wiederzufinden. Bis dahin fremden Händen und Gedanken überlassen, die in Fragmenten stöbern. Der Reiz des erlaubten Spionierens, Wertloses wieder ins Licht stellen - oder es endgültig fortgeben.

Nun liegst du bloß vor mir, dein Verlorenes, zusammen mit dem Pullover in die Kiste mit den Motten gelegt. Damals, nach dem Urlaub am Mittelmeer, als du sagtest, du wolltest nicht den Duft des Feuers vom Sommer in den Winter tragen. Vielleicht hattest du damit unsere Nächte schon beiseite gelegt. Ein langer Sommer, den ich noch zwei Winter in deinen stetig spröder werdenden Armen festzuhalten versuchte, bevor ich meine wunde Haut zu deinen nichtssagenden Geschenken in einen Karton legte - und hier herauf trug. Meine Tränen sind darauf gefallen, in der Schrankecke von den Motten zerkrümelt und zwischen die Bodenbretter gerieselt.

Du hast die alte Apothekerkommode in den Schatten an die Wand gerückt. Daneben lugt durch den Nachbarkäfig der Erinnerungen ein Plastiksack, aus dem mir ein Teddyohr zuwinkt. Ein Stück Schlaftierkindheit, unvergeßlicher Trost für tränenreiche Kümmernisse unter der Bettdecke, salzig im Plüschfell verborgen, was nicht in Erwachsenenohren geflüstert werden konnte. Schlummernd, bis ein Kind kommt und es wieder wachküßt. Ich werde sentimental, lache in mich. Ob die Saat in dir vertrocknet ist, weil du immer noch den verlassenen Jungen in dir trugst? So daß wir die Träume von Kinderfüßen auf dem Speicher begruben, vor uns versteckten, weil ich das Warten nicht mehr ertrug.

Ich ziehe eine Schublade auf, finde mich darin. Alles, was ich dir nach diesem Sommer aus dem Herzen schenkte, hast du weggesperrt. Sorgfältig abgelegt auch die Briefe, die ich dir schrieb, als du schon vorbei gehört hast. Einige ungeöffnet, wie dein Gefühl für mich, vergessen sagtest du, was du nie gelesen.

Dazwischen alte Fotos Deiner Großmutter, die mit dem Duft im Haar, die Wangen zerfurcht wie die Kiefernstämme, in deren Schatten sie lebte. Hast sie nach Jahren wieder vorgeklaubt, mir gezeigt, als es dir grau wurde, um die wunden Schläfen. Hinter denen sich deine Einsamkeit in einem Knoten auswucherte, den man nicht herausschneiden konnte. Durch die Risse in der Schale hättest du hinausschlüpfen sollen, doch selbst meine Wärme hatte das nicht vermocht. Nur Tränen liefen endlich heraus.

Nicht alle mitgenommen von deiner Mutter, als sie einfach so ging, und dich dem Wald und deiner Großmutter überließ. Die den Duft der Bäume ins Haar gewaschen hatte und dich in ihre nadeligen Arme nahm, dich mit Pilzen und rauher Schale fütterte, an die du dich immer wieder schmiegtest und deine Haut schürftest. Zwei Verlassene fanden in stachliger Umarmung das Einzige, was sie noch spüren konnten. Sie wußte, daß deine Wunden so nicht heilen würden, und doch hätte sie dich niemals fortgegeben. Die Frucht ihrer Tochter, die sie an Mannes statt behielt und geliebt die Arme schloß. Der Mann, der unter dem Waldboden schlummerte, von seinem Stein aus, das dunkle Glück im Blick. Und du bist nur dieses eine Mal zurückgekehrt, als du sie begraben mußtest, unter dem Stein deines Großvaters. Wieder beisammen - und du bliebst endgültig allein. All das nur in Nebensätzen mit einem Lächeln erzählt, das so falsch war in deinen Augen, mit jedem Erzählen starben sie ein wenig mehr.

Zum ersten Mal sprachst du davon, als du wieder in der Stadt warst, hast mich gesucht, mich angerufen. Die Jahre dazwischen habe ich fortgewischt mit deiner Trauer, dich in den Arm genommen, dich zu meinem Freund gemacht. Immer deine dünne Wand zwischen uns, sind wir Hand in Hand weitergegangen. Ich wuchs in mir, habe dich mit durch andere Beziehungen genommen. Du warst irgendwann nur noch eine Hülle, die den Knoten im Kopf herumtrug, der dich aß.

Ich bin neugierig auf die anderen Schubladen, finde in der Nächsten Briefe, unfrankiert an eine mir Unbekannte, einen feinen Wollschal, noch duftend zwischen den Mottenlöchern, Notizzettel mit Mädchenhandschrift. Ich stöbere weiter in den Kammer, mit den sorgfältig sortiert Abgelegten. Viele ungeschickte Briefe, vergilbend, wie deine Sehnsucht, die dich fortzog und nie ankommen ließ, bei deinen Gefühlen. Hast sie versteckt durch die Nacht getragen, um Luft zu schnappen, von den Frauenkörpern, schlafende Puppen zwischen deinen zerknüllten Laken.

Oder warum hast du nie wieder von ihnen gesprochen, deinen schönen Orden, die du noch frisch vor mir ausgebreitet hast. Ich habe dir gesagt, daß ich mich freue, wenn es dir gut geht. Geglaubt hast du es nicht, dachtest ich verstecke meine Eifersucht, obwohl du doch fühlen mußtest, daß dir nur ein Teil meiner Liebe gehört, dem guten Freund.

Jetzt könnte ich dir nah sein, wären wir nicht endgültig auseinander gelebt. Ich werde dich den Spinnenwächtern überlassen, in eine Ecke gerückt, mit einem Tuch umhüllt, damit du endlich in mir schlafen kannst. Bevor ich es mir in deinem kalten Kokon gemütlich mache, mein Leben in deiner Schale ausbreite und die Fenster öffne, um das hereinzulassen, was du nie spüren konntest, weil du die Augen vor dem Verlassen geschlossen hast. Nicht sehen konntest, was du an Farben, mit denen du deine Welt hättest streichen können, ausgesperrt hast.

Er behält seine Sehnsucht
in frankierten Briefen
die in der Schublade vergilben
trägt sie durch Nachtstraßen
in Gesprächen hinter
glänzenden Phrasen versteckt
damit sie ihren
bittersüßen Geschmack behält
nicht in Enttäuschung ertrinkt
erwidert er Blicke auf Frauen
Lippen ohne Augenlächeln
legt sich nur zu Körpern ins Bett



Johanna Pless
7.2008



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Joh

Mitglied
Hallo Noel,

ich danke Dir!

Du hattest recht mit dem ersten Absatz, ich habe ihn noch einmal geändert, ich denke, jetzt fließt er.

ein Gruß an Dich, Johanna
 



 
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