Unter den Petzern

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Unter den Petzern​
von Nora Wind

[ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4]Petze-Petze ging in’ Laden,
[ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4]Wollt’ für ’n Sechser Petze haben.
[ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4]Petze-Petze gab es nicht.
[ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4]Petze-Petze mag ich nicht.



[ 4]Es war ein schöner sonniger Maitag. Ostern und kaltes Wetter waren vorüber. Auf den Straßen sah man Menschen mit unterschiedlicher Kleidungsmut: von Grobstrickjacken und Stiefeln bis zu den kurzarmigen T-Shirts und Flipflops. Die Sonne tat ihr Bestes und ließ die gestressten Gesichter der Städtler frischer und entspannter werden, zumindest so lange, bis sie in ihren Büros, Geschäften und Ämtern verschwanden.
[ 4]An diesem Tag fuhr Marie ins Geschäft, wo sie arbeitete und welches in einer der lebhaftesten Straßen der Stadt lag. An solch sonnigen und warmen Tagen ist in den Geschäften immer was los, besonders in den Schuhgeschäften. Marie arbeitete in einem solchen. Sie war freundlich, aufgeschlossen und wurde von den meisten Kollegen und Kunden gemocht. Sie betrat den Laden und merkte sofort: „Hier stimmt doch was nicht." Die Kollegen waren distanziert und sahen sie fast ängstlich an. Marie kannte diesen Blick und wusste gleich, dass der Geschäftsleiter mal wieder schlechte Laune hatte.
[ 4]Der Geschäftsleiter Herr Schiedmann war ein kleiner rundlicher Mensch mit dürftigem Haarwuchs und großen leeren Augen. Er war immer gestresst und fast immer schlecht gelaunt. Marie fragte sich oft, woran das liegen könnte. An solch stressigen Tagen gaben sich alle bei der Arbeit viel Mühe, und die Einnahmen bestätigten das. Die Laune von Herrn Schiedmann wurde aber nicht besser. Die einzige Erklärung, die Marie fand, war, dass er mit sich selbst unzufrieden war und seine Minderwertigkeitskomplexe auf die anderen projizierte. Herr Schiedmann spürte es und hatte deshalb eine Hass-Angst-Haltung Marie gegenüber. Seine Leitungsposition gab ihm die Möglichkeit, diesen Hass in vollem Maße auszuüben und zu genießen. Dabei manipulierte er auch die anderen, indem er sie zum Petzen und Provozieren ermutigte. Und wenn Marie nach der nächsten Schikane oder Provokation „platzte“ und ihre Meinung laut sagte, wurde sie einem der fast in regelmäßigen Abständen geführten Gespräche – einer Art verbaler Folter – mit Herrn Schiedmann und seinem Freund und Vorgesetzen Herrn Hail unterzogen.
[ 4]In diesen Gesprächen gab Herr Schiedmann seinem Hass freien Lauf und petzte, was das Zeug hält. Alles, was Marie gestern, vor einer Woche, einem Monat oder sogar einem Jahr zu einer Kollegin im Vertrauen gesagt hatte, kam aus seinem zu kurz geschnittenen Mund heraus. Herr Hail nickte und bemühte sich seinerseits Marie dazu zu bewegen aufzugeben, was das eigentliche Ziel dieser Gespräche war.
[ 4]Den Job zu verlieren bedeutete für Marie den Glauben an die Menschen zu verlieren, die ja nicht alle und nicht immer Petzer sind. Außerdem soll man zwei Sorten von Petzern unterscheiden: die hoffnungslosen, die an Petzen erkrankt sind wie die Kleptomanen an Kleptomanie, und diejenigen, die aus Angst um ihren Arbeitsplatz petzen und unter einer fairen und klugen Leitung ganz andere Menschen wären. Daran glaubte Marie und noch daran, dass man auch im Land der Petzer den Glauben und die Hoffnung nicht verlieren darf.
 



 
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