Unterhaltung im Cafe´

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Unterhaltung im Cafe´

Es war an einem warmen Sommertag. In einem Cafe´ der Innenstadt saßen zwei Männer am Fenster. Sie kannten sich nicht. Da das Cafe´ voll besetzt war, konnte keiner einen Tisch für sich allein beanspruchen. Beide Herren hatten ein Stück Torte und ein Kännchen Kaffee vor sich stehen. Durch das Fenster konnten sie das pulsierende
Straßenleben betrachten.

Die Menschen kamen mit prallgefüllten Tüten und Taschen vorbei. Sie betrachteten die Auslagen in den Schaufenstern. Viele Eltern hatten die Kinder zum Einkaufsbummel mitgenommen. Hunde tollten herum. In der Ladezone stand ein kleiner Lastwagen. Pakete wurden auf eine Stechkarre geladen. Durch dieses lebhafte Gewimmel wurden einige Kinderwagen geschoben.

Das Cafe´ lag in der Fußgängerzone des Einkaufszentrums. In seiner Mitte sprudelte, von einem Blumenbeet umgeben, ein kleiner Springbrunnen.

Wie soll man sich die beiden Männer nun eigentlich vorstellen?

Herr Bürgerlein war dick und relativ klein. Sein breites Gesicht wurde durch ein wuchtiges Doppelkinn abgeschlossen. Behäbig verzehrte er ein Stück Käsekuchen. Alles, was außerhalb seines Privatlebens lag, nahm er mit größter Gleichgültigkeit zur Kenntnis. Er nahm das Leben mit seinen vielfältigen Problemen auf die leichte Schulter. Herr Bürgerlein war ein schrecklicher Phlegmatiker.

Herr Ehrsam war groß und schlank. Um seine Mundwinkel lag ein melancholischer Zug. Er war recht sensibel und nahm das Leben mit seinen vielseitigen Problemen sehr schwer. Manchmal sah er dort Probleme, wo eigentlich keine vorhanden waren. Herr Ehrsam war Melancholiker.

Die beiden Herren sahen einander aufmerksam an. Nun begann Herr Ehrsam mit herzenswarmer Stimme ein Gespräch. „Während wir hier gemütlich sitzen und das bunte Straßenleben betrachten, gibt es in verschiedenen Teilen der Welt Krieg“. Mit träger Stimme antwortete Herr Bürgerlein: „ Es hat immer schon Kriege gegeben. Es wird immer wieder Kriege geben. Daran lässt sich nichts ändern“.

Herrn Ehrsam ging diese gleichgültige Einstellung gegen den Strich. Er meinte: „Sie sehen das etwas zu einfach. Wir sind alle für den Frieden verantwortlich. Der Frieden fängt bei den Familien an und endet in der Weltpolitik“.
Herr Bürgerlein nahm einen Schluck Kaffee. Dann erklärte er, während er mit Mühe ein Gähnen unterdrückte: „ Mit der Weltpolitik habe ich nichts zu tun. Dafür sind doch die Politiker verantwortlich“.
Herr Ehrsam musste sich ganz gewaltig zusammenreißen, um nicht vor Wut aufzuspringen. Mit einer vor Wut unterdrückten Stimme meinte er: „Natürlich haben sie mit der Weltpolitik nichts zu tun. Aber wir tragen doch alle Verantwortung. Schließlich werden die Politiker gewählt. Wenn es selbst in der Familie keinen Frieden gibt, kann es auch in der Weltpolitik keinen Friedengeben. Wir können alle etwas tun. Zum Beispiel können wir für den Frieden beten“.
Gelangweilt versetzte Herr Bürgerlein: Wenn sie etwas für den
Frieden tun wollen, ist das ihre Sache. Ich kann sie nicht daran hindern. Dann beten sie doch für den Frieden“
Gereizt erkundigte sich Herr Ehrsam: „Nehmen sie eigentlich alles so gleichgültig zur Kenntnis? Haben sie denn überhaupt keine Verantwortung für andere Menschen?“
Leicht aufgebracht entgegnete Herr Bürgerlein: „Nun werden sie bloß nicht unverschämt. Weshalb soll ich mich denn mit den Problemen der Anderen befassen? Dafür gibt es doch Institutionen. Ich habe mit meinen eigenen Problemen genug zu tun“.
Mit vor Wut hochrotem Kopf entfuhr es Herrn Ehrsam „Ich bin nicht unverschämt geworden. Das eigentliche Problem besteht darin, dass sie alles mit Gleichgültigkeit zur Kenntnis nehmen. Die Gleichgültigkeit ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Das ist ja gerade das, woran unsere Gesellschaft so furchtbar krankt.“
Mit einem breiten Grinsen meinte Herr Bürgerlein: „Nun gut, wenn der Mensch krank ist, dann muss er eben zum Arzt“.
Herr Ehrsam blies die Luft aus. Er atmete schwer. Eigentlich wollte er mit der flachen Hand auf den Tisch schlagen. Dann aber fiel ihm noch rechtzeitig ein, dass er mitten in seine Schwarzwälder Kirschtorte schlagen würde. Er aß ein Stück davon, nahm einen Schluck Kaffee, und fuhr mit ruhiger Stimme fort: „Jeder fruchtbare Dialog mit ihnen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Das kommt daher, weil sie alle Probleme außerhalb ihrer Privatsphäre mit größter Gleichgültigkeit zur Kenntnis nehmen“.
Der Phlegmatiker Bürgerlein wollte sich durch ein problembeladenes Gespräch auf keinen Fall aus der Fassung bringen lassen. Deshalb stellte er in aller Gemütlichkeit fest: „Mich interessiert das nicht, was sie von mir halten. Für mich kommt es nur darauf an, dass ich gut zu essen und zu trinken habe, eine vielseitige und elegante Garderobe habe, eine schöne Wohnung habe, nach Möglichkeit problemlose Kinder habe und schöne Urlaubsreisen machen kann. Alle weiteren Probleme interessieren mich nicht. Dafür gibt es ja Institutionen.“
Herr Ehrsam wusste, dass es keinen Zweck mehr hatte, sich noch weiter aufzuregen. Das würde nur seinen Blutdruck erhöhen. So sagte er denn gefasst: „Sie stehen mit ihrer Einstellung keineswegs allein. Die meisten Leute denken so wie sie. Der Mensch kann sich für sein Geld sehr viel kaufen. Doch gibt es Dinge, die man niemals kaufen kann. Dazu gehört die innere Ausgeglichenheit, die Harmonie, die Fähigkeit, sich an den kleinen Dingen des Lebens zu erfreuen und einiges mehr“.
Herr Bürgerlein meinte gleichgültig: „Wenn es Dinge gibt, die man nicht kaufen kann, lässt sich daran eben nichts ändern.“
Nach dem bisherigen Dialog war Herr Ehrsam über diese gleichgültige Antwort nicht mehr erstaunt. Er wusste zu genau, dass er bei seinem Gegenüber nichts Positives erreichen würde. So fuhr er denn fort: „Die Dinge, die ich vorhin aufzählte, gehören zum inneren Reichtum. Zum äußeren Reichtum dagegen gehört das, was sie vorhin als Lebensinhalt aufzählten“.
Herr Bürgerlein schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, nahm Zucker und Milch, tat einen Schluck und meinte trocken: „Natürlich kann es sein, dass es die inneren Werte gibt. Aber dafür kann ich mir doch nichts kaufen“
Gefasst erklärte Herr Ehrsam: „Dann sind wir uns darüber einig, das wir bei unserem Dialog zu keinem fruchtbaren Ergebnis kommen können“.
Gleichgültig erwiderte Herr Bürgerlein: „Dann sind wir uns darüber einig“.

dichter johannes
 

aboreas

Mitglied
Toll!

Über das aktuelle Thema Frieden zur Gleichgültigkeit zu gelangen, das finde ich gut gelungen.

Herr Bürgerlein als Quasi-Nachfolger des "alten" Bürgertums ist natürlich eher ein Kleinbürger. Letztendlich ist das Herr Bürgerlein ein konfliktscheuer Mensch. Durch seine zur Schau getragene Gleichgültigkeit vermeidet er Anteilnahme an den Problemen dieser Welt. Auch das finde ich gut getroffen.

Hat Spaß gemacht zu lesen.

Gruß. abo

PS: Eine klitzekleine stilistische Meckerei: "tat einen Schluck" heißt: tut einen Schluck. Tut, tut, das Auto! Vielleicht solltest man besser schreiben: nahm einen Schluck. Kleinigkeiten :rolleyes:
 

petrasmiles

Mitglied
Eine schöne Geschichte ...

... und kurzweilig.
Gegen Ende fiel mir auf, dass es die einführende Charakterisierung vielleicht gar nicht braucht. Vielleicht die Beschreibung der Typen von außen, aber die von innen entwickelst Du ja später im Dialog selbst.
Das war mir eingangs nicht aufgefallen, aber im Nachhinein kommt es mir vor, als sei es besser, dem Leser diese Kategorisierung zu überlassen.
Oder was meinst Du?

Liebe Grüße
Petra
 



 
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