Varna

teccla

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Varna

In einer leichten Kurve fliegen wir über Varna, ehe wir den kleinen Landeplatz erreichen. Ich sehe aus dem Kabinenfenster und bin seltsam berührt. Die Sicht ist an diesem frühen Morgen klar. Die Stadt in der sanft schwingenden Bucht, die sich einladend dem schwarzen Meer öffnet, schlummert noch.
Wie viele Jahre ist es her, da ich zum letzten Mal in die bulgarische Küstenstadt reiste?
Erinnerungen werden wach.
Mein Urlaub war damals schon fast vorbei als ich ihn kennen lernte.
Die See funkelt verlockend tiefblau im Sonnenlicht. Kleine Wellen umspülen den Strand, an dem wir so oft die Sonne wärmend auf der Haut spürten. An diesem Strand sprach er mich damals an…
Auch heute läßt der strahlend blaue Himmel kein Wölkchen erkennen. Feinweißer Sand säumt ausladend breit das Ufer und lädt zum Erholen ein.
In Erinnerung schwelgend, sehe ich sie noch vor mir, Ball spielende Kinder, hohe Sandburgen, die gelben Sonnenschirme und sich im Wasser balgende Jugendliche.
Wir lagen auf unserer Badematte und genossen Augenblicke der Nähe. Auf dem Bauch liegend, blinzelte er mich hinter seinen ausgestreckten Armen mit schwarzen Augen an. Wenn er sprach, lachten kleine Grübchen links und rechts neben den sinnlich geformten Lippen. Ich liebte diese Grübchen.
Das Ufer läuft flach in das Meer. Erst nach etwa fünfzig Metern ist das Wasser zum Schwimmen tief genug. Wir hatten Spaß daran, in das Meer zu laufen. Wenn eine Welle kam sprangen wir hoch und ließen uns von ihr zum Strand zurück tragen. Wie Kinder jauchzten wir und fanden kein Ende.
An manchen Tagen war die See zu rau und aufgewühlt für den Wassersport. Von den kleinen Aussichtstürmen der Bademeister, die in Abständen von hundert Meter zwischen den Restaurants über die Sicherheit der Gäste wachen, wehte dann die schwarze Fahne. An solchen Tagen wanderten wir, dankbar für den frischen Seewind, die weite Bucht entlang, bis uns Felsen den Weg versperrten und wir umkehrten.
Abends gingen wir am Ufer in eines der zahlreichen kleinen Restaurants, die eingefasst wie Perlen an einer Kette, eingekleidet in sattem Grün tropischer Pflanzen und umhüllt vom Zauber der Musik, mit erfrischenden Getränken auf uns warteten.
Ein weißer runder Spazierweg zieht um den herzförmigen Swimmingpool seine Bahn. Mitten über dieses Bassin führt eine kleine Holzbrücke.
Es ist „unsere“ Brücke.
Dort küssten wir uns das erste Mal in einer der milden Sommernächte. Wir waren berauscht vom Wein, der Musik und dem Tanz. Trunken von Romantik.

Es hat sich wenig verändert in den all den Jahren. Nur am Swimmingpool kann ich zwei große, neue erbaute Wasserrutschen erkennen.
Viele Palmen und Orangenbäume säumen noch immer die weißen eingefassten Wege und Stufen aus Muschelkalk.
Wie oft sind wir wohlig müde diese Pfade heimwärts gelaufen …
Das Hotel erhebt sich wie ein einsamer weißer Turm, der gegen die hohen Berge im Hintergrund und der üppig grünenden Natur ringsumher, trotzig die moderne Zivilisation verteidigt. Das Gebirge scheint sich jedoch nicht um diesen Betonbau zu kümmern, es gleitet anmutig ins Meer, als wäre es Teil eines riesigen Tieres, das seine Beine im kühlen Nass baumeln lässt.
Da fallen mir die Nachmittage ein, an denen wir auf die Hügel ritten. Der Klang der Hufe auf weichem Waldboden, das sanfte Schaukeln auf dem Rücken der Pferde.

Die Mole, die weit ins Meer hinaus führt, war tagsüber der Treffpunkt der Hobbyfotografen. Man hat dort den besten Ausblick auf die Bucht.
Nachts jedoch war es der Ort für ein Stelldichein der Liebespärchen. Sie lauschten dem Lied der Wellen, gaben den Sternen ihre Namen oder flüsterten dem Wind ihre Träume zu.
Auch wir schlenderten verliebt Hand in Hand den Kai entlang. Saßen dann, die Beine baumelnd, Arm in Arm ineinander versunken und verabschiedeten den Tag.
Vom Ufer grüßten die Lichter der Laternen und leise klang Gitarrenmusik zu uns.
Ich sehe noch die kleinen Spiegel aus Tränen in seinen Augen als wir uns \"Lebewohl“ sagten. Er wollte meine Hand nicht loslassen. Ich konnte mich nicht abwenden, als würde ein Band uns fesseln und für immer aneinander schmieden.
An diesem Tag war uns noch nicht bewusst, es war ein Abschied für immer.

Nun landen wir gleich auf dem Flugplatz außerhalb der Stadt.
Ich werde seinen Atem spüren, in den engen gewundenen Gassen, die hinter der Strandpromenade mit ihren vielen kleinen Geschäften zum Bummeln einladen, in jedem Winkel dieser idyllischen Bucht. Die Palmen werden von ihm flüstern. Der Wind wird meine Haut so sanft streicheln wie es seine Hand tat. Wenn ich in die Wellen laufe, werde ich seine Stimme hören. Und die Mole wird sich zu mir umdrehen und nach ihm fragen.
Die kleine Brücke wird vergeblich auf ihn warten und vielleicht stöhnt sie seine Abschiedsworte unter meinen Schritten. Die weißen Wolken am Himmel werden seinen Mund formen. Das Sonnenlicht flimmert im Blätterdach der Bäume mit seinen Augen.
In dem kleinen Strandlokal mit dem blau weißgestreiften Sonnendach zwischen den hohen Palmen werde ich hinter einem Oleanderstrauch sitzen, den verliebten Paaren zusehen, roten Wein trinken und die Geige wird wehmütig von seiner Liebe singen.
Nur in den Bergen werde ich nicht wandern, dort wo er verunglückte.
Er lebt in meinen Gedanken weiter und Varna ist mit seinem Namen verbunden.
 



 
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