Verdächtig

Anonym

Gast
„Jochen, du bist dran!“
Lautes Gegröle ertönt, und Konrad klopft auf die dunkle, lange Tischplatte der Kegelbahn.
„Du weißt doch: bei einer Pumpe ist wieder eine Runde Jägermeister angesagt!“
Jochen verzieht seine Lippen zu einem schmalen Strich, als er sich von seinem Platz erhebt, und Richtung Kegelbahn geht. Konrads Kugel rollt gerade geräuschvoll an der Bahn zum Ausgangspunkt zurück. Nach seiner obligatorischen Geste, den Pony aus dem Gesicht zu streichen, greift Jochen zur vordersten Kugel und dreht sie in seiner rechten Hand in die richtige Position.
„Wir bestellen schon mal…“, sage ich und greife zum Bahntelefon.
„Bringen Sie uns zehn Jägermeister?“
„Okay, kommt sofort!“, antwortet die weibliche Stimme der Bedienung, ehe ich den Hörer auflege.
Jochen steht vor der Bahn, schwingt seinen Wurfarm mit der Kugel und lässt los.
Die Kugel rollt mit Getöse über die polierte Bahn, und landet durch ihrem Rechtsdrall in der Gosse.
Nach insgesamt sieben Jägermeistern ist das Treffen eben nicht mehr so einfach…
Alle Männer aus unserem Kegelclub grölen, und klopfen mit den Fäusten auf die Tischplatte, als Jochen zu seinem Platz am Tisch zurückkehrt.
Die Bedienung steht plötzlich mit einem Tablett in der Hand neben dem Tisch. Durch den Lärmpegel habe ich ihr Eintreten nicht einmal bemerkt. Sie arbeitet erst seit drei Monaten hier im Lokal. Eine Augenweide ist sie, und sie heißt Simone. Ihre kurzen Haare sind bei dem diffusen Licht am Tisch kaum als rötlich auszumachen.
Simone verteilt die Runde Jägermeister, und stellt gerade bei Jochen einen Stamper ab. Jochen grinst Simone an, ehe er mir zuzwinkert…
Simone verlässt mit flotten Schritten den Raum.
„Prost!“
Jochen hebt sein Glas an, eher der Inhalt in seinem Mund verschwindet, und jeder von uns macht es nach: Ex und Hopp.
Jochen verzieht die Lippen und schüttelt sich. Während Hermann, unser Kegelvater, zur Bahn schreitet, setzt Jochen sich auf den freien Platz neben mir.
„Soll ich dir was sagen?“, raunte er mir zu. Ich sehe ihn an. Seine blauen Augen haben so einen wässrigen Rand, und seine Aussprache wirkt eine Spur lallend.
„Die Simone… in Wirklichkeit…“
„Was ist in Wirklichkeit?“
„Ich kann dir sagen, was ich gesehen habe!“
„Was denn?“, frage ich und starre zur Tischplatte. Die Kräuterliköre zeigen Wirkung.
„Homanns Busch, das Waldstückchen vorm Venn… ihr Auto stand vorgestern dort… Aber es stand nicht allein dort… Da parkte noch ein Wagen mit Hamburger Kennzeichen, und in dem ging es gerade richtig zur Sache… Wenn du mich fragst: Sie ist eine Professionelle, aber hier macht die ein auf Jungfrau von Orleon…“
„Das ist mir neu…“
Ich sehe Jochen an. Es muss stimmen; Jochen erzählt keine Lügengeschichten!
„Unsere Bahnzeit ist um! Norbert, rufst du bitte die Bedienung zum Abrechnen an?“
„Mache ich!“
Ich wähle, und Simone nimmt ab.
„Einmal abrechnen!“
„Komme sofort!“
Es dauert, ehe Simone bei uns auf der Kegelbahn auftaucht, und bei jedem einzelnen die Summe auf den Pappdeckeln zusammenrechnet. Jetzt endlich ist sie bei mir angekommen.
„Einmal abhalten?“
„Nein, du kleine, geile Nutte…“
Simone schluckt. Ihr Gesicht wird nicht einmal rot…
„Ich wollte noch einen Absacker trinken, ehe meine Frau mich abholt.“

Ein heller Lichtschein dringt unter meinen geschlossenen Augenlidern an die Augen. Kopfschmerzen. Elendige Kopfschmerzen…
Ich schlage nur zögernd die Augen auf. Mir gegenüber ist eine gelbe Wand, und ich liege im Bett. Nein, mein Schlafzimmer ist es nicht…
Da sitzt jemand am Bett und hält meine Hand…
Kopf langsam drehen. Es dröhnt unwahrscheinlich im Kopf…
„Na, du keine, geile Nutte?“
Eine Frauenstimme nach Luft schnappen hören. Bekannte Stimme.
„Ich bin doch deine Frau, die Moni! Warum hast du mich so genannt??“

Schon mal gehört… Die Augenlider fallen mir zu, als wären sie aus Stein.
„Warum hast du mich so genannt?“
Simone. Sie steht mit einem leeren Tablett auf der Kegelbahn, um den Tisch abzuräumen, aber sieht mich an.
Finger vor den Mund halten.
„Ich möchte es wissen!“
„Ich bin betrunken…“
„Das ist kein Argument! Du hast mich Nutte genannt… Warum?“
„Du hast dich nur verhört! Ich habe gesagt: du kleines Mäuschen…“
Simone heftet ihre blauen Augen auf mich.
„Ich weiß, was ich gehört habe: Nutte!“
„Oh man! Aus welchem Grund sollte ich so etwas zu dir sagen?“
„Ich weiß es nicht, aber du hast es gesagt!“
„Nenne mir einen Grund dafür! Es gibt keinen!“
„Oh doch… Es wird einen Grund geben, sonst hättest du es nicht gesagt!“
„Dann nenne ihn mir!“
„Ich weiß es nicht! Vielleicht, weil ich so aussehe, als wäre ich eine, oder weil du mein Auto irgendwo stehen gesehen hast.. Weißt du überhaupt, welches Auto ich fahre?“
Simone ist ziemlich gefasst. Falten sind auf ihrer Stirn zu erkennen, und sie sieht mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten kann. Sie zeigt mir große, blaue Augen, die mich im Visier haben, und ich weiß, dass sich hinter ihnen etwas verbirgt… Aber was?

Große, braune Augen, die mich anstarren. Ich weiß, dass sich dahinter etwas verbirgt. Jetzt sehe ich eine Träne am Augenrand…

Augen, die mir zufallen. Simone hatte keine Träne am Augenrand, als sie den Raum verließ…
Ich nehme mein Handy aus der Hülle und rufe Moni an.
„Kannst mich abholen kommen…“
Das Gespräch beenden, und zur Theke gehen.
Jochen sitzt auch noch dort. Er leert ein Glas Bier.
„Ich gehe jetzt…“
„Komm, ein Bier können wir noch zusammen trinken. Bis Moni zu Fuß hier ist, das dauert…“
Jochen nickt, und ich bestelle zwei Bier und zwei Jägermeister.
Harmloses Fußballgeplänkel, bis die Gläser geleert sind, und Jochen verabschiedet sich.
Ich bestelle noch ein Bier und bezahle die offenen Getränke, als das Handy vibriert.
„Ja?“
„Du Norbert, ich sag dir was: vor dem Lokal parkte der Hamburger Wagen… Die saubere Simone bedient hier nebenbei die Hotelgäste!“
„Kann sein. Sie ist nicht mehr hier…“
Nachdenklich schalte ich das Handy aus und nippe an meinem Bier, als die Gaststättentür geöffnet wird.
„Hallo“
Ich drehe mich langsam um; Moni hat gegrüßt. Sie steht jetzt neben mir; ein drängender Blick, und vom Wind leicht zerzauste Haare.
Ja, ja, ich beeile mich ja schon…
Das leere Bierglas auf die Theke stellen.
„Tschüß, und einen schönen Abend!“
Moni hakt sich mit ihrem Arm unter meinem Arm ein und zieht mich regelrecht aus der Gaststube hinaus. Sie öffnet die Gaststättentür, und kalter Nachtwind schlägt mir entgegen. Hammerschlag, bei der Menge Alkohol in meinem Blut.
Der Hamburger Wagen. Nur ein Mann zu sehen…
Ob Jochen sich verguckt hat? Oder Simone hat ihre Arbeit bei ihm schon erledigt…
Die Stufe… die verdammte Stufe…
Zack…

Die Augenlider bewegen sich und Licht strömt zu meinen Augen. Ich schlage die Augen auf und sehe Moni an.
Da ist keine Träne mehr am Augenrand zu sehen.
„Du hast gestern Abend die Stufe übersehen, bist auf dem Hinterkopf gefallen. Warst sogar bewusstlos… Jetzt bist du im Krankenhaus… vielleicht etwas verwirrt…“
Braune Augen, hinter denen sich eine Aussage verbirgt…
Ich könnte es andeuten… Und dann?
„Ich hielt Simone für eine Nutte, aber das ist sie nicht… sie ist eine Hexe…“
 



 
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