Verdammt guter Abend wird das!

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Bad Rabbit

Mitglied
Mole war schlecht drauf und stieß darum härter zu als gewöhnlich. Percys gesamter Körper war verkrampft, während er seine Hände in die Matratze krallte und sein Gesicht in das Kissen drückte, um einen Schrei zu unterdrücken. Einige sagen, sie denken sich weg, zu ihren Familien oder in schöne Erinnerungen, wenn es passiert. Percy Woznyk dachte nur daran, wie er Mole im Schlaf aufschlitzen würde. Draußen, in der echten Welt, würde dieser verdammte Nigger nur in irgendeinem Keller Kohle schaufeln und abends mit gesenktem Kopf zu seiner Niggerfrau und seinen Niggerkindern nach Hause gehen. Und er würde ihn, Percy, mit Sir ansprechen! Das Problem war: Hier gab es jede Menge Nigger, und wenn er Mole auch nur ein Haar krümmte, würden sie wie hungrige Wölfe über ihn herfallen. Lieber war er nur Moles Hure, als die des halben Blocks.
Moles Bewegungen wurden ruckartiger, und nach ein paar letzten, besonders starken Stößen sackte er schließlich auf Percys Rücken zusammen. Percy löste die Verkrampfung seines Körpers. Alles schmerzte und sein Arschloch war das Epizentrum.
„Das tat gut“, stöhnte Mole und zog seinen Schwanz heraus. Percy dachte an eine Wurst in einem zu engen Darm.
Darm, wie witzig.
„Es geht doch nichts über den Arsch eines Kindermörders“, sagte Mole mit unangenehm zärtlicher Stimme und streichelte Percy über die Wange.
Ich habe meinen Sohn nicht ermordet! Er hatte seinen Sohn geliebt. Über alles. Seine Frau dagegen hatte es verdient. Sie hatte ihn betrogen. Sie hatte mit ihren Freundinnen über ihn gelästert. Sie hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass sie ihn nur wegen seines guten Jobs geheiratet hatte. Percy drückte sich hoch und setzte sich auf die Bettkante.
„Mistkerl!“, murmelte er.
„Wie war das?“, fragte Mole mit übertriebener Lehrerstimme.
„Nichts, Sir“, antwortete Percy lauter.
Mole stand jetzt direkt vor ihm, in seiner ganzen schwabbeligen, verschwitzten Pracht, und hielt ihm seinen Elefantenpimmel direkt vor die Nase. Feucht. Stinkend.
„Saubermachen“, befahl Mole.
„Ja, Sir“, sagte Percy und machte sich an die Arbeit.


Für diese Woche war Percy in der Wäscherei eingeteilt - leider auch an dem Tag, an dem Johnny Cash seinen Auftritt hatte, aber Aufseher Wilson hatte versprochen, dass sie das Konzert über die Lautsprecher mithören dürften.
„Woznyk!“, schallte es plötzlich.
Scheiße, was jetzt? dachte Percy und ging zu Wilson, den er mit einem respektvollen „Sir?“ grüßte.
Wilson kontrollierte irgendeine Liste auf einem Klemmbrett, während er zu Percy sagte: „Wir brauchen noch vier Stühle für das Konzert. Du gehst mit Aufseher Thompson in den Keller und holst sie, kapiert?“
„Ja, Sir“, antwortete Percy unbewusst in militärischem Ton und folgte Thompson zum Keller. Nach einem Abstieg in die Katakomben von San Quentin mussten sie ein paar Minuten, Stunden für Percy, durch die engen Gänge gehen, bis sie den Lagerraum erreichten. Percy hasste es dort unten. Es war feucht, es war dunkel und überall lauerten Ratten und anderes Ungeziefer. Die Gänge schienen unendlich weiter zu gehen und das schwache Licht der nackten Glühbirnen, die von der Decke hingen, ließ die dunklen Winkel noch dunkler erscheinen, anstatt den Raum mit schützendem Licht zu erfüllen. All dies erinnerte ihn zu sehr an den Krieg.
„Stapel vier von den Stühlen und dann nichts wie raus hier“, sagte Thompson, dem es hier unten ebenfalls nicht zu gefallen schien. Percy hatte schon drei Stühle gestapelt und wollte grade nach einem vierten greifen, als etwas sein Ohr streichelte. Ein warmer Lufthauch. Feucht. Zärtlich. Die verheißungsvolle Zunge einer geübten Hure.
„Was zum ...“
Er ging auf die Wand zu und schob einigen Ramsch beiseite, um zu sehen, woher dieser Luftzug gekommen war. Er spürte ein Kribbeln in der Brust. Aufregung. Nervosität. Er musste jetzt ganz ruhig bleiben. Ein Loch! Ein Loch. Ein verdammtes Loch in der verdammten Wand, unter dem verdammten Tisch, und er spürte einen verdammten Luftzug. Das konnte nur eines bedeuten …
„Gibts ein Problem?“, durchschnitt Thompsons Stimme scharf die Luft.
„Nein, nichts, Sir. Nur eine richtig fette Ratte“, sagte Percy schnell und schnappte sich den erstbesten Stuhl, bevor der Aufseher nachschauen kam, was da war.
Als sie den Raum verließen, streifte ein letzter Hauch Percys Ohr. Er flüsterte zum Abschied.


Dieses Mal dachte er nicht daran, wie er Mole umbringen würde. Er dachte an das Loch. Wohin es führen würde. Der Lufthauch bedeutete, dass es irgendwo hinführen musste. Im schlimmsten Fall würde er irgendwo innerhalb von San Quentin rauskommen. Im besten Fall würde er irgendwo außerhalb von San Quentin rauskommen. Dann war da noch das Flüstern. Er hatte es gehört. Es hatte ihn eingeladen.
„Komm wieder!“, hatte es in sein Ohr gehaucht.
„Komm wieder!“
Er schreckte hoch und stieß mit dem Hinterkopf gegen etwas, das mit einem Knacken nachgab. Er hatte es gehört. Hier! In dieser Zelle!
„Du Arschloch!“, stöhnte Mole. „Dafür bist du dran!“
Mole rutschte von ihm herunter und stellte sich neben das Bett, so dass Percy ihn sehen konnte. Blut lief aus Moles Nase.
„Du kleiner weißer Wichser hast mir die Nase gebrochen!“
Percy schluckte. Er hörte die anderen Gefangenen rufen:
„Mach in fertig!“
„Schlag ihm die Fresse ein!“
„Prügel die Scheiße aus ihm heraus!“
Und genau das geschah. Als Mole schließlich seine riesigen Hände um Percys Hals legte und zudrückte, verlor er endlich das Bewusstsein.


Als er aufwachte schaute er in das Gesicht seiner toten Frau. Er atmete scharf ein, wollte schreien, doch er brachte nur ein Röcheln zustande.
"Sie sind also endlich wach?", sagte sie gelangweilt.
"Die Betäubung klingt in ein paar Stunden ab."
Dann bemerkte er die weiße Schürze. Eine Krankenschwester? Natürlich. Und schon auf den zweiten Blick sah sie seiner Frau nur noch ähnlich. Er hätte sie hübsch gefunden, wenn ihr Gesichtsausdruck nicht ihre totale Gleichgültigkeit offenbart hätte. Während sie an seinem Tropf herumfummelte, fasste Percy einen Entschluss: Er würde in das Loch gehen.
Wenn er darin verreckte: Was solls.
Wenn er auf der Flucht erschossen wurde: Gut.
Wenn er es nach draußen schaffte: Besser.
Auf keinen Fall würde er sich eine weitere Nacht von Mole ficken lassen. Was auch immer dort unten passierte, er würde es schaffen. Er war in Korea durch die Hölle gegangen. Er war durch die Hölle einer beschissenen Ehe gegangen. Er war wegen seiner Nutte von Ehefrau durch die Hölle im Knast gegangen. Er würde noch einmal durch die Hölle gehen, aber diesmal nur für sich selbst. Als freier und glücklicher Mann zu sterben war sein verdammtes Recht. Zufrieden mit sich und seiner Entscheidung lächelte er. Die Krankenschwester trat an den Rand seines Blickfeldes, und als sie ihm einen Moment später wieder vor die Augen trat, war sie seine Frau. Sie schaute ihn auf diese teils herablassende, teils wohlwollende Art an, die er immer gehasst hatte.
"Wusstest du, dass diese fünfundvierziger Patronen echt stark sind?", sagte sie mit dieser gespielten Freundlichkeit, mit der sie immer mit den Nachbarn auf Grillparties geschwatzt hatte, nur um später über sie zu lästern.
"Die gehen durch alles durch", fuhr sie fort. "Holz, Ziegel, Ehefrauen - und wenn dahinter noch ein Kind steht ..."
Sie seufzte wehleidig.
Lass mich einfach in Ruhe.
Er schloss die Augen und dachte an das Loch. Es flüsterte ihm Zärtlichkeiten ins Ohr, und er lauschte begierig.


Die Arbeit in der Wäscherei ging diesmal langsamer von statten, weil die Mannschaft Johnny Cash lauschte. Er spielte grade I Walk the Line, und die Gefangenen im Saal jubelten vor Begeisterung. In der Wäscherei pfiffen ein paar Gefangene mit, sangen leise vor sich hin oder wippten mit dem Kopf. Die Wachen ermahnten sie nur halbherzig, weil auch sie lieber bei dem Konzert gewesen wären.
„Jetzt oder nie“, murmelte Percy und ging auf Aufseher Thompson zu, auf dessen jungenhaftem Gesicht sich sofort Misstrauen und Wachsamkeit zeigten.
„Was ist los, Woznyk?“, fragte dieser argwöhnisch, die Hand an der Waffe.
„Ich glaube, ich habe im Keller das Foto von meiner Tochter verloren, Sir.“
„Und was soll ich da tun?“, fragte der Aufseher, dessen Ton verriet, dass er es bereits wusste.
„Ich hatte gehofft, Sie könnten mit mir noch einmal runtergehen, damit ich es suchen kann.“
„Sehe ich aus wie dein Nigger, Woznyk?“, fragte Thompson ärgerlich.
„Nein, Sir. Ich ...“
„Ich mach das schon“, sagte plötzlich einer der anderen Aufseher im Raum, ein kleiner Mann in den Sechzigern. Wie war doch gleich sein Name, BelFleur, LaFleur?
„Ein junger Kerl wie Sie versteht das noch nicht. Außerdem will ich weg von dieser Musik. Wenn es nach mir ginge, dann würden wir diesen Cash gleich hier behalten!“ Dann, zu Percy: „Gehen wir!“
„Danke, Sir“, sagte Percy mit einem dankbaren Lächeln im Gesicht und einem Gefühl der Erleichterung im Bauch. Er besaß kein Foto seiner Tochter. Sie war immer auf der Seite ihrer Mutter gewesen, hatte ihn nicht einmal besucht und war auf dem College eine von diesen Baumknutscherinnen geworden, die sich wahrscheinlich in diesem Augenblick von einem langhaarigen Muttersöhchen vögeln ließ, während sie einen Joint nach dem anderen rauchte.
Im Keller ging der Aufseher hinter Percy, um sich von ihm führen zu lassen. Percy vermutete, dass der Alte die ganze Zeit seine Hand auf der Waffe hatte.
„Hier ist es, Sir.“
„Okay, du hast zwei Minuten.“
Percy ging in den Abstellraum und tat als würde er suchen, blickte dabei aber immer wieder verstohlen zu der Stelle an der sich das Loch befand.
„Ja, hier bin ich“, flüsterte er zärtlich zurück.
Inzwischen verkündete Johnny Cash, dass er seine Gedanken zu San Quentin in einem Lied verarbeitet habe.
„Na, das wird bestimmt witzig“, sagte Percy.
„Was?“ fragte der Aufseher.
„Na das Lied. Johnny Cash. Klingt vielversprechend.“
„Du hast gute Ohren, Junge. Ich hör kein bisschen hier unten.“
Auch egal, dachte Percy.
Unter dem Tisch, vor dem Loch, stand ein rostiger Eimer, welcher mit Bauschutt gefüllt war. Oben auf lag ein abgebrochener Ziegelstein.
Noch kannst du zurück. Du musst nur sagen, dass du das Bild nicht gefunden hast.
„Nein, du willst hier her“, hauchte etwas in sein Ohr. Das Gefühl ließ ihn augenblicklich hart werden.
„Sir, das sollten sie sich ansehen!“, rief Percy zu BelFleur (oder LaFleur, oder was auch immer).
„Ok, tritt zurück, Junge!“, befahl der Aufseher, ging zu dem Tisch hinüber und ging in die Hocke.
„Aber hier ist doch gar ...“
Als der Ziegel den Hinterkopf des Aufsehers traf, ertönte ein Knacken als wäre jemand auf einen trockenen Zweig getreten, bevor er wie eine mit Sand gefüllte Puppe umfiel.
„So viel zum Umkehren“, sagte Percy grinsend und wandte sich zu dem Loch. Oben stimmte Johnny Cash sein Lied an. Hier unten nahm Percy die Taschenlampe aus der Hand des Aufsehers und leuchtete in das Loch. Das Ende des Tunnels konnte er nicht sehen. Der Querschnitt war ein perfekter Kreis, der Durchmesser grade groß genug zum Kriechen und die Wände waren gerillt, so als wäre jemand mit einem riesigen Bohrer zu Gange gewesen. Percy fragte sich, wer es gegraben hatte und warum, doch das süße Flüstern aus dem Loch verdrängte diese Fragen wieder. Er atmete noch einmal tief durch, dann kroch er hinein.
San Quentin, you've been livin' hell to me.
Jubel. Percy lächelte.
Genau, Johnny, so ist es.
Kriechen. Kein Ende in Sicht. Weiterkriechen.
I've seen 'em come and go and I've seen them die,
And long ago I stopped askin' why.

„Ich auch, man. Ich auch.“
San Quentin, I hate ev'ry inch of you.
Frenetischer Jubel von den Gefangenen.
Plötzlich spürte er wieder diesen feuchten (geilen) Hauch, doch diesmal schien er aus der anderen Richtung zu kommen.
Von hinten?
Und warum konnte er das Konzert noch immer hören als wäre er dort oben? Wieder der Hauch, doch diesmal war er anders. Auch wurde es immer wärmer. Dieser Geruch …
Er kroch schneller.
San Quentin, what good do you think you do?
Do you think that I'll be different when you're through?

Jubel dort oben, Nervosität hier unten. Angst hatte Percy noch nicht, aber er war kurz davor, welche zu bekommen. Er spürte es jetzt öfter, der Geruch wurde stärker, und es kam noch immer aus der falschen Richtung.
„Nein, nein, nein, das ist alles falsch!“, rief Percy ängstlich, als er versuchte, sich umzudrehen, er sich stattdessen aber nur den Kopf stieß und die Hände aufschürfte.
Die Enge. Die feuchten Wände. Warum war ihm das vorher nicht aufgefallen? Und dieser Geruch …
Der Strahl der Taschenlampe streifte seine Hand. Was er sah, ließ seinen Verstand eine Vollbremsung machen. Sie war alt und seine Fingernägel waren lang.
You bend my heart and mind and you warp my soul,
Your stone walls turn my blood a little cold.

„Was zum ...“ jammerte er, und nun fiel ihm auf, dass seine Stimme ebenfalls alt und brüchig klang. Er quetsche seinen Arm an seinem plötzlich sehr gebrechlich wirkenden Körper entlang, um seinen Kopf betasten zu können. Er spürte tiefe Falten in seinem Gesicht. Er spürte lange fettige Haare auf seinem Kopf. Er zog sich eine Strähne in sein Blickfeld, um festzustellen, dass sie von hellem Grau war.
„Nein, nein, nein!“
Percy Woznyk, may you rot and burn in hell.
Das Publikum war nicht mehr zu halten. Percy schmerzten die Ohren von lautem Jubel. Sein Herz blieb beinahe stehen vor Angst. Dann erstarrte er. Etwas hatte seinen Fuß berührt. Bevor er sich entschließen konnte weiter zu kriechen, wurde er nach unten gedrückt, während sich etwas an seinem Rücken entlang arbeitete. Etwas Fleischiges, Warmes und Feuchtes. Er schrie, als sich dieses Ding an seinem Kopf vorbei schlängelte und er die Spitze aus widerlich dunkelgrünem Fleisch sehen konnte. Er schrie wie er noch nie geschrien hatte, bis sich diese Spitze in seinen Mund schob. Innerlich schrie er weiter, als er etwas gegen seinen Hosenboden drücken spürte. Als er hörte, wie der Stoff seiner Hose riss. Als etwas in seinen Arsch eindrang und nicht aufhörte und immer dicker wurde, (Oh Gott, nein, bitte nicht!) und er schließlich den Geruch erkannte, den Geruch von Moles Schwanz. Dann bewegte es sich in ihm und er schmeckte den bekannten Geschmack und mit jedem Stoß bewegte er sich vorwärts, tiefer in das Loch, dessen Ende er jetzt sehen konnte, und nur schemenhaft das, was dort wartete und flüsterte (Kein Gott) und flüsterte (Saubermachen).
San Quentin, you are livin' hell to me.
Ohrenbetäubender Jubel. Johnny Cash bedankte sich.
Das Publikum war einfach spitze.
 
Wow! Eine intensive Geschichte, die rockt unglaublich. Ab der Szene, als Mole ihn bewusstlos schüttelt, wirkt es ein wenig "unüberarbeitet". Hier und dort würde ich an den Formulierungen arbeiten und die paar Rechtsschreibfehlerchen eleminieren.
Beispiel:
Er war in Korea durch die Hölle gegangen. Er war durch die Hölle einer beschissenen Ehe gegangen. Er war wegen seiner Nutte von Ehefrau durch die Hölle im Knast gegangen. Er würde noch einmal durch die Hölle gehen, aber diesmal nur für sich selbst. Als freier und glücklicher Mann zu sterben war sein verdammtes Recht.Zufrieden mit sich und seiner Entscheidung lächelte er.

Da wird aus meiner Sicht nicht so 100% klar, dass er sich bisher immer als Opfer sieht und das jetzt ändern will. Auch der Übergang zum letzten Satz ist suboptimal.

Ein wenig stellt sich mir die Frage nach dem Sinn der Geschichte. Warum ist er auf einmal alt?

Auf jeden Fall eine starke Story, die Feinarbeit hätte sie verdient.
 
Ich muss hier auch noch mal kurz einhaken, weil ich über diese anonyme 6 nicht fertig werde und weil die Geschichte noch ein paar lobender Worte bedarf.

Also die Geschichte ist kontrovers, das steht mal fest. Anders kann ich mir diese seltsame( im übrigen völlig ungerechtfertigte) Bewertung auch nicht erklären. Aber gut, eine Geschichte, die Meinungen teilt ist eine außergewöhnliche Geschichte, deshalb verleihe ich deiner Story hiermit offiziell(bevor jemand anderes es tut) das Prädikat Geheimtipp und besonders wertvoll.

Ich habe eine ganze Weile herum überlegt, warum die Geschichte mich nicht gleich zu diesem Beifallssturm hingerissen hat. Dafür gibt es einen klaren Grund, der in Michaels Kritik überhaupt erst (und um so klarer) greifbar wurde. Denn der Schluss ist einfach mal schwierig, wie man so schön sagt. Er ist nicht schlecht. Ich frage mich nach mehrmaligem Lesen sogar, ob er nicht gut ist und sich einfach ziert, also schwierig sein will - jedenfalls wenn man ihn gegen die restlichen 2/3 deiner Geschichten stellt(die, das muss ich einfach so sagen, ganz große Textarbeit ist). Hier konkurieren ein bisschen zwei Stile miteinander - der unterhaltsame/kommerzielle und der aufrührerische/rebellische. Der Schluss ist also in sehr gutem Sinne unkommerziell und wie gesagt, sehr schön kontrovers. Deshalb ist er aber lange nicht genial, aber ziemlich gut - vielleicht sogar besser, das muss jeder Leser für sich selbst herausfinden. Jedenfalls schmälert dieses rebellische Ende keineswegs die Ausführung und die Idee, die hinter dem Schlussakkord deiner Kurzgeschichte steckt. Denn natürlich finden wir im Schluss von Verdammt guter Abend wird das! eine zweite Ebene, in der der Autor, also du, uns, also dem Leser, ein Spiegelbild der "tatsächlichen" Realität präsentiert. - Man könnte an diesem Punkt natürlich ganz tief in die Struktur deiner Geschichte eintauchen und darin herumbohren. Aber ich will es kurz machen und nur sagen, so schwer ist der Schluss dann doch nicht zu verstehen, denn schließlich geht es ums gefickt werden, darum, das ganze Leben gefickt zu werden, bis man alt ist, bis einem die Haut in Falten liegt und man auf dem Boden herum kriecht. Welche feine Nuance der geneigte Leser jetzt im Detail dem Inhalt beimengen möchte, überlasse ich der Phantasie jedes einzelnen und möchte nur hinzufügen, ja, manchmal kommt man nur auf Knien aus einem sehr niedrigen Zimmer heraus und man kann nur hoffen, dass sich irgendwo in der Wand ein Loch auftut, in das man hinein kriechen möchte, weil einem der Teufel im Nacken sitzt.

Und dieser Gedanke ist natürlich spitze, keine Frage - besser aber diese noch: Will ich eine angepasste, schön gedrechselte und unterhaltsame Geschichte lesen, in der ich am Ende schmunzeln muss? NÖ. Hast du damit alle Anforderungen, die ich als Leser an dich als Autor stelle erfüllt? ÄHM - JO!
Also komme ich nach einfachem Ausschlussverfahren zu dem Schluss, dass deine Geschichte genial ist. Sie ist nicht kommerziell, nicht pflegeleicht. Gut. Das ist eben so und dadurch wird sie eben auch nie die ganz große Leserschaft finden, aber wer weiß. Jedenfalls, klar hätte deine Geschichte das Potential, ganz großes Kino zu werden, also beim Leser die Lichter auszuschalten, den Film ablaufen zu lassen - und einfach weiter zu kriechen und immer weiter, wenn du verstehst, was ich meine.

Jaja, jedenfalls hat deine Geschichte das Zeug dazu, wahrscheinlich ist es das, was Micha meint, wenn er schreibt, die Geschichte bedürfte noch der Feinarbeit. Ich bin mir da nicht mehr ganz so sicher - ja, Rechtschreibung klar, das ist der Tunnel, durch den jeder Autor durch kriechen muss - aber was du am Inhalt ändern könntest überlasse ich guten Gewissens deinen fähigen Händen und Gedanken, denn hier gilt wie immer, der Autor ist der Hexenmeister seines Werkes.

Also, nochmal dankeschön für die gute Geschichte und noch schnell zum Abschluss - die Sache mit Jhonny Cash und seinem San Quentin-auftritt ist hier natürlich in wunderbar klassischer Weise in den Text eingeflossen - auch das hab ich ganz selten aus deutscher Feder in solcher Perfektion gelesen.

Also, Hut ab und Grüsse,
Marcus
 
@Marucs (und natürlich auch Bad Rabbit): Die anonyme 6 sollte man nicht überbewerten (ich wars nicht, meine Wertungen sind immer öffentlich). Die Geschichte ist ja wirklich kein einfacher und gewöhnlicher Stoff und gerade das hebt sie aus der Masse heraus. Und natürlich spaltet das die Leser, das würde ich eher als Lob auffassen.
Ich meine übrigens mit der Feinarbeit nicht, die Geschichte in gewöhnliche Fahrwasser laufen zu lassen, sondern hier und da den ein oder anderen Gedankengang ein klitzekleines Stück weiter herauszuarbeiten. Stellenweise könnte es ein Stück weit ausführlicher sein, das würde auch im zweiten Teil noch die Atmosphäre erhöhen.

Das mit dem Alter werden und gefickt werden, was Marcus schreibt, da bin ich z.B. so nicht drauf gekommen. Ich bin jetzt auch ein Gegner davon, alles haarklein zu erklären und dem Leser präsentieren zu wollen. Aber man kann ruhig mal abklopfen, was kann man verstehen und wo muss man noch ein klein wenig deutlicher werden.

Die Geschichte hat es auf jeden Fall verdient, die letzten paar Prozent noch rauszukitzeln und ist in der jetzigen Form schon großes Kino.

Wäre auf jeden Fall was für Zwielicht.
 

Bad Rabbit

Mitglied
Michael:

Ich hab kein Problem mit einer anonymen 6 oder deiner Bewertung der Geschichte. Feilen kann man immer,ihr müsst euch da jetzt also nicht beharken. Obwohl ... ich freu mich, dass Leute über meine Geschichte diskutieren.
Wie gesagt: Besagte Stelle gefällt mir auch nicht zu 100% da geht vielleicht noch was.


Marcus:

So ein Lob habe ich noch nie für irgendwas geschriebenes bekommen und kann damit grade nicht umgehen. Danke!
 

Bad Rabbit

Mitglied
Mole war schlecht drauf und stieß darum härter zu als gewöhnlich. Percys gesamter Körper war verkrampft, während er seine Hände in die Matratze krallte und sein Gesicht in das Kissen drückte, um einen Schrei zu unterdrücken. Einige sagen, sie denken sich weg, zu ihren Familien oder in schöne Erinnerungen, wenn es passiert. Percy Woznyk dachte nur daran, wie er Mole im Schlaf aufschlitzen würde. Draußen, in der echten Welt, würde dieser verdammte Nigger nur in irgendeinem Keller Kohle schaufeln und abends mit gesenktem Kopf zu seiner Niggerfrau und seinen Niggerkindern nach Hause gehen. Und er würde ihn, Percy, mit Sir ansprechen! Das Problem war: Hier gab es jede Menge Nigger, und wenn er Mole auch nur ein Haar krümmte, würden sie wie hungrige Wölfe über ihn herfallen. Lieber war er nur Moles Hure, als die des halben Blocks.
Moles Bewegungen wurden ruckartiger, und nach ein paar letzten, besonders starken Stößen sackte er schließlich auf Percys Rücken zusammen. Percy löste die Verkrampfung seines Körpers. Alles schmerzte und sein Arschloch war das Epizentrum.
„Das tat gut“, stöhnte Mole und zog seinen Schwanz heraus. Percy dachte an eine Wurst in einem zu engen Darm.
Darm, wie witzig.
„Es geht doch nichts über den Arsch eines Kindermörders“, sagte Mole mit unangenehm zärtlicher Stimme und streichelte Percy über die Wange.
Ich habe meinen Sohn nicht ermordet! Er hatte seinen Sohn geliebt. Über alles. Seine Frau dagegen hatte es verdient. Sie hatte ihn betrogen. Sie hatte mit ihren Freundinnen über ihn gelästert. Sie hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass sie ihn nur wegen seines guten Jobs geheiratet hatte. Percy drückte sich hoch und setzte sich auf die Bettkante.
„Mistkerl!“, murmelte er.
„Wie war das?“, fragte Mole mit übertriebener Lehrerstimme.
„Nichts, Sir“, antwortete Percy lauter.
Mole stand jetzt direkt vor ihm, in seiner ganzen schwabbeligen, verschwitzten Pracht, und hielt ihm seinen Elefantenpimmel direkt vor die Nase. Feucht. Stinkend.
„Saubermachen“, befahl Mole.
„Ja, Sir“, sagte Percy und machte sich an die Arbeit.


Für diese Woche war Percy in der Wäscherei eingeteilt - leider auch an dem Tag, an dem Johnny Cash seinen Auftritt hatte, aber Aufseher Wilson hatte versprochen, dass sie das Konzert über die Lautsprecher mithören dürften.
„Woznyk!“, schallte es plötzlich.
Scheiße, was jetzt? dachte Percy und ging zu Wilson, den er mit einem respektvollen „Sir?“ grüßte.
Wilson kontrollierte irgendeine Liste auf einem Klemmbrett, während er zu Percy sagte: „Wir brauchen noch vier Stühle für das Konzert. Du gehst mit Aufseher Thompson in den Keller und holst sie, kapiert?“
„Ja, Sir“, antwortete Percy unbewusst in militärischem Ton und folgte Thompson zum Keller. Nach einem Abstieg in die Katakomben von San Quentin mussten sie ein paar Minuten, Stunden für Percy, durch die engen Gänge gehen, bis sie den Lagerraum erreichten. Percy hasste es dort unten. Es war feucht, es war dunkel und überall lauerten Ratten und anderes Ungeziefer. Die Gänge schienen unendlich weiter zu gehen und das schwache Licht der nackten Glühbirnen, die von der Decke hingen, ließ die dunklen Winkel noch dunkler erscheinen, anstatt den Raum mit schützendem Licht zu erfüllen. All dies erinnerte ihn zu sehr an den Krieg.
„Stapel vier von den Stühlen und dann nichts wie raus hier“, sagte Thompson, dem es hier unten ebenfalls nicht zu gefallen schien. Percy hatte schon drei Stühle gestapelt und wollte grade nach einem vierten greifen, als etwas sein Ohr streichelte. Ein warmer Lufthauch. Feucht. Zärtlich. Die verheißungsvolle Zunge einer geübten Hure.
„Was zum ...“
Er ging auf die Wand zu und schob einigen Ramsch beiseite, um zu sehen, woher dieser Luftzug gekommen war. Er spürte ein Kribbeln in der Brust. Aufregung. Nervosität. Er musste jetzt ganz ruhig bleiben. Ein Loch! Ein Loch. Ein verdammtes Loch in der verdammten Wand, unter dem verdammten Tisch, und er spürte einen verdammten Luftzug. Das konnte nur eines bedeuten …
„Gibts ein Problem?“, durchschnitt Thompsons Stimme scharf die Luft.
„Nein, nichts, Sir. Nur eine richtig fette Ratte“, sagte Percy schnell und schnappte sich den erstbesten Stuhl, bevor der Aufseher nachschauen kam, was da war.
Als sie den Raum verließen, streifte ein letzter Hauch Percys Ohr. Er flüsterte zum Abschied.


Dieses Mal dachte er nicht daran, wie er Mole umbringen würde. Er dachte an das Loch. Wohin es führen würde. Der Lufthauch bedeutete, dass es irgendwo hinführen musste. Im schlimmsten Fall würde er irgendwo innerhalb von San Quentin rauskommen. Im besten Fall würde er irgendwo außerhalb von San Quentin rauskommen. Dann war da noch das Flüstern. Er hatte es gehört. Es hatte ihn eingeladen.
„Komm wieder!“, hatte es in sein Ohr gehaucht.
„Komm wieder!“
Er schreckte hoch und stieß mit dem Hinterkopf gegen etwas, das mit einem Knacken nachgab. Er hatte es gehört. Hier! In dieser Zelle!
„Du Arschloch!“, stöhnte Mole. „Dafür bist du dran!“
Mole rutschte von ihm herunter und stellte sich neben das Bett, so dass Percy ihn sehen konnte. Blut lief aus Moles Nase.
„Du kleiner weißer Wichser hast mir die Nase gebrochen!“
Percy schluckte. Er hörte die anderen Gefangenen rufen:
„Mach in fertig!“
„Schlag ihm die Fresse ein!“
„Prügel die Scheiße aus ihm heraus!“
Und genau das geschah. Als Mole schließlich seine riesigen Hände um Percys Hals legte und zudrückte, verlor er endlich das Bewusstsein.


Als er aufwachte schaute er in das Gesicht seiner toten Frau. Er atmete scharf ein, wollte schreien, doch er brachte nur ein Röcheln zustande.
"Sie sind also endlich wach?", sagte sie gelangweilt.
"Die Betäubung klingt in ein paar Stunden ab."
Dann bemerkte er die weiße Schürze. Eine Krankenschwester? Natürlich. Und schon auf den zweiten Blick sah sie seiner Frau nur noch ähnlich. Er hätte sie hübsch gefunden, wenn ihr Gesichtsausdruck nicht ihre totale Gleichgültigkeit offenbart hätte. Während sie an seinem Tropf herumfummelte, fasste Percy einen Entschluss: Er würde in das Loch gehen.
Wenn er darin verreckte: Was solls.
Wenn er auf der Flucht erschossen wurde: Gut.
Wenn er es nach draußen schaffte: Besser.
Auf keinen Fall würde er sich eine weitere Nacht von Mole ficken lassen. Was auch immer dort unten passierte, er würde es schaffen. Korea, eine beschissene Ehe, der Knast - nach alldem hatte er es verdient, als freier Mann zu sterben.
Zufrieden mit sich und seiner Entscheidung lächelte er. Die Krankenschwester trat an den Rand seines Blickfeldes, und als sie ihm einen Moment später wieder vor die Augen trat, war sie seine Frau. Sie schaute ihn auf diese teils herablassende, teils wohlwollende Art an, die er immer gehasst hatte.
"Wusstest du, dass diese fünfundvierziger Patronen echt stark sind?", sagte sie mit dieser gespielten Freundlichkeit, mit der sie immer mit den Nachbarn auf Grillparties geschwatzt hatte, nur um später über sie zu lästern.
"Die gehen durch alles durch", fuhr sie fort. "Holz, Ziegel, Ehefrauen - und wenn dahinter noch ein Kind steht ..."
Sie seufzte wehleidig.
Lass mich einfach in Ruhe.
Er schloss die Augen und dachte an das Loch. Es flüsterte ihm Zärtlichkeiten ins Ohr, und er lauschte begierig.


Die Arbeit in der Wäscherei ging diesmal langsamer von statten, weil die Mannschaft Johnny Cash lauschte. Er spielte grade I Walk the Line, und die Gefangenen im Saal jubelten vor Begeisterung. In der Wäscherei pfiffen ein paar Gefangene mit, sangen leise vor sich hin oder wippten mit dem Kopf. Die Wachen ermahnten sie nur halbherzig, weil auch sie lieber bei dem Konzert gewesen wären.
„Jetzt oder nie“, murmelte Percy und ging auf Aufseher Thompson zu, auf dessen jungenhaftem Gesicht sich sofort Misstrauen und Wachsamkeit zeigten.
„Was ist los, Woznyk?“, fragte dieser argwöhnisch, die Hand an der Waffe.
„Ich glaube, ich habe im Keller das Foto von meiner Tochter verloren, Sir.“
„Und was soll ich da tun?“, fragte der Aufseher, dessen Ton verriet, dass er es bereits wusste.
„Ich hatte gehofft, Sie könnten mit mir noch einmal runtergehen, damit ich es suchen kann.“
„Sehe ich aus wie dein Nigger, Woznyk?“, fragte Thompson ärgerlich.
„Nein, Sir. Ich ...“
„Ich mach das schon“, sagte plötzlich einer der anderen Aufseher im Raum, ein kleiner Mann in den Sechzigern. Wie war doch gleich sein Name, BelFleur, LaFleur?
„Ein junger Kerl wie Sie versteht das noch nicht. Außerdem will ich weg von dieser Musik. Wenn es nach mir ginge, dann würden wir diesen Cash gleich hier behalten!“ Dann, zu Percy: „Gehen wir!“
„Danke, Sir“, sagte Percy mit einem dankbaren Lächeln im Gesicht und einem Gefühl der Erleichterung im Bauch. Er besaß kein Foto seiner Tochter. Sie war immer auf der Seite ihrer Mutter gewesen, hatte ihn nicht einmal besucht und war auf dem College eine von diesen Baumknutscherinnen geworden, die sich wahrscheinlich in diesem Augenblick von einem langhaarigen Muttersöhchen vögeln ließ, während sie einen Joint nach dem anderen rauchte.
Im Keller ging der Aufseher hinter Percy, um sich von ihm führen zu lassen. Percy vermutete, dass der Alte die ganze Zeit seine Hand auf der Waffe hatte.
„Hier ist es, Sir.“
„Okay, du hast zwei Minuten.“
Percy ging in den Abstellraum und tat als würde er suchen, blickte dabei aber immer wieder verstohlen zu der Stelle an der sich das Loch befand.
„Ja, hier bin ich“, flüsterte er zärtlich zurück.
Inzwischen verkündete Johnny Cash, dass er seine Gedanken zu San Quentin in einem Lied verarbeitet habe.
„Na, das wird bestimmt witzig“, sagte Percy.
„Was?“ fragte der Aufseher.
„Na das Lied. Johnny Cash. Klingt vielversprechend.“
„Du hast gute Ohren, Junge. Ich hör kein bisschen hier unten.“
Auch egal, dachte Percy.
Unter dem Tisch, vor dem Loch, stand ein rostiger Eimer, welcher mit Bauschutt gefüllt war. Oben auf lag ein abgebrochener Ziegelstein.
Noch kannst du zurück. Du musst nur sagen, dass du das Bild nicht gefunden hast.
„Nein, du willst hier her“, hauchte etwas in sein Ohr. Das Gefühl ließ ihn augenblicklich hart werden.
„Sir, das sollten sie sich ansehen!“, rief Percy zu BelFleur (oder LaFleur, oder was auch immer).
„Ok, tritt zurück, Junge!“, befahl der Aufseher, ging zu dem Tisch hinüber und ging in die Hocke.
„Aber hier ist doch gar ...“
Als der Ziegel den Hinterkopf des Aufsehers traf, ertönte ein Knacken als wäre jemand auf einen trockenen Zweig getreten, bevor er wie eine mit Sand gefüllte Puppe umfiel.
„So viel zum Umkehren“, sagte Percy grinsend und wandte sich zu dem Loch. Oben stimmte Johnny Cash sein Lied an. Hier unten nahm Percy die Taschenlampe aus der Hand des Aufsehers und leuchtete in das Loch. Das Ende des Tunnels konnte er nicht sehen. Der Querschnitt war ein perfekter Kreis, der Durchmesser grade groß genug zum Kriechen und die Wände waren gerillt, so als wäre jemand mit einem riesigen Bohrer zu Gange gewesen. Percy fragte sich, wer es gegraben hatte und warum, doch das süße Flüstern aus dem Loch verdrängte diese Fragen wieder. Er atmete noch einmal tief durch, dann kroch er hinein.
San Quentin, you've been livin' hell to me.
Jubel. Percy lächelte.
Genau, Johnny, so ist es.
Kriechen. Kein Ende in Sicht. Weiterkriechen.
I've seen 'em come and go and I've seen them die,
And long ago I stopped askin' why.

„Ich auch, man. Ich auch.“
San Quentin, I hate ev'ry inch of you.
Frenetischer Jubel von den Gefangenen.
Plötzlich spürte er wieder diesen feuchten (geilen) Hauch, doch diesmal schien er aus der anderen Richtung zu kommen.
Von hinten?
Und warum konnte er das Konzert noch immer hören als wäre er dort oben? Wieder der Hauch, doch diesmal war er anders. Auch wurde es immer wärmer. Dieser Geruch …
Er kroch schneller.
San Quentin, what good do you think you do?
Do you think that I'll be different when you're through?

Jubel dort oben, Nervosität hier unten. Angst hatte Percy noch nicht, aber er war kurz davor, welche zu bekommen. Er spürte es jetzt öfter, der Geruch wurde stärker, und es kam noch immer aus der falschen Richtung.
„Nein, nein, nein, das ist alles falsch!“, rief Percy ängstlich, als er versuchte, sich umzudrehen, er sich stattdessen aber nur den Kopf stieß und die Hände aufschürfte.
Die Enge. Die feuchten Wände. Warum war ihm das vorher nicht aufgefallen? Und dieser Geruch …
Der Strahl der Taschenlampe streifte seine Hand. Was er sah, ließ seinen Verstand eine Vollbremsung machen. Sie war alt und seine Fingernägel waren lang.
You bend my heart and mind and you warp my soul,
Your stone walls turn my blood a little cold.

„Was zum ...“ jammerte er, und nun fiel ihm auf, dass seine Stimme ebenfalls alt und brüchig klang. Er quetsche seinen Arm an seinem plötzlich sehr gebrechlich wirkenden Körper entlang, um seinen Kopf betasten zu können. Er spürte tiefe Falten in seinem Gesicht. Er spürte lange fettige Haare auf seinem Kopf. Er zog sich eine Strähne in sein Blickfeld, um festzustellen, dass sie von hellem Grau war.
„Nein, nein, nein!“
Percy Woznyk, may you rot and burn in hell.
Das Publikum war nicht mehr zu halten. Percy schmerzten die Ohren von lautem Jubel. Sein Herz blieb beinahe stehen vor Angst. Dann erstarrte er. Etwas hatte seinen Fuß berührt. Bevor er sich entschließen konnte weiter zu kriechen, wurde er nach unten gedrückt, während sich etwas an seinem Rücken entlang arbeitete. Etwas Fleischiges, Warmes und Feuchtes. Er schrie, als sich dieses Ding an seinem Kopf vorbei schlängelte und er die Spitze aus widerlich dunkelgrünem Fleisch sehen konnte. Er schrie wie er noch nie geschrien hatte, bis sich diese Spitze in seinen Mund schob. Innerlich schrie er weiter, als er etwas gegen seinen Hosenboden drücken spürte. Als er hörte, wie der Stoff seiner Hose riss. Als etwas in seinen Arsch eindrang und nicht aufhörte und immer dicker wurde, (Oh Gott, nein, bitte nicht!) und er schließlich den Geruch erkannte, den Geruch von Moles Schwanz. Dann bewegte es sich in ihm und er schmeckte den bekannten Geschmack und mit jedem Stoß bewegte er sich vorwärts, tiefer in das Loch, dessen Ende er jetzt sehen konnte, und nur schemenhaft das, was dort wartete und flüsterte (Kein Gott) und flüsterte (Saubermachen).
San Quentin, you are livin' hell to me.
Ohrenbetäubender Jubel. Johnny Cash bedankte sich.
Das Publikum war einfach spitze.
 

Bad Rabbit

Mitglied
@lapismont

Danke!


@Michael

So, ich habe besagte Stelle kurzerhand gestrichen und duch einen einzigen Satz ersetzt. Das passt imo besser zum sehr ökonomischen Stil der Geschichte.

Nochmal danke für den Hinweis!

Ich habe viele Stunden mit der Korrektur zugebracht, aber ich fürchte, ich habe noch immer nicht alle Tipper gefunden.

@Marcus

Ich weiß immer noch nicht genau was ich dir antworten soll. Ich freu mich einfach. Deine Analyse der Geschichte ist toll und ich bin baff, dass sich jemand so intensiv mit meiner Arbeit auseinandersetzt.
Mit dem Schluss hatte ich mich auch schwergetan. In meiner Vorstellung hatte Mole Percy nicht auf die Krankenstation befördert, sondern umgebracht. Alles was dann passierte, war so eine Art Hölle - daher auch der Übergang von realer zu surrealer Gewalt. Eine Zeit lang habe ich mit dem Gedanken gespielt, ob Percy am Ende des Tunnels in seiner Zelle rauskommt, wo bereits ein oder mehrere Moles auf ihn warten.

Danke für eure tollen Kommentare!

MfG
Tim
 

Bad Rabbit

Mitglied
Mole war schlecht drauf und stieß darum härter zu als gewöhnlich. Percys gesamter Körper war verkrampft, während er seine Hände in die Matratze krallte und sein Gesicht in das Kissen drückte, um einen Schrei zu unterdrücken. Einige sagen, sie denken sich weg, zu ihren Familien oder in schöne Erinnerungen, wenn es passiert. Percy Woznyk dachte nur daran, wie er Mole im Schlaf aufschlitzen würde. Draußen, in der echten Welt, würde dieser verdammte Nigger nur in irgendeinem Keller Kohle schaufeln und abends mit gesenktem Kopf zu seiner Niggerfrau und seinen Niggerkindern nach Hause gehen. Und er würde ihn, Percy, mit Sir ansprechen! Das Problem war: Hier gab es jede Menge Nigger, und wenn er Mole auch nur ein Haar krümmte, würden sie wie hungrige Wölfe über ihn herfallen. Lieber war er nur Moles Hure, als die des halben Blocks.
Moles Bewegungen wurden ruckartiger, und nach ein paar letzten, besonders starken Stößen sackte er schließlich auf Percys Rücken zusammen. Percy löste die Verkrampfung seines Körpers. Alles schmerzte und sein Arschloch war das Epizentrum.
„Das tat gut“, stöhnte Mole und zog seinen Schwanz heraus. Percy dachte an eine Wurst in einem zu engen Darm.
Darm, wie witzig.
„Es geht doch nichts über den Arsch eines Kindermörders“, sagte Mole mit unangenehm zärtlicher Stimme und streichelte Percy über die Wange.
Ich habe meinen Sohn nicht ermordet! Er hatte seinen Sohn geliebt. Über alles. Seine Frau dagegen hatte es verdient. Sie hatte ihn betrogen. Sie hatte mit ihren Freundinnen über ihn gelästert. Sie hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass sie ihn nur wegen seines guten Jobs geheiratet hatte. Percy drückte sich hoch und setzte sich auf die Bettkante.
„Mistkerl!“, murmelte er.
„Wie war das?“, fragte Mole mit übertriebener Lehrerstimme.
„Nichts, Sir“, antwortete Percy lauter.
Mole stand jetzt direkt vor ihm, in seiner ganzen schwabbeligen, verschwitzten Pracht, und hielt ihm seinen Elefantenpimmel direkt vor die Nase. Feucht. Stinkend.
„Saubermachen“, befahl Mole.
„Ja, Sir“, sagte Percy und machte sich an die Arbeit.


Für diese Woche war Percy in der Wäscherei eingeteilt - leider auch an dem Tag, an dem Johnny Cash seinen Auftritt hatte, aber Aufseher Wilson hatte versprochen, dass sie das Konzert über die Lautsprecher mithören dürften.
„Woznyk!“, schallte es plötzlich.
Scheiße, was jetzt? dachte Percy und ging zu Wilson, den er mit einem respektvollen „Sir?“ grüßte.
Wilson kontrollierte irgendeine Liste auf einem Klemmbrett, während er zu Percy sagte: „Wir brauchen noch vier Stühle für das Konzert. Du gehst mit Aufseher Thompson in den Keller und holst sie, kapiert?“
„Ja, Sir“, antwortete Percy unbewusst in militärischem Ton und folgte Thompson zum Keller. Nach einem Abstieg in die Katakomben von San Quentin mussten sie ein paar Minuten, Stunden für Percy, durch die engen Gänge gehen, bis sie den Lagerraum erreichten. Percy hasste es dort unten. Es war feucht, es war dunkel und überall lauerten Ratten und anderes Ungeziefer. Die Gänge schienen unendlich weiter zu gehen und das schwache Licht der nackten Glühbirnen, die von der Decke hingen, ließ die dunklen Winkel noch dunkler erscheinen, anstatt den Raum mit schützendem Licht zu erfüllen. All dies erinnerte ihn zu sehr an den Krieg.
„Stapel vier von den Stühlen und dann nichts wie raus hier“, sagte Thompson, dem es hier unten ebenfalls nicht zu gefallen schien. Percy hatte schon drei Stühle gestapelt und wollte grade nach einem vierten greifen, als etwas sein Ohr streichelte. Ein warmer Lufthauch. Feucht. Zärtlich. Die verheißungsvolle Zunge einer geübten Hure.
„Was zum ...“
Er ging auf die Wand zu und schob einigen Ramsch beiseite, um zu sehen, woher dieser Luftzug gekommen war. Er spürte ein Kribbeln in der Brust. Aufregung. Nervosität. Er musste jetzt ganz ruhig bleiben. Ein Loch! Ein Loch. Ein verdammtes Loch in der verdammten Wand, unter dem verdammten Tisch, und er spürte einen verdammten Luftzug. Das konnte nur eines bedeuten …
„Gibts ein Problem?“, durchschnitt Thompsons Stimme scharf die Luft.
„Nein, nichts, Sir. Nur eine richtig fette Ratte“, sagte Percy schnell und schnappte sich den erstbesten Stuhl, bevor der Aufseher nachschauen kam, was da war.
Als sie den Raum verließen, streifte ein letzter Hauch Percys Ohr. Er flüsterte zum Abschied.


Dieses Mal dachte er nicht daran, wie er Mole umbringen würde. Er dachte an das Loch. Wohin es führen würde. Der Lufthauch bedeutete, dass es irgendwo hinführen musste. Im schlimmsten Fall würde er irgendwo innerhalb von San Quentin rauskommen. Im besten Fall würde er irgendwo außerhalb von San Quentin rauskommen. Dann war da noch das Flüstern. Er hatte es gehört. Es hatte ihn eingeladen.
„Komm wieder!“, hatte es in sein Ohr gehaucht.
„Komm wieder!“
Er schreckte hoch und stieß mit dem Hinterkopf gegen etwas, das mit einem Knacken nachgab. Er hatte es gehört. Hier! In dieser Zelle!
„Du Arschloch!“, stöhnte Mole. „Dafür bist du dran!“
Mole rutschte von ihm herunter und stellte sich neben das Bett, so dass Percy ihn sehen konnte. Blut lief aus Moles Nase.
„Du kleiner weißer Wichser hast mir die Nase gebrochen!“
Percy schluckte. Er hörte die anderen Gefangenen rufen:
„Mach ihn fertig!“
„Schlag ihm die Fresse ein!“
„Prügel die Scheiße aus ihm heraus!“
Und genau das geschah. Als Mole schließlich seine riesigen Hände um Percys Hals legte und zudrückte, verlor er endlich das Bewusstsein.


Als er aufwachte schaute er in das Gesicht seiner toten Frau. Er atmete scharf ein, wollte schreien, doch er brachte nur ein Röcheln zustande.
"Sie sind also endlich wach?", sagte sie gelangweilt.
"Die Betäubung klingt in ein paar Stunden ab."
Dann bemerkte er die weiße Schürze. Eine Krankenschwester? Natürlich. Und schon auf den zweiten Blick sah sie seiner Frau nur noch ähnlich. Er hätte sie hübsch gefunden, wenn ihr Gesichtsausdruck nicht ihre totale Gleichgültigkeit offenbart hätte. Während sie an seinem Tropf herumfummelte, fasste Percy einen Entschluss: Er würde in das Loch gehen.
Wenn er darin verreckte: Was solls.
Wenn er auf der Flucht erschossen wurde: Gut.
Wenn er es nach draußen schaffte: Besser.
Auf keinen Fall würde er sich eine weitere Nacht von Mole ficken lassen. Was auch immer dort unten passierte, er würde es schaffen. Korea, eine beschissene Ehe, der Knast - nach alldem hatte er es verdient, als freier Mann zu sterben.
Zufrieden mit sich und seiner Entscheidung lächelte er. Die Krankenschwester trat an den Rand seines Blickfeldes, und als sie ihm einen Moment später wieder vor die Augen trat, war sie seine Frau. Sie schaute ihn auf diese teils herablassende, teils wohlwollende Art an, die er immer gehasst hatte.
"Wusstest du, dass diese fünfundvierziger Patronen echt stark sind?", sagte sie mit dieser gespielten Freundlichkeit, mit der sie immer mit den Nachbarn auf Grillparties geschwatzt hatte, nur um später über sie zu lästern.
"Die gehen durch alles durch", fuhr sie fort. "Holz, Ziegel, Ehefrauen - und wenn dahinter noch ein Kind steht ..."
Sie seufzte wehleidig.
Lass mich einfach in Ruhe.
Er schloss die Augen und dachte an das Loch. Es flüsterte ihm Zärtlichkeiten ins Ohr, und er lauschte begierig.


Die Arbeit in der Wäscherei ging diesmal langsamer von statten, weil die Mannschaft Johnny Cash lauschte. Er spielte grade I Walk the Line, und die Gefangenen im Saal jubelten vor Begeisterung. In der Wäscherei pfiffen ein paar Gefangene mit, sangen leise vor sich hin oder wippten mit dem Kopf. Die Wachen ermahnten sie nur halbherzig, weil auch sie lieber bei dem Konzert gewesen wären.
„Jetzt oder nie“, murmelte Percy und ging auf Aufseher Thompson zu, auf dessen jungenhaftem Gesicht sich sofort Misstrauen und Wachsamkeit zeigten.
„Was ist los, Woznyk?“, fragte dieser argwöhnisch, die Hand an der Waffe.
„Ich glaube, ich habe im Keller das Foto von meiner Tochter verloren, Sir.“
„Und was soll ich da tun?“, fragte der Aufseher, dessen Ton verriet, dass er es bereits wusste.
„Ich hatte gehofft, Sie könnten mit mir noch einmal runtergehen, damit ich es suchen kann.“
„Sehe ich aus wie dein Nigger, Woznyk?“, fragte Thompson ärgerlich.
„Nein, Sir. Ich ...“
„Ich mach das schon“, sagte plötzlich einer der anderen Aufseher im Raum, ein kleiner Mann in den Sechzigern. Wie war doch gleich sein Name, BelFleur, LaFleur?
„Ein junger Kerl wie Sie versteht das noch nicht. Außerdem will ich weg von dieser Musik. Wenn es nach mir ginge, dann würden wir diesen Cash gleich hier behalten!“ Dann, zu Percy: „Gehen wir!“
„Danke, Sir“, sagte Percy mit einem dankbaren Lächeln im Gesicht und einem Gefühl der Erleichterung im Bauch. Er besaß kein Foto seiner Tochter. Sie war immer auf der Seite ihrer Mutter gewesen, hatte ihn nicht einmal besucht und war auf dem College eine von diesen Baumknutscherinnen geworden, die sich wahrscheinlich in diesem Augenblick von einem langhaarigen Muttersöhchen vögeln ließ, während sie einen Joint nach dem anderen rauchte.
Im Keller ging der Aufseher hinter Percy, um sich von ihm führen zu lassen. Percy vermutete, dass der Alte die ganze Zeit seine Hand auf der Waffe hatte.
„Hier ist es, Sir.“
„Okay, du hast zwei Minuten.“
Percy ging in den Abstellraum und tat als würde er suchen, blickte dabei aber immer wieder verstohlen zu der Stelle an der sich das Loch befand.
„Ja, hier bin ich“, flüsterte er zärtlich zurück.
Inzwischen verkündete Johnny Cash, dass er seine Gedanken zu San Quentin in einem Lied verarbeitet habe.
„Na, das wird bestimmt witzig“, sagte Percy.
„Was?“ fragte der Aufseher.
„Na das Lied. Johnny Cash. Klingt vielversprechend.“
„Du hast gute Ohren, Junge. Ich hör kein bisschen hier unten.“
Auch egal, dachte Percy.
Unter dem Tisch, vor dem Loch, stand ein rostiger Eimer, welcher mit Bauschutt gefüllt war. Oben auf lag ein abgebrochener Ziegelstein.
Noch kannst du zurück. Du musst nur sagen, dass du das Bild nicht gefunden hast.
„Nein, du willst hier her“, hauchte etwas in sein Ohr. Das Gefühl ließ ihn augenblicklich hart werden.
„Sir, das sollten sie sich ansehen!“, rief Percy zu BelFleur (oder LaFleur, oder was auch immer).
„Ok, tritt zurück, Junge!“, befahl der Aufseher, ging zu dem Tisch hinüber und ging in die Hocke.
„Aber hier ist doch gar ...“
Als der Ziegel den Hinterkopf des Aufsehers traf, ertönte ein Knacken als wäre jemand auf einen trockenen Zweig getreten, bevor er wie eine mit Sand gefüllte Puppe umfiel.
„So viel zum Umkehren“, sagte Percy grinsend und wandte sich zu dem Loch. Oben stimmte Johnny Cash sein Lied an. Hier unten nahm Percy die Taschenlampe aus der Hand des Aufsehers und leuchtete in das Loch. Das Ende des Tunnels konnte er nicht sehen. Der Querschnitt war ein perfekter Kreis, der Durchmesser grade groß genug zum Kriechen und die Wände waren gerillt, so als wäre jemand mit einem riesigen Bohrer zu Gange gewesen. Percy fragte sich, wer es gegraben hatte und warum, doch das süße Flüstern aus dem Loch verdrängte diese Fragen wieder. Er atmete noch einmal tief durch, dann kroch er hinein.
San Quentin, you've been livin' hell to me.
Jubel. Percy lächelte.
Genau, Johnny, so ist es.
Kriechen. Kein Ende in Sicht. Weiterkriechen.
I've seen 'em come and go and I've seen them die,
And long ago I stopped askin' why.

„Ich auch, man. Ich auch.“
San Quentin, I hate ev'ry inch of you.
Frenetischer Jubel von den Gefangenen.
Plötzlich spürte er wieder diesen feuchten (geilen) Hauch, doch diesmal schien er aus der anderen Richtung zu kommen.
Von hinten?
Und warum konnte er das Konzert noch immer hören als wäre er dort oben? Wieder der Hauch, doch diesmal war er anders. Auch wurde es immer wärmer. Dieser Geruch …
Er kroch schneller.
San Quentin, what good do you think you do?
Do you think that I'll be different when you're through?

Jubel dort oben, Nervosität hier unten. Angst hatte Percy noch nicht, aber er war kurz davor, welche zu bekommen. Er spürte es jetzt öfter, der Geruch wurde stärker, und es kam noch immer aus der falschen Richtung.
„Nein, nein, nein, das ist alles falsch!“, rief Percy ängstlich, als er versuchte, sich umzudrehen, er sich stattdessen aber nur den Kopf stieß und die Hände aufschürfte.
Die Enge. Die feuchten Wände. Warum war ihm das vorher nicht aufgefallen? Und dieser Geruch …
Der Strahl der Taschenlampe streifte seine Hand. Was er sah, ließ seinen Verstand eine Vollbremsung machen. Sie war alt und seine Fingernägel waren lang.
You bend my heart and mind and you warp my soul,
Your stone walls turn my blood a little cold.

„Was zum ...“ jammerte er, und nun fiel ihm auf, dass seine Stimme ebenfalls alt und brüchig klang. Er quetsche seinen Arm an seinem plötzlich sehr gebrechlich wirkenden Körper entlang, um seinen Kopf betasten zu können. Er spürte tiefe Falten in seinem Gesicht. Er spürte lange fettige Haare auf seinem Kopf. Er zog sich eine Strähne in sein Blickfeld, um festzustellen, dass sie von hellem Grau war.
„Nein, nein, nein!“
Percy Woznyk, may you rot and burn in hell.
Das Publikum war nicht mehr zu halten. Percy schmerzten die Ohren von lautem Jubel. Sein Herz blieb beinahe stehen vor Angst. Dann erstarrte er. Etwas hatte seinen Fuß berührt. Bevor er sich entschließen konnte weiter zu kriechen, wurde er nach unten gedrückt, während sich etwas an seinem Rücken entlang arbeitete. Etwas Fleischiges, Warmes und Feuchtes. Er schrie, als sich dieses Ding an seinem Kopf vorbei schlängelte und er die Spitze aus widerlich dunkelgrünem Fleisch sehen konnte. Er schrie wie er noch nie geschrien hatte, bis sich diese Spitze in seinen Mund schob. Innerlich schrie er weiter, als er etwas gegen seinen Hosenboden drücken spürte. Als er hörte, wie der Stoff seiner Hose riss. Als etwas in seinen Arsch eindrang und nicht aufhörte und immer dicker wurde, (Oh Gott, nein, bitte nicht!) und er schließlich den Geruch erkannte, den Geruch von Moles Schwanz. Dann bewegte es sich in ihm und er schmeckte den bekannten Geschmack und mit jedem Stoß bewegte er sich vorwärts, tiefer in das Loch, dessen Ende er jetzt sehen konnte, und nur schemenhaft das, was dort wartete und flüsterte (Kein Gott) und flüsterte (Saubermachen).
San Quentin, you are livin' hell to me.
Ohrenbetäubender Jubel. Johnny Cash bedankte sich.
Das Publikum war einfach spitze.
 
Hallo Tim,

also erst mal gern geschehen, aber deine Geschichte rechtfertigt ja auch die guten Kommentare.

Was das ursprüngliche Ende deiner Geschichte angeht(dieser Raum, in dem einer oder mehrere Moles auf ihn warten) - es scheint wohl so zu sein, dass du eine Affinität für die Mystik des Raumes zu haben scheinst. Einige Ideen hattest du ja schon bei der Kubusgeschichte anklingen lassen(die mir übrigens nicht so gefallen hatte, obwohl nicht schlecht geschrieben, deshalb da auch keine Meldung von mir). Trotzdem ist die Grundidee nicht verkehrt, sie war ja damals bei the cube schon ganz vernünftig angedacht worden, aber meiner Meinung nach gerät dieses Ideenkonstrukt sehr rasch an seine Grenzen, weil das Labyrinth eben an sich ein zwar unendlicher aber der Konstruktion nach sehr einfacher Ort ist. Jedenfalls im herkömmlichen Sinne. Ich denke, wer da eine Neuerung hinein bringen möchte, muss sich unweigerlich mit moderner Physik auseinandersetzen. Deshalb von mir schon mal viel Spass dabei.

Eine einfache Möglichkeit, so eine Hölle in Form eines Raumes zu konstruieren und den Leser dabei zum Denken anzuregen, ist die Möglichkeit, dort nicht einen oder mehrere Moles sondern einen aber besser mehrere Percys zu platzieren, jeder eine ganz bestimmte Zeit dort schon verweilend, jeder auf seine Art in seinem Wahnsinn fortgeschritten. Das Ende wäre dann, wenn der Jetzt-Percy fast glaubt verrückt werden zu müssen und feststellt, dass durch den Tunnel ein neuer Jetzt-Percy in den Raum kommt - und so konstruiert sich quasi die Unendlichkeit, in der kein Percy der Reihe genau weiß, an welcher Stelle der Zahlenfolge er sich befindet.

Jedenfalls empfehle ich dir, die Geschichte von Lipschitz zu lesen(wenn du es nicht schon getan hast), der hat nämlich die moderne Physik ebenfalls zum Unterbau seiner Geschichte genommen. Es ist zwar alles etwas anders, aber hier fungiert die Physik eben auch als mystisches Element.

In jedem Fall aber glaube ich, dass dein aktuelles Ende der Geschichte die bessere Wahl war. Mal davon abgesehen, dass ich persönlich nicht der Physik sondern der Psychoanalysetyp bin. Die Psychoanalyse kann nämlich ebenso gut ein Gottesersatz sein, denn, darüber sollte man sich im Klaren sein, ob Physik oder Psycholanalyse, beides ist nur ein Ersatz der Hölle im herkömmlichen Sinn, die durch den Glauben an Gott charakterisiert wurde. Solche religiösen Erklärungen der Welt, der Hölle und aller Geschöpfe darin, ist für viele von uns aber heute kein adäquater Lösungsmechanismus mehr. Deshalb konstruieren wir, so wie du in deinem Text mit dem Kubus, andere "Räumlichkeiten" die unserem modernen Bedürfnis nach Erkenntnis aber auch nach Mystik gerecht werden.

Wohin das alles führt, weiß nur Gott allein oder die moderne Physik, die sich ja allethalben im Umbruch wähnt. Aber wer weiß, vielleicht führt das ja alles zu nix, weil der Durchschnittsleser mit einer sehr komplizierten Hölle überhaupt nicht anzufangen weiß, so wie die meisten noch nicht mal was mit der Relativitätstheorie anzufangen wissen.
Deshalb rate ich dir, wenn du diesen "Ariadne-Faden" weiterverfolgen willst, gib den Geschichten einen nachvollziehbaren physikalischen Hintergrund. Wenn du das schaffst, entdeckst du vielleicht neue "Räume", die sich erfrischend von dem ganze Cube-Kram abheben. Ansonsten verlass dich auf deine Schreibe - du musst gar nicht die Physik revolutionieren oder die Hölle - nimm eine gute Idee und schreib sie runter. Ich bin sicher, es wird etwas gutes dabei rauskommen.

Beste Grüße, Marcus
 
Hi!!

Servus!!!

Also, ich finde deine Geschichte ebenfalls ziemlich genial, zumindest bis auf das Ende. Da hast du, muss ich sagen, meinen Geschmack nicht so ganz getroffen. Irgendwie geht für mich in den letzten paar Zeilen, die zuvor so mühevoll (und außgesprochen gelungen) aufgebaute Atmosphäre, verloren.

Tja...

Das wars auch schon!

Sonst: Echt gut und originell!!!

PS: Zum Glück muss man ja nicht jeden Geschmack bedienen - ist ja auch gar nicht möglich!


MFG

Markus
 

Bad Rabbit

Mitglied
@Gonzo

Danke! Es passiert nicht oft (nie, es passiert sonst nie), dass eine Story von mir so gelobt wird, daher freu ich mich wie ein Schneekönig.


@Marcus

Dein Vorschlag für das Ende ist toll. Ich bin schon dabei mir was zurecht zu spinnen, aber ernsthaft werde ich erst in einer Woche dran arbeiten, dann sind nämlich die Prüfungen vorbei.


Bis dahin ... danke, Jungs!


MfG
Tim
 
K

KaGeb

Gast
Hammergeil und eine glatte "9" von mir :)

Fühlte mich sehr gut unterhalten - und brauch erst mal ein Bier :)))))


LG
 



 
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