Verdammt nochmal!

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pleistoneun

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"Nein, halten Sie sich fern der Zivilisation. Folgen Sie dem Pfad der Weisheit", predigte Baptist der Baptistenpfarrer von der Kanzel.
"Aber wo finde ich den Pfad der Weisheit, Eure Eminenz?", drang es aus einer der hinteren Sitzreihen.
"Frage einen Blinden"
"Ich bin blind, Eure Eminenz, deshalb habe ich ja Probleme, den Pfad der Weisheit zu finden."
"Wie alt bist du, mein Sohn?"
"Dreiundsechzig..."
"..und stark ergraut", fügte der Pfarrer sehr emotional hinzu.
"Ich sage dir, mein Sohn, der du mein Vater sein könntest.... nein, mein Vater ist ja unser Himmelvater.... ich fahre fort...."
"Wohin fahren Sie?", schallte eine andere Stimme aus dem Gebälk.
"Wie meinen Sie?", fragte der Pfarrer sehr emotional und orientierte sich in die Richtung, aus der die Stimme kam.
"Sie meinten, Sie würden fort fahren. Jetzt frage ich Sie wohin!"
"Mein liebes Kind. Wie alt bist du?"
"Zweiundachtzig"
"Och herrje. Du könntest meine Mutter sein.... aber, Verzeihung Heilige Maria, Mutter Gottes. Du bist natürlich die einzige Mutter, die ich als meine anerkenne...."

Sichtlich verwirrt von den Zwischenfragen schlug er die heilige Schrift auf, um weiteren Unannehmlichkeiten zu entgehen.

"Zweiter Canto, Vers eins aus dem Evangelium....."
"Sag uns, wo der Pfad der Weisheit ist, alter Mann!", rief ein bereits etwas aufgebrachter Kirchengänger, "..halte uns hier nicht zu Narren!"
"Wie bitte?", entgegnete der Pfarrer in sehr weichem und emotionalem Ton.
"Der Pfad der Weisheit. Sag. Wo ist er, wir wollen ihn gehen. Wir erduldeten schon viel zu lange das zivilisierte Leben."
"Mein Sohn, wie alt wirst du sein? Vierzig, fünfundvierzig?"
"Achtzehn!"
"Och herrje, du könntest in der Tat mein Sohn sein....oh nein, nein, nur Jesus, der Sohn Gottes...."
"Wohin fahren Sie?", wiederholte die ältliche Dame unvermittelt und unterbrach die spirituellen Ausführungen des leicht verstört wirkenden Pfarrers.
"Ich fahre nirgendwo hin, verdammt nochmal!"

Entsetzt blickten sich die Kirchengänger einander an. Hat der Pfarrer soeben wirklich geflucht?

"Verdammt nochmal, verdammt, was wollt ihr denn?", empörte sich der Geistliche mit erhobenen Armen, wie er es normalerweise nur bei exorzistischen Vorgängen zu tun pflegte.
"Verdammt, wir wollen nun endlich wissen, wo dieser verdammte Pfad der Weisheit sein soll!"
"Es gibt keinen für euch alle. Ihr müsst ihn in euch selbst suchen. Ich kann euch keine Antworten geben und die heiligen Schriften auch nicht!"
"Wo in mir muss ich suchen?", interessierte sich ein braver Mann links außen.
"Verdammt, noch abstrakter kann ich es nicht formulieren. Kein Mensch fragt, wo bei sich selbst er den Pfad der Weisheit zu suchen hat. Kein Ahnung, verdammt! Macht die Augen zu und wartet von mir aus bis....bis....bis.... was weiß denn ich schon!!!!"

Gemurmel wurde in allen Schiffen laut und erste Zweifler verließen die Messe.

"Verdammter Lügner"
"Seht mich an, Brüder und Schwestern, was seht ihr? Doch nicht etwa einen Orakulix, einen Propheten, einen Weissager, einen Deuter. Nein, verdammt, geht das nicht in eure Schädel? Ich weiß nichts über das Leben, nicht mal über den Tod kann ich berichten. Und alles was dazwischen liegt, ist fadenscheinig und höchst zweifelhaft."
"Jetzt sagen Sie schon, Pfarrer, wo ist denn nun dieser Pfad?"
"Zum Teufel mit euch ungläubigem Pack!", erzürnte sich der Baptistenpfarrer auf höchster Ebene kirchlicher Erregung.
"Wissen Sie was wir glauben, dass sie unser Weg sind, Pfarrer!"

Die Stimmung hob sich und Ausrufe der Begeisterung waren zu hören. Der Pfarrer begann zu realisieren, dass seine Gemeinde, die nie gottgläubig war und auch niemals sein würde, eine spirituelle Unterwürfigkeit zeigte. Er faltete seine Hände und sprach:

"Hört! Ihr braves Volk da draußen. Ihr habt eine Stufe erreicht, die es euch unmöglich macht, den wahren Pfad der Weisheit zu verkennen. Steht auf, liebe Brüder und Schwestern, reicht euch die Hände und geht nach draußen. Verlasst das Gotteshaus. Schreitet in die Freiheit ohne Furcht und ohne Wiederkehr."

Es funktionierte. Die Kirchengäste schritten bedächtig, einander an den Händen haltend, durch die Kirche hinaus ins Freie.

"Löst euch von dem kirchlichen Geist, der euch bis jetzt fest gehalten hat. Kehrt auch ihm den Rücken. Sagt Adieu. Sagt Goodbye. Sagt auf Wiedersehen."
"Und der Letzte schließt die Tür, verdammt nochmal!!!"
 



 
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