Verdrängung

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Topfpflanze

Mitglied
Verdrängung

Ein altes, schwarzes Backsteinhaus
steht hinten links am Lungenflügel.
Es hat sich einen Platz gesucht
direkt neben der Lebenszigarette.

An den Ecken bröckelt der Sandstein
in die Luftbläschen mit Kalkmantel.
Durch die kalten fensterlosen Mauern
tropft das Gift der Verdrängnis.

Die Steine mit fehlender Fugenmasse
halten sich durch Täuschung zusammen.
Der Vordereingang wirkt verschwommen
Die Stahltür glänzt durch Selbstverrat.​
 
Liebe Topfpflanze,
ein finsterer (dennoch gelungener) Text, über dunkle Vergangenheiten. Ich denke, es ist der Text, zu dem dich mein Gedicht "jagdszenen" inspiriert hat.
Herzliche Grüße
Karl
 

Topfpflanze

Mitglied
Hallo Karl,

genau das ist der Text. :)
Es freut mich, dass du in nicht allzu schlecht findest.
Ich bin am überlegen, ob ich "Lebenszigarette" in "Lebenszigarre" umändere. Fügt sich besser ein, oder?

Liebe Grüße
Topfpflanze
 

Rhea_Gift

Mitglied
Inhaltlich gefällts mir gut, formal etwas holprig - feingetunt wirds ein sehr gutes Gedicht, wenn du nochmal drüber gehst...

LG, Rhea
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Leseeindruck (eines Nicht-Lyrikers)
Das SCHWARZE Haus im LUNGENFLÜGEL und die lebensZIGARETTE lenkten mein Kopfkino auf "Raucher". Die zweite Strophe klang dann am Anfang nach "ungesundem Leben" und seine Folgen und konfrontierte mich dann mit massiver Ratlosigkeit, was das damit mit "kalten fensterlosen Mauern" und vor allem Verdränung zu tun hat. Die letzte Strophe wird dann ganz mystisch …

Nach Nochmal-Lesen (Jetzt das Backsteinhaus als Herz), versteh ich die Bilder auch nicht wesentlich besser. z.B.: Was für Luftbläschen mit Kalkmantel? (Was zeigt das Bild {Lungenbläschen? Mit Kalkmantel???} und wofür steht das? Oder was ist in dem Haus-Körper-Bild die Lebenszigarette?



Handwerk:
Wenn es eh nicht gereimt ist, warum muss du dann "Verdrängung" zum Kunstwort "Verdrängnis" umbasteln? Was ist der Unterschied zwischen beidem?
Falsches Bild: Häuser suchen sich keine Plätze.
Unrundes Bild: Wieso bröckelt am einem Backsteinhaus der Sandstein? Und wo sind in/an einem Backsteinhaus "Luftbläschen mit Kalkmantel"?
Unrundes Bild: DURCH Mauern kann nichts tropfen. Es kann was durchsickern und dann von der Mauer (Kante, Voprsprung, Decke … ) tropfen.
 

Topfpflanze

Mitglied
Hallo Rhea_Gift,

Feintuning inwiefern? Entschuldige,
ich bin noch Frischling und würde mich
über Tipps oder genauere Hinweise sehr freuen.

--------------------------


Hallo Jon,

danke, dass du dir so viel Arbeit mit meinem Text gemacht hast.

Zum Handwerk:

Gute Frage, aber ich kann sie dir nicht beantworten.
Ich glaube ich fand das Wort passte besser.
Aber dann werd ich es wohl ändern. :)
Das Haus ist als Sitz der Seele gemeint.
Ihr versteck sozusagen.
Würde es für dich besser passen, wenn ich schreibe:
"Die Ecken bröckeln wie alter Sandstein"?
In der Lunge (davon wird das Gedicht ja indirekt getragen)
befinden sich die Lungenbläschen, welche den Lebenswichtigen
Sauerstoff transportieren. Hier soll es bedeuten, dass
die Vernunft nicht hineinkann um zum Verstand transportiert zu werden, sondern nur der Verfall als Offensichliches.
Stimmt, dann ändere ich in:
"Von den kalten fensterlosen Mauern"

Ich bin noch am Überlegen, ob ich Lebenszigarre
nehme, anstatt Lebenszigarette. Lässt sich nicht
so umständlich lesen, oder?

Es scheint mir so, dass ich verrückte Gedankengänge habe,
die nicht nachvollzogen werden können...Oh nein...;)


An euch beide freudige Grüße
Topfpflanze
 

Topfpflanze

Mitglied
Verdrängung

Ein altes, schwarzes Backsteinhaus
steht hinten links am Lungenflügel.
Es hat sich einen Platz gesucht
direkt neben der Lebenszigarette.

An den Ecken bröckelt der Sandstein
in die Luftbläschen mit Kalkmantel.
Von den kalten fensterlosen Mauern
tropft das Gift der Verdrängung.

Die Steine mit fehlender Fugenmasse
halten sich durch Täuschung zusammen.
Der Vordereingang wirkt verschwommen
Die Stahltür glänzt durch Selbstverrat.​
 

jon

Mitglied
Teammitglied
"Die Ecke bröckelt wie alter Sandstein" fänd' ich besser, es greift auch nicht zu sehr in den Text ein.

Was die andern Sachen angeht: Vielleicht bin ich als Prosaiker besonders pingelig, aber Bilder müssen in sich stimmen. Zwar kann in der Tat die "Seele" sich ein Versteck suchen, aber ein Haus eben nicht. Zwar würde eine Kalkschicht in Tat allerlei Diffusions- und Osmose-Prozesse behindern, aber Lungenbläschen haben nun mal keinen Kalkschicht. (Erschwerend: Adern schon (zumindest umgangssprachlich), so dass in diesem Körper-Bild "hintenrum" ein Bild angedeutet wird, das dann nicht zur Ausführung kommt.)

Will sagen: Das Bild (vor allem, wenn es DER Botschaftsträger ist) muss auch dann stimmen, wenn man das, wofür es steht, nicht (er)kennt. (Zumindest weitestgehend - man kann als Schlüssel schon mal (am effektivsten in der "Pointe") einen Bruch erzeugen, aber der muss präzise sitzen und am besten einen Zusatz-Knalleffekt erzeugen.) Grund: Wenn der Leser sich damit abmühen muss, das Bild in seinem Kopf immer wieder umzubasteln, es immer wieder in Frage stellen muss, dann muss er bei der ohnehin oft nicht einfachen "Arbeit" des Verknüpfens mit dem, wofür das Bild steht, richtig schuften – und ist sich (wegen der Zweifel) am Ende doch nicht sicher.

Klar: Über Gedichte (und andere Texte) soll man nachdenken können. Aber nicht müssen. Es sollte mit einem Minimum an Grübel-Aufwand eine Art Grund-Story/Grund-Bild entstehen, die/das interessiert. Wenn sich dann (!) durch näheres Betrachten weitere Inhalts- und Botschaftsebenen erschließen – um so besser!


In dem Fall hier wäre es wohl ein sehr großer Aufwand, den Text nach diesem Prinzip umzustricken; keine Ahnung, ob er dabei tatsächlich gewinnen würde. Nimm also diese Anmerkungen eher als "Generelle Betrachtung" mit in die nächsten Projekte …
 
H

Heidrun D.

Gast
Hallo,

die Idee finde ich recht interessant, in der Umsetzung fühle ich mich von der Vielzahl der Bilder erschlagen.

Vermutlich wäre es besser, wenn du bei einem Bild bleiben würdest (1. Abschnitt).

Freundliche Grüße
Heidrun
 

Topfpflanze

Mitglied
Verdrängung

Ein altes, schwarzes Backsteinhaus
steht hinten links am Lungenflügel.
Es hat sich einen Platz gesucht
direkt neben der Lebenszigarette.

Die Ecke bröckelt wie alter Sandstein
in die Luftbläschen mit Kalkmantel.
Von den kalten fensterlosen Mauern
tropft das Gift der Verdrängung.

Die Steine mit fehlender Fugenmasse
halten sich durch Täuschung zusammen.
Der Vordereingang wirkt verschwommen
Die Stahltür glänzt durch Selbstverrat.​
 

Topfpflanze

Mitglied
Hallo Jon,

ich habe es noch geändert und werde es jetzt so lassen.
Werde, wie du geschrieben hast, die Ratschläge beim nächsten
Gedicht versuchen zu berücksichtigen. Und besser zu werden.
Danke für deine Zeit, Ideen und Erklärungen. :)

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Hallo Heindrun D.,

danke für deine Antwort und das du drübergeschaut hast.
Werde es demnächst berücksichtigen.



Euch beiden liebe Grüße
Topfpflanze
 

Rhea_Gift

Mitglied
Für mich ist es ein Haus im Haus und die alte Haus-Ich-Metapher - mal janz aktualisiert etwas verkörperlichter noch dargestellt als gewohnt - das find ich gerade gut - und nehms daher schon als ein Bild wahr. Formal problematisch sind die vielen langen zusammengesetzten Worte, die Aussagesätze und dabei aber graphische Gedichtanmutung - es ist zwar nicht gereimt, aber so in Päckchen gepackt - sehnt sich mein Leseohr doppelt nach Melodie. Das ist auch bei ungereimten Texten wichtig.

Ich müsste es arg umbauen - die Zeit nehm ich mir die Tage, grad schlecht - denn da müsste man einiges umbauen. Und das wird dir wahrscheinlich dann eh nicht gefallen, denn es würde zu sehr verändern, fürchte ich...

LG, Rhea
 



 
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