Vergiftet

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Concorde

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VERGIFTET

"Immer kräftig frühstücken, Jürgen" sagte er kauend.
Jürgen antwortete nicht.
Stolz betrachtete er seinen Sohn, Jürgen, seinen Glückstreffer. So pflegte er ihn zu nennen am Freitagsstammtisch mit alten Kameraden, wenn sie über ihre Familien sprachen oder Erinnerungen austauschten. Stalingrad, Donezbecken, Westfront. Schöne Zeit damals.
"Bißchen blaß in letzter Zeit, wohl zuviele Weiber im Kopf?" sagte er mit Kumpelgrinsen.
Jürgen antwortete nicht.
Ganz der Vater, dachte er stolz. Mein Gott, er damals, auch siebzehn Jahre, das kleine Judenmädchen von nebenan. Konnte ja nicht wissen, wie vergiftet die alle waren, damals. Na ja, hatte den Absprung rechtzeitig geschafft. Später dann Heirat, saubere Verhältnisse, zwanzig Jahre kinderlos, dann Jürgen, sein Glückstreffer.
"Sport treiben! Sport ist gesund!"
Jürgen antwortete nicht.
Er erinnerte sich; Jürgen war acht, als er ihn in den Boxverein steckte. Hatte oft gelacht, wenn Jürgen heulend nach Hause kam mit verquollenen Augen und zerschundenen Lippen. "Macht wohl keinen Spaß mehr mit den Kanaken, was?" sagte er.
Jürgen antwortete nicht.
Kann ich verstehen, dachte er. Überall diese Kanaken in den Vereinen. Macht sich verdammt breit, die vergiftete Brut. Stolz betrachtete er Jürgen, Jürgen seinen Glückstreffer. Jürgen war wie er. Keiner von diesen Langmähnigen. Immer noch der gemeinsame Gang zum Frisör, zweimal Fosson, Nacken ausrasieren. Kürzlich hatte er Bilder gesehen, in einer Illustrierten. Ausgemergelte Gestalten mit ihrem Besteck: Kerze, Löffel, Spritze. Vergiftet, dachte er, total vergiftet.
"Nicht aufgeben, Jürgen, denen muß man´s zeigen!"
"Jürgen antwortete nicht. Jürgen sprang auf, stürzte hinaus.
"Jürgen, deine Tasche!"
Er griff die Tasche, die Tasche öffnete sich, klirrend fiel es heraus, das Besteck: Kerze, Löffel, Spritze.
 



 
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