Vergiss die Peitsche nicht!

Efiriel

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"Vergiss die Peitsche nicht!",das hatte mein Vater mir in kleiner Tradition jeweils dann gesagt, wenn ich im Begriff stand, das Haus in Richtung meiner Freundin zu verlassen, wo auch immer sich diese gerade befand. Er fand es wohl witzig, doch ich glaube es war nicht mal von ihm. Klingt irgendwie nach einem fetten, toten Dichter vergangener Zeit, altmodischer Bräuche . Jedenfalls waren seine Bücherregale voll mit schmierigen Schmökern, geschrieben von Zeitgenossen Kautabak bespuckter Gehsteige und Pferde beschissener Kopfsteinpflaster.
Heute denke ich nur mehr selten daran, mein Vater ist tot und meine Freundin hat mich verlassen, genau genommen in umgekehrter Reihenfolge. Es war aus, bevor ich die Identität seiner sterblichen Hülle einwandfrei bestätigen konnte. Sie hatte wohl nie die richtigen Worte gefunden. Als sie meine Hand hielt, und die Kellerdecke kalt neonbeleuchtet auf mein Gemüt drückte, als wir vor den kläglichen Resten sich überwerfender Erinnerungen standen, da war sie längst von mir getrennt. Im Grunde könnte man meinen, es hätte mit meiner jetzigen Situation nicht viel zu tun. Genau genommen hatte es das auch nicht. Aber in meinem Leben lässt sich nichts genau nehmen, nicht wenn man der Wirklichkeit Rechnung tragen wollte. Ja oder Nein, falls es ihn wirklich geben sollte, war ich der „Vielleicht-Typ“. Ich glänzte durch Unentschlossenheit in allen Lebenslagen, war zwar nicht stolz darauf, aber wusste im Grunde nicht, wie sich daran etwas ändern ließe, wollte es wohl auch nicht genug. Französisch zum Beispiel war ganz oben auf jener Liste, die ich einst anlegte, um mein unruhiges Gewissen zu mäßigen. Ich war immer zu schwach, zu jenen Dingen ernsthaft zu stehen, sie mir praktisch zu Eigen zu machen. Immer kapitulierte ich im Bestreben etwas genug zu wollen um dafür einstehen zu können. Diese Liste war so lang, wie jene, die ich ausgleichend anlegen musste, um den Überblick über mein Versagen nicht zu verlieren. Mein Vater hatte so recht, nur einmal hätte ich eine Peitsche mitnehmen, nicht nur zu meiner Freundin, und sie als spitze Zunge über das Gelächter meiner Mitmenschen fahren lassen sollen. Ich meine, alles auf meinen Vater zu schieben, würde es mir zu leicht machen, und auch meiner Mutter, die mich mit vier bei meinem Vater zurück gelassen hatte, um mit einem viel jüngeren Franzosen „etwas Neues“ auszuprobieren. Als Erwachsener machte ich mir genau über diese Formulierung so meine Gedanken. Nie hatte ich etwas Neues ausprobiert, es stand mir nicht zu, daran zu denken. Ich betrat Tag für Tag alte Pfade, breitgetreten von Klischee geschusterten Selbstmitleidslatschen.
Und überhaupt, wollte ich denn nur Französisch sprechen können, weil ich heimlich glaubte, meine Mama würde kommen, um mich zu sich und Jean Pierre zu holen? Vielleicht um etwas Neues auszuprobieren? Vorletztes Jahr hatte sie noch eine Karte geschickt. Sie war nun wieder alleine oder schon wieder nicht mehr, damals war sie es, so genau konnte ich es nicht sagen. Wollte ich auch nicht.
Das war so eine Sache mit der Schuld der Anderen beim Erreichen eines gewissen Punktes des eigenen Daseins. „Hier und Heute“ genannt oder auch „jetzt“. Vielleicht war ich gerade dort angekommen. Meine Zukunft kannte niemand, auch jene nicht, welche immer schon vorgaben zu wissen, was aus einem wie mir werden müsse. Meine Vergangenheit kannte sich selbst und das genügte ihr, mich ständig daran zu erinnern, wie schlecht sie es mit mir getroffen habe. Die Welt war schuld. Vielleicht? Wenn sie besser mit mir umgesprungen wäre, würde ich nicht an diesem Punkt meines Lebens siebzehn geladene Gendamerie-Glocks auf mich gerichtet wissen. Überraschung! Diesen Knalleffekt wollte ich mir nicht nehmen lassen. In der mir einzig bekannten Realität arbeitete ich ohnehin seit sieben Minuten unablässig darauf hin, als die Art missverstandener Täter, fast schon Opfer, tödlich getroffen doch noch als bemitleidenswertes Geschöpf zumindest ein wenig respektiert zu werden. Wie in diesem Film mit Kevin Costner, wo er am Ende von seinem eigenen Vater nicht gerettet werden kann und ohne ersichtlichen Grund erschossen wird, weil ein übereifriger US-Cop oder Sheriff, was weiß ich, den Schießbefehl gab. Ich stellte es mir sehr schön vor, so zu enden. Dennoch tief in mir wusste ich es besser. Ich hatte meine Geisel ein wenig zu rüde an den Haaren gezogen, um von den Medien, die durch Glasaugen die Welt verstehen - schlimmer noch erklären wollen - noch auf die Seite der Robin Hood-Verbrecher gebracht zu werden. Neun Banken in sieben Tagen. Das war schon was. Ich hab es nie der Jugend weg genommen, denn ich ließ mir ausschließlich die Safes der alten Menschen öffnen. Seit das Bankgeheimnis nur mehr marginal existierte, konnte man als Räuber durchaus Prinzipien entwickeln und es sich prima leisten ein wenig wählerisch zu sein. Mein Ansatz, so empfand ich ehrlich, war gut, dass die Medien mich zum Omiräuber machen würden, war mir bei Bier, Brezel und Tatort mit Götz George vom Jahre Schnee nicht klar gewesen. Ich meine, die alten Leute benötigen das ganze Geld ohnehin nur zum Vererben, und ich benötige es zum Leben. Und so erfolgreich war mein Prinzip alleine wegen des großen Zeitaufwandes schon nicht.
Alles erbeutete, reichte bei weitem noch nicht aus mich auch nur annähernd reich zu nennen. Hab ich schon erwähnt, das ich arbeitslos bin? Nein? Ich weiß das passt! Vielleicht hatte ich die Folge nicht richtig verstanden, aber es schien Spaß zu machen, bewaffnet eine Bank zu überfallen. An dieser Stelle sollte ich, obwohl ich es nur ungern zugebe, auf den gravierenden Unterschied von Fernsehen und Wirklichkeit hinweisen. Also zwischen Götz George und dem typischen österreichischen Landgendarmen liegen Welten. Götz war um Längen besser, trotzdem er gegen Ende auch schon ansatzweise einen Bierbauch entwickelte. Ich stand hier und hielt ein dreißig Zentimeter Messer an die Kehle einer jungen Frau. Im Halbkreis umzingelte mich die Exekutive und versuchte, mich zum Aufgeben zu überreden. Es hatte dennoch neun Banken und sieben Tage gebraucht, bevor die hinter mein System gekommen waren. Ab der dritten Bank zeigten sie sich nach jeder weiteren umso erstaunter. So etwas gab es im ganzen Bezirk noch nicht. Doch sie schienen sich auf mich eingestellt zu haben.
Nachdem sie meine Regeln heraus bekommen hatten, war es ihnen ein Leichtes mir aufzulauern. Vermutlich war sie gar keine Bankangestellte. Irgendwie hatte ich es geahnt, nach alphabetischer Reihung zu agieren, könnte sich als Fehler herausstellen. Alles nur weil ich mich nicht entscheiden konnte. Und irgendwie war das Branchenverzeichnis Schuld daran. Schließlich wird es dann doch jemanden bei Kaffee und Kipferl aufgefallen sein, welches Muster neben dem chronologischen noch deutlich ersichtlich auf dieser Liste meiner Heldentaten so unübersehbar ins Auge sticht. Example: Bank (A)ustria, Bank (B)awag, Bank (C)A. und so weiter. Ja, meine Unentschlossenheit machte hatte mir eben wieder zu schaffen gemacht, und das ich dem Mädel niemals ernsthaft weh tun würde, also mehr als das bisschen Haare rupfen, stand für mich so fest, wie kaum was zu vor. Was dennoch nicht wirklich fest zu nennen war. Trotzdem konnte ich mich nicht entschließen aufzugeben. Immerhin wussten die ja nicht das ich ein Laschi mit Bowiemesser war. Nein, ich war der kaltherzige „Omiräuber“, welcher netten alten Damen, das wenige sauer verdiente Geld, dass sie für ihren Lebensabend unbedingt benötigten, wegnahm. Ja genau, ohne mit einer Wimper zu zucken. Es stand dennoch nicht in meiner Macht, es spontan von mir ausgehend zu beenden. All das Geschwafel im Geiste war emsiges Blendwerk, um mein mutmaßliches Ende noch ein wenig hinaus zu zögern. Die Frau deckte mich, nur ein Kopfschuss würde mich davon abhalten, ihr zwischen Rippe fünf und sechs mein Messer tief ins Herz zu rammen. Und eventuell die Unkenntnis darüber, wo genau sich diese im Lehrbuch für angewandte Medizin angegebenen Rippen befanden. Mein Vater war von einem Laster überfahren worden, meine Nachbarin hatte meinem damals siebzehnjährigen Ich tröstlich zugeflüstert, dass nur ein Schuss in den Kopf weniger weh tat, als vom Laster überrollt zu werden. Wenigstens war sein Gesicht heil geblieben, so konnte ich ihn problemlos als meinen Vater erkennen, was bei Projektileintritt im oberen Kieferbereich gleich neben dem Wangenknochen nicht unbedingt so leicht sein muss. Ich will nicht sagen, Leute wie meine Nachbarin brachten mich auf die verrückte Idee, andere dazu zu bringen, sich so hinzustellen, dass mein Ausweichen mich auf Wege brachte, die viel vehementer als im Römischen Reich nur an einen Punkt zu führen scheinen. Dies wäre ja verrückt. Und das bin ich nicht. Dumm, gleichgültig, sogar sorglos. Nicht aber verrückt! Es wäre aber kein Wunder, wenn ich es wäre. Bis heute habe ich keine Ahnung, ob sich mein Vorbild und einzige Stütze in dieser schrecklichen Welt umgebracht hat oder ob er einfach ein einziges Mal in seinem Leben in Gedanken versunken vergaß, nachzusehen, ob er die Straße auch queren könne. Was ich für meinen Teil wirklich wollte, war so ungewiss wie der Ausgang dieser Situation. Sie schrieen immer noch durcheinander, ich solle doch aufgeben, und etwas befehlsmäßiger: „Messer weg oder ich schieße!“ Ich glaube, er vergaß einfach nachzusehen, so wie ich vergaß, mir einen ordentlichen Plan zurecht zu legen, wie ich ein Leben ohne ihn ertragen würde können. Ich wollte aufgeben, der jungen geduldigen und etwas eingeschüchterten Polizistin, welche ich unter andren Umständen liebend gerne um ihre Telefonnummer gefragt hätte, das Messer überantworten. Ja, am Boden liegend, von unzähligen Cholesterin geschädigten Körpern nieder gedrückt, auf einen gnädigen Richter hoffend, dem Ganzen ein würdiges Ende bescheren. Zurück in mein Inneres. Ich bin mir wie immer nicht sicher was meinen Vater so beschäftigt hatte, aber ich hab mir so meine Gedanken gemacht.
Vielleicht, dass die Käsekreiner wieder teurer geworden waren, oder warum sie ihm nun so schwer im Magen lagen oder dass er sich mit mir etwas ausgemacht hatte und schon spät dran war. In Mägen konnten sie hineinsehen und in seinem lesen, dass er sich kaum umgebracht haben würde, nachdem er sich zuvor gut angegessen hatte. Meine Freundin, so nenne ich sie immer noch, gab ihnen recht. Vielleicht lag sie damit richtig, sie hatte gut Reden, für sie ging es um nichts. Ich vermisse sie. Und doch blieb kaum noch Platz für lange Gespräche, denn es war so weit. Schon lag ich am Boden. Das Messer war mir eher aus der Hand genommen als ich Hauptschlagader oder fünfte Rippe nur andenken konnte, doch wie gesagt, ich hätte dies nie getan, nicht im äußersten Notfall. Eigentlich nicht weil ich den Entschluss gefasst hatte es nicht zu tun, nein vielmehr weil ich mich nie entschließen könnte es durchzuziehen. Doch es war gelaufen, denn das klicken von Handschellen machten es offiziell, ich war verhaftet. Der Glatzkopf vom Hauptschalter, der mir gleich wie der Leiter einer Spezialeinheit mit hohem Rang, keine Ahnung, etwa Major vorgekommen war hatte sich angepirscht und seine Kollegin gerettet. Dass sie mir in die Seite trat, wurde von der Mehrzahl nun aus allen Löchern strömenden scheinbar die ganze Zeit über versteckt gebliebenen Schaulustigen mit verständigem Murmeln quittiert. Ich selbst fand es nur gerecht, obwohl ich sie nun charakterlich anders einstufte und nicht mehr in Versuchung kommen würde, sie als nett zu bezeichnen. Das war’s also, ich war weder gestorben noch hatte ich jemanden getötet. Was ich bezweckt hatte, wissen die Götter. Es war geschehen, wie alles in meinem Leben. Dies war der Punkt, an den ich kommen sollte, nicht weil es so einen Schwachsinn wie Schicksal oder Vorbestimmung gab, sondern weil ich alles tat, um dies zu ermöglichen, und noch mehr, alles ausließ, was es verhindert hätte. Ich wäre wohl gleich verhaftet worden, hätte sich die vom Klo kommende vermeintliche Bankangestellte nicht so günstig als Geisel geboten! Nun zerrte sie an meiner Maske, nahm sie ab und sah mich an. Kurz befürchtete ich sie würde spucken. Nun hatte ich wieder ein Gesicht.
 

rolarola

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Hallo Efiriel!

Nette Geschichte! Der "fette, tote Dichter vergangener Zeit" hieß übrigens Friedrich Nietzsche und das Zitat mit der Peitsche stammt aus dem Werk "Also sprach Zarathustra". Den Tipp mit der Peitsche bekommt Zarathustra von einem alten Weiblein.

LG,

rolarola
 

Efiriel

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Danke

Hallo Wanni, Hallo Rolarola

Hallo. Ich bin erfreut andere Meinungen zu erhalten. Familie und Freunde haben oft nicht den nötigen Abstand.
Mir wird ja nachgesagt, ich schreibe manchmal abgehackt und kompliziert. Meine Gedanken machen oftmals große Sprünge und es ist nicht wirklich einfach für den Lesenden die Duftspur nicht abreißen zu lassen.
Daher versuche ich auf Anregungen angemessen zu reagieren, das ist aber nicht immer einfach. Ihr macht es mir allerdings sehr leicht, da ihr sehr gut zu mir seid.

liebe Grüße

Efiriel
 



 
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