Vernetzt

Vernetzt


Er war verkabelt und vernetzt. Die Vernetzung der Häute, die dann zu Markte getragen wurden. Er wollte nicht zu den Warnern gehören. Er wollte dabei sein, mitten drin, oder am Rand, das war ihm gleichgültig. Der Spinne war es ja auch einerlei, ob die Fliege am Rand oder in der Mitte des Netzes gefangen war. Ne, stimmt nicht, in der Mitte saß ja die Spinne selber. Und wer sitzt in der Mitte des Internets? Angeklickte Links führten zu Servern, die unentwirrbar verbrouwst waren.

Umgarnt sind wir alle. Je heftiger man sich aus dem Netz befreien will, desto wilder verstrickt man sich. Die Idee der Netzwerke hatte Konjunktur bei der 68-er Bewegung. Effektiv umgesetzt aber bekamen sie eher Industrie und Politik. Seilschaften schafften, was sonst nur Einzelhaften rafften.

Die Netzstrümpfe der Frauen sind Ausdruck des Fischenwollens. Die Spinne ist jedes Mal verwundert, wie praktisch ihre Kunst ist. Ich gehe ins Netz bedeutet heutzutage etwas anderes als früher. Die Angst, jemand ins Netz zu gehen, ist verloren gegangen. Wodurch ist dieser mutante Sprung entstanden? Das Klebrige aber hat selbst das Internet noch, man kann darin hängen bleiben. Erstmals tauchen Phänomene auf, die man nie mit Netzen verbunden hätte: Abhängigkeit. Welcher Fisch schwämme schon gern zweimal in das selbe Netz, und würde auch noch seinen Freunden erzählen, wie geil es im Netz ist.

Eine grindige Meute von Nachrichten stürmte in den elektronischen Briefkasten. Das eingeschleuste Virus seufzte auf, als es sich auf den Grund der Mail-Box sinken ließ. Endlich konnte es den schweren Anhang mit dem Etikett: I love You abstellen. Noch ahnte niemand, dass es sich um die virtuelle Büchse der Pandora handelte.

Das Internet ist Ausdruck eines geistigen Prinzips: Alles ist miteinander verbunden. Also gibt es kein geistiges Eigentum. Die Umsetzung dieses Postulats in eine Soft-Ware, die CD-Tausch-Börse von Napster, wurde von der Plattenindustrie abgeschmettert. Satelliten drängelten sich nicht umsonst im Orbit, die wollten ihr Geld einspielen. Das Netz wurde immer dichter, und jedes Jahr kam ein neues auf den Markt.

Wohin verschwanden die kollabierenden Dateien? Gab es einen kosmischen Mülleimer, in dem diese gesammelt wurden, und war dieser virtuell oder aus Gedankenformen? Waren Gedanken nicht auch virtuelle Formen von Materie?

Die Aborigines haben die telepathische Fähigkeit, sich ohne Handy in den Weiten der australischen Wildnis an einem verabredeten Ort zu treffen. Das Netz, das sie dabei anzapfen, ist die Traum-Zeit, ein seit Jahrtausenden installiertes mentales Netz, das sich um den Globus zieht.

Er schaltete den PC ein. Die Infos stürmten auf den Bildschirm, als hätten sie Jahrtausende darauf gewartet. Sie fütterten zeitkonsumierend seine fetter werdenden Dateien. Übertragungsraten änderten sich wie der Luftdruck, obwohl letzterer selten mal auf Null fällt. Virtuelle Welten stapelten sich in unentwirrbaren Dimensionen, deren spiralarmige Richtung oft nur in Abstürzen beendet werden konnte. Jeder Tag ein neuer Surf-Ausfluss am Gestade der verfügbar gemachten Gedanken: Ein am Ende der Milchstraße aufgefangener Witz, und eine durch zwölf Orbite gemangelte Weltanschauung billig abzugeben. Wer möchte die astrale Ansicht einer röhrig verlaufenden Gasspirale abscannen, die sich in vierzehn, nicht auf der Erde bekannten Farben drehte? Oder Nacktaufnahmen einer Galaktika mit extrapneumatischen Möpsen auf die Festplatte bannen? Verschlüsselte Botschaften vom Sirius - die Schlüssel dazu gab es auf einer beiliegenden CD, die man herunterladen konnte, oder herauf, je nach dem man selber drauf war als paranoider Humanoide.

Die modernen Errungenschaften haben aber eine ganz andere Schwingung als das tastende, traumhafte Visionieren. Ein neues mentales Netz mit höherer Schwingung hat sich über dem alten etabliert. Das Internet ist die irdische Variante davon, ein Bewusstsein zu entwickeln, dass Alles mit Allem verbunden ist. Wie hätte es anders kommen können, als daß der Kommerz sich wie ein Pilz über das Netz verbreitete. Die letzte Angst ist geblieben: dass dir jemand in den PC kucken kann, hinter die Stirn.
Umgarnt und enttarnt per Flat-Rate. Sie spinnen wohl? Ja, aber Seide!


Die Lizenzen für die UMTS-Frequenzen kosteten 80 Milliarden DM. (Dagegen war der Vietnameinsatz der USA vergleichsweise preisgünstig: Nur 35 Milliarden Dollar) Die Gelder flossen in den Ausbau kommunaler Straßennetze, um so den Autoabsatz zu erhöhen, denn, wie hieß es im vierten Wirtschaftsgesetz : Wer Straßen sät, wird Autos ernten. (Matter Beifall, von Buh-Rufen unterfüttert) Die durch Power-Shopping angeheizte Konsumwelle wird über die Autobahnen schwappen: vollgestopfte LKWs auf vollgestopften Straßen. Eine Verdoppelung des E-Shoppingumsatzes wird eine Vervierfachung des LKW-Aufkommens nach sich ziehen. (Finden Sie heraus wieso, und schreiben Sie uns nicht)

Netzkarten waren ja stets die Belohnung für treue Abnahme von Dienstleistung. Die Flatrate ist die moderne Netzkarte. Die Netze von Hochseefischern sind inzwischen größer als deren Fangflächen. Die durch Fangquoten geregelten Abläufe lassen sich jedoch auf See besser unterlaufen als an Land. Hier draußen kann man schon mal die Grenzen verschieben. Aber ein Halunke auf See ist nicht so schlimm, wie der Kollege an Land.

In der BRD werden in einem Jahr in der Werbung 460 Milliarden Mark umgesetzt. Und nur um einmal pingelig zu werden: Eine Million in Tausend-Mark-Scheinen stapelt sich gut einen halben Meter hoch; eine Milliarde klettert dreimal so hoch wie der Kölner Dom! Wohlgemerkt: in Tausendern! Dem Papst blieb nicht erspart, sich Vorwürfe anzuhören, Geld in die Rüstungsindustrie gesteckt zu haben; ein Verteidigungsminister hat ganz andere Probleme mit den Milliarden, die ihm jedes Jahr in die Amtsstube gekarrt werden, dass schon die Tür bald nicht mehr zugeht.

Er schaltete den PC aus und griff sich das Einkaufsnetz.


doktordigitalis - 4/2001
 



 
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