Verständigungsschwierigkeiten

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SCHNEPF

Mitglied
Karl Kraus sagte einmal: „Was den Österreicher von den Deutschen unterscheidet, ist die gemeinsame Sprache“. - Ich kann ein Lied davon singen. Aber könnte ich wirklich singen, es würde in lustiges Lied sein.

Nach rund 40jährigem Aufenthalt in Deutschland passiert es mir - nun wieder zurück in Österreich -, dass ich immer noch Brötchen kaufen möchte. Nach einer Schrecksekunde verbessere ich mich aber immer gleich auf Semmeln. Bei dieser Gelegenheit sagte man mir schon einmal: „Macht nichts, wir verstehen auch deutsch!“ – So ganz selbstverständlich ist das ja nicht. Meine österreichischen Leser werden mir’s bestätigen: Wir hatten in der Schule nicht „Deutsch“, nein, wir hatten „Unterrichtssprache“.

Meine erste Station in Deutschland war München. Dort fühlt man sich ja sprachmäßig noch fast wie zu Hause. Dazugelernt habe ich aber, dass „a Mass“ zwar eine größere Menge Bier ist, aber nie ein Liter!

Dass ich wirklich im Ausland war, merkte ich erst so richtig, als ich aus beruflich Gründen für kurze Zeit nach Berlin musste. Dort bat ich in einem Geschäft um ein Nylonsackerl. Die Verkäuferin sah mich ratlos an. Erst als ich ihr erklärte, wofür ich das Ding haben möchte, sagte sie: „Ach ... eine Plastiktüte!“ Na gut, die war mir auch recht. Hauptsache, ich konnte meine Sachen wegtragen.

Nach München ging es nach Nordrhein-Westfalen. In der Wohnung in Gelsenkirchen brauchten wir gleich einen Installateur. Bevor er anfing, verlangte er nach einem Eimer, also er wollte einen Küb’l, und nach einem Aufnehmer. Meine Frau stutzte. Ein Aufnehmer? Was sollte das sein? „Ich brauch den, weil ja immer etwas Wasser auf den Boden kommt“, erklärte der Handwerker und machte dabei Wischbewegungen. Alles klar, er wollte einen Putzlumpen, einen Hadern, ganz einfach „an Fetz'n“.

Wenn meine Frau Schnitzeln ausbäckt, erinnere ich mich immer wieder mal daran, wie es war, als wir zum ersten Mal im Kohlenpott Semmelbröseln kaufen wollte. Im ersten Geschäft sagte man uns, dass man so etwas nicht führe. Im zweiten ließ sich die Verkäuferin wenigstens erklären, wozu man so etwas braucht. „Ich nehme dazu Paniermehl“, sagte die freundliche Verkäuferin. Sie reichte meiner Frau ein Päckchen. „Versuchen Sie es einmal damit.“ Zu Hause öffneten wir das Päckchen misstrauisch, aber das Gesicht meiner Frau erhellte sich sogleich. Drinnen waren doch Semmelbröseln. Gott sei Dank!

Was in Deutschland aber einfach ist, das ist Kaffee bestellen. Eine Tasse, ein Kännchen ... alles klar! Probieren Sie das einmal in Wien. „Was wünschen der Herr!“ - „Eine Tasse Kaffee.“ Mit dieser Antwort bringt man jeden Ober ... ah, den Kellner an den Rand der Verzweiflung. Was soll der arme Kerl daraufhin bringen? Einen kleinen oder großen Braunen, vielleicht einen Verlängerten, einen Einspänner, einen Kapuziner oder eine Melange? Und damit sind die Möglichkeiten noch gar nicht erschöpft. Aber egal was getrunken wird, ich empfehle dazu eine Topfengolatschen zu probieren. Was das ist? Das kann man nicht übersetzen, nur essen.

Diese Beispiele ließen sich endlos fortführen. Ich hoffe, es ist mir aber schon gelungen, aufzuzeigen, dass es nicht nur darum geht, dass man hier Frankfurter, dort Wiener verspeist – man hat sich eben zum Fressen gern –, sondern dass es um viel mehr geht. In seinem Buch „Sprechen Sie Wienerisch?“ meint Peter Wehle über das Wienerische: „Wienerisch ist weit mehr als nur ein ostmittelbairischer Dialekt. Er ist eine rhythmische Philosophie mit Humor.“ - Ich bin sicher: Ähnliches kann man auch von anderen Dialekten behaupten.

In diesem Sinne verabschiede ich mich in Anlehnung an einen, nicht nur auf Wiener Bühnen ehedem ganz Großen, an Heinz Conrads, mit „Küß d’Hand, d’ Madln, Servas, d’Buam!“
 

GabiSils

Mitglied
Hallo Schnepf,

so etwas wollte ich schon lange mal über die Schweiz schreiben - ich lebe seit fünf Jahren hier, kenne aber noch lange nicht alle Ausdrücke. Das fing schon an, als auf meinem Kontoauszug "Vergütung" stand, ich das Geld aber keineswegs bekam; es handelte sich um eine Überweisung :(
Überhaupt Amtssprache: Daß der Gerichtsvollzieher "Betreiber" heißt, kann mir ja relativ egal sein, bisher hat der Herr mich noch nicht besucht :D
Ein Bürgermeister ist entweder der Gemeindepräsident oder auch der Gemeindeammann, je nach Ortschaft. Präsidenten gibt es überhaupt zuhauf.

Aber ich gerate ins Plaudern. Schön geschrieben!

Gruß,
Gabi
 
H

Harald

Gast
Servas Otto!

Des is scheen, das amoil ana auf die Gemeinsamkeiten aufmerksam mocht.

Ich erlebe dieselben auch des Öfteren. Unser Sohn lebt seit vielen Jahren in der Nähe von Düsseldorf und unsere kleine Enkelin hat manchmal mit unseren Ausdrücken Verständigungsschwierigkeiten und wir mit ihren.

Dabei sagt sie schon formvollendet: „Pfiat Eich!“, was natürlich bei der Begrüßung befremdend wirkt. Wenn wir ihr sagen: „Deine Haub´n ist im Kasten“ versteht sie alles andere als „Deine Mütze ist im Schrank!“ Wir haben sie von Herzen lieb.

UND DAS IST DIE HAUPTSACHE IN PUNKTO VERSTÄNDIGUNG!

Pfiat di, Du woschechta Deitscher
Harald
 

SCHNEPF

Mitglied
Verständigung

Hallo Harald,
nur zur besseren Verständigung: Ich bin ein waschechter Österreicher; aufgewachsen in der Nähe von Wien. Das nur zur Klarstellung für alle anderen, da ich annehem, dass du es mehr ironisch gemeint hast. Nach über 40 Jahren Deutschland bleibt aber wirklich etliches hängen.

Ja, man könnte die Aufzählung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Sprache zwischen beiden Ländern unendlich fortsetzen.

Lieben Gruß,
Otto
 

katia

Mitglied
herrlich

lieber harald,

eine wirklich gute, lustige, halt ingesamt lesenswerte geschichte, die ich jetzt auch gleich bewerten werde...- und ich als berlinerin kann nur sagen: "wat is ne semmel? et muss schrüppe heißn, ehj!"
und nun lebe ich schon eine ganze weile in nrw und mußte mich damit abfinden, dass ein pfannkuchen nun ist wie ich - nämlich ein berliner
lg
katia
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
und

noch eine beifallsbekundung. guter text, liest sich weg wie nichts. hätte von mir aus noch viiiiel länger sein können.
ganz lieb grüßt aus berlin
 

katia

Mitglied
SCHNEPF

hab ich harald in der anrede geschrieben statt SCHNEPF?! hatte kurz vorher eine geschichte von harald am wickel und mir dann diese hier. ich sags ja: als normaler mensch im nrw-karnevalswahn wird man noch bekoppt.
trotzdem: tschuldigung, war keine verwechslung, sondern mein kopp!
..sagt
katia
 

SCHNEPF

Mitglied
Hallo flammarion,

Verständigungsschwierigkeiten? Gut, dass wir die nicht haben!

Vielen Dank für die zustimmenden Worte. Natürlich ließe sich die Aufzählung fortsetzen und es gäbe auch zu den Paarungen Paradeiser – Tomaten, Schlagobers – Sahne, Karfiol – Blumenkohl, Marille – Aprikose usw. bestimmt auch das eine oder andere zu berichten.

Leider ebnet die EU diese doch reizvollen regionalen Unterschiede immer mehr ein. Es wäre zu wünschen, wenn es in der EU über den „Ausschuß der Regionen“ gelänge, der eingerichtet wurde, um regionalen Anliegen Gewicht zu verschaffen, die Vielfalt an kulturellen Besonderheiten, und damit auch die der Sprache, zu erhalten. Seit es hier vorschriftgemäß in den Geschäften nur noch Konfitüre gibt, kämpft man um den Erhalt der Marmelade. Wahrscheinlich vergeblich. Aber was soll’s: Auch wenn Konfitüre draufsteht ist Marmelade drin! Und hier gibt’s auch Powidl ... oh, pardon: Zwetschkenmus!

Liebe Grüße aus der Nähe von Wien,
Otto.
 

birdy

Mitglied
Danke !

In einem Kabarett Klatscht man, in einem Satireforum bedanke ich mich halt, wenn ich gut unterhalten wurde.

Liebe Grüsse von einem Kärntner, der vor 18 Jahren nach Wien zog und in einem Altbau im 1. Stock verwundert vor dem Schildchen Mezzanin stand. Im 2. Stock war dann 1. Stock zu lesen.

Das waren dann keine trivialen Verständigungsschwierigkeiten mehr, das hat 12 Jahre Schulmathematik über den Haufen geworfen. ;)

Liebe Grüsse
birdy
 
H

Harald

Gast
Jaja, Birdy, es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen unsere Schulweisheit keine Ahnung hat.

Zu den riskantesten Mutproben gehört eine Fahrt mit einem original Wiener-Aufzug. "Lassen Sie sich aufziehen!"
Man hört allerdings öfter: "Lassen Sie sich (von dem) nicht aufziehen!" Wem soll man glauben?

Als noch mehr Fiaker (Pferdedroschken) unterwegs waren als heute, verwechselte man manchmal den Zufall mit einem "B´soffenen Kutscher - wie der die Leut´ z´sammführt?!" (Schwer zu übersetzen, Mindestvoraussetzung: Kärntner in Wien.)

Naja, ich darf mich sowieso nicht vordrängen, ich bin ja aus der Provinz.

Liebe Grüße nach Wien!
Harald
 

SCHNEPF

Mitglied
Hallo birdy,

spät aber doch ... danke für deine lieben Grüße und den Applaus.

Diese „Verständigungsschwierigkeiten“ gibt es natürlich nicht nur zwischen den Ländern als solche, nein, es gibt sie auch zwischen den Bundesländern. Es wäre natürlich falsch, wollte man da Österreich auf Wien verkürzen und Deutschland auf Berlin. Ich war öfters hinter Hamburg in der Gegend von Brunsbüttel in einer Kneipe („Kiek mol in“), da konnte man die Einheimischen am Nebentisch überhaupt nicht verstehen.

Was insbesondere für Wien noch anzumerken ist, ist der Umstand, dass sich da stark - ich meine stärker als anderswo - im Dialekt (sagen wir mal „eingewienert“) französische Ausdrücke befinden. Ich will hier mal Lavoir (Waschschüssel), Trottoir (Gehweg) und Gouvernail (Fahrradlenker) erwähnen. Auch der Bassena sieht man ihre Herkunft noch an.

Und wenn hier von einem Krewecherl die Rede ist, dann muss ich immer an das französische, umgangssprachliche être crevé denken, eben an vollkommen fertig, völlig erschossen sein, erledigt, kaputt. Da ist es zur Bedeutung Schwächling nicht mehr weit.

Liebe Grüße,
SCHNEPF
 



 
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