Versuch, ein Gedicht zu schreiben

"Nicht verzweifeln, wenn dein Geliebter mit den Tollkirschen ausbleibt. Gut Ding braucht Weile." Sagt die runzelige Alte mit dem Kindergesicht, um sogleich wieder in's Moor hinabzutauchen, das mich alljährlich schlüpfrigst in meinen Träumen heimsucht, dann, wenn alle Begierden noch vorfrühlingshaft vor sich hinschlummen.

"Sei glücklich!!" haucht die Stimme aus der Zimmerecke, die sich leider immer nur dann meldet, wenn alle Räume kahlgefegt zum Tanzen animieren.

"Verblöde doch nicht!!" kündigt sich der Kloß im Halse an, der den Schrei mal wieder zu lange festhält, um ihn dann in den Bauch hinunterzuwürgen, wo er sich zu grotesken Verzweiflungstaten aufzublähen sucht.

Jetzt nehme ich ab, werde leichter und leichter und herauskommt, was herauskommen muß. Ein Gedanke aber, ein Rhythmus, findet sich nicht. Also vergesse ich all jene Dichter und Dichterinnen, die sich abplagten und frage mich dann, des Leides überdrüssig, das aus ihren Biographien fließt, was ihre Ängste und Psychosen eigentlich mit mir zu tun haben. Grübelnd löffele ich die Suppe aus und muß gestehen, sie schmeckt nach nichts.

Inzwischen ahne ich, daß der Versuch, ein Gedicht zu schreiben, ein gefährliches Spiel mit der eigenen Würde ist. Heiß vor Scham, einen lauernden, nicht adäquaten Gegner in mir zu wissen, wende ich mich deshalb ab heute nur noch der Hausmannskost zu und würze diese stetig und kräftig nach.


12.02.1989
 
R

Rote Socke

Gast
Tja Birgit...

...es liegt viel, viel Wahrheit in dieser Geschicht'
mehr darüber zu sagen lohnt sich wohl nicht.
Ich hab verstanden und gehe getrost in die Dichterwelt
und mögen noch viele nachdenken über den Sinn, Du Held.

Gruss
RS
 
S

seetyca

Gast
oh, die zeilen des letzten absatzes greiffen mich an, denn auch seetyca ist an diese grenze, heiss vor scham, schon gestossen und hat womöglich schon die eigene würde auf der strecke belassen. wenntu sie findest, dann bitte bring sie...
 
Hallo Rote Socke,

warum lohnt es sich nicht, über das zu sprechen, worin "viel Wahrheit liegt"??? Sind nur die Lügen interessant? Und dann, wer ist der Held, den du ansprichst? Bist es du? Bin es ich? Und mit welchem Trost gehst du in die Dichterwelt?

Einer Antwort harrend, da sonst unverstanden

die blaue Schnake, heute abend

Birgit
 
Hallo Seetyca,

ich muß gestehen, es freut mich innerlich, ganz heimlich also, daß da noch eine/r ist außer mir, dem ähnliches geschehen ist, mitunter noch geschieht. Und ich bin stolz auf dich, unbekannterweise, daß du den Mut aufgebracht hast, deine Scham und verlorene Würde hier bekannt zu geben.

Somit hast du - du weißt es nicht? - deine Würde wieder!

Zufrieden, geht's dir gut?

Eine schnakenfreie Sommernacht wünsch ich dir

Birgit
 
S

seetyca

Gast
ich hab sie wieder, meyne würde? das thut nichts zur sache, denn ich verspiele sie mit jedem ungehörten vers aufs neue. und es ist jedesmal, als ob man nur eynen brillanten besitzt und ihn am himmel festmachen will. und am nächsten tag ist er weg. aber du bist um meyne würde besorgt, das mag ich. hierher, wo ich bin, kommt keine schnake. seetyca grüsst dich und geht mal durch die nacht.
 
R

Rote Socke

Gast
Hi Birgit,

meine Antwort war wohl zu knapp und nicht so aussagekräftig wie sie sein sollte.

1. Es lohnt ja nicht darüber zu sprechen, denn Wahrheit ist Wahrheit und was soll man ihr noch anfügen oder bereden?

2. Der Held bist Du, weil Du so mutig bist über die schamhafte Wahrheit zu offenbaren.

3. Auch ich empfinde so einen Gegner in mir, spüre den Kloß, möchte es dann hinwerfen und doch wieder erliegen und das lässt sich auf sovieles münzen.
Darum gehe ich getrost in meine Dichterwelt und versuche mich weiter in der Offenbarung der Wahrheit, auch wenn so manches freigelegt wurde und mich schämen lässt.

Es ist ein guter Text.
RS
 
meine Fabel als Antwort für dich

Von oben herab ließ sich der Kran zur alten Schiffssirene nieder.
„Wie kommt es, dass man dich Winzling höher schätzt, als meinen starken Arm?“
Die Sirene warf sich in die Brust: „Deine Künste nimmt man kaum wahr. Verrichtest täglich deine Ration und knarrst und quietscht in den Scharnieren. Dem flachen Auge bist zu fern und dem verwöhnten Ohr ein Graus. Ich aber gehe zu Herzen.“
Dem Kran tat es weh, sich so verkannt zu wissen, gab er doch sein Bestes, um zu gefallen. „Aber ich schufte für drei, tagein, tagaus! Ich gehe den Menschen zur Hand. Du hängst hier rum und lamentierst.“
Er verstand ihren Einfluss nicht.
„Warum lauschen dir rostigem Zwerg die Menschen mit erstauntem Blick und jeder läuft eilends, es dir recht zu machen“, rumpelte er so fort.
„Weil mein Gesang sie erregt“, dudelte die Schiffssirene.
„Ich will auch singen wie du“, beschloss der Kran, legte sich hin und tat keinen Armschlag mehr.
Bald wurde er eingeschmolzen und gehämmert und geformt.
Nun tutet er gleich allen Schiffssirenen.
 
Hallo, Rote Socke,

da bin ich wieder (eigentlich ein schöner Name: Rote Socke und gestreifte Krawatte, das wär doch was, oder? Und beides in Napoli... Ach, diese Assoziationen, die man immer hat, vor allem in so einer Sommernacht wie dieser).

Gefällt mir gut, dein aufrechter Gang durch die Dichterwelt(en); solche Wege begleite ich gerne, obwohl wir da tatsächlich immer nur Einzelkämpfer sein können (denn in dem Moment, wo man sich einer Sache verschreibt, hat man sich da nicht schon der Unwahrheit verschrieben?).

BIST DU EIN IDEALIST?

GERN WÄR ICH WIEDER EIN IDEALIST - des Feuers wegen, das in jedem von uns brannte oder noch brennt.

Der Geruch der Waschküche, aus der man kommt, bekommt man nicht mehr los, so oder so ähnlich hat es einmal Brecht gesagt.

In diesem Sinne eine gute Flamme
(und verzeih das bischen Chaos im Moment, aber das hat's jetzt einfach gebraucht und das Internet ist ja schon sehr geduldig und ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel)

Birgit
 
Hallo Kathrin,

schön, mal wieder was von dir zu hören - auf der einen Seite. Andererseits: deine Fabel als Antwort ist aber auch zu traurig, da könnte ich ja Depressionen kriegen. Müh ich mich doch auch und müh ich mich und tanze auf zu viele Hochzeiten (jaa, ich weiß, das soll man nicht!) - und wen errege ich mit meinen Gedanken und meinen Gesängen? Und soll es überhaupt der Schönheit wegen geschehen? Allein der Schönheit wegen? Ich fürchte, die Sirene ist ein wenig zu vorlaut - ein Kran hat durchaus auch etwas Reizvolles! So still wie er seine Blicke schweifen läßt, still und ruhig.

Ach ja, die Sirenen...

einen leicht zerknirschten Gruß

Birgit
 
Noch ein (lautes, unverbesserliches) "Hallo", Kathrin

- manchmal braucht man eben länger zu verstehen....


vergiß alles, jetzt habe ich die Fabel verstanden!!!


Ich werde bescheiden mich mühen und nicht schielen und nicht trachten -

eine herrliche Fabel - und vielen Dank für solch eine meisterliche Antwort

mit allerbestem Gruß

Birgit
 
R

Rote Socke

Gast
Was sollte ich Dir übel nehmen?...

... und welches Chaos oder stehe ich mit meinen roten Socken auf der Leitung???

Na, die roten Socken nimm mal nicht zu wörtlich und die gestreifte Krawatte, oh Gott nein! Ohne beides in Napoli?, na klar, sofort.

Ja, ich bin ein hoffnungsloser Idealist. War es, bin es und bleibe es! Kann auch sehr realistisch sein, aber der Idealismus ist die treibende Kraft. Das Feuer brennt und brennt und den Geruch der Waschküche möchte ich nicht ganz missen.

So schreibe ich diese Zeilen in einer lauen Sommernacht
und hoffe auf den Geistesblitz, der in mein Hirn hinein kracht!!! Gut' Nacht. ;)

RN (Der rote Napoli)
 
ich wußte es

ganz klar, du verstehst es! Tute bloß nicht so wie alle! Und vermeide den Vergleich mit den "großen Meistern"! Das waren ganz andere Zeiten! Manchmal frage ich mich, ob nur diejenigen ganz groß wurden, die, gefördert von denen, die den (für damalige Zeiten marktwirtschaftlich orientierten) Weit-Blick hatten, ihre Zöglinge zu puschen, die Zeit überdauerten, weil überliefert. Und weil die Kommunikation nicht so weit fortgeschritten (wie heute) gibts eben nur (sagenhafte) Überlieferungen, an denen wir "jungen" aufstrebenden Autoren uns unentwegt messen und beweisen müssen. --- Aber wir haben unsere eigene Sicht und ganz viel Stoff um uns herum. Bloß kein Nachäffen, das wäre schlimm. So hätte kaum jemand etwas Revolutionierendes geschffen. Oder einfach nur was eigenes. (Hast du dein Gedicht eingesandt??)

Zwischen einem Gedanken und dem Text liegt ein Stück EIGENE Arbeit.

Viele Grüße Katrin
 
Hallo, Roter Napoli!
(jetzt hast du, was du wolltest!!!)

verstehst mein Chaos nicht
stehst aber dabei auf der Leitung und ahnst es nur
hast vehement etwas gegen die gestreifte Krawatte und damit gegen eine der herrlichsten Pokerrunden in meinem Film, der noch nicht gedreht ist (aber schon geschrieben!)

Und dann, seit wann geht "Mann" nach Napoli "ohne"

Und: sofort? Soll ich dich wörtlich nehmen?
(Lieber nicht, ich muß arbeiten und brav bleiben)

P.S.: Wie kannst du ein hoffnungsloser Idealist sein (das ist eine philosophische Frage).

Noch ein P.S.:
Gut' Nacht und sei nicht zornig (das Leben ist schön!)

Birgit
 
Hallo Kathrin,

wieder ein guter Satz (der letzte).

Danke für deine Antwort; mein Gedicht habe ich nicht mehr geschafft, leider. "Gut Ding braucht Weile" eben manchmal.

Lieben Gruß

Birgit
 
R

Rote Socke

Gast
Ich zornig? Das kann gar nicht sein!

Zorn ist mir ein Fremdwort.

Philosophisch ein Idealist? Warum philosophisch betrachten? Idealismus kann man praktizieren. Der Mensch kommt als guter Mensch auf die Welt. Wenn er später nicht mehr gut ist, so haben ihn die Umstände schlecht werden lassen. Ich versuche meinen Idealismus bei den schlechten Umständen anzubringen. Nicht den Mensch will ich verändern, nur die Umstände.

Für den Film Napoli bin ich bereit,
Söckchen und Schlips liegen vom Herzen nicht weit!

Beste Grüße
RI (Der rote Idealist)
 
Liebe Birgit,
immer nur Hausmannskost ist gut, versperrt aber den Blick auf all die anderen Köstlichkeiten. Davon zu naschen kostet nicht viel. Es kommt halt auf einen Versuch an. An Appetit und Urteilsvermögen mangelt es dir ja nicht.

Es grüßt dich lieb
Willi
 
Hallo Rotes Söckchen,

du hast die "philosophische Frage" nicht verstanden. Ich erklär's dir: Kann ein Idealist denn OHNE HOFFNUNG sein???????????????????????????????????????????????????????????????????????????????????????????????????????????????? !



Oweioweia, du hast ja die selben Gedanken wie ich, was den guten Menschen angeht mitsamt den Umständen, die ihn derart verändern, daß er häßlich wird und sich und anderen Schmerzen zufügt. Ja, die selben Gedanke wie ich - und das gefällt mir schon. Da nehm ich dich gern mit nach Napoli, wenn ich meine Crew zusammenhabe, um den Mafiosi zu zeigen, wie weit sie wirklich gekommen sind durch die schlimmen Neurosen ihrer Mammas und patroni - nein, eher um einen herrlich-sinnlichen Film zu drehen im quirrligen Napoli und mit dir zur Madonna zu beten, rotsockig und gestreift...

es grüßt dich herzlichst, vollmundig (nach Coppa Krokante)

Birgit
 
Hallo Willi,

es ist wirklich ganz lieb gemeint, aber ich fürchte doch, anhand des vielen guten Zuspruchs mit meinen Zeilen ein wenig Mißverständliches ausgelöst zu haben. Mit "Hausmannskost" meinte ich eigentlich nichts anderes, als was Brecht mit seiner "Waschküche" gemeint hat. Verstehst du / versteht ihr es jetzt?

Und dann gestehe ich an dieser Stelle: oh, ich habe viel und gut genascht, hab nichts verderben lassen, was gar süß und fein, oder feurig und einmalig - nichtsdestotrotz (was für ein Wort!) habe ich weiterhin, und da hast du ganz recht, immer noch einen unbändigen Appetit und ein messerscharfes Urteilsvermögen, was die Zubereitung und vor allen Dingen den Genuß der Speisen angeht.

Herzlichst

Birgit
 
R

Rote Socke

Gast
Hab mich da auch etwas umständlich...

...ausgedrückt.
Klaro braucht der Idealist die Hoffnung wie das Feuer die Luft. Ohne Hoffnung ging nix.

Freu mich auf Napoli! ;)
 



 
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