Versuch 2007

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Andrasch

Mitglied
Gedicht 2007

Wir sind Pioniere der Neuzeit
wir müssen uns bewegen
deshalb bauen wir an
komplizierten Konstrukten
die nur wir verstehen.

Wir polieren das Metall
mit Fleiß und Hingabe
bis es im Sonnenlicht glänzt
und nennen es fortan Argentum.

Bald schon treibt es uns fort
die Welt zu entdecken.
Wir sehen Berge, Flüsse, Täler
und geben ihnen neue Namen
denn was wir benennen gehört uns.

Wir hören vom Land des Lächelns
und wollen es erobern.
Wir legen tausende Kilometer
russische Steppe zurück
überqueren den Ural
bis nach Sibirien
folgen dem Lauf es Amur
und gelangen an den Ozean
den wir mit letzter Kraft überqueren.

Einige Zeit später stehen unsere Wagen
in hölzernen Schuppen
die Reise war lang und lehrreich
auch wir wissen nun
die Welt ist rund

und der Suezkanal
wurde lange schon gebaut.
 
S

scarda

Gast
Das spricht jemand für mich, die Leserin. Es ist ein festes "wir" das mehrmals wiederholt wird.

Und das stört mich !

Wer immer das ist, die "Wir-Gruppe", ich gehöre nicht dazu, denn ich poliere kein Metall mit Hingabe und rede noch Lateinisch. Wenn ich wirklich so wäre, so eine Polierende, ich würde das Glänzende dann nicht Argentum benennen, selbst wenn es Silber wäre.

Etwas überspitzt der Kommentaranfang, ich weiß. Aber dieses "wir" stört mich als Leser so sehr, dass ich die Gedanken des Gedichts nicht weiter verinnerliche.
 

Andrasch

Mitglied
Das 'wir' ist ganz sicherlich dominant in diesem Gedicht. Was soll ich sagen? Ich neige definitiv in diesem Gedicht nicht zu den Ausdrücken eventuell, vielleicht, zu dem Wort 'jemand' oder zum Konjunktiv allgemein. Dieses 'wir' ist erst einmal ein Stilmittel, welches ich für mich beanspruche. Nicht mehr und nicht weniger. 'Wir' kann eine Gruppe sein, die Du vielleicht kennst oder von denen Du noch nicht einmal gehört hast.
Dieses Gedicht wirft in erster Linie einen kritischen Blick auf den Schreiber selbst. Das denke ich, kann gar nicht anders verstanden werden, allerdings formuliert es darüber hinaus. Doch warum so empfindlich? Wirklich niemand, würde sich diesen Schuh anziehen, wenn er nicht genug Selbstkritik oder Humor in sich trüge, diesen auch mit einem Lächeln zu (er)tragen. Der Künstler an sich hat oft eine empfindliche Seele. Die gilt es nicht immer zu streicheln.


Vielen Dank für Deinen Leseeindruck.
Andrasch
 
B

Beba

Gast
Hallo Andrasch,

ich stimme scarda zu, denn das Wir stört mich ebenfalls bei deinem Text. Mehr noch aber stört mich, dass dieser Text für mich überhaupt keine Lyrik ist. Dein Text ist in meinen Augen Kurzprosa. Aber vielleicht gibt es ja noch andere Ansichten dazu.

Ciao,
Bernd
 

strolch

Mitglied
also,
das WIR hier stört wirklich, denn in der lyrik ist dies arg unpersönlich und eine mogelpackung.
hier ist es für mich kein stilmittel, sondern verallgemeinert.
lg brigitte
 

Andrasch

Mitglied
Um das 'wir' geht es mir natürlich. Sonst stünde es nicht so oft dort. Über das 'wir' hätte ich auch gerne geredet.


Danke für Eure Eindrücke

A.
 

Andrasch

Mitglied
@ Beba

Ich mag das Zitat von T. Adorno, der sagte: Wer noch weiß, was ein Gedicht ist, wird schwerlich eine gut bezahlte Stellung als Texter finden.
Du liest hier weder Terzette, noch Sonett noch Senryû. Ich bediene mich vorwiegend der Metapher, der Symbolik und der Allegorie. Vielleicht auch der Zäsur zum Schluss, wie immer man es möchte.
Die Protagonisten und die Handlung gehen einen assoziativen Weg, der einzig den Versuch einer schreibenden Meute beschreibt (und hier benutze ich gerne ein böses Wort ;) ), zur Lyrik zu finden. Und zu guter Letzt das hoffnungslose Scheitern auf diesem großen Feld.
Schein und Sein, wohl auch eine größere Portion Satire werden hier in den Vordergrund gestellt.

Natürlich stelle ich nicht nur mich in Frage, in dem Versuch (2007) ein Gedicht schreiben zu wollen. Es versucht zu haben und auf dem beschriebenen Weg gescheitert zu sein, fasse ich (vielleicht etwas großkotzig, doch ohne jeden Zweifel) in einem ‚wir’ zusammen. Denn - so seltsam es klingen mag, es muss so sein - ‚wir’ Schreiber brauchen vor jedem Gedicht erst einmal eine Portion Größenwahn, das Wort neu erfinden zu können, sonst würde kein Gedicht Sinn machen. Und genau ‚wir’ Schreiber scheitern nicht selten an diesem großen Vorhaben (und dies aus vielerlei Gründen, nicht selten auch deshalb, sich mit großen oder abstrusen Worten übernommen zu haben.)

Aber wer weiß, vielleicht wird das alte Konstrukt ja erneut aufpoliert und dann mit weniger ausdrucksstarken Worten ausgestattet, auf dass es erneut auf eine Reise gehen kann, ohne am Ende dieser entdecken zu müssen, dass der Weg umsonst war.

Denn der 'Versuch' ist erst einmal die Erkenntnis darüber, nicht (vielleicht niemals) vollendet zu haben und bestenfalls die Ausgangsposition dafür, es zukünftig besser zu machen.

Nochmals Danke für Deine Einschätzung.
 

strolch

Mitglied
Gedicht 2007
[red]Wir[/red] sind Pioniere der Neuzeit
[red]wir[/red] müssen uns bewegen
deshalb bauen [red]wir[/red] an
komplizierten Konstrukten
die nur [red]wir[/red] verstehen.

[red]Wir[/red] polieren das Metall
mit Fleiß und Hingabe
bis es im Sonnenlicht glänzt
und nennen es fortan Argentum.

Bald schon treibt es uns fort
die Welt zu entdecken.
[red]Wir[/red] sehen Berge, Flüsse, Täler
und geben ihnen neue Namen
denn was[red] wir[/red] benennen gehört uns.

[red]Wir[/red] hören vom Land des Lächelns
und wollen es erobern.
[red]Wir[/red] legen tausende Kilometer
russische Steppe zurück
überqueren den Ural
bis nach Sibirien
folgen dem Lauf es Amur
und gelangen an den Ozean
den [red]wir[/red] mit letzter Kraft überqueren.

Einige Zeit später stehen unsere Wagen
in hölzernen Schuppen
die Reise war lang und lehrreich
auch [red]wir[/red] wissen nun
die Welt ist rund

und der Suezkanal
wurde lange schon gebaut.


soviel wir sind kein stilmittel mehr und wer ist wir?
lg brigitte
 

Andrasch

Mitglied
Diese These ist mir neu.
Du hast Dich für eine Meinung entschieden, zudem für die rote Farbe. Dann müsste Dir doch die Antwort klar sein.
Die Farbe allerdings steht dem Text. Danke dafür.



Andrasch
 

Andrasch

Mitglied
was mir gerade beim Durchlesen auffällt

ansonsten hätte bezüglich der Frage sicherlich auch ein 'siehe oben' ausgereicht.
 



 
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