Verwirrspiel

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Mein Name ist Paul, ich bin 34 Jahre alt und Bauzeichner. Genauer gesagt bin ich der da Vinci der Bauzeichner. Ich arbeite mit den bedeutendsten Architekten zusammen, überall auf der Welt stehen Gebäude, die ich gezeichnet habe. Ich bin mein eigener Chef, denn ich lege Wert darauf, zu leben wie ich möchte und zu arbeiten wie ich möchte.

Ich lebe in der schönsten Stadt Deutschlands mit geltungssüchtigen Arschlöchern, die sich nachts in den Nobelclubs das Gehirn wegkoksen und tagsüber in ihren Agenturen und Fernsehsendern auf wichtig machen. Mit geilen Studentinnen, die sich für die Säulen der Erde halten und gerne mal ihre Ärsche herzeigen auf Küchenpartys, zu denen sie ein Sixpack Beck's mitbringen und dann den ganzen Abend Cuba Libre saufen.

Ich lebe in einer Zeit, in der eine Frau den Mann an ihrer Seite gerne als Teil ihrer eigenen Selbstverwirklichung sieht. Und ich schlafe meist alleine ein – genau aus diesem Grunde.


Verwirrspiel

Sie war mir gleich aufgefallen. Ihr Haar war braun, sie hatte es zu einem langen Zopf gebunden, es fiel ihr fast bis auf den Jennifer-Lopez-Hintern. Ihr Gesicht war kantig, sie war mein Fall.
Die Frau stand am automatischen Erfassungssystem in der Bibliothek und war gerade dabei, Bücher auszuleihen. Sie legte die Ausgaben auf eine Glasplatte, dort wurden sie von einem Scanner erfasst. Ich stand hinter ihr in der Schlange, hielt höflich Abstand. Sie drehte sich zu mir um und lachte mich an. Ich fragte mich, woher sie mich kannte.
Ich schätzte sie auf irgendwas zwischen 25 und 30, ihr Mund lud zum küssen ein, ihr Blick hatte etwas lüsternes. Sie war die Art von Frau, hinter der ein Mann etwas Luderhaftes vermutete. Ich fragte mich, wie es wohl wäre, mit ihr zu schlafen, wahrscheinlich bekam sie nie genug. Ich schaute weg, hielt ihr nicht stand, als ich wieder hinsah, schob sie die Bücher in ihre Stofftasche. Sie drehte sich wieder um und lachte mich an. Sie lachte mit mir, als ob wir uns schon ewig kannten. Sie lachte mich an als, wäre es ihre letzte Gelegenheit, einen Mann abzubekommen. Ich fragte mich, ob das die wöchentliche Dosis Verwirrspiel war, die ich nun verabreicht bekommen würde; ich konnte nicht unterscheiden zwischen der natürlichen Freundlichkeit einer Frau und ihrem Flirtverhalten. Zuerst ein mal glaubte ich immer an das Freundliche in ihr.
Sie trat einen Schritt zur Seite, ich legte meine Bücher auf die Glasplatte und der Scanner suchte sie nach Barcodes ab. Sie sah mir fest in die Augen, grinste und sagte:
"Funktioniert gut mit dem neuen System."
"Ja", sagte ich. "Geht viel schneller als von Hand registrieren."
Sie lachte und sagte: "Komisch, dass da immer ein paar Leute Probleme haben. Aber wahrscheinlich kommt es darauf an, wie viel man sonst so mit Computern macht."
"Kann sein, die Leute, die hier Probleme haben, sind die selben, die an den Fingersensoren der U-Bahntüren auch immer Probleme haben."
Sie prustete los und rief: "Boah, das ist jetzt aber gemein."
Wieso denn? Ist doch so", murmelte ich.
Während sie sich zu mir umdrehte und mich direkt ansprach, redete ich die ganze Zeit mit dem Bildschirm des Ausleihautomaten. Ich sprach so leise, dass ich mich selbst kaum verstand. Ich war überfordert und wusste nicht, was ich machen sollte.
"O.k., also dann, schönen Abend noch."
"Danke", sagte ich zu dem Bildschirm.
Als ich fertig war, packte ich die Bücher ein und verließ die Bibliothek. Vor der Tür suchte ich die Straße in beide Richtungen ab. Ich wollte etwas retten, wo es vielleicht gar nichts zu retten gab, aber ich wollte sicher sein, dass es nichts zu retten gab. Ich sah sie gut 100 Meter die Straße runter, es war schon ein wenig dunkel, aber ihre blaue Winterjacke und ihren Hintern erkannte ich sofort. Sie wechselte die Straßenseite, ich wechselte mit. An einer Bushaltestelle blieb sie stehen. Ich setzte mich auf die Bank im Wartehäuschen. Unsere Augen trafen sich kurz, ich versuchte, zufällig hier zu sein. Sie ging auf den Eingang einer Bank zu und schob eine Karte in den Schlitz an der Tür. Wahrscheinlich wollte sie Zeit gewinnen; wenn der Bus kam. Während sie noch in der Bank war, würde ich einsteigen und sie wäre mich los. Ich war mir sicher, dass ich ihr Verhalten in der Bücherei falsch deutete, bestimmt war sie nur eine Frau, die ohne Starallüren durch ihr Leben ging, und keine Probleme hatte, mit einem Mann mal ein paar freundlichen Worte zu wechseln. Ich wollte es herausfinden, immer wieder sah ich sie in Gedanken, wie sie mich anlachte, ich wollte wissen warum. Aber ich wusste auch, dass ich nicht fähig sein würde, sie anzusprechen. Ich stellte mein Licht unter den Scheffel, so war das eben, in meinem Kopf drehte sich mein Gehirn um die eigene Achse. Ich musste mir etwas einfallen lassen, schnell.

An der Haltestelle waren mittlerweile unzählige Menschen eingetroffen, ein Zeichen dafür, dass der Bus gleich kam, wohin dieser fuhr, wusste ich nicht. Ich holte mein Mobiltelefon aus der Hosentasche und tippte darauf herum. Falls der Bus käme, bevor sie wieder an der Haltestelle aufkreuzte, würde ich ihn einfach übersehen vor lauter Telefon. Als ich ein paar Sekunden später aufblickte, um die Lage zu erfassen, stand der Bus keine fünf Meter von mir weg, ich sah, wie sie vorne einstieg und mich dabei über die Schulter ansah. Ich packte meine Tasche und sprang hinten rein. Als ich drinnen war, sah sie sich nach mir um. Ich lachte nicht mit ihr, signalisierte nicht, dass ich sie schon ein mal gesehen hatte – nichts. Ich war zufällig hier und ich versuchte, das zu signalisieren. Sie packte ein Buch aus und fing an zu lesen, ich beobachtete sie verstohlen, so wie das Männer oft machten. Sie drehte sich ein paar Mal in meine Richtung, sah mich aber nicht an. Vielleicht wollte sie wissen, ob ich noch da war, vielleicht suchte sie aber auch den Bus ab nach Menschen, die ihr Helfen konnten falls ich ihr etwas tat oder ihr zu nahe kam. Schließlich hatte ich das alles falsch verstanden, sie wollte nur ein paar Worte wechseln vorhin in der Bücherei.
Eine Freundin von mir sagte ein mal: "Mit euch Männern ist es echt nicht einfach. Kaum lacht man euch an, denkt ihr gleich, dass was geht. Da will man mal freundlich sein und ihr rennt zum nächsten Kondomautomaten. Flirten kann man mit euch praktisch gar nicht."
"Was redest du von Sachen, von denen du keine Ahnung hast?" Der Schwanzgesteuerte war mal wieder an allem schuld, und das nervte mich. "Ihr könnt doch gar nicht ehrlich und aufrichtig mit uns flirten. Flirten heißt doch für euch Frauen nur: Bestätigung abholen. Wir sind aber nun mal nicht auf der Welt, um euch zu bespaßen. Wenn ihr Applaus braucht, dann geht in den Zirkus und stellt euch in die Mitte."
Sie stieß mir einen Finger auf's Brustbein und zischte: "Und wenn ihr uns ficken wollt, dann klatscht ihr gefälligst."

Die Frau im Bus klappte ihr Buch zusammen und verstaute es in der Tasche. Mittlerweile waren wir fast am östlichen Ende der Stadt angekommen. Als der Bus anhielt, stieg sie aus und ging davon. Ich fuhr noch eine Haltestelle weiter und stieg dann auch aus. In der Zwischenzeit war es ganz dunkel geworden. In den Wohnungen brannten Lichter, die Menschen kamen von der Arbeit nach Hause und freuten sich auf ihren Feierabend. Ich nicht, ich irrte in einem fremden Stadtteil herum, meine Wohnung lag am anderen Ende der Stadt.
Ich beschloss, zur Haltestelle zu laufen, an der die Frau ausgestiegen war. Es war eine große Haltestelle von der Busse und Straßenbahnen in alle Richtungen fuhren. Als ich dort ankam, sah ich einen Supermarkt. Ich dachte kurz nach und ging dann auf die Tür zu. Gerade als ich durch den Windfang gehen wollte, sah ich sie an der Kasse Waren in ihrer Tasche verstauen. Ich verließ den Supermarkt rückwärts und lief die Straße entlang. Ich wollte kein Stalker sein. In welche Richtung ich ging, wusste ich nicht, ich lief einfach und hoffte, dass sie den selben Weg nehmen musste.
Sie musste nicht.

Ich war 34 Jahre alt, und ich fühlte mich wie ein kleines Kind. Was tat ich da eigentlich? Wieso war ich nicht zu Hause in meiner Küche und kochte mir etwas gutes? Warum fuhr ich einer fremden Frau durch die halbe Stadt hinterher, nur um mich dann vor ihr zu verstecken? Nach einem halben Kilometer machte ich kehrt und ging zur Haltestelle zurück, ich setzte mich in den nächsten Bus Richtung Innenstadt und beschloss, die Sache so schnell wie möglich zu vergessen. Auf der Sitzbank vor mir saß ein Mann mit seiner kleinen Tochter. Das Mädchen plapperte vor sich hin und der Vater ermahnte es, nicht einzuschlafen, da sie gleich aussteigen müssten. "Nein, nein", sagte das Mädchen und schüttelte heftig den Kopf. "Nein, nein." Ein paar Sekunden später schlief sie. Ich sah weiter vorne im Bus eine Frau sitzen, ihr Gesicht sah irgendwie osteuropäisch aus, die Haare blond, sie lachte mich an.

In was war ich da nur hinein geraten.

Wenn ich in den Spiegel schaue bevor ich das Haus verlasse, denke ich manchmal: 'Ja, genau, so willst du aussehen.' Dann fühle ich mich sensationell. An manchen Tagen denke ich genau das Gegenteil. Einer meiner Freunde sagte ein mal: "Wenn du dich nicht gut fühlst und unzufrieden mit dir bist, spüren das die Frauen. Sie finden dich dann auch nicht gut. Wenn du dich aber gut fühlst, dann bist du interessanter für die Frauen, dann siehst du besser aus." Ich fragte mich, ob dieser Tag ein Tag war, an dem ich mich gut fühlte.

Seit 20 Jahren irre ich durch einen Dschungel voller unterschiedlicher Frauen. Ich soll zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, das richtige sagen, ich soll witzig sein, geistreich, sensibel und spontan. Ich irre durch diesen Dschungel mit der Hoffnung, irgendwann ein mal am Ende anzukommen und von einer Anhöhe auf eine Bucht hinunter zu blicken. Eine Bucht, in der eine Frau badet, die für mich bestimmt ist, eine Frau, für die ich bestimmt bin. Und auf dem Weg durch den Dschungel, während ich versuche, meinen Weg zu gehen, während ich versuche, mich auf die Frauen einzustellen, setzen sich diese wie beim Tanzkurs auf einen Stuhl und warten, dass sie irgendjemand auffordert. Sie träumen von ihrem Prinzen zwar, aber es wird sie schon irgendjemand auffordern. Das ist alles. Mehr nicht. Sie setzen sich hin, schlagen die Beine übereinander, und warten. Und wenn dann eine von sich aus aufsteht und mir die Hand reicht, zerdenke ich es, ohne es zu genießen.

Ich hätte die Frau an der Bushaltestelle ansprechen können, ehrlich, direkt. Ich hätte ihr sagen können, dass sie mich neugierig gemacht hat, dass ich sie wiedersehen wolle, um herauszufinden, wer sie war. Das wurde mir hinterher klar, wie schon so oft. Ich ließ es sein, weil ich mich nicht traute, wie schon so oft. Vielleicht hätte sie dann wieder gelacht und wir hätten uns gut unterhalten, hätten uns verabredet und wären uns näher gekommen. Vielleicht hätte sie aber auch nur irritiert geschaut und mir zu verstehen gegeben, dass ich sie falsch verstanden hatte, weil sie gar nicht an mir interessiert war, weil sie einfach so gelacht hatte, weil sie neu war in der Stadt und weil sie niemanden kannte und so viele Worte noch gesprochen werden mussten, bevor sie nach Hause in ihre Wohnung ging und mit ihrem Freund, einem Gehirnchirurgen aus Hamburg, telefonierte. Vielleicht saß sie während ich im Bus von einer wildfremden Frau angelacht wurde, zu Hause und erzählte dem Chirurgen, dass sie von einem Typen verfolgt wurde, zu dem sie nur nett sein wollte, vielleicht kreischte sie ihrer Mitbewohnerin ins Ohr, wie dämlich ich mich angestellt hatte, wo sie mir doch so eine Vorlage gegeben hatte.
Ich hatte keine Ahnung und in dem Moment war ich mir sicher, dass es fort war. Das Gefühl, das Richtige zu tun, auf dem richtigen Weg zu sein. Ich erkannte, dass ich nichts wusste. Ich hatte keine Ahnung und die Frau auf der Rückfahrt gab mir den Rest. Ich hatte tatsächlich meine wöchentliche Ration Verwirrspiel bekommen, der Abend war im Eimer. Während der Bus durch die Straßen rumpelte, überlegte ich mir, welchen meiner Freunden ich anrufen sollte, um meine Geschichte loszuwerden. Ich wollte mich an eine Bar setzen und bei Bier und Zigaretten Frauen auf den Hintern starren und Hetztiraden ablassen.

An diesem Abend beschloss ich, es zu lassen. Die Frauen zu lassen, das Träumen von der Richtigen. Das Nachdenken darüber, was eine Frau dachte, wenn sie mich ansprach. An diesem Abend fand ich mich damit ab, dass ich Single war und das ich das noch eine Weile bleiben würde.
Aber ich hatte etwas gelernt, als mich auf der Rückfahrt die blonde Frau anlachte. Sie sind austauschbar. Die beiden Frauen an diesem Abend waren sehr unterschiedlich. Sie lachten mich an und ich reagierte darauf mit Interesse, anstatt mich darauf zu beschränken, ihnen freundlich zu begegnen. In dem Moment, in dem sie mich anlachten, startete in mir ein Achtzylinder. Zu diesem Zeitpunkt war ich seit zweieinhalb Jahren Single, zu lange, um noch objektiv urteilen zu können. Ich war bereits in der Phase, in der man auf alles reagiert was hübsch ist – oder zumindest nicht fett und pickelig. Es war ein bisschen wie schön saufen. Je mehr man trank, desto hübscher wurden sie, je länger ich Single war, desto mehr Frauen sah ich, die mich interessierten.
Die zwei an diesem Abend waren einfach verfügbar. Aber was ist eigentlich schlimm daran, verfügbar zu sein. Am Anfang sind wir das doch alle. Ob eine Frau zu mir passt, weiß ich erst, wenn ich mich auf sie einlasse. Aber dazu muss ich mit ihr reden.
Ich wollte nie eine Frau, die nur verfügbar ist, ich wollte eine, die zu mir passt, zu der ich passe, aber letztendlich werde ich das nur herausfinden, wenn ich mich einlasse, auf alles und jede - so lange sie mir gefällt. Dann schlafen wir regelmäßig miteinander, kommen uns näher, trennen uns vielleicht wieder und zählen irgendwann die Kerben in unseren Colts.

Wenn uns jemand anspricht, wissen wir nie, warum er oder sie es tun.Wir sollten immer versuchen, das herauszufinden, weil sie es vielleicht wert sind.

© John Gimignano
 
prägnant, trocken, auf den punkt gebracht, teilweise zynisch, teilweise resignierend. so muss ein text über liebe sein, ohne geigen und gesäusel. n dickes lob von mir!
gruß fabian
 

Astrid

Mitglied
Hallo John,

kann mich nur anschließen. Wunderbar leicht erzählt, ich konnte nicht aufhören, zu lesen, fuhr mit ihm dieser Frau hinterher.
Und es macht mir Mut, dass Mann es auch nicht so leicht hat in diesem "Verwirrspiel". Bin neugierig auf mehr.
Herzliche Grüße
Astrid
 
Mein Name ist Paul, ich bin 34 Jahre alt und Bauzeichner. Genauer gesagt bin ich der da Vinci der Bauzeichner. Ich arbeite mit den bedeutendsten Architekten zusammen, überall auf der Welt stehen Gebäude, die ich gezeichnet habe. Ich bin mein eigener Chef, denn ich lege Wert darauf, zu leben wie ich möchte und zu arbeiten wie ich möchte.

Ich lebe in der schönsten Stadt Deutschlands mit geltungssüchtigen Arschlöchern, die sich nachts in den Nobelclubs das Gehirn wegkoksen und tagsüber in ihren Agenturen und Fernsehsendern auf wichtig machen. Mit geilen Studentinnen, die sich für die Säulen der Erde halten und gerne mal ihre Ärsche herzeigen auf Küchenpartys, zu denen sie ein Sixpack Beck's mitbringen und dann den ganzen Abend Cuba Libre saufen.

Ich lebe in einer Zeit, in der eine Frau den Mann an ihrer Seite oft als Teil ihrer eigenen Selbstverwirklichung sieht. Und ich schlafe meist alleine – genau aus diesem Grund.


Verwirrspiel

Sie war mir gleich aufgefallen. Ihr Haar war braun, sie hatte es zu einem langen Zopf gebunden, es fiel ihr fast bis auf den Jennifer-Lopez-Hintern. Ihr Gesicht war kantig, sie war mein Fall.
Sie stand am automatischen Erfassungssystem in der Bibliothek und war gerade dabei, Bücher auszuleihen. Sie legte die Schmöker auf eine Glasplatte, dort wurden sie von einem Scanner erfasst. Ich stand hinter ihr in der Schlange, hielt höflich Abstand. Sie drehte sich zu mir um und lachte mich an. Ich fragte mich, woher sie mich kannte.
Ich schätzte sie auf irgendwas zwischen 25 und 30, ihr Mund lud zum küssen ein, ihr Blick hatte etwas Lüsternes. Sie war die Art von Frau, hinter der ein Mann etwas Luderhaftes vermutete. Ich fragte mich, wie es wohl wäre, mit ihr zu schlafen, wahrscheinlich bekam sie nie genug. Ich schaute weg, hielt ihr nicht stand, als ich wieder hinsah, schob sie die Bücher in ihre Stofftasche. Sie drehte sich wieder um und lachte. Sie lachte mich an, als ob wir uns schon ewig kennten. Sie lachte mich an, als wäre es ihre letzte Gelegenheit, einen Mann abzubekommen. Ich fragte mich, ob das die wöchentliche Dosis Verwirrspiel war, die ich nun verabreicht bekäme; ich konnte nicht unterscheiden zwischen der natürlichen Freundlichkeit einer Frau und ihrem Flirt-Verhalten. Zuerst einmal glaubte ich immer an das Freundliche in ihr.
Sie trat einen Schritt zur Seite, ich legte meine Bücher auf die Glasplatte, und der Scanner suchte sie nach Barcodes ab. Sie sah mir fest in die Augen, grinste und sagte:
"Funktioniert gut mit dem neuen System."
"Ja", sagte ich. "Geht viel schneller als alles von Hand zu registrieren."
Sie lachte und sagte: "Komisch, dass da immer ein paar Leute Probleme haben. Aber wahrscheinlich kommt es darauf an, wie viel man sonst so mit Computern macht."
"Kann sein, die Leute, die hier Probleme haben, sind die selben, die an den Fingersensoren der U-Bahntüren auch immer Probleme haben."
Sie prustete los und rief: "Boah, das ist jetzt aber gemein."
"Wieso denn? Ist doch so", murmelte ich.
Während sie sich zu mir umdrehte und mich direkt ansprach, redete ich die ganze Zeit mit dem Bildschirm des Ausleihautomaten. Ich sprach so leise, dass ich mich selbst kaum verstand. Ich war überfordert und wusste nicht, was ich machen sollte.
"O.k., also dann, schönen Abend noch."
"Danke", sagte ich zu dem Bildschirm.
Als ich fertig war, packte ich die Bücher ein und verließ die Bibliothek. Vor der Tür suchte ich die Straße in beide Richtungen ab. Ich wollte etwas retten, wo es vielleicht gar nichts zu retten gab, aber ich wollte sicher sein, dass es nichts zu retten gab. Ich sah sie gut 100 Meter die Straße runter, es war schon ein wenig dunkel, aber ihre blaue Winterjacke und ihren Hintern erkannte ich sofort. Sie wechselte die Straßenseite, ich wechselte mit. An einer Bushaltestelle blieb sie stehen. Ich setzte mich auf die Bank im Wartehäuschen. Unsere Augen trafen sich kurz, ich versuchte, zufällig hier zu sein. Sie ging auf den Eingang einer Bank zu und schob eine Karte in den Schlitz an der Tür. Wahrscheinlich wollte sie Zeit gewinnen; während sie noch in der Bank war, stiege ich ein und sie wäre mich los. Ich war mir sicher, dass ich ihr Verhalten in der Bücherei falsch deutete, bestimmt war sie nur eine Frau, die ohne Starallüren durch ihr Leben ging, und keine Probleme hatte, mit einem Mann mal ein paar freundlichen Worte zu wechseln. Ich wollte es herausfinden, immer wieder sah ich sie in Gedanken, wie sie mich anlachte, ich wollte wissen warum. Aber ich wusste auch, dass ich nicht fähig sein würde, sie anzusprechen. Ich stellte mein Licht unter den Scheffel, so war das eben, in meinem Kopf drehte sich mein Gehirn um die eigene Achse. Ich musste mir etwas einfallen lassen, schnell.

An der Haltestelle waren mittlerweile unzählige Menschen eingetroffen, ein Zeichen dafür, dass der Bus gleich käme, wohin dieser fuhr, wusste ich nicht. Ich holte mein Mobiltelefon aus der Hosentasche und tippte darauf herum. Falls der Bus käme, bevor sie wieder an der Haltestelle aufkreuzen würde, übersähe ich ihn einfach vor lauter Telefon. Als ich ein paar Sekunden später aufblickte, um die Lage zu erfassen, stand der Bus keine fünf Meter von mir weg, ich sah, wie sie vorne einstieg und mich dabei über die Schulter ansah. Ich packte meine Tasche und sprang hinten rein. Als ich drinnen war, sah sie sich nach mir um. Ich lachte nicht mit ihr, gab ihr nicht zu verstehen, dass ich sie kannte. Ich war zufällig hier und ich versuchte, das zu signalisieren. Sie packte ein Buch aus und fing an zu lesen, ich beobachtete sie verstohlen, so wie das Männer oft machten. Sie drehte sich ein paar Mal in meine Richtung, sah mich aber nicht an. Vielleicht wollte sie wissen, ob ich noch da war, vielleicht suchte sie aber auch den Bus ab nach Menschen, die ihr helfen könnten falls ich ihr etwas tun würde oder ihr zu nahe käme. Schließlich hatte ich das alles falsch verstanden, sie wollte nur ein paar Worte wechseln vorhin in der Bücherei.
Eine Freundin von mir sagte einmal: "Mit euch Männern ist es echt nicht einfach. Kaum lacht man euch an, denkt ihr gleich, dass was geht. Da will man mal freundlich sein und ihr rennt zum nächsten Kondomautomaten. Flirten kann man mit euch praktisch gar nicht."
"Was redest du von Sachen, von denen du keine Ahnung hast", sagte ich. Der Schwanzgesteuerte war mal wieder an allem schuld, und das nervte mich. "Ihr könnt doch gar nicht ehrlich und aufrichtig mit uns flirten. Flirten heißt doch für euch Frauen nur: Bestätigung abholen. Wir sind aber nun mal nicht auf der Welt, um euch zu bespaßen. Wenn ihr Applaus braucht, dann geht in den Zirkus und stellt euch in die Mitte."
Sie stieß mir einen Finger auf's Brustbein und zischte: "Und wenn ihr uns ficken wollt, dann klatscht ihr gefälligst."

Die Frau im Bus klappte ihr Buch zusammen und verstaute es in der Tasche. Mittlerweile waren wir fast am östlichen Ende der Stadt angekommen. Als der Bus anhielt, stieg sie aus und ging davon. Ich fuhr noch eine Haltestelle weiter und stieg dann auch aus. In der Zwischenzeit war es ganz dunkel geworden. In den Wohnungen brannten Lichter, die Menschen kamen von der Arbeit nach Hause und freuten sich auf ihren Feierabend. Ich nicht, ich irrte in einem fremden Stadtteil herum, meine Wohnung lag am anderen Ende der Stadt.
Ich beschloss, zur Haltestelle zu laufen, an der die Frau ausgestiegen war. Es war eine große Haltestelle von der Busse und Straßenbahnen in alle Richtungen fuhren. Als ich dort ankam, sah ich einen Supermarkt. Ich dachte kurz nach und ging dann auf die Tür zu. Gerade als ich durch den Windfang gehen wollte, sah ich sie an der Kasse Waren in ihrer Tasche verstauen. Ich verließ den Supermarkt rückwärts und lief die Straße entlang. Ich wollte kein Stalker sein. In welche Richtung ich ging, wusste ich nicht, ich lief einfach und hoffte, dass sie denselben Weg nehmen musste.
Sie musste nicht.

Ich war 34 Jahre alt, und ich fühlte mich wie ein kleines Kind. Was machte ich da eigentlich? Wieso war ich nicht zu Hause in meiner Küche und kochte mir etwas Gutes? Warum fuhr ich einer fremden Frau durch die halbe Stadt hinterher, um mich dann vor ihr zu verstecken? Nach einem halben Kilometer machte ich kehrt und ging zur Haltestelle zurück, ich setzte mich in den nächsten Bus Richtung Innenstadt und beschloss, die Sache so schnell wie möglich zu vergessen. Auf der Sitzbank vor mir saß ein Mann mit seiner kleinen Tochter. Das Mädchen plapperte vor sich hin und der Vater ermahnte es, nicht einzuschlafen, da sie gleich aussteigen müssten. "Nein, nein", sagte das Mädchen und schüttelte heftig den Kopf. "Nein, nein." Ein paar Sekunden später schlief sie. Ich sah weiter vorne im Bus eine Frau sitzen, ihr Gesicht sah irgendwie osteuropäisch aus, die Haare blond, sie lachte mich an.


Wenn ich in den Spiegel schaue bevor ich das Haus verlasse, denke ich manchmal: 'Ja, genau, so willst du aussehen.' Dann fühle ich mich sensationell. An manchen Tagen denke ich genau das Gegenteil. Einer meiner Freunde sagte einmal: "Wenn du dich nicht gut fühlst und unzufrieden bist mit dir, spüren das die Frauen. Sie finden dich dann auch nicht gut. Wenn du dich aber gut fühlst, dann bist du interessanter für die Frauen, dann siehst du besser aus." Ich fragte mich, ob dieser Tag ein Tag war, an dem ich mich gut fühlte.


Seit 20 Jahren irre ich durch einen Dschungel voller unterschiedlicher Frauen. Ich soll zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, das Richtige sagen, ich soll witzig sein, geistreich, sensibel und spontan. Ich irre durch diesen Dschungel mit der Hoffnung, irgendwann am Ende anzukommen und von einer Anhöhe auf eine Bucht hinunter zu blicken. Eine Bucht, in der eine Frau badet, die für mich bestimmt ist, eine Frau, für die ich bestimmt bin. Und auf dem Weg durch den Dschungel, während ich versuche, meinen Weg zu gehen, während ich versuche, mich auf die Frauen einzustellen, setzen sich diese wie beim Tanzkurs auf einen Stuhl und warten, dass sie irgendjemand auffordert. Sie träumen von ihrem Prinzen zwar, aber es wird sie schon irgendjemand auffordern. Das ist alles. Mehr nicht. Sie setzen sich hin, schlagen die Beine übereinander und warten. Und wenn dann eine von sich aus aufsteht und mir die Hand reicht, zerdenke ich es, ohne es zu genießen.

Ich hätte die Frau an der Bushaltestelle ansprechen können, ehrlich, direkt. Ich hätte ihr sagen können, dass sie mich neugierig mache, dass ich sie wiedersehen wolle, um herauszufinden, wer sie war. Das wurde mir hinterher klar, wie schon so oft. Ich ließ es sein, weil ich mich nicht traute, wie schon so oft. Vielleicht hätte sie dann wieder gelacht und wir hätten uns gut unterhalten, hätten uns verabredet und wären uns näher gekommen. Vielleicht hätte sie aber auch nur irritiert geschaut und mir zu verstehen gegeben, dass ich sie falsch verstanden hatte, weil sie gar nicht an mir interessiert war, weil sie einfach so gelacht hatte, weil sie neu war in der Stadt und weil sie niemanden kannte und so viele Worte noch gesprochen werden mussten, bevor sie nach Hause in ihre Wohnung ging und mit ihrem Freund, einem Gehirnchirurgen aus Hamburg, telefonierte. Vielleicht saß sie während ich im Bus von einer wildfremden Frau angelacht wurde, zu Hause und erzählte dem Chirurgen, dass sie von einem Typen verfolgt wurde, zu dem sie nur nett sein wollte, vielleicht kreischte sie ihrer Mitbewohnerin ins Ohr, wie dämlich ich mich angestellt hatte, wo sie mir doch so eine Vorlage gegeben hatte.
Ich hatte keine Ahnung und in dem Moment war ich mir sicher, dass es fort war. Das Gefühl, das Richtige zu tun, auf dem richtigen Weg zu sein. Ich erkannte, dass ich nichts wusste. Ich hatte keine Ahnung und die Frau auf der Rückfahrt gab mir den Rest. Ich hatte tatsächlich meine wöchentliche Ration Verwirrspiel bekommen, der Abend war im Eimer. Während der Bus durch die Straßen rumpelte, überlegte ich mir, welchen meiner Freunde ich anrufen sollte, um meine Geschichte loszuwerden. Ich wollte mich an eine Bar setzen und bei Bier und Zigaretten Frauen auf den Hintern starren und Hetztiraden ablassen.

An diesem Abend beschloss ich, es zu lassen. Die Frauen zu lassen, das Träumen von der Richtigen. Das Nachdenken darüber, was eine Frau dachte, wenn sie mich ansprach. An diesem Abend fand ich mich damit ab, dass ich Single war und dass ich das noch eine Weile bleiben würde.
Aber ich hatte etwas gelernt, als mich auf der Rückfahrt die blonde Frau anlachte. Sie sind austauschbar. Die beiden Frauen an diesem Abend waren sehr unterschiedlich. Sie lachten mich an und ich reagierte darauf mit Interesse, anstatt mich darauf zu beschränken, ihnen freundlich zu begegnen. In dem Moment, in dem sie mich anlachten, startete in mir ein Achtzylinder. Zu diesem Zeitpunkt war ich seit zweieinhalb Jahren Single, zu lange, um noch objektiv urteilen zu können. Ich war bereits in der Phase, in der man auf alles reagiert was hübsch ist – oder zumindest nicht fett und pickelig. Es war ein bisschen wie schön saufen. Je mehr man trank, desto hübscher wurden sie, je länger ich Single war, desto mehr Frauen sah ich, die mich interessierten.
Die zwei an diesem Abend waren einfach verfügbar. Aber was ist eigentlich schlimm daran, verfügbar zu sein? Am Anfang sind wir das doch alle. Ob eine Frau zu mir passt, weiß ich erst, wenn ich mich auf sie einlasse. Aber dazu muss ich mit ihr reden.
Ich wollte nie eine Frau, die nur verfügbar ist, ich wollte eine, die zu mir passt, zu der ich passe, aber letztendlich werde ich das nur herausfinden, wenn ich mich einlasse, auf alles und jede - so lange sie mir gefällt. Dann schlafen wir regelmäßig miteinander, kommen uns näher, trennen uns vielleicht wieder und zählen irgendwann die Kerben in unseren Colts.

Wenn uns jemand anspricht, wissen wir nie, warum er oder sie es tun. Wir sollten immer versuchen, das herauszufinden - weil sie es vielleicht wert sind.

© John Gimignano
 
Mein Name ist Paul, ich bin 34 Jahre alt und Bauzeichner. Genauer gesagt bin ich der da Vinci der Bauzeichner. Ich arbeite mit den bedeutendsten Architekten zusammen, überall auf der Welt stehen Gebäude, die ich gezeichnet habe. Ich bin mein eigener Chef, denn ich lege Wert darauf, zu leben wie ich möchte und zu arbeiten wie ich möchte.

Ich lebe in der schönsten Stadt Deutschlands mit geltungssüchtigen Arschlöchern, die sich nachts in den Nobelclubs das Gehirn wegkoksen und tagsüber in ihren Agenturen und Fernsehsendern auf wichtig machen. Mit geilen Studentinnen, die sich für die Säulen der Erde halten und gerne mal ihre Ärsche herzeigen auf Küchenpartys, zu denen sie ein Sixpack Beck's mitbringen und dann den ganzen Abend Cuba Libre saufen.

Ich lebe in einer Zeit, in der eine Frau den Mann an ihrer Seite oft als Teil ihrer eigenen Selbstverwirklichung sieht. Und ich schlafe meist alleine – genau aus diesem Grund.


Verwirrspiel

Sie war mir gleich aufgefallen. Ihr Haar war braun, sie hatte es zu einem langen Zopf gebunden, es fiel ihr fast bis auf den Jennifer-Lopez-Hintern. Ihr Gesicht war kantig, sie war mein Fall.
Sie stand am automatischen Erfassungssystem in der Bibliothek und war gerade dabei, Bücher auszuleihen. Sie legte die Schmöker auf eine Glasplatte, dort wurden sie von einem Scanner erfasst. Ich stand hinter ihr in der Schlange, hielt höflich Abstand. Sie drehte sich zu mir um und lachte mich an. Ich fragte mich, woher sie mich kannte.
Ich schätzte sie auf irgendwas zwischen 25 und 30, ihr Mund lud zum küssen ein, ihr Blick hatte etwas Lüsternes. Sie war die Art von Frau, hinter der ein Mann etwas Luderhaftes vermutet. Ich fragte mich, wie es wohl wäre, mit ihr zu schlafen, wahrscheinlich bekam sie nie genug. Ich schaute weg, hielt ihr nicht stand, als ich wieder hinsah, schob sie die Bücher in ihre Stofftasche. Sie drehte sich wieder um und lachte. Sie lachte mich an, als ob wir uns schon ewig kannten. Sie lachte mich an, als wäre es ihre letzte Gelegenheit, einen Mann abzubekommen. Ich fragte mich, ob das die wöchentliche Dosis Verwirrspiel war, die ich nun verabreicht bekäme; ich konnte nicht unterscheiden zwischen der natürlichen Freundlichkeit einer Frau und ihrem Flirt-Verhalten. Zuerst einmal glaubte ich immer an das Freundliche in ihr.
Sie trat einen Schritt zur Seite, ich legte meine Bücher auf die Glasplatte, und der Scanner suchte sie nach Barcodes ab. Sie sah mir fest in die Augen, grinste und sagte:
"Funktioniert gut mit dem neuen System."
"Ja", sagte ich. "Geht viel schneller als alles von Hand zu registrieren."
Sie lachte und sagte: "Komisch, dass da immer ein paar Leute Probleme haben. Aber wahrscheinlich kommt es darauf an, wie viel man sonst so mit Computern macht."
"Kann sein, die Leute, die hier Probleme haben, sind die selben, die an den Fingersensoren der U-Bahntüren auch immer Probleme haben."
Sie prustete los und rief: "Boah, das ist jetzt aber gemein."
"Wieso denn? Ist doch so", murmelte ich.
Während sie sich zu mir umdrehte und mich direkt ansprach, redete ich die ganze Zeit mit dem Bildschirm des Ausleihautomaten. Ich sprach so leise, dass ich mich selbst kaum verstand. Ich war überfordert und wusste nicht, was ich machen sollte.
"O.k., also dann, schönen Abend noch."
"Danke", sagte ich zu dem Bildschirm.
Als ich fertig war, packte ich die Bücher ein und verließ die Bibliothek. Vor der Tür suchte ich die Straße in beide Richtungen ab. Ich wollte etwas retten, wo es vielleicht gar nichts zu retten gab, aber ich wollte sicher sein, dass es nichts zu retten gab. Ich sah sie gut 100 Meter die Straße runter, es war schon ein wenig dunkel, aber ihre blaue Winterjacke und ihren Hintern erkannte ich sofort. Sie wechselte die Straßenseite, ich wechselte mit. An einer Bushaltestelle blieb sie stehen. Ich setzte mich auf die Bank im Wartehäuschen. Unsere Augen trafen sich kurz, ich versuchte, zufällig hier zu sein. Sie ging auf den Eingang einer Bank zu und schob eine Karte in den Schlitz an der Tür. Wahrscheinlich wollte sie Zeit gewinnen; während sie noch in der Bank war, stiege ich ein und sie wäre mich los. Ich war mir sicher, dass ich ihr Verhalten in der Bücherei falsch deutete, bestimmt war sie nur eine Frau, die ohne Starallüren durch ihr Leben ging, und keine Probleme hatte, mit einem Mann mal ein paar freundlichen Worte zu wechseln. Ich wollte es herausfinden, immer wieder sah ich sie in Gedanken, wie sie mich anlachte, ich wollte wissen warum. Aber ich wusste auch, dass ich nicht fähig sein würde, sie anzusprechen. Ich stellte mein Licht unter den Scheffel, so war das eben, in meinem Kopf drehte sich mein Gehirn um die eigene Achse. Ich musste mir etwas einfallen lassen, schnell.

An der Haltestelle waren mittlerweile unzählige Menschen eingetroffen, ein Zeichen dafür, dass der Bus gleich kommen würde, wohin dieser fuhr, wusste ich nicht. Ich holte mein Mobiltelefon aus der Hosentasche und tippte darauf herum. Falls der Bus käme, bevor sie wieder an der Haltestelle aufkreuzen würde, übersähe ich ihn einfach vor lauter Telefon. Als ich ein paar Sekunden später aufblickte, um die Lage zu erfassen, stand der Bus keine fünf Meter von mir weg, ich sah, wie sie vorne einstieg und mich dabei über die Schulter ansah. Ich packte meine Tasche und sprang hinten rein. Als ich drinnen war, sah sie sich nach mir um. Ich lachte nicht mit ihr, gab ihr nicht zu verstehen, dass ich sie kannte. Ich war zufällig hier und ich versuchte, das zu signalisieren. Sie packte ein Buch aus und fing an zu lesen, ich beobachtete sie verstohlen, so wie das Männer oft machten. Sie drehte sich ein paar Mal in meine Richtung, sah mich aber nicht an. Vielleicht wollte sie wissen, ob ich noch da war, vielleicht suchte sie aber auch den Bus ab nach Menschen, die ihr helfen könnten falls ich ihr etwas tun würde oder ihr zu nahe käme. Schließlich hatte ich das alles falsch verstanden, sie wollte nur ein paar Worte wechseln vorhin in der Bücherei.
Eine Freundin von mir sagte einmal: "Mit euch Männern ist es echt nicht einfach. Kaum lacht man euch an, denkt ihr gleich, dass was geht. Da will man mal freundlich sein und ihr rennt zum nächsten Kondomautomaten. Flirten kann man mit euch praktisch gar nicht."
"Was redest du von Sachen, von denen du keine Ahnung hast", sagte ich. Der Schwanzgesteuerte war mal wieder an allem schuld, und das nervte mich. "Ihr könnt doch gar nicht ehrlich und aufrichtig mit uns flirten. Flirten heißt doch für euch Frauen nur: Bestätigung abholen. Wir sind aber nun mal nicht auf der Welt, um euch zu bespaßen. Wenn ihr Applaus braucht, dann geht in den Zirkus und stellt euch in die Mitte."
Sie stieß mir einen Finger auf's Brustbein und zischte: "Und wenn ihr uns ficken wollt, dann klatscht ihr gefälligst."

Die Frau im Bus klappte ihr Buch zusammen und verstaute es in der Tasche. Mittlerweile waren wir fast am östlichen Ende der Stadt angekommen. Als der Bus anhielt, stieg sie aus und ging davon. Ich fuhr noch eine Haltestelle weiter und stieg dann auch aus. In der Zwischenzeit war es ganz dunkel geworden. In den Wohnungen brannten Lichter, die Menschen kamen von der Arbeit nach Hause und freuten sich auf ihren Feierabend. Ich nicht, ich irrte in einem fremden Stadtteil herum, meine Wohnung lag am anderen Ende der Stadt.
Ich beschloss, zur Haltestelle zu laufen, an der die Frau ausgestiegen war. Es war eine große Haltestelle von der Busse und Straßenbahnen in alle Richtungen fuhren. Als ich dort ankam, sah ich einen Supermarkt. Ich dachte kurz nach und ging dann auf die Tür zu. Gerade als ich durch den Windfang gehen wollte, sah ich sie an der Kasse Waren in ihrer Tasche verstauen. Ich verließ den Supermarkt rückwärts und lief die Straße entlang. Ich wollte kein Stalker sein. In welche Richtung ich ging, wusste ich nicht, ich lief einfach und hoffte, dass sie denselben Weg nehmen musste.
Sie musste nicht.

Ich war 34 Jahre alt, und ich fühlte mich wie ein kleines Kind. Was machte ich da eigentlich? Wieso war ich nicht zu Hause in meiner Küche und kochte mir etwas Gutes? Warum fuhr ich einer fremden Frau durch die halbe Stadt hinterher, um mich dann vor ihr zu verstecken? Nach einem halben Kilometer machte ich kehrt und ging zur Haltestelle zurück, ich setzte mich in den nächsten Bus Richtung Innenstadt und beschloss, die Sache so schnell wie möglich zu vergessen. Auf der Sitzbank vor mir saß ein Mann mit seiner kleinen Tochter. Das Mädchen plapperte vor sich hin und der Vater ermahnte es, nicht einzuschlafen, da sie gleich aussteigen müssten. "Nein, nein", sagte das Mädchen und schüttelte heftig den Kopf. "Nein, nein." Ein paar Sekunden später schlief sie. Ich sah weiter vorne im Bus eine Frau sitzen, ihr Gesicht sah irgendwie osteuropäisch aus, die Haare blond, sie lachte mich an.


Wenn ich in den Spiegel schaue bevor ich das Haus verlasse, denke ich manchmal: 'Ja, genau, so willst du aussehen.' Dann fühle ich mich sensationell. An manchen Tagen denke ich genau das Gegenteil. Einer meiner Freunde sagte einmal: "Wenn du dich nicht gut fühlst und unzufrieden bist mit dir, spüren das die Frauen. Sie finden dich dann auch nicht gut. Wenn du dich aber gut fühlst, dann bist du interessanter für die Frauen, dann siehst du besser aus." Ich fragte mich, ob dieser Tag ein Tag war, an dem ich mich gut fühlte.


Seit 20 Jahren irre ich durch einen Dschungel voller unterschiedlicher Frauen. Ich soll zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, das Richtige sagen, ich soll witzig sein, geistreich, sensibel und spontan. Ich irre durch diesen Dschungel mit der Hoffnung, irgendwann am Ende anzukommen und von einer Anhöhe auf eine Bucht hinunter zu blicken. Eine Bucht, in der eine Frau badet, die für mich bestimmt ist, eine Frau, für die ich bestimmt bin. Und auf dem Weg durch den Dschungel, während ich versuche, meinen Weg zu gehen, während ich versuche, mich auf die Frauen einzustellen, setzen sich diese wie beim Tanzkurs auf einen Stuhl und warten, dass sie irgendjemand auffordert. Sie träumen von ihrem Prinzen zwar, aber es wird sie schon irgendjemand auffordern. Das ist alles. Mehr nicht. Sie setzen sich hin, schlagen die Beine übereinander und warten. Und wenn dann eine von sich aus aufsteht und mir die Hand reicht, zerdenke ich es, ohne es zu genießen.

Ich hätte die Frau an der Bushaltestelle ansprechen können, ehrlich, direkt. Ich hätte ihr sagen können, dass sie mich neugierig mache, dass ich sie wiedersehen wolle, um herauszufinden, wer sie war. Das wurde mir hinterher klar, wie schon so oft. Ich ließ es sein, weil ich mich nicht traute, wie schon so oft. Vielleicht hätte sie dann wieder gelacht und wir hätten uns gut unterhalten, hätten uns verabredet und wären uns näher gekommen. Vielleicht hätte sie aber auch nur irritiert geschaut und mir zu verstehen gegeben, dass ich sie falsch verstanden hatte, weil sie gar nicht an mir interessiert war, weil sie einfach so gelacht hatte, weil sie neu war in der Stadt und weil sie niemanden kannte und so viele Worte noch gesprochen werden mussten, bevor sie nach Hause in ihre Wohnung ging und mit ihrem Freund, einem Gehirnchirurgen aus Hamburg, telefonierte. Vielleicht saß sie während ich im Bus von einer wildfremden Frau angelacht wurde, zu Hause und erzählte dem Chirurgen, dass sie von einem Typen verfolgt wurde, zu dem sie nur nett sein wollte, vielleicht kreischte sie ihrer Mitbewohnerin ins Ohr, wie dämlich ich mich angestellt hatte, wo sie mir doch so eine Vorlage gegeben hatte.
Ich hatte keine Ahnung und in dem Moment war ich mir sicher, dass es fort war. Das Gefühl, das Richtige zu tun, auf dem richtigen Weg zu sein. Ich erkannte, dass ich nichts wusste. Ich hatte keine Ahnung und die Frau auf der Rückfahrt gab mir den Rest. Ich hatte tatsächlich meine wöchentliche Ration Verwirrspiel bekommen, der Abend war im Eimer. Während der Bus durch die Straßen rumpelte, überlegte ich mir, welchen meiner Freunde ich anrufen sollte, um meine Geschichte loszuwerden. Ich wollte mich an eine Bar setzen und bei Bier und Zigaretten Frauen auf den Hintern starren und Hetztiraden ablassen.

An diesem Abend beschloss ich, es zu lassen. Die Frauen zu lassen, das Träumen von der Richtigen. Das Nachdenken darüber, was eine Frau dachte, wenn sie mich ansprach. An diesem Abend fand ich mich damit ab, dass ich Single war und dass ich das noch eine Weile bleiben würde.
Aber ich hatte etwas gelernt, als mich auf der Rückfahrt die blonde Frau anlachte. Sie sind austauschbar. Die beiden Frauen an diesem Abend waren sehr unterschiedlich. Sie lachten mich an und ich reagierte darauf mit Interesse, anstatt mich darauf zu beschränken, ihnen freundlich zu begegnen. In dem Moment, in dem sie mich anlachten, startete in mir ein Achtzylinder. Zu diesem Zeitpunkt war ich seit zweieinhalb Jahren Single, zu lange, um noch objektiv urteilen zu können. Ich war bereits in der Phase, in der man auf alles reagiert was hübsch ist – oder zumindest nicht fett und pickelig. Es war ein bisschen wie schön saufen. Je mehr man trank, desto hübscher wurden sie, je länger ich Single war, desto mehr Frauen sah ich, die mich interessierten.
Die zwei an diesem Abend waren einfach verfügbar. Aber was ist eigentlich schlimm daran, verfügbar zu sein? Am Anfang sind wir das doch alle. Ob eine Frau zu mir passt, weiß ich erst, wenn ich mich auf sie einlasse. Aber dazu muss ich mit ihr reden.
Ich wollte nie eine Frau, die nur verfügbar ist, ich wollte eine, die zu mir passt, zu der ich passe, aber letztendlich werde ich das nur herausfinden, wenn ich mich einlasse, auf alles und jede - so lange sie mir gefällt. Dann schlafen wir regelmäßig miteinander, kommen uns näher, trennen uns vielleicht wieder und zählen irgendwann die Kerben in unseren Colts.

Wenn uns jemand anspricht, wissen wir nie, warum er oder sie es tun. Wir sollten immer versuchen, das herauszufinden - weil sie es vielleicht wert sind.

© John Gimignano
 
Mein Name ist Paul, ich bin 34 Jahre alt und Bauzeichner. Genauer gesagt bin ich der da Vinci der Bauzeichner. Ich arbeite mit den bedeutendsten Architekten zusammen, überall auf der Welt stehen Gebäude, die ich gezeichnet habe. Ich bin mein eigener Chef, denn ich lege Wert darauf, zu leben wie ich möchte und zu arbeiten wie ich möchte.

Ich lebe in der schönsten Stadt Deutschlands mit geltungssüchtigen Arschlöchern, die sich nachts in den Nobelclubs das Gehirn wegkoksen und tagsüber in ihren Agenturen und Fernsehsendern auf wichtig machen. Mit geilen Studentinnen, die sich für die Säulen der Erde halten und gerne mal ihre Ärsche herzeigen auf Küchenpartys, zu denen sie ein Sixpack Beck's mitbringen und dann den ganzen Abend Cuba Libre saufen.

Ich lebe in einer Zeit, in der eine Frau den Mann an ihrer Seite oft als Teil ihrer eigenen Selbstverwirklichung sieht. Und ich schlafe meist alleine – genau aus diesem Grund.


Verwirrspiel

Sie war mir gleich aufgefallen. Ihr Haar war braun, sie hatte es zu einem langen Zopf gebunden, es fiel ihr fast bis auf den Jennifer-Lopez-Hintern. Ihr Gesicht war kantig, sie war mein Fall.
Sie stand am automatischen Erfassungssystem in der Bibliothek und war gerade dabei, Bücher auszuleihen. Sie legte die Schmöker auf eine Glasplatte, dort wurden sie von einem Scanner erfasst. Ich stand hinter ihr in der Schlange, hielt höflich Abstand. Sie drehte sich zu mir um und lachte mich an. Ich fragte mich, woher sie mich kannte.
Ich schätzte sie auf irgendwas zwischen 25 und 30, ihr Mund lud zum küssen ein, ihr Blick hatte etwas Lüsternes. Sie war die Art von Frau, hinter der ein Mann etwas Luderhaftes vermutet. Ich fragte mich, wie es wohl wäre, mit ihr zu schlafen, wahrscheinlich bekam sie nie genug. Ich schaute weg, hielt ihr nicht stand, als ich wieder hinsah, schob sie die Bücher in ihre Stofftasche. Sie drehte sich wieder um und lachte. Sie lachte mich an, als ob wir uns schon ewig kannten. Sie lachte mich an, als wäre es ihre letzte Gelegenheit, einen Mann abzubekommen. Ich fragte mich, ob das die wöchentliche Dosis Verwirrspiel war, die ich nun verabreicht bekäme; ich konnte nicht unterscheiden zwischen der natürlichen Freundlichkeit einer Frau und ihrem Flirt-Verhalten. Zuerst einmal glaubte ich immer an das Freundliche in ihr.
Sie trat einen Schritt zur Seite, ich legte meine Bücher auf die Glasplatte, und der Scanner suchte sie nach Barcodes ab. Sie sah mir fest in die Augen, grinste und sagte:
"Funktioniert gut mit dem neuen System."
"Ja", sagte ich. "Geht viel schneller als alles von Hand zu registrieren."
Sie lachte und sagte: "Komisch, dass da immer ein paar Leute Probleme haben. Aber wahrscheinlich kommt es darauf an, wie viel man sonst so mit Computern macht."
"Kann sein, die Leute, die hier Probleme haben, sind die selben, die an den Fingersensoren der U-Bahntüren auch immer Probleme haben."
Sie prustete los und rief: "Boah, das ist jetzt aber gemein."
"Wieso denn? Ist doch so", murmelte ich.
Während sie sich zu mir umdrehte und mich direkt ansprach, redete ich die ganze Zeit mit dem Bildschirm des Ausleihautomaten. Ich sprach so leise, dass ich mich selbst kaum verstand. Ich war überfordert und wusste nicht, was ich machen sollte.
"O.k., also dann, schönen Abend noch."
"Danke", sagte ich zu dem Bildschirm.
Als ich fertig war, packte ich die Bücher ein und verließ die Bibliothek. Vor der Tür suchte ich die Straße in beide Richtungen ab. Ich wollte etwas retten, wo es vielleicht gar nichts zu retten gab, aber ich wollte sicher sein, dass es nichts zu retten gab. Ich sah sie gut 100 Meter die Straße runter, es war schon ein wenig dunkel, aber ihre blaue Winterjacke und ihren Hintern erkannte ich sofort. Sie wechselte die Straßenseite, ich wechselte mit. An einer Bushaltestelle blieb sie stehen. Ich setzte mich auf die Bank im Wartehäuschen. Unsere Augen trafen sich kurz, ich versuchte, zufällig hier zu sein. Sie ging auf den Eingang einer Bank zu und schob eine Karte in den Schlitz an der Tür. Wahrscheinlich wollte sie Zeit gewinnen; während sie noch in der Bank war, stiege ich ein und sie wäre mich los. Ich war mir sicher, dass ich ihr Verhalten in der Bücherei falsch deutete, bestimmt war sie nur eine Frau, die ohne Starallüren durch ihr Leben ging, und keine Probleme hatte, mit einem Mann mal ein paar freundlichen Worte zu wechseln. Ich wollte es herausfinden, immer wieder sah ich sie in Gedanken, wie sie mich anlachte, ich wollte wissen warum. Aber ich wusste auch, dass ich nicht fähig sein würde, sie anzusprechen. Ich stellte mein Licht unter den Scheffel, so war das eben, in meinem Kopf drehte sich mein Gehirn um die eigene Achse. Ich musste mir etwas einfallen lassen, schnell.

An der Haltestelle waren mittlerweile unzählige Menschen eingetroffen, ein Zeichen dafür, dass der Bus gleich käme, wohin dieser fuhr, wusste ich nicht. Ich holte mein Mobiltelefon aus der Hosentasche und tippte darauf herum. Falls der Bus käme, bevor sie wieder an der Haltestelle aufkreuzen würde, übersähe ich ihn einfach vor lauter Telefon. Als ich ein paar Sekunden später aufblickte, um die Lage zu erfassen, stand der Bus keine fünf Meter von mir weg, ich sah, wie sie vorne einstieg und mich dabei über die Schulter ansah. Ich packte meine Tasche und sprang hinten rein. Als ich drinnen war, sah sie sich nach mir um. Ich lachte nicht mit ihr, gab ihr nicht zu verstehen, dass ich sie kannte. Ich war zufällig hier und ich versuchte, das zu signalisieren. Sie packte ein Buch aus und fing an zu lesen, ich beobachtete sie verstohlen, so wie das Männer oft machten. Sie drehte sich ein paar Mal in meine Richtung, sah mich aber nicht an. Vielleicht wollte sie wissen, ob ich noch da war, vielleicht suchte sie aber auch den Bus ab nach Menschen, die ihr helfen könnten falls ich ihr etwas tun würde oder ihr zu nahe käme. Schließlich hatte ich das alles falsch verstanden, sie wollte nur ein paar Worte wechseln vorhin in der Bücherei.
Eine Freundin von mir sagte einmal: "Mit euch Männern ist es echt nicht einfach. Kaum lacht man euch an, denkt ihr gleich, dass was geht. Da will man mal freundlich sein und ihr rennt zum nächsten Kondomautomaten. Flirten kann man mit euch praktisch gar nicht."
"Was redest du von Sachen, von denen du keine Ahnung hast", sagte ich. Der Schwanzgesteuerte war mal wieder an allem schuld, und das nervte mich. "Ihr könnt doch gar nicht ehrlich und aufrichtig mit uns flirten. Flirten heißt doch für euch Frauen nur: Bestätigung abholen. Wir sind aber nun mal nicht auf der Welt, um euch zu bespaßen. Wenn ihr Applaus braucht, dann geht in den Zirkus und stellt euch in die Mitte."
Sie stieß mir einen Finger auf's Brustbein und zischte: "Und wenn ihr uns ficken wollt, dann klatscht ihr gefälligst."

Die Frau im Bus klappte ihr Buch zusammen und verstaute es in der Tasche. Mittlerweile waren wir fast am östlichen Ende der Stadt angekommen. Als der Bus anhielt, stieg sie aus und ging davon. Ich fuhr noch eine Haltestelle weiter und stieg dann auch aus. In der Zwischenzeit war es ganz dunkel geworden. In den Wohnungen brannten Lichter, die Menschen kamen von der Arbeit nach Hause und freuten sich auf ihren Feierabend. Ich nicht, ich irrte in einem fremden Stadtteil herum, meine Wohnung lag am anderen Ende der Stadt.
Ich beschloss, zur Haltestelle zu laufen, an der die Frau ausgestiegen war. Es war eine große Haltestelle von der Busse und Straßenbahnen in alle Richtungen fuhren. Als ich dort ankam, sah ich einen Supermarkt. Ich dachte kurz nach und ging dann auf die Tür zu. Gerade als ich durch den Windfang gehen wollte, sah ich sie an der Kasse Waren in ihrer Tasche verstauen. Ich verließ den Supermarkt rückwärts und lief die Straße entlang. Ich wollte kein Stalker sein. In welche Richtung ich ging, wusste ich nicht, ich lief einfach und hoffte, dass sie denselben Weg nehmen musste.
Sie musste nicht.

Ich war 34 Jahre alt, und ich fühlte mich wie ein kleines Kind. Was machte ich da eigentlich? Wieso war ich nicht zu Hause in meiner Küche und kochte mir etwas Gutes? Warum fuhr ich einer fremden Frau durch die halbe Stadt hinterher, um mich dann vor ihr zu verstecken? Nach einem halben Kilometer machte ich kehrt und ging zur Haltestelle zurück, ich setzte mich in den nächsten Bus Richtung Innenstadt und beschloss, die Sache so schnell wie möglich zu vergessen. Auf der Sitzbank vor mir saß ein Mann mit seiner kleinen Tochter. Das Mädchen plapperte vor sich hin und der Vater ermahnte es, nicht einzuschlafen, da sie gleich aussteigen müssten. "Nein, nein", sagte das Mädchen und schüttelte heftig den Kopf. "Nein, nein." Ein paar Sekunden später schlief sie. Ich sah weiter vorne im Bus eine Frau sitzen, ihr Gesicht sah irgendwie osteuropäisch aus, die Haare blond, sie lachte mich an.


Wenn ich in den Spiegel schaue bevor ich das Haus verlasse, denke ich manchmal: 'Ja, genau, so willst du aussehen.' Dann fühle ich mich sensationell. An manchen Tagen denke ich genau das Gegenteil. Einer meiner Freunde sagte einmal: "Wenn du dich nicht gut fühlst und unzufrieden bist mit dir, spüren das die Frauen. Sie finden dich dann auch nicht gut. Wenn du dich aber gut fühlst, dann bist du interessanter für die Frauen, dann siehst du besser aus." Ich fragte mich, ob dieser Tag ein Tag war, an dem ich mich gut fühlte.


Seit 20 Jahren irre ich durch einen Dschungel voller unterschiedlicher Frauen. Ich soll zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, das Richtige sagen, ich soll witzig sein, geistreich, sensibel und spontan. Ich irre durch diesen Dschungel mit der Hoffnung, irgendwann am Ende anzukommen und von einer Anhöhe auf eine Bucht hinunter zu blicken. Eine Bucht, in der eine Frau badet, die für mich bestimmt ist, eine Frau, für die ich bestimmt bin. Und auf dem Weg durch den Dschungel, während ich versuche, meinen Weg zu gehen, während ich versuche, mich auf die Frauen einzustellen, setzen sich diese wie beim Tanzkurs auf einen Stuhl und warten, dass sie irgendjemand auffordert. Sie träumen von ihrem Prinzen zwar, aber es wird sie schon irgendjemand auffordern. Das ist alles. Mehr nicht. Sie setzen sich hin, schlagen die Beine übereinander und warten. Und wenn dann eine von sich aus aufsteht und mir die Hand reicht, zerdenke ich es, ohne es zu genießen.

Ich hätte die Frau an der Bushaltestelle ansprechen können, ehrlich, direkt. Ich hätte ihr sagen können, dass sie mich neugierig mache, dass ich sie wiedersehen wolle, um herauszufinden, wer sie war. Das wurde mir hinterher klar, wie schon so oft. Ich ließ es sein, weil ich mich nicht traute, wie schon so oft. Vielleicht hätte sie dann wieder gelacht und wir hätten uns gut unterhalten, hätten uns verabredet und wären uns näher gekommen. Vielleicht hätte sie aber auch nur irritiert geschaut und mir zu verstehen gegeben, dass ich sie falsch verstanden hatte, weil sie gar nicht an mir interessiert war, weil sie einfach so gelacht hatte, weil sie neu war in der Stadt und weil sie niemanden kannte und so viele Worte noch gesprochen werden mussten, bevor sie nach Hause in ihre Wohnung ging und mit ihrem Freund, einem Gehirnchirurgen aus Hamburg, telefonierte. Vielleicht saß sie während ich im Bus von einer wildfremden Frau angelacht wurde, zu Hause und erzählte dem Chirurgen, dass sie von einem Typen verfolgt wurde, zu dem sie nur nett sein wollte, vielleicht kreischte sie ihrer Mitbewohnerin ins Ohr, wie dämlich ich mich angestellt hatte, wo sie mir doch so eine Vorlage gegeben hatte.
Ich hatte keine Ahnung und in dem Moment war ich mir sicher, dass es fort war. Das Gefühl, das Richtige zu tun, auf dem richtigen Weg zu sein. Ich erkannte, dass ich nichts wusste. Ich hatte keine Ahnung und die Frau auf der Rückfahrt gab mir den Rest. Ich hatte tatsächlich meine wöchentliche Ration Verwirrspiel bekommen, der Abend war im Eimer. Während der Bus durch die Straßen rumpelte, überlegte ich mir, welchen meiner Freunde ich anrufen sollte, um meine Geschichte loszuwerden. Ich wollte mich an eine Bar setzen und bei Bier und Zigaretten Frauen auf den Hintern starren und Hetztiraden ablassen.

An diesem Abend beschloss ich, es zu lassen. Die Frauen zu lassen, das Träumen von der Richtigen. Das Nachdenken darüber, was eine Frau dachte, wenn sie mich ansprach. An diesem Abend fand ich mich damit ab, dass ich Single war, und dass ich das noch eine Weile bleiben würde.
Aber ich hatte etwas gelernt, als mich auf der Rückfahrt die blonde Frau anlachte. Sie sind austauschbar. Die beiden Frauen an diesem Abend waren sehr unterschiedlich. Sie lachten mich an und ich reagierte darauf mit Interesse, anstatt mich darauf zu beschränken, ihnen freundlich zu begegnen. In dem Moment, in dem sie mich anlachten, startete in mir ein Achtzylinder. Zu diesem Zeitpunkt war ich seit zweieinhalb Jahren Single, zu lange, um noch objektiv urteilen zu können. Ich war bereits in der Phase, in der man auf alles reagiert was hübsch ist – oder zumindest nicht fett und pickelig. Es war ein bisschen wie schön saufen. Je mehr man trank, desto hübscher wurden sie, je länger ich Single war, desto mehr Frauen sah ich, die mich interessierten.
Die zwei an diesem Abend waren einfach verfügbar. Aber was ist eigentlich schlimm daran, verfügbar zu sein? Am Anfang sind wir das doch alle. Ob eine Frau zu mir passt, weiß ich erst, wenn ich mich auf sie einlasse. Aber dazu muss ich mit ihr reden.
Ich wollte nie eine Frau, die nur verfügbar ist, ich wollte eine, die zu mir passt, zu der ich passe, aber letztendlich werde ich das nur herausfinden, wenn ich mich einlasse, auf alles und jede - so lange sie mir gefällt. Dann schlafen wir regelmäßig miteinander, kommen uns näher, trennen uns vielleicht wieder und zählen irgendwann die Kerben in unseren Colts.

Wenn uns jemand anspricht, wissen wir nie, warum er oder sie es tun. Wir sollten immer versuchen, das herauszufinden - weil sie es vielleicht wert sind.

© John Gimignano
 
H

Hakan Tezkan

Gast
einspruch! bis auf einige kluge gedankengänge ist der text nicht gelungen. das sprachniveau ist allenfalls durchschnittlich, eine gehörige straffung täte dem spannungsbogen ganz gut und ein paar details, also: markante einzelheiten hätten den figuren wohl mehr fülle und farbe gegeben. potential: durchaus da. substanz: noch sehr wenig.

hakan
 
B

bluefin

Gast
was bei diesem text nervt, lieber @john, ist nicht so sehr die langweilige herumfahrerei des sozialneidischen prots eo ipso, sondern deren ebeso fade darstellung: nur aufzählungen. und erst noch das frauenbild, das man uns allgemeinverbindlich zu vermitteln bemüht ist - ich kann mir beim besten willen keine mehr oder weniger gut proportionierten girlies vorstellen, die immer noch fröhlich lachen, wenn sie von einem lurch wie dem beschriebenen durch die halbe stadt verfolgt werden. wie die normalerweise reagieren, kann man z. b. http://www.leselupe.de/lw/showthread.php?threadid=90449.

ganz offenbar huldigt der prot einem frauenbild, wie es vor ein paar hundert jahren noch gängig war, und übersieht, dass es längst itgirls und alfamädchen die menge gibt, die von einem jungen viel mehr verlangen als nur, dass er hinter ihnen her ist. mit dem spiegelbild allein und ein paar sprüchen kommt man nicht weit, und schon gar nicht in die "bucht", von der man träumt.

an sich schon plattes noch dünner auszuwalzen kann durchaus sinnvoll sein, lieber @john. aber dazu bräuchte es witz und einen schuss (selbst)ironie. sonst bleibt, wie hier, nur das bild eines ebenso einfältigen wie verklemmten, in die jahre gekommen katers (34!) übrig, der rollig durch die großstadt schleicht und alle katzen für dümmer hält, nicht erkennend, dass er's ist, der die fehler macht. sowas nimmt man einem heranwachsenden noch ab, aber keinem berühmten(!) bauzeichner, der paul heißt.

im prinzip immer noch "oktoberfest", @john, nur länger. statt, wie gesagt, aus dünn gewalztem blech etwas besonderes zu formen, wird nur langanhaltend geklappert damit. das ist zu wenig, vor allem dann, wenn's gleich noch weltanschaulich daherkommen will. nimm's mir nicht übel, wenn ich sage: der ganze text ist durchweht von pubertärer begriffsstutzigkeit.

tipp: sich besser in die rolle des weiblichen "opfers" hineindenken, vor dem nächsten schreibgang, und überlegen, was - neben dem ordinären geschlechtstrieb - wirklich der auslöser dafür sein könnte, dass "significant others" gesucht werden.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 
A

Ali

Gast
Anstrengend, ich les immer nur Hintern, Haare, Verfügbarkeit und austauschbar (mit dem Hintern habens ja deine Prots). Was will der Autor mir erzählen, seitenlang? Dass ein oberflächlicher Spätpubertierender selbstzweifelnd und notgeil durch die Stadt rennt? Ist das alles? Oder steckt da noch mehr dahinter und ich habs nur nicht kapiert.

l.G.
Ali
 
Mein Name ist Paul, ich bin 34 Jahre alt und Bauzeichner. Genauer gesagt bin ich der da Vinci der Bauzeichner. Ich arbeite mit den bedeutendsten Architekten zusammen, überall auf der Welt stehen Gebäude, die ich gezeichnet habe. Ich bin mein eigener Chef, denn ich lege Wert darauf, zu leben wie ich möchte und zu arbeiten wie ich möchte.

Ich lebe in der schönsten Stadt Deutschlands mit geltungssüchtigen Arschlöchern, die sich nachts in den Nobelclubs das Gehirn wegkoksen und tagsüber in ihren Agenturen und Fernsehsendern auf wichtig machen. Mit geilen Studentinnen, die sich für die Säulen der Erde halten und gerne mal ihre Ärsche herzeigen auf Küchenpartys, zu denen sie ein Sixpack Beck's mitbringen und dann den ganzen Abend Cuba Libre saufen.

Ich lebe in einer Zeit, in der eine Frau den Mann an ihrer Seite oft als Teil ihrer eigenen Selbstverwirklichung sieht. Und ich schlafe meist alleine – genau aus diesem Grund.


Verwirrspiel

Sie war mir gleich aufgefallen. Ihr Haar war braun, sie hatte es zu einem langen Zopf gebunden, es fiel ihr fast bis auf den Jennifer-Lopez-Hintern. Ihr Gesicht war kantig, sie war mein Fall.
Sie stand am automatischen Erfassungssystem in der Bibliothek und war gerade dabei, Bücher auszuleihen. Sie legte die Schmöker auf eine Glasplatte, dort wurden sie von einem Scanner erfasst. Ich stand hinter ihr in der Schlange, hielt höflich Abstand. Sie drehte sich zu mir um und lachte mich an. Ich fragte mich, woher sie mich kannte.
Ich schätzte sie auf irgendwas zwischen 25 und 30, ihr Mund lud zum küssen ein, ihr Blick hatte etwas Lüsternes. Sie war die Art von Frau, hinter der ein Mann etwas Luderhaftes vermutet. Ich fragte mich, wie es wohl wäre, mit ihr zu schlafen, wahrscheinlich bekam sie nie genug. Ich schaute weg, hielt ihr nicht stand, als ich wieder hinsah, schob sie die Bücher in ihre Stofftasche. Sie drehte sich wieder um und lachte. Sie lachte mich an, als ob wir uns schon ewig kannten. Sie lachte mich an, als wäre es ihre letzte Gelegenheit, einen Mann abzubekommen. Ich fragte mich, ob das die wöchentliche Dosis Verwirrspiel war, die ich nun verabreicht bekäme; ich konnte nicht unterscheiden zwischen der natürlichen Freundlichkeit einer Frau und ihrem Flirt-Verhalten. Zuerst einmal glaubte ich immer an das Freundliche in ihr.
Sie trat einen Schritt zur Seite, ich legte meine Bücher auf die Glasplatte, und der Scanner suchte sie nach Barcodes ab. Sie sah mir fest in die Augen, grinste und sagte:
"Funktioniert gut mit dem neuen System."
"Ja", sagte ich. "Geht viel schneller als alles von Hand zu registrieren."
Sie lachte und sagte: "Komisch, dass da immer ein paar Leute Probleme haben. Aber wahrscheinlich kommt es darauf an, wie viel man sonst so mit Computern macht."
"Kann sein, die Leute, die hier Probleme haben, sind die selben, die an den Fingersensoren der U-Bahntüren auch immer Probleme haben."
Sie prustete los und rief: "Boah, das ist jetzt aber gemein."
"Wieso denn? Ist doch so", murmelte ich.
Während sie sich zu mir umdrehte und mich direkt ansprach, redete ich die ganze Zeit mit dem Bildschirm des Ausleihautomaten. Ich sprach so leise, dass ich mich selbst kaum verstand. Ich war überfordert und wusste nicht, was ich machen sollte.
"O.k., also dann, schönen Abend noch."
"Danke", sagte ich zu dem Bildschirm.
Als ich fertig war, packte ich die Bücher ein und verließ die Bibliothek. Vor der Tür suchte ich die Straße in beide Richtungen ab. Ich wollte etwas retten, wo es vielleicht gar nichts zu retten gab, aber ich wollte sicher sein, dass es nichts zu retten gab. Ich sah sie gut 100 Meter die Straße runter, es war schon ein wenig dunkel, aber ihre blaue Winterjacke erkannte ich sofort. Sie wechselte die Straßenseite, ich wechselte mit. An einer Bushaltestelle blieb sie stehen. Ich setzte mich auf die Bank im Wartehäuschen. Unsere Augen trafen sich kurz, ich versuchte, zufällig hier zu sein. Sie ging auf den Eingang einer Bank zu und schob eine Karte in den Schlitz an der Tür. Wahrscheinlich wollte sie Zeit gewinnen; während sie noch in der Bank war, stiege ich ein und sie wäre mich los. Ich war mir sicher, dass ich ihr Verhalten in der Bücherei falsch deutete, bestimmt war sie nur eine Frau, die ohne Starallüren durch ihr Leben ging, und keine Probleme hatte, mit einem Mann mal ein paar freundlichen Worte zu wechseln. Ich wollte es herausfinden, immer wieder sah ich sie in Gedanken, wie sie mich anlachte, ich wollte wissen warum. Aber ich wusste auch, dass ich nicht fähig sein würde, sie anzusprechen. Ich stellte mein Licht unter den Scheffel, so war das eben, in meinem Kopf drehte sich mein Gehirn um die eigene Achse. Ich musste mir etwas einfallen lassen, schnell.

An der Haltestelle waren mittlerweile unzählige Menschen eingetroffen, ein Zeichen dafür, dass der Bus gleich käme, wohin dieser fuhr, wusste ich nicht. Ich holte mein Mobiltelefon aus der Hosentasche und tippte darauf herum. Falls der Bus käme, bevor sie wieder an der Haltestelle aufkreuzen würde, übersähe ich ihn einfach vor lauter Telefon. Als ich ein paar Sekunden später aufblickte, um die Lage zu erfassen, stand der Bus keine fünf Meter von mir weg, ich sah, wie sie vorne einstieg und mich dabei über die Schulter ansah. Ich packte meine Tasche und sprang hinten rein. Als ich drinnen war, sah sie sich nach mir um. Ich lachte nicht mit ihr, gab ihr nicht zu verstehen, dass ich sie kannte. Ich war zufällig hier und ich versuchte, das zu signalisieren. Sie packte ein Buch aus und fing an zu lesen, ich beobachtete sie verstohlen, so wie das Männer oft machten. Sie drehte sich ein paar Mal in meine Richtung, sah mich aber nicht an. Vielleicht wollte sie wissen, ob ich noch da war, vielleicht suchte sie aber auch den Bus ab nach Menschen, die ihr helfen könnten falls ich ihr etwas tun würde oder ihr zu nahe käme. Schließlich hatte ich das alles falsch verstanden, sie wollte nur ein paar Worte wechseln vorhin in der Bücherei.
Eine Freundin von mir sagte einmal: "Mit euch Männern ist es echt nicht einfach. Kaum lacht man euch an, denkt ihr gleich, dass was geht. Da will man mal freundlich sein und ihr rennt zum nächsten Kondomautomaten. Flirten kann man mit euch praktisch gar nicht."
"Was redest du von Sachen, von denen du keine Ahnung hast", sagte ich. Der Schwanzgesteuerte war mal wieder an allem schuld, und das nervte mich. "Ihr könnt doch gar nicht ehrlich und aufrichtig mit uns flirten. Flirten heißt doch für euch Frauen nur: Bestätigung abholen. Wir sind aber nun mal nicht auf der Welt, um euch zu bespaßen. Wenn ihr Applaus braucht, dann geht in den Zirkus und stellt euch in die Mitte."
Sie stieß mir einen Finger auf's Brustbein und zischte: "Und wenn ihr uns ficken wollt, dann klatscht ihr gefälligst."

Die Frau im Bus klappte ihr Buch zusammen und verstaute es in der Tasche. Mittlerweile waren wir fast am östlichen Ende der Stadt angekommen. Als der Bus anhielt, stieg sie aus und ging davon. Ich fuhr noch eine Haltestelle weiter und stieg dann auch aus. In der Zwischenzeit war es ganz dunkel geworden. In den Wohnungen brannten Lichter, die Menschen kamen von der Arbeit nach Hause und freuten sich auf ihren Feierabend. Ich nicht, ich irrte in einem fremden Stadtteil herum, meine Wohnung lag am anderen Ende der Stadt.
Ich beschloss, zur Haltestelle zu laufen, an der die Frau ausgestiegen war. Es war eine große Haltestelle von der Busse und Straßenbahnen in alle Richtungen fuhren. Als ich dort ankam, sah ich einen Supermarkt. Ich dachte kurz nach und ging dann auf die Tür zu. Gerade als ich durch den Windfang gehen wollte, sah ich sie an der Kasse Waren in ihrer Tasche verstauen. Ich verließ den Supermarkt rückwärts und lief die Straße entlang. Ich wollte kein Stalker sein. In welche Richtung ich ging, wusste ich nicht, ich lief einfach und hoffte, dass sie denselben Weg nehmen musste.
Sie musste nicht.

Ich war 34 Jahre alt, und ich fühlte mich wie ein kleines Kind. Was machte ich da eigentlich? Wieso war ich nicht zu Hause in meiner Küche und kochte mir etwas Gutes? Warum fuhr ich einer fremden Frau durch die halbe Stadt hinterher, um mich dann vor ihr zu verstecken? Nach einem halben Kilometer machte ich kehrt und ging zur Haltestelle zurück, ich setzte mich in den nächsten Bus Richtung Innenstadt und beschloss, die Sache so schnell wie möglich zu vergessen. Auf der Sitzbank vor mir saß ein Mann mit seiner kleinen Tochter. Das Mädchen plapperte vor sich hin und der Vater ermahnte es, nicht einzuschlafen, da sie gleich aussteigen müssten. "Nein, nein", sagte das Mädchen und schüttelte heftig den Kopf. "Nein, nein." Ein paar Sekunden später schlief sie. Ich sah weiter vorne im Bus eine Frau sitzen, ihr Gesicht sah irgendwie osteuropäisch aus, die Haare blond, sie lachte mich an.


Wenn ich in den Spiegel schaue bevor ich das Haus verlasse, denke ich manchmal: 'Ja, genau, so willst du aussehen.' Dann fühle ich mich sensationell. An manchen Tagen denke ich genau das Gegenteil. Einer meiner Freunde sagte einmal: "Wenn du dich nicht gut fühlst und unzufrieden bist mit dir, spüren das die Frauen. Sie finden dich dann auch nicht gut. Wenn du dich aber gut fühlst, dann bist du interessanter für die Frauen, dann siehst du besser aus." Ich fragte mich, ob dieser Tag ein Tag war, an dem ich mich gut fühlte.


Seit 20 Jahren irre ich durch einen Dschungel voller unterschiedlicher Frauen. Ich soll zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, das Richtige sagen, ich soll witzig sein, geistreich, sensibel und spontan. Ich irre durch diesen Dschungel mit der Hoffnung, irgendwann am Ende anzukommen und von einer Anhöhe auf eine Bucht hinunter zu blicken. Eine Bucht, in der eine Frau badet, die für mich bestimmt ist, eine Frau, für die ich bestimmt bin. Und auf dem Weg durch den Dschungel, während ich versuche, meinen Weg zu gehen, während ich versuche, mich auf die Frauen einzustellen, setzen sich diese wie beim Tanzkurs auf einen Stuhl und warten, dass sie irgendjemand auffordert. Sie träumen von ihrem Prinzen zwar, aber es wird sie schon irgendjemand auffordern. Das ist alles. Mehr nicht. Sie setzen sich hin, schlagen die Beine übereinander und warten. Und wenn dann eine von sich aus aufsteht und mir die Hand reicht, zerdenke ich es, ohne es zu genießen.

Ich hätte die Frau an der Bushaltestelle ansprechen können, ehrlich, direkt. Ich hätte ihr sagen können, dass sie mich neugierig mache, dass ich sie wiedersehen wolle, um herauszufinden, wer sie war. Das wurde mir hinterher klar, wie schon so oft. Ich ließ es sein, weil ich mich nicht traute, wie schon so oft. Vielleicht hätte sie dann wieder gelacht und wir hätten uns gut unterhalten, hätten uns verabredet und wären uns näher gekommen. Vielleicht hätte sie aber auch nur irritiert geschaut und mir zu verstehen gegeben, dass ich sie falsch verstanden hatte, weil sie gar nicht an mir interessiert war, weil sie einfach so gelacht hatte, weil sie neu war in der Stadt und weil sie niemanden kannte und so viele Worte noch gesprochen werden mussten, bevor sie nach Hause in ihre Wohnung ging und mit ihrem Freund, einem Gehirnchirurgen aus Hamburg, telefonierte. Vielleicht saß sie während ich im Bus von einer wildfremden Frau angelacht wurde, zu Hause und erzählte dem Chirurgen, dass sie von einem Typen verfolgt wurde, zu dem sie nur nett sein wollte, vielleicht kreischte sie ihrer Mitbewohnerin ins Ohr, wie dämlich ich mich angestellt hatte, wo sie mir doch so eine Vorlage gegeben hatte.
Ich hatte keine Ahnung und in dem Moment war ich mir sicher, dass es fort war. Das Gefühl, das Richtige zu tun, auf dem richtigen Weg zu sein. Ich erkannte, dass ich nichts wusste. Ich hatte keine Ahnung und die Frau auf der Rückfahrt gab mir den Rest. Ich hatte tatsächlich meine wöchentliche Ration Verwirrspiel bekommen, der Abend war im Eimer. Während der Bus durch die Straßen rumpelte, überlegte ich mir, welchen meiner Freunde ich anrufen sollte, um meine Geschichte loszuwerden. Ich wollte mich an eine Bar setzen und bei Bier und Zigaretten Frauen auf den Hintern starren und Hetztiraden ablassen.

An diesem Abend beschloss ich, es zu lassen. Die Frauen zu lassen, das Träumen von der Richtigen. Das Nachdenken darüber, was eine Frau dachte, wenn sie mich ansprach. An diesem Abend fand ich mich damit ab, dass ich Single war, und dass ich das noch eine Weile bleiben würde.
Aber ich hatte etwas gelernt, als mich auf der Rückfahrt die blonde Frau anlachte. Sie sind austauschbar. Die beiden Frauen an diesem Abend waren sehr unterschiedlich. Sie lachten mich an und ich reagierte darauf mit Interesse, anstatt mich darauf zu beschränken, ihnen freundlich zu begegnen. In dem Moment, in dem sie mich anlachten, startete in mir ein Achtzylinder. Zu diesem Zeitpunkt war ich seit zweieinhalb Jahren Single, zu lange, um noch objektiv urteilen zu können. Ich war bereits in der Phase, in der man auf alles reagiert was hübsch ist – oder zumindest nicht fett und pickelig. Es war ein bisschen wie schön saufen. Je mehr man trank, desto hübscher wurden sie, je länger ich Single war, desto mehr Frauen sah ich, die mich interessierten.
Die zwei an diesem Abend waren einfach verfügbar. Aber was ist eigentlich schlimm daran, verfügbar zu sein? Am Anfang sind wir das doch alle. Ob eine Frau zu mir passt, weiß ich erst, wenn ich mich auf sie einlasse. Aber dazu muss ich mit ihr reden.
Ich wollte nie eine Frau, die nur verfügbar ist, ich wollte eine, die zu mir passt, zu der ich passe, aber letztendlich werde ich das nur herausfinden, wenn ich mich einlasse, auf alles und jede - so lange sie mir gefällt. Dann schlafen wir regelmäßig miteinander, kommen uns näher, trennen uns vielleicht wieder und zählen irgendwann die Kerben in unseren Colts.

Wenn uns jemand anspricht, wissen wir nie, warum er oder sie es tun. Wir sollten immer versuchen, das herauszufinden - weil sie es vielleicht wert sind.

© John Gimignano
 



 
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