Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja besser

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Vagant

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Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja besser

Sie pickte mich vor einem der Clubs in der Innenstadt auf und sie sah aus, als hätte sie ein Bett nötig.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich.
– Keine Angst, sagte sie, ich werde ihnen schon nicht auf die Polster brechen. Hab‘ nur einen kleinen über den Durst getrunken, ein paar Wodka-Lemon, mehr nicht.
– Wo soll es denn hingehen?
– Heim.
– Na dann, sagte ich und hielt die Wagentür auf.
Sie sagte mir die Adresse und setzte sich auf die Rückbank. Ich startete den Taxameter, setzte den Blinker und fädelte mich wieder in den Verkehr ein.
– Ist ja noch eine Menge los, heute Nacht, sagte ich und warf einen kurzen Blick in den Innenspiegel.
– Ist halt Freitag.
– Ja ja, der Freitag ist der neue Sonntag, sag ich ja immer, und an solchen Abenden mache ich ja gut fünfzig Prozent meines Umsatzes. Sie waren im U-Boot? Soll ein klasse Laden geworden sein, was man so hört.
– Mag sein.
– Ist denn der alte Koslowsky da noch hinterm Tresen?
– Weiß nicht.
– Der soll ja seit einer Ewigkeit die...
– ... hören Sie, ich wäre ihnen dankbar, wenn Sie einfach den Mund halten würden. Machen Sie einfach nur ihren Job, bitte!
– Kein Ding, sagte ich, sah nochmal kurz durch den Innenspiegel nach hinten und konzentrierte mich dann auf den Verkehr.

Es dauerte ein paar Ecken entlang der neonhellen Fassaden der Bars und Kneipen, bis ich den Wagen auf der Nordspange hinaus in die Vorstadt rollen lassen konnte. Kurz darauf hörte ich sie leise Schluchzen. Ich sah nach hinten und bemerkte, dass ihr Kajalstrich verschmiert war. Die Farbe lief wie ein kleiner Rinnsal die Wange hinunter und der Anblick erinnerte mich irgendwie an feuchten Waldboden. Dann sah ich, dass sie etwas in ihrer Handtasche suchte; fahrig, ohne erkennbares System. Kurz darauf gab sie die Suche auf.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich, ist alles in Ordnung?
– Danke, es geht schon, aber hätten Sie vielleicht mal ein Tempo für mich?
– Wenn‘s nicht mehr ist.
Ich reichte ihr ein Päckchen nach hinten und konzentrierte mich wieder aufs Fahren.
– Entschuldigung, sagte sie, aber das war wohl alles ein bisschen viel für mich, heute.
– Kein Ding. Ich denke, Sie müssen sich einfach mal richtig ausschlafen, morgen sieht die Welt schon ganz anders aus, bestimmt.
– Sie sind eher ein Mann für die einfachen Botschaften?, sagte sie und lachte ein kurzes Lachen.
– Ach, kompliziert wird es doch von ganz allein, irgendwann.
– Ja, irgendwann wird's das wohl.
– Mein Reden.
– Ja.

Ich fuhr weiter, hielt mich an unsere Abmachung und sagte kein weiteres Wort. Nach ein paar Metern begann sie mit leiser, brüchiger Stimme zu reden.
Ich dürfe das nun nicht so auf die Goldwaage legen, sagte sie, und dass sie ja sonst nicht so sei, also nicht so, wie ich sie gerade kennengelernt hätte, sagte sie noch, und dass ER sie nicht einfach so hätte anrufen dürfen; Nein, das hätte ER nicht tun dürfen, nicht heute morgen, nicht jetzt schon.
Ob ich mir das vorstellen könne, fragte sie mich, ob ich mir vorstellen könne, wie sie sich in diesem Augenblick gefühlt habe? Und es ginge es mich ja eigentlich nichts an, aber ob ich mir denn vorstellen könne, wie sich sich in diesem Moment gefühlt habe?, fragte sie noch mal.
Also ER ruft an, so sie, und sagt, dass er die Stadt verlassen werde. Sie könne erst mal gar nicht reagieren, erzählte sie, hätte das Telefon einfach nur gegen die Brust gedrückt und sich auf die Lippe gebissen, bis sie den Schmerz spüren konnte.
Ob sie noch dran sei, hatte er gerufen: Hallo! Bist Du noch dran! Sag doch auch mal was dazu, so er, und er wolle doch nur, dass sie Bescheid wisse, dass sie wisse, wie die Dinge laufen.
Und sie: Ja, aber es geht da um zwanzig Jahre Ehe, und nicht um DIE DINGE, wie Du sie nennst, und er könne ihr ruhig sagen, dass er mit IHR geht. Du gehst mit IHR, stimmt's? Du gehst mit IHR?
Sie solle es sich doch nicht so schwer machen, habe er dann gesagt: Gabi, bitte, wir haben da schon hundert mal drüber geredet, hat er gesagt, hundert mal. Und dann hätte er aufgelegt, erzählte sie, einfach so aufgelegt.

Ich musste abbiegen. Ich setzte den Blinker, achtete auf den Verkehr, bog ab und schaute noch einmal im Innenspiegel nach hinten. Sie weinte nun nicht mehr; aber ehrlich, es gefiel mir nicht, in diese Verwirrung einbezogen zu werden.
Zweiunddreißig sei seine Neue, erzählte sie weiter, Zwei-und-drei-ßig, wobei sie jede Silbe einzeln ausgesprochen hatte, zwanzig Jahre jünger als er. Und dann seine Scheißehrlichkeit, so sie, seine verdammte Scheiß-ehr-lich-keit; immer so ehrlich, immer alles sagen müssen, immer alles brühwarm raus und immer so ein Verständnis für alles; sie seinen doch erwachsene Leute, man müsse doch über alles reden können. Scheiß auf erwachsene Leute! Aber das liege nun auch alles schon Monate zurück, Schnee von gestern, so sie, und kurze Zeit später sei er dann ohnehin ausgezogen.
Ich hörte sie nochmal schniefen.
Und ob ich mir vorstellen könne, wie still und ruhig die große Wohnung seitdem sei, fragte sie mich dann. Still und ruhig, so still und ruhig; und hier machte sie eine Pause und ich überlegte, wie ich auf die Frage antworten sollte.
Und sie sei doch eigentlich so ein richtiger Familienmensch, fuhr sie fort, noch bevor ich eine Antwort parat hatte, und dass sie den Trubel um sich doch irgendwie brauche, dass ihr das Essen so allein in dieser großen Wohnung gar nicht richtig schmecke, gar nicht richtig schmecke.
Sie schniefte noch einmal ins Taschentuch.
– Können sie das verstehen?, fragte sie.
– Mh, sagte ich, und schmeißen sie das Tuch dann einfach auf den Boden, sagte ich noch.
– Danke.
– Nicht dafür.
– Und wissen sie, sagte sie dann, wir sind vor sechs Jahren extra wegen ihm in diese Stadt gekommen. Er hätte dann bessere Chancen in seinem Job, sagte er damals. Als wenn wir‘s nicht gut gehabt hätten, zu hause auf dem Land; und nun ruft er an und sagt, dass er von hier wegzieht.
– Ich denke, wir sind gleich da, sagte ich.
– Ja, da vorn um die Ecke, dann das Vierte rechts, sagte sie.
Der Klang ihrer Stimme war nun anders; nicht mehr wie Kellerlicht, eher knisternd und ein wenig nach Zellophan und Trotz und Neuertag.

Ich fuhr an den Bordstein.
– Macht Vierzehnsechzig, Madam.
Sie reichte mir einen Schein nach vorn.
– Stimmt so, sagte sie, denke, es ist besser, wenn Sie das alles gleich wieder vergessen, versprochen?
Ich nickte.
– Und sonst?, fragte ich.
– Was sonst?
– Na ja, Sie kommen zurecht?
– Womit?
– Schlüssel, Treppe?
– Ich denke schon, aber danke, sagte sie, schwankte zur Haustür, suchte nach dem Schlüssel und ging ins Haus.
Ich wartete bis das Treppenlicht erloschen war.
Ich startete den Motor.
Ich machte den Motor wieder aus.
Ich schaltete das Radio an.
Ich machte das Radio wieder aus.
Und nun?
Weiß nicht genau.
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja anders.
Weiß man erst, wenn man‘s tut, dachte ich, ließ das Fenster runter, zündete mir eine Zigarette an und schaute die Straße hinunter.

Vom andere Ende der Straße, dort wo ein paar Hecken den Übergang zum Flussufer markieren, kam ein junges Pärchen. Sie schwankten leicht und das Mädchen trug noch eine Flasche in der Hand. Es sah aus, als unterhielten sie sich und manchmal trug der Wind ein helles Lachen zu mir herüber. Plötzlich begann der Junge leichtfüßig von einem Fuß auf den anderen zu tänzeln, ballte die Fäuste, hob sie zum Kinn und schob seinen rechten Fuß nach vorn. Die Führhand schnellte ein paar mal in die Nachtluft.
Ich schaute ihm gebannt zu; Rechtsausleger, hatte richtig was los, das Bürschchen.
Er duckte sich ab, flink, scheinbar mühelos, zeigte noch zweimal die Führhand und versetzte der Nacht einen linken Haken, der sich gewaschen hatte.
Das Mädchen zuckte keinen Deut, kicherte los, hob die Hand zum highfiven und umarmte ihren Helden.
Ich schnippte die Kippe aus dem Fenster, startete den Motor und fuhr langsam an ihnen vorbei. Er legte seine Arme um das Mädchen, drückte sie gegen die Hauswand und küsste sie; und als ich am Ende der Straße abbog, da könnte ich sehen, dass er sie immer noch küsste.
 

Hagen

Mitglied
Hallo Vagant,

man merkt doch irgendwie dass Du kein Taxifahrer bist!
Schon allein der erste Satz zeugt davon:

Sie pickte mich vor einem der Clubs in der Innenstadt auf und sie sah aus, als hätte sie ein Bett nötig.

Nicht die Kundin 'pickt' das Taxi auf, sondern umgekehrt! usw.
Ich spare mir den Rest, aber dass Du gewartet hast, bis die Kundin im Haus ist, ehrt Dich!

Trotzdem eine recht gelungene Geschichte. Mir, als ehemaligem Taxler, sind laufend derartige Sachen passiert, bei denen ich mich gefragt habe, ob ich der 'Müllabladeplatz irgendwelcher Psychopathen' bin, nach dem Motto: 'Die Welt ist schlecht und jeder Mensch ein Bösewicht; - nur du und ich, wir beide nicht!'

Mir ist außerdem noch nicht so ganz klar, was die Nummer mit dem 'Schattenboxen' sollte.

Ansonsten, muss ich sagen, hast Du gut gemacht, nur dass der Taxler in bester Geschäftszeit, in Ruhe stehen bleibt und raucht, will sich mir nicht ganz erschließen...

Ansonsten: Wir lesen uns!

Herzlichst
yours Hagen
 

Vagant

Mitglied
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja besser

Ich pickte sie vor einem der Clubs in der Innenstadt auf. Sie sah aus, als hätte sie ein Bett nötig.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich.
– Keine Angst, sagte sie, ich werde ihnen schon nicht auf die Polster brechen. Hab‘ nur einen kleinen über den Durst getrunken, ein paar Wodka-Lemon, mehr nicht.
– Wo soll es denn hingehen?
– Heim.
– Na dann, sagte ich und hielt die Wagentür auf.
Sie sagte mir die Adresse und setzte sich auf die Rückbank. Ich startete den Taxameter, setzte den Blinker und fädelte mich wieder in den Verkehr ein.
– Ist ja noch eine Menge los, heute Nacht, sagte ich und warf einen kurzen Blick in den Innenspiegel.
– Ist halt Freitag.
– Ja ja, der Freitag ist der neue Sonntag, sag ich ja immer, und an solchen Abenden mache ich ja gut fünfzig Prozent meines Umsatzes. Sie waren im U-Boot? Soll ein klasse Laden geworden sein, was man so hört.
– Mag sein.
– Ist denn der alte Koslowsky da noch hinterm Tresen?
– Weiß nicht.
– Der soll ja seit einer Ewigkeit die...
– ... hören Sie, ich wäre ihnen dankbar, wenn Sie einfach den Mund halten würden. Machen Sie einfach nur ihren Job, bitte!
– Kein Ding, sagte ich, sah nochmal kurz durch den Innenspiegel nach hinten und konzentrierte mich dann auf den Verkehr.

Es dauerte ein paar Ecken entlang der neonhellen Fassaden der Bars und Kneipen, bis ich den Wagen auf der Nordspange hinaus in die Vorstadt rollen lassen konnte. Kurz darauf hörte ich sie leise Schluchzen. Ich sah nach hinten und bemerkte, dass ihr Kajalstrich verschmiert war. Die Farbe lief wie ein kleiner Rinnsal die Wange hinunter und der Anblick erinnerte mich irgendwie an feuchten Waldboden. Dann sah ich, dass sie etwas in ihrer Handtasche suchte; fahrig, ohne erkennbares System. Kurz darauf gab sie die Suche auf.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich, ist alles in Ordnung?
– Danke, es geht schon, aber hätten Sie vielleicht mal ein Tempo für mich?
– Wenn‘s nicht mehr ist.
Ich reichte ihr ein Päckchen nach hinten und konzentrierte mich wieder aufs Fahren.
– Entschuldigung, sagte sie, aber das war wohl alles ein bisschen viel für mich, heute.
– Kein Ding. Ich denke, Sie müssen sich einfach mal richtig ausschlafen, morgen sieht die Welt schon ganz anders aus, bestimmt.
– Sie sind eher ein Mann für die einfachen Botschaften?, sagte sie und lachte ein kurzes Lachen.
– Ach, kompliziert wird es doch von ganz allein, irgendwann.
– Ja, irgendwann wird's das wohl.
– Mein Reden.
– Ja.

Ich fuhr weiter, hielt mich an unsere Abmachung und sagte kein weiteres Wort. Nach ein paar Metern begann sie mit leiser, brüchiger Stimme zu reden.
Ich dürfe das nun nicht so auf die Goldwaage legen, sagte sie, und dass sie ja sonst nicht so sei, also nicht so, wie ich sie gerade kennengelernt hätte, sagte sie noch, und dass ER sie nicht einfach so hätte anrufen dürfen; Nein, das hätte ER nicht tun dürfen, nicht heute morgen, nicht jetzt schon.
Ob ich mir das vorstellen könne, fragte sie mich, ob ich mir vorstellen könne, wie sie sich in diesem Augenblick gefühlt habe? Und es ginge es mich ja eigentlich nichts an, aber ob ich mir denn vorstellen könne, wie sich sich in diesem Moment gefühlt habe?, fragte sie noch mal.
Also ER ruft an, so sie, und sagt, dass er die Stadt verlassen werde. Sie könne erst mal gar nicht reagieren, erzählte sie, hätte das Telefon einfach nur gegen die Brust gedrückt und sich auf die Lippe gebissen, bis sie den Schmerz spüren konnte.
Ob sie noch dran sei, hatte er gerufen: Hallo! Bist Du noch dran! Sag doch auch mal was dazu, so er, und er wolle doch nur, dass sie Bescheid wisse, dass sie wisse, wie die Dinge laufen.
Und sie: Ja, aber es geht da um zwanzig Jahre Ehe, und nicht um DIE DINGE, wie Du sie nennst, und er könne ihr ruhig sagen, dass er mit IHR geht. Du gehst mit IHR, stimmt's? Du gehst mit IHR?
Sie solle es sich doch nicht so schwer machen, habe er dann gesagt: Gabi, bitte, wir haben da schon hundert mal drüber geredet, hat er gesagt, hundert mal. Und dann hätte er aufgelegt, erzählte sie, einfach so aufgelegt.

Ich musste abbiegen. Ich setzte den Blinker, achtete auf den Verkehr, bog ab und schaute noch einmal im Innenspiegel nach hinten. Sie weinte nun nicht mehr; aber ehrlich, es gefiel mir nicht, in diese Verwirrung einbezogen zu werden.
Zweiunddreißig sei seine Neue, erzählte sie weiter, Zwei-und-drei-ßig, wobei sie jede Silbe einzeln ausgesprochen hatte, zwanzig Jahre jünger als er. Und dann seine Scheißehrlichkeit, so sie, seine verdammte Scheiß-ehr-lich-keit; immer so ehrlich, immer alles sagen müssen, immer alles brühwarm raus und immer so ein Verständnis für alles; sie seinen doch erwachsene Leute, man müsse doch über alles reden können. Scheiß auf erwachsene Leute! Aber das liege nun auch alles schon Monate zurück, Schnee von gestern, so sie, und kurze Zeit später sei er dann ohnehin ausgezogen.
Ich hörte sie nochmal schniefen.
Und ob ich mir vorstellen könne, wie still und ruhig die große Wohnung seitdem sei, fragte sie mich dann. Still und ruhig, so still und ruhig; und hier machte sie eine Pause und ich überlegte, wie ich auf die Frage antworten sollte.
Und sie sei doch eigentlich so ein richtiger Familienmensch, fuhr sie fort, noch bevor ich eine Antwort parat hatte, und dass sie den Trubel um sich doch irgendwie brauche, dass ihr das Essen so allein in dieser großen Wohnung gar nicht richtig schmecke, gar nicht richtig schmecke.
Sie schniefte noch einmal ins Taschentuch.
– Können sie das verstehen?, fragte sie.
– Mh, sagte ich, und schmeißen sie das Tuch dann einfach auf den Boden, sagte ich noch.
– Danke.
– Nicht dafür.
– Und wissen sie, sagte sie dann, wir sind vor sechs Jahren extra wegen ihm in diese Stadt gekommen. Er hätte dann bessere Chancen in seinem Job, sagte er damals. Als wenn wir‘s nicht gut gehabt hätten, zu hause auf dem Land; und nun ruft er an und sagt, dass er von hier wegzieht.
– Ich denke, wir sind gleich da, sagte ich.
– Ja, da vorn um die Ecke, dann das Vierte rechts, sagte sie.
Der Klang ihrer Stimme war nun anders; nicht mehr wie Kellerlicht, eher knisternd und ein wenig nach Zellophan und Trotz und Neuertag.

Ich fuhr an den Bordstein.
– Macht Vierzehnsechzig, Madam.
Sie reichte mir einen Schein nach vorn.
– Stimmt so, sagte sie, denke, es ist besser, wenn Sie das alles gleich wieder vergessen, versprochen?
Ich nickte.
– Und sonst?, fragte ich.
– Was sonst?
– Na ja, Sie kommen zurecht?
– Womit?
– Schlüssel, Treppe?
– Ich denke schon, aber danke, sagte sie, schwankte zur Haustür, suchte nach dem Schlüssel und ging ins Haus.
Ich wartete bis das Treppenlicht erloschen war.
Ich startete den Motor.
Ich machte den Motor wieder aus.
Ich schaltete das Radio an.
Ich machte das Radio wieder aus.
Und nun?
Weiß nicht genau.
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja anders.
Weiß man erst, wenn man‘s tut, dachte ich, ließ das Fenster runter, zündete mir eine Zigarette an und schaute die Straße hinunter.

Vom andere Ende der Straße, dort wo ein paar Hecken den Übergang zum Flussufer markieren, kam ein junges Pärchen. Sie schwankten leicht und das Mädchen trug noch eine Flasche in der Hand. Es sah aus, als unterhielten sie sich und manchmal trug der Wind ein helles Lachen zu mir herüber. Plötzlich begann der Junge leichtfüßig von einem Fuß auf den anderen zu tänzeln, ballte die Fäuste, hob sie zum Kinn und schob seinen rechten Fuß nach vorn. Die Führhand schnellte ein paar mal in die Nachtluft.
Ich schaute ihm gebannt zu; Rechtsausleger, hatte richtig was los, das Bürschchen.
Er duckte sich ab, flink, schenbar mühelos, zeigte noch zweimal die Führhand und versetzte der Nacht einen linken Haken, der sich gewaschen hatte.
Das Mädchen zuckte keinen Deut, kicherte los, hob die Hand zum highfiven und umarmte ihren Helden.
Ich schnippte die Kippe aus dem Fenster, startete den Motor und fuhr langsam an ihnen vorbei. Er legte seine Arme um das Mädchen, drückte sie gegen die Hauswand und küsste sie; und als ich am Ende der Straße abbog, da konnte ich sehen, dass er sie immer noch küsste.
 

Vagant

Mitglied
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja besser

Ich pickte sie vor einem der Clubs in der Innenstadt auf. Sie schwanke. Es sah so aus, als hätte sie ein Bett nötig.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich.
– Keine Angst, sagte sie, ich werde ihnen schon nicht auf die Polster brechen. Hab‘ nur einen kleinen über den Durst getrunken, ein paar Wodka-Lemon, mehr nicht.
– Wo soll es denn hingehen?
– Heim.
– Na dann, sagte ich und hielt die Wagentür auf.
Sie sagte mir die Adresse und setzte sich auf die Rückbank. Ich startete den Taxameter, setzte den Blinker und fädelte mich wieder in den Verkehr ein.
– Ist ja noch eine Menge los, heute Nacht, sagte ich und warf einen kurzen Blick in den Innenspiegel.
– Ist halt Freitag.
– Ja ja, der Freitag ist der neue Sonntag, sag ich ja immer, und an solchen Abenden mache ich ja gut fünfzig Prozent meines Umsatzes. Sie waren im U-Boot? Soll ein klasse Laden geworden sein, was man so hört.
– Mag sein.
– Ist denn der alte Koslowsky da noch hinterm Tresen?
– Weiß nicht.
– Der soll ja seit einer Ewigkeit die...
– ... hören Sie, ich wäre ihnen dankbar, wenn Sie einfach den Mund halten würden. Machen Sie einfach nur ihren Job, bitte!
– Kein Ding, sagte ich, sah nochmal kurz durch den Innenspiegel nach hinten und konzentrierte mich dann auf den Verkehr.

Es dauerte ein paar Ecken entlang der neonhellen Fassaden der Bars und Kneipen, bis ich den Wagen auf der Nordspange hinaus in die Vorstadt rollen lassen konnte. Kurz darauf hörte ich sie leise Schluchzen. Ich sah nach hinten und bemerkte, dass ihr Kajalstrich verschmiert war. Die Farbe lief wie ein kleiner Rinnsal die Wange hinunter und der Anblick erinnerte mich irgendwie an feuchten Waldboden. Dann sah ich, dass sie etwas in ihrer Handtasche suchte; fahrig, ohne erkennbares System. Kurz darauf gab sie die Suche auf.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich, ist alles in Ordnung?
– Danke, es geht schon, aber hätten Sie vielleicht mal ein Tempo für mich?
– Wenn‘s nicht mehr ist.
Ich reichte ihr ein Päckchen nach hinten und konzentrierte mich wieder aufs Fahren.
– Entschuldigung, sagte sie, aber das war wohl alles ein bisschen viel für mich, heute.
– Kein Ding. Ich denke, Sie müssen sich einfach mal richtig ausschlafen, morgen sieht die Welt schon ganz anders aus, bestimmt.
– Sie sind eher ein Mann für die einfachen Botschaften?, sagte sie und lachte ein kurzes Lachen.
– Ach, kompliziert wird es doch von ganz allein, irgendwann.
– Ja, irgendwann wird's das wohl.
– Mein Reden.
– Ja.

Ich fuhr weiter, hielt mich an unsere Abmachung und sagte kein weiteres Wort. Nach ein paar Metern begann sie mit leiser, brüchiger Stimme zu reden.
Ich dürfe das nun nicht so auf die Goldwaage legen, sagte sie, und dass sie ja sonst nicht so sei, also nicht so, wie ich sie gerade kennengelernt hätte, sagte sie noch, und dass ER sie nicht einfach so hätte anrufen dürfen; Nein, das hätte ER nicht tun dürfen, nicht heute morgen, nicht jetzt schon.
Ob ich mir das vorstellen könne, fragte sie mich, ob ich mir vorstellen könne, wie sie sich in diesem Augenblick gefühlt habe? Und es ginge es mich ja eigentlich nichts an, aber ob ich mir denn vorstellen könne, wie sich sich in diesem Moment gefühlt habe?, fragte sie noch mal.
Also ER ruft an, so sie, und sagt, dass er die Stadt verlassen werde. Sie könne erst mal gar nicht reagieren, erzählte sie, hätte das Telefon einfach nur gegen die Brust gedrückt und sich auf die Lippe gebissen, bis sie den Schmerz spüren konnte.
Ob sie noch dran sei, hatte er gerufen: Hallo! Bist Du noch dran! Sag doch auch mal was dazu, so er, und er wolle doch nur, dass sie Bescheid wisse, dass sie wisse, wie die Dinge laufen.
Und sie: Ja, aber es geht da um zwanzig Jahre Ehe, und nicht um DIE DINGE, wie Du sie nennst, und er könne ihr ruhig sagen, dass er mit IHR geht. Du gehst mit IHR, stimmt's? Du gehst mit IHR?
Sie solle es sich doch nicht so schwer machen, habe er dann gesagt: Gabi, bitte, wir haben da schon hundert mal drüber geredet, hat er gesagt, hundert mal. Und dann hätte er aufgelegt, erzählte sie, einfach so aufgelegt.

Ich musste abbiegen. Ich setzte den Blinker, achtete auf den Verkehr, bog ab und schaute noch einmal im Innenspiegel nach hinten. Sie weinte nun nicht mehr; aber ehrlich, es gefiel mir nicht, in diese Verwirrung einbezogen zu werden.
Zweiunddreißig sei seine Neue, erzählte sie weiter, Zwei-und-drei-ßig, wobei sie jede Silbe einzeln ausgesprochen hatte, zwanzig Jahre jünger als er. Und dann seine Scheißehrlichkeit, so sie, seine verdammte Scheiß-ehr-lich-keit; immer so ehrlich, immer alles sagen müssen, immer alles brühwarm raus und immer so ein Verständnis für alles; sie seinen doch erwachsene Leute, man müsse doch über alles reden können. Scheiß auf erwachsene Leute! Aber das liege nun auch alles schon Monate zurück, Schnee von gestern, so sie, und kurze Zeit später sei er dann ohnehin ausgezogen.
Ich hörte sie nochmal schniefen.
Und ob ich mir vorstellen könne, wie still und ruhig die große Wohnung seitdem sei, fragte sie mich dann. Still und ruhig, so still und ruhig; und hier machte sie eine Pause und ich überlegte, wie ich auf die Frage antworten sollte.
Und sie sei doch eigentlich so ein richtiger Familienmensch, fuhr sie fort, noch bevor ich eine Antwort parat hatte, und dass sie den Trubel um sich doch irgendwie brauche, dass ihr das Essen so allein in dieser großen Wohnung gar nicht richtig schmecke, gar nicht richtig schmecke.
Sie schniefte noch einmal ins Taschentuch.
– Können sie das verstehen?, fragte sie.
– Mh, sagte ich, und schmeißen sie das Tuch dann einfach auf den Boden, sagte ich noch.
– Danke.
– Nicht dafür.
– Und wissen sie, sagte sie dann, wir sind vor sechs Jahren extra wegen ihm in diese Stadt gekommen. Er hätte dann bessere Chancen in seinem Job, sagte er damals. Als wenn wir‘s nicht gut gehabt hätten, zu hause auf dem Land; und nun ruft er an und sagt, dass er von hier wegzieht.
– Ich denke, wir sind gleich da, sagte ich.
– Ja, da vorn um die Ecke, dann das Vierte rechts, sagte sie.
Der Klang ihrer Stimme war nun anders; nicht mehr wie Kellerlicht, eher knisternd und ein wenig nach Zellophan und Trotz und Neuertag.

Ich fuhr an den Bordstein.
– Macht Vierzehnsechzig, Madam.
Sie reichte mir einen Schein nach vorn.
– Stimmt so, sagte sie, denke, es ist besser, wenn Sie das alles gleich wieder vergessen, versprochen?
Ich nickte.
– Und sonst?, fragte ich.
– Was sonst?
– Na ja, Sie kommen zurecht?
– Womit?
– Schlüssel, Treppe?
– Ich denke schon, aber danke, sagte sie, schwankte zur Haustür, suchte nach dem Schlüssel und ging ins Haus.
Ich wartete bis das Treppenlicht erloschen war.
Ich startete den Motor.
Ich machte den Motor wieder aus.
Ich schaltete das Radio an.
Ich machte das Radio wieder aus.
Und nun?
Weiß nicht genau.
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja anders.
Weiß man erst, wenn man‘s tut, dachte ich, ließ das Fenster runter, zündete mir eine Zigarette an und schaute die Straße hinunter.

Vom andere Ende der Straße, dort wo ein paar Hecken den Übergang zum Flussufer markieren, kam ein junges Pärchen. Sie schwankten leicht und das Mädchen trug noch eine Flasche in der Hand. Es sah aus, als unterhielten sie sich und manchmal trug der Wind ein helles Lachen zu mir herüber. Plötzlich begann der Junge leichtfüßig von einem Fuß auf den anderen zu tänzeln, ballte die Fäuste, hob sie zum Kinn und schob seinen rechten Fuß nach vorn. Die Führhand schnellte ein paar mal in die Nachtluft.
Ich schaute ihm gebannt zu; Rechtsausleger, hatte richtig was los, das Bürschchen.
Er duckte sich ab, flink, schenbar mühelos, zeigte noch zweimal die Führhand und versetzte der Nacht einen linken Haken, der sich gewaschen hatte.
Das Mädchen zuckte keinen Deut, kicherte los, hob die Hand zum highfiven und umarmte ihren Helden.
Ich schnippte die Kippe aus dem Fenster, startete den Motor und fuhr langsam an ihnen vorbei. Er legte seine Arme um das Mädchen, drückte sie gegen die Hauswand und küsste sie; und als ich am Ende der Straße abbog, da konnte ich sehen, dass er sie immer noch küsste.
 

Vagant

Mitglied
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja besser

Ich pickte sie vor einem der Clubs in der Innenstadt auf. Sie schwanke, und es sah so aus, als hätte sie ein Bett nötig.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich.
– Keine Angst, sagte sie, ich werde ihnen schon nicht auf die Polster brechen. Hab‘ nur einen kleinen über den Durst getrunken, ein paar Wodka-Lemon, mehr nicht.
– Wo soll es denn hingehen?
– Heim.
– Na dann, sagte ich und hielt die Wagentür auf.
Sie sagte mir die Adresse und setzte sich auf die Rückbank. Ich startete den Taxameter, setzte den Blinker und fädelte mich wieder in den Verkehr ein.
– Ist ja noch eine Menge los, heute Nacht, sagte ich und warf einen kurzen Blick in den Innenspiegel.
– Ist halt Freitag.
– Ja ja, der Freitag ist der neue Sonntag, sag ich ja immer, und an solchen Abenden mache ich ja gut fünfzig Prozent meines Umsatzes. Sie waren im U-Boot? Soll ein klasse Laden geworden sein, was man so hört.
– Mag sein.
– Ist denn der alte Koslowsky da noch hinterm Tresen?
– Weiß nicht.
– Der soll ja seit einer Ewigkeit die...
– ... hören Sie, ich wäre ihnen dankbar, wenn Sie einfach den Mund halten würden. Machen Sie einfach nur ihren Job, bitte!
– Kein Ding, sagte ich, sah nochmal kurz durch den Innenspiegel nach hinten und konzentrierte mich dann auf den Verkehr.

Es dauerte ein paar Ecken entlang der neonhellen Fassaden der Bars und Kneipen, bis ich den Wagen auf der Nordspange hinaus in die Vorstadt rollen lassen konnte. Kurz darauf hörte ich sie leise Schluchzen. Ich sah nach hinten und bemerkte, dass ihr Kajalstrich verschmiert war. Die Farbe lief wie ein kleiner Rinnsal die Wange hinunter und der Anblick erinnerte mich irgendwie an feuchten Waldboden. Dann sah ich, dass sie etwas in ihrer Handtasche suchte; fahrig, ohne erkennbares System. Kurz darauf gab sie die Suche auf.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich, ist alles in Ordnung?
– Danke, es geht schon, aber hätten Sie vielleicht mal ein Tempo für mich?
– Wenn‘s nicht mehr ist.
Ich reichte ihr ein Päckchen nach hinten und konzentrierte mich wieder aufs Fahren.
– Entschuldigung, sagte sie, aber das war wohl alles ein bisschen viel für mich, heute.
– Kein Ding. Ich denke, Sie müssen sich einfach mal richtig ausschlafen, morgen sieht die Welt schon ganz anders aus, bestimmt.
– Sie sind eher ein Mann für die einfachen Botschaften?, sagte sie und lachte ein kurzes Lachen.
– Ach, kompliziert wird es doch von ganz allein, irgendwann.
– Ja, irgendwann wird's das wohl.
– Mein Reden.
– Ja.

Ich fuhr weiter, hielt mich an unsere Abmachung und sagte kein weiteres Wort. Nach ein paar Metern begann sie mit leiser, brüchiger Stimme zu reden.
Ich dürfe das nun nicht so auf die Goldwaage legen, sagte sie, und dass sie ja sonst nicht so sei, also nicht so, wie ich sie gerade kennengelernt hätte, sagte sie noch, und dass ER sie nicht einfach so hätte anrufen dürfen; Nein, das hätte ER nicht tun dürfen, nicht heute morgen, nicht jetzt schon.
Ob ich mir das vorstellen könne, fragte sie mich, ob ich mir vorstellen könne, wie sie sich in diesem Augenblick gefühlt habe? Und es ginge es mich ja eigentlich nichts an, aber ob ich mir denn vorstellen könne, wie sich sich in diesem Moment gefühlt habe?, fragte sie noch mal.
Also ER ruft an, so sie, und sagt, dass er die Stadt verlassen werde. Sie könne erst mal gar nicht reagieren, erzählte sie, hätte das Telefon einfach nur gegen die Brust gedrückt und sich auf die Lippe gebissen, bis sie den Schmerz spüren konnte.
Ob sie noch dran sei, hatte er gerufen: Hallo! Bist Du noch dran! Sag doch auch mal was dazu, so er, und er wolle doch nur, dass sie Bescheid wisse, dass sie wisse, wie die Dinge laufen.
Und sie: Ja, aber es geht da um zwanzig Jahre Ehe, und nicht um DIE DINGE, wie Du sie nennst, und er könne ihr ruhig sagen, dass er mit IHR geht. Du gehst mit IHR, stimmt's? Du gehst mit IHR?
Sie solle es sich doch nicht so schwer machen, habe er dann gesagt: Gabi, bitte, wir haben da schon hundert mal drüber geredet, hat er gesagt, hundert mal. Und dann hätte er aufgelegt, erzählte sie, einfach so aufgelegt.

Ich musste abbiegen. Ich setzte den Blinker, achtete auf den Verkehr, bog ab und schaute noch einmal im Innenspiegel nach hinten. Sie weinte nun nicht mehr; aber ehrlich, es gefiel mir nicht, in diese Verwirrung einbezogen zu werden.
Zweiunddreißig sei seine Neue, erzählte sie weiter, Zwei-und-drei-ßig, wobei sie jede Silbe einzeln ausgesprochen hatte, zwanzig Jahre jünger als er. Und dann seine Scheißehrlichkeit, so sie, seine verdammte Scheiß-ehr-lich-keit; immer so ehrlich, immer alles sagen müssen, immer alles brühwarm raus und immer so ein Verständnis für alles; sie seinen doch erwachsene Leute, man müsse doch über alles reden können. Scheiß auf erwachsene Leute! Aber das liege nun auch alles schon Monate zurück, Schnee von gestern, so sie, und kurze Zeit später sei er dann ohnehin ausgezogen.
Ich hörte sie nochmal schniefen.
Und ob ich mir vorstellen könne, wie still und ruhig die große Wohnung seitdem sei, fragte sie mich dann. Still und ruhig, so still und ruhig; und hier machte sie eine Pause und ich überlegte, wie ich auf die Frage antworten sollte.
Und sie sei doch eigentlich so ein richtiger Familienmensch, fuhr sie fort, noch bevor ich eine Antwort parat hatte, und dass sie den Trubel um sich doch irgendwie brauche, dass ihr das Essen so allein in dieser großen Wohnung gar nicht richtig schmecke, gar nicht richtig schmecke.
Sie schniefte noch einmal ins Taschentuch.
– Können sie das verstehen?, fragte sie.
– Mh, sagte ich, und schmeißen sie das Tuch dann einfach auf den Boden, sagte ich noch.
– Danke.
– Nicht dafür.
– Und wissen sie, sagte sie dann, wir sind vor sechs Jahren extra wegen ihm in diese Stadt gekommen. Er hätte dann bessere Chancen in seinem Job, sagte er damals. Als wenn wir‘s nicht gut gehabt hätten, zu hause auf dem Land; und nun ruft er an und sagt, dass er von hier wegzieht.
– Ich denke, wir sind gleich da, sagte ich.
– Ja, da vorn um die Ecke, dann das Vierte rechts, sagte sie.
Der Klang ihrer Stimme war nun anders; nicht mehr wie Kellerlicht, eher knisternd und ein wenig nach Zellophan und Trotz und Neuertag.

Ich fuhr an den Bordstein.
– Macht Vierzehnsechzig, Madam.
Sie reichte mir einen Schein nach vorn.
– Stimmt so, sagte sie, denke, es ist besser, wenn Sie das alles gleich wieder vergessen, versprochen?
Ich nickte.
– Und sonst?, fragte ich.
– Was sonst?
– Na ja, Sie kommen zurecht?
– Womit?
– Schlüssel, Treppe?
– Ich denke schon, aber danke, sagte sie, schwankte zur Haustür, suchte nach dem Schlüssel und ging ins Haus.
Ich wartete bis das Treppenlicht erloschen war.
Ich startete den Motor.
Ich machte den Motor wieder aus.
Ich schaltete das Radio an.
Ich machte das Radio wieder aus.
Und nun?
Weiß nicht genau.
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja anders.
Weiß man erst, wenn man‘s tut, dachte ich, ließ das Fenster runter, zündete mir eine Zigarette an und schaute die Straße hinunter.

Vom andere Ende der Straße, dort wo ein paar Hecken den Übergang zum Flussufer markieren, kam ein junges Pärchen. Sie schwankten leicht und das Mädchen trug noch eine Flasche in der Hand. Es sah aus, als unterhielten sie sich und manchmal trug der Wind ein helles Lachen zu mir herüber. Plötzlich begann der Junge leichtfüßig von einem Fuß auf den anderen zu tänzeln, ballte die Fäuste, hob sie zum Kinn und schob seinen rechten Fuß nach vorn. Die Führhand schnellte ein paar mal in die Nachtluft.
Ich schaute ihm gebannt zu; Rechtsausleger, hatte richtig was los, das Bürschchen.
Er duckte sich ab, flink, schenbar mühelos, zeigte noch zweimal die Führhand und versetzte der Nacht einen linken Haken, der sich gewaschen hatte.
Das Mädchen zuckte keinen Deut, kicherte los, hob die Hand zum highfiven und umarmte ihren Helden.
Ich schnippte die Kippe aus dem Fenster, startete den Motor und fuhr langsam an ihnen vorbei. Er legte seine Arme um das Mädchen, drückte sie gegen die Hauswand und küsste sie; und als ich am Ende der Straße abbog, da konnte ich sehen, dass er sie immer noch küsste.
 

Vagant

Mitglied
Werter Hagen,

Vielen Dank für Deine Aufmerksamkeit, fürs Lesen, Kommentieren, für die Anregungen.

Ich denke, Du kennst das auch. Da ist so ein verregneter Karfreitag, man öffnet ein neues Dokument, und schon meint man, man könne alles sein; Geburtshelfer, Pilot, Gigolo oder halt ein nächtlicher Taxler. Schon nach wenigen Sätzen habe ich mir gesagt: Nun müsste man den Hagen fragen können, der kennt sich wenigstens mit der Materie aus.
Also, ich habe den Anfang nun im Sinne deiner Einwände geändert; er pickt nun sie auf, wobei ich nun aber leider gleich in der ersten Zeile den Fokus von ER aus SIE verschieben musste, das gefällt mir erzählerisch nicht – aber wenn es denn nun plausibler ist, dann soll es halt so sein.

Andere Sachen möchte ich dann, auch wenn sie nicht plausibel sind, doch aber einfach mal so stehen lassen.
Also der Fahrer wartet halt noch eine Zigarettenlänge vor der Tür. Es sind ja nur 4 oder 5 Minuten. Er startet den Motor, macht ihn wieder aus, versucht es mit dem Radio, klappt aber auch nicht; irgendwas hat ihn kurzzeitig aus der Verfassung gebracht, etwas, das jedenfalls mit der Geschichte des Fahrgastes in Verbindung zu bringen ist, soviel ist ihm klar, mehr weiß er dann allerdings auch nicht. Vielleicht gleicht er das Gehörte mit seiner Realität ab? Vielleicht hatte er auch schon vor, die Stadt zu verlassen? Es könnte auch mit seiner Beziehung zusammenhängen, wobei wir aus der Geschichte heraus nichts weiter über diesen Taxler erfahren. Wie lebt es? Lebt er allein? Ist er verheiratet? Was treibt ihn so um? – dies bleibt alles in der Schwebe.
Ich hatte da wohl auch immer ein bisschen Jim Jarmuschs Episodenfim 'Night on Earth', sowie die schwebende Offenheit von Raymond Carvers Gechichten im Hinterkopf, habe halt versucht, diesen losen Faden mal mit meinen bescheidenen Mitteln aufzugreifen.
Das mit der Plausibilität ist ja auch so eine Sache. Eigentlich beginnt jede Kriminalgeschichte mit einem völlig unplausiblen Vorfall; Mord, Totschlag, Entführung, Erpressung, Familiendrama, usw. – es sind aber genau diese anfangs nicht erklärbaren Vorfälle, welche zur Geschichte werden. Ich meine damit, dass nicht immer jede Reaktion den Realitätscheck überstehen muss. Erst im Verhalten gegen die Norm zeigt sich ja, dass hier irgendwas nicht so läuft, wie es laufen sollte.

Die letzte Szene gehört eigentlich auch schon nicht mehr zur erzählten Episode, sie dient eigentlich nur dazu, alles wieder in offene Fahrwasser zu steuern. Bleiben wir mal bei Jarmuschs 'night on earth', also da wären das vielleicht ein höchsten 20sekündiges Draufhalten auf das junge Paar, noch 2 oder 3 Schnitte – er fahrt los, Schnitt, biegt ab, Schnitt, schaut nochmal durch Fenster, Schnitt, Kuss, Fade out und die Nacht hat ihn wieder.
Mit der Schattenboxszene wollte ich so ein bisschen diese breitbeinige Was-kostet-die-Welt-Attitüde junger verliebter Vorstadtpaare beschreiben, wollte sagen, dass es das alles gibt, alles zur gleichen Zeit, in der selben Stadt, alles in dieser Nacht – das Scheitern von Beziehungen, den Beginn neuer Beziehungen. Die Welt dreht sich weiter, hat eigentlich nie damit aufgehört, auch wenn es sich für manch Einen so anfühlt, als würde sie es hin und wieder tun.
Ich mag die Szene eigentlich ganz gern.

Letztendlich hast Du aber auch ein bisschen Lob versteckt, danke dafür.

Lg Vagant.
 

Vagant

Mitglied
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja besser

Ich pickte sie vor einem der Clubs in der Innenstadt auf. Sie schwanke, und es sah so aus, als hätte sie ein Bett nötig.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich.
– Keine Angst, sagte sie, ich werde ihnen schon nicht auf die Polster brechen. Hab‘ nur einen kleinen über den Durst getrunken, ein paar Wodka-Lemon, mehr nicht.
– Wo soll es denn hingehen?
– Heim.
– Na dann, sagte ich und hielt die Wagentür auf.
Sie sagte mir die Adresse und setzte sich auf die Rückbank. Ich startete den Taxameter, setzte den Blinker und fädelte mich wieder in den Verkehr ein.
– Ist ja noch eine Menge los, heute Nacht, sagte ich und warf einen kurzen Blick in den Innenspiegel.
– Ist halt Freitag.
– Ja ja, der Freitag ist der neue Sonntag, sag ich ja immer, und an solchen Abenden mache ich ja gut fünfzig Prozent meines Umsatzes. Sie waren im U-Boot? Soll ein klasse Laden geworden sein, was man so hört.
– Mag sein.
– Ist denn der alte Koslowsky da noch hinterm Tresen?
– Weiß nicht.
– Der soll ja seit einer Ewigkeit die...
– ... hören Sie, ich wäre ihnen dankbar, wenn Sie einfach den Mund halten würden. Machen Sie einfach nur ihren Job, bitte!
– Kein Ding, sagte ich, sah nochmal kurz durch den Innenspiegel nach hinten und konzentrierte mich dann auf den Verkehr.

Es dauerte ein paar Ecken entlang der neonhellen Fassaden der Bars und Kneipen, bis ich den Wagen auf der Nordspange hinaus in die Vorstadt rollen lassen konnte. Kurz darauf hörte ich sie leise Schluchzen. Ich sah nach hinten und bemerkte, dass ihr Kajalstrich verschmiert war. Die Farbe lief wie ein kleiner Rinnsal die Wange hinunter und der Anblick erinnerte mich irgendwie an feuchten Waldboden. Dann sah ich, dass sie etwas in ihrer Handtasche suchte; fahrig, ohne erkennbares System. Kurz darauf gab sie die Suche auf.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich, ist alles in Ordnung?
– Danke, es geht schon, aber hätten Sie vielleicht mal ein Tempo für mich?
– Wenn‘s nicht mehr ist.
Ich reichte ihr ein Päckchen nach hinten und konzentrierte mich wieder aufs Fahren.
– Entschuldigung, sagte sie, aber das war wohl alles ein bisschen viel für mich, heute.
– Kein Ding. Ich denke, Sie müssen sich einfach mal richtig ausschlafen, morgen sieht die Welt schon ganz anders aus, bestimmt.
– Sie sind eher ein Mann für die einfachen Botschaften?, sagte sie und lachte ein kurzes Lachen.
– Ach, kompliziert wird es doch von ganz allein, irgendwann.
– Ja, irgendwann wird's das wohl.
– Mein Reden.
– Ja.

Ich fuhr weiter, hielt mich an unsere Abmachung und sagte kein weiteres Wort. Nach ein paar Metern begann sie mit leiser, brüchiger Stimme zu reden.
Ich dürfe das nun nicht so auf die Goldwaage legen, sagte sie, und dass sie ja sonst nicht so sei, also nicht so, wie ich sie gerade kennengelernt hätte, sagte sie noch, und dass ER sie nicht einfach so hätte anrufen dürfen; Nein, das hätte ER nicht tun dürfen, nicht heute morgen, nicht jetzt schon.
Ob ich mir das vorstellen könne, fragte sie mich, ob ich mir vorstellen könne, wie sie sich in diesem Augenblick gefühlt habe? Und es ginge es mich ja eigentlich nichts an, aber ob ich mir denn vorstellen könne, wie sich sich in diesem Moment gefühlt habe?, fragte sie noch mal.
Also ER ruft an, so sie, und sagt, dass er die Stadt verlassen werde. Sie könne erst mal gar nicht reagieren, erzählte sie, hätte das Telefon einfach nur gegen die Brust gedrückt und sich auf die Lippe gebissen, bis sie den Schmerz spüren konnte.
Ob sie noch dran sei, hatte er gerufen: Hallo! Bist Du noch dran! Sag doch auch mal was dazu, so er, und er wolle doch nur, dass sie Bescheid wisse, dass sie wisse, wie die Dinge laufen.
Und sie: Ja, aber es geht da um zwanzig Jahre Ehe, und nicht um DIE DINGE, wie Du sie nennst, und er könne ihr ruhig sagen, dass er mit IHR geht. Du gehst mit IHR, stimmt's? Du gehst mit IHR?
Sie solle es sich doch nicht so schwer machen, habe er dann gesagt: Gabi, bitte, wir haben da schon hundert mal drüber geredet, hat er gesagt, hundert mal. Und dann hätte er aufgelegt, erzählte sie, einfach so aufgelegt.

Ich musste abbiegen. Ich setzte den Blinker, achtete auf den Verkehr, bog ab und schaute noch einmal im Innenspiegel nach hinten. Sie weinte nun nicht mehr; aber ehrlich, es gefiel mir nicht, in diese Verwirrung einbezogen zu werden.
Zweiunddreißig sei seine Neue, erzählte sie weiter, Zwei-und-drei-ßig, wobei sie jede Silbe einzeln ausgesprochen hatte, zwanzig Jahre jünger als er. Und dann seine Scheißehrlichkeit, so sie, seine verdammte Scheiß-ehr-lich-keit; immer so ehrlich, immer alles sagen müssen, immer alles brühwarm raus und immer so ein Verständnis für alles; sie seinen doch erwachsene Leute, man müsse doch über alles reden können. Scheiß auf erwachsene Leute! Aber das liege nun auch alles schon Monate zurück, Schnee von gestern, so sie, und kurze Zeit später sei er dann ohnehin ausgezogen.
Ich hörte sie nochmal schniefen.
Und ob ich mir vorstellen könne, wie still und ruhig die große Wohnung seitdem sei, fragte sie mich dann. Still und ruhig, so still und ruhig; und hier machte sie eine Pause und ich überlegte, wie ich auf die Frage antworten sollte.
Und sie sei doch eigentlich so ein richtiger Familienmensch, fuhr sie fort, noch bevor ich eine Antwort parat hatte, und dass sie den Trubel um sich doch irgendwie brauche, dass ihr das Essen so allein in dieser großen Wohnung gar nicht richtig schmecke, gar nicht richtig schmecke.
Sie schniefte noch einmal ins Taschentuch.
– Können sie das verstehen?, fragte sie.
– Mh, sagte ich, und schmeißen sie das Tuch dann einfach auf den Boden, sagte ich noch.
– Danke.
– Nicht dafür.
– Und wissen sie, sagte sie dann, wir sind vor sechs Jahren extra wegen ihm in diese Stadt gekommen. Er hätte dann bessere Chancen in seinem Job, sagte er damals. Als wenn wir‘s nicht gut gehabt hätten, zu hause auf dem Land; und nun ruft er an und sagt, dass er von hier wegzieht.
– Ich denke, wir sind gleich da, sagte ich.
– Ja, da vorn um die Ecke, dann das Vierte rechts, sagte sie.
Der Klang ihrer Stimme war nun anders; nicht mehr wie Kellerlicht, eher knisternd und ein wenig nach Zellophan und Trotz und Neuertag.

Ich fuhr an den Bordstein.
– Macht Vierzehnsechzig, Madam.
Sie reichte mir einen Schein nach vorn.
– Stimmt so, sagte sie, denke, es ist besser, wenn Sie das alles gleich wieder vergessen, versprochen?
Ich nickte.
– Und sonst?, fragte ich.
– Was sonst?
– Na ja, Sie kommen zurecht?
– Womit?
– Schlüssel, Treppe?
– Ich denke schon, aber danke, sagte sie, schwankte zur Haustür, suchte nach dem Schlüssel und ging ins Haus.
Ich wartete bis das Treppenlicht erloschen war.
Ich startete den Motor.
Ich machte den Motor wieder aus.
Ich schaltete das Radio an.
Ich machte das Radio wieder aus.
Und nun?
Weiß nicht genau.
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja anders.
Weiß man erst, wenn man‘s tut, dachte ich, ließ das Fenster runter, zündete mir eine Zigarette an und schaute die Straße hinunter.

Vom andere Ende der Straße, dort wo ein paar Hecken den Übergang zum Flussufer markieren, kam ein junges Pärchen. Sie schwankten leicht und das Mädchen trug noch eine Flasche in der Hand. Es sah aus, als unterhielten sie sich und manchmal trug der Wind ein helles Lachen zu mir herüber. Plötzlich begann der Junge leichtfüßig von einem Fuß auf den anderen zu tänzeln, ballte die Fäuste, hob sie zum Kinn und schob seinen rechten Fuß nach vorn. Die Führhand schnellte ein paar mal in die Nachtluft.
Ich schaute ihm gebannt zu; Rechtsausleger, hatte richtig was los, das Bürschchen.
Er duckte sich ab, flink, scheinbar mühelos, zeigte noch zweimal die Führhand und versetzte der Nacht einen linken Haken, der sich gewaschen hatte.
Das Mädchen zuckte keinen Deut, kicherte los, hob die Hand zum highfiven und umarmte ihren Helden.
Ich schnippte die Kippe aus dem Fenster, startete den Motor und fuhr langsam an ihnen vorbei. Er legte seine Arme um das Mädchen, drückte sie gegen die Hauswand und küsste sie; und als ich am Ende der Straße abbog, da konnte ich sehen, dass er sie immer noch küsste.
 

Hagen

Mitglied
Tja, mein lieber Vagant,
zunächst mal vielen, lieben Dank für Deine ausführliche Antwort. So was findet man in der LL absolut selten!
Bei Jarmuschs 'night on earth' muss ich leider passen. Im Gegensatz zu Dir lese ich viel zu wenig.
Möglicherweise kommt daher auch das Ding, dass sich mir nicht so recht erschließt, dass der Taxler in der Hauptgeschäftszeit stehen bleibt, an seinem Radio und dem Motor rummacht und raucht. (In Anlehnung des Dirnenspruches: Aus dem Bette aus dem Sinn!, denkt der Taxler normalerweise: Aus dem Taxi, aus dem Sinn!)
Er könnte ebenso gut denken: 'Das war ja mal wieder eine interessante Story! Mal sehen, ob ich bei meiner nächsten Fahrt wieder mal so was zu hören kriege! Vielleicht schreibe ich mal ein Buch darüber! Aber Scheiß drauf, das macht ja jeder!'
Oder einfach: 'Habe ich meine Herdplatte zuhause eigentlich ausgemacht?'
Oder: 'Wie war das noch gleich? E=MC2? Wenn ich den ollen Einstein nur richtig verstehen würde!'
Ich wende in diesen Fall immer den 'Kniff' an, dass sein Boss ihn anfunkt und ihm eine neue Fahrt gibt, Goethestr. sowieso.
Dann kann der Taxler denken: 'Ach Goethe! Ja, das war doch der, der den 'Faust' geschrieben hat! Ein Machwerk, welches total überbewertet wird!'
Usw.
Du siehst also; - Wer sich keine Gedanken macht mutiert zum Dumpfmeiser; - wer sich über alles Gedanken macht, wird verrückt.
Ich versuche jedenfalls immer den goldenen Mittelweg zu finden; - und dabei bin ich leider nicht auf Deine Gedankengänge gekommen.
Sorry!
Aber ansonsten, wie bereits gesagt, nicht nur ein verstecktes Lob für diese Geschichte, sondern ein dickes Solches!

Ich hoffe, wir lesen uns weiterhin!

Liebe Grüße
yours Hagen

______________________________________________
Je dringender man ein Detail für eine gute Geschichte braucht, desto schwieriger ist es zu recherchieren; - es sei denn, man hat die Geschichte selbst erlebt.
 

Ji Rina

Mitglied
Guten morgen Vagant!
Ich mag solche Geschichte, die leise vor sich hin plätschern und finde, dass Du das sehr gut hinkriegen könntest.
Ich hatte da wohl auch immer ein bisschen Jim Jarmuschs Episodenfim 'Night on Earth', sowie die schwebende Offenheit von Raymond Carvers Gechichten im Hinterkopf, habe halt versucht, diesen losen Faden mal mit meinen bescheidenen Mitteln aufzugreifen.
Um der Geschichte einen Carvschen Touch zu geben, müsste man vielleicht ein bisschen mehr über den Taxifahrer erfahren. Viel liegt hier auch an der Sprache: Der Taxifahrer ist kein zurückhaltender, kein in sich gekehrter, sondern ergreift sofort die Initiative, sucht ein nettes Gespräch, und seiner Wortwahl nach, erscheint er mir ein “gemütlicher”, ein “netter" zu sein.

– Ja ja, der Freitag ist der neue Sonntag, sag ich ja immer, und an solchen Abenden mache ich ja gut fünfzig Prozent meines Umsatzes. Sie waren im U-Boot? Soll ein klasse Laden geworden sein, was man so hört.
– Kein Ding. Ich denke, Sie müssen sich einfach mal richtig ausschlafen, morgen sieht die Welt schon ganz anders aus, bestimmt.
-Ach, kompliziert wird es doch von ganz allein, irgendwann.
Diese Wortwahl (Sprache) ds Taxifahrers lässt ihn mir als ein extrovertierter, völlig sorgenloser Mann erscheinen. Somit wendet sich meine Aufmerksamkeit von ihm ab und geht hinüber zur Frau. Über sie erfahre ich aber nur, dass ihr Freund sie verlassen hat. Und dann ist sie aus dem Taxi auch schon wieder raus.

Zurück bleibt der Taxifahrer; noch immer als ein netter, gemütlicher Kerl. Deshalb kann die Geschichte, mit dem Sinn den Du ihr geben wolltest, für mich nicht funktionieren.

Ich wartete bis das Treppenlicht erloschen war.
Ich startete den Motor.
Ich machte den Motor wieder aus.
Ich schaltete das Radio an.
Ich machte das Radio wieder aus.
Und nun?
Weiß nicht genau.
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja anders.
Warum?
Warum macht er sich diese Gedanken? Und holt nicht einfach sein Butterbrot heraus?
(verstehst Du was ich meine?)

Da ich über den Taxi fahrer nichts weiss (es gibt keinerlei Konflikt) können mich diese Endszenen emotional auch nicht mittnehmen.

Ich weiss nicht ob Du etwas damit anfangen kannst, aber dies ist meine ehrliche Meinung. Dein Art zu Schreiben hingegen gefällt mir sehr gut!
Mit Sonntagsgruss,
Ji

P.S.: Für Korrekturen bin ich (leider) nicht zu haben. Aber diese ist mir aufgefallen. Ganz oben: Sie schwank[blue]t[/blue]e.
 
L

Lupine

Gast
@Vagant, deine Geschichte habe ich sehr gerne gelesen.
Ein Vorschlag, wie man sie hier und so enden lassen könnte:

Ich wartete bis das Treppenlicht erloschen war.
Ich schaltete das Radio an.
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja anders.
Weiß man erst, wenn man‘s tut, dachte ich, ließ das Fenster runter, zündete mir eine Zigarette an und startete den Motor.
 

Vagant

Mitglied
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja besser

Ich pickte sie vor einem der Clubs in der Innenstadt auf. Sie schwankte, und es sah so aus, als hätte sie ein Bett nötig.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich.
– Keine Angst, sagte sie, ich werde ihnen schon nicht auf die Polster brechen. Hab‘ nur einen kleinen über den Durst getrunken, ein paar Wodka-Lemon, mehr nicht.
– Wo soll es denn hingehen?
– Heim.
– Na dann, sagte ich und hielt die Wagentür Auf.
Sie sagte mir die Adresse und setzte sich auf die Rückbank. Ich startete den Taxameter, setzte den Blinker und fädelte mich wieder in den Verkehr ein.
– Ist ja noch eine Menge los, heute Nacht, sagte ich und warf einen kurzen Blick in den Innenspiegel.
– Ist halt Freitag.
– Ja ja, der Freitag ist der neue Sonntag, sag ich ja immer, und an solchen Abenden mache ich ja gut fünfzig Prozent meines Umsatzes. Sie waren im U-Boot? Soll ein klasse Laden geworden sein, was man so hört.
– Mag sein.
– Ist denn der alte Koslowsky da noch hinterm Tresen?
– Weiß nicht.
– Der soll ja seit einer Ewigkeit die...
– ... hören Sie, ich wäre ihnen dankbar, wenn Sie einfach den Mund halten würden. Machen Sie einfach nur ihren Job, bitte!
– Kein Ding, sagte ich, sah nochmal kurz durch den Innenspiegel nach hinten und konzentrierte mich dann auf den Verkehr.

Es dauerte ein paar Ecken entlang der neonhellen Fassaden der Bars und Kneipen, bis ich den Wagen auf der Nordspange hinaus in die Vorstadt rollen lassen konnte. Kurz darauf hörte ich sie leise Schluchzen. Ich sah nach hinten und bemerkte, dass ihr Kajalstrich verschmiert war. Die Farbe lief wie ein kleiner Rinnsal die Wange hinunter und der Anblick erinnerte mich irgendwie an feuchten Waldboden. Dann sah ich, dass sie etwas in ihrer Handtasche suchte; fahrig, ohne erkennbares System. Kurz darauf gab sie die Suche auf.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich, ist alles in Ordnung?
– Danke, es geht schon, aber hätten Sie vielleicht mal ein Tempo für mich?
– Wenn‘s nicht mehr ist.
Ich reichte ihr ein Päckchen nach hinten und konzentrierte mich wieder aufs Fahren.
– Entschuldigung, sagte sie, aber das war wohl alles ein bisschen viel für mich, heute.
– Kein Ding. Ich denke, Sie müssen sich einfach mal richtig ausschlafen, morgen sieht die Welt schon ganz anders aus, bestimmt.
– Sie sind eher ein Mann für die einfachen Botschaften?, sagte sie und lachte ein kurzes Lachen.
– Ach, kompliziert wird es doch von ganz allein, irgendwann.
– Ja, irgendwann wird's das wohl.
– Mein Reden.
– Ja.

Ich fuhr weiter, hielt mich an unsere Abmachung und sagte kein weiteres Wort. Nach ein paar Metern begann sie mit leiser, brüchiger Stimme zu reden.
Ich dürfe das nun nicht so auf die Goldwaage legen, sagte sie, und dass sie ja sonst nicht so sei, also nicht so, wie ich sie gerade kennengelernt hätte, sagte sie noch, und dass ER sie nicht einfach so hätte anrufen dürfen; Nein, das hätte ER nicht tun dürfen, nicht heute morgen, nicht jetzt schon.
Ob ich mir das vorstellen könne, fragte sie mich, ob ich mir vorstellen könne, wie sie sich in diesem Augenblick gefühlt habe? Und es ginge es mich ja eigentlich nichts an, aber ob ich mir denn vorstellen könne, wie sich sich in diesem Moment gefühlt habe?, fragte sie noch mal.
Also ER ruft an, so sie, und sagt, dass er die Stadt verlassen werde. Sie könne erst mal gar nicht reagieren, erzählte sie, hätte das Telefon einfach nur gegen die Brust gedrückt und sich auf die Lippe gebissen, bis sie den Schmerz spüren konnte.
Ob sie noch dran sei, hatte er gerufen: Hallo! Bist Du noch dran! Sag doch auch mal was dazu, so er, und er wolle doch nur, dass sie Bescheid wisse, dass sie wisse, wie die Dinge laufen.
Und sie: Ja, aber es geht da um zwanzig Jahre Ehe, und nicht um DIE DINGE, wie Du sie nennst, und er könne ihr ruhig sagen, dass er mit IHR geht. Du gehst mit IHR, stimmt's? Du gehst mit IHR?
Sie solle es sich doch nicht so schwer machen, habe er dann gesagt: Gabi, bitte, wir haben da schon hundert mal drüber geredet, hat er gesagt, hundert mal. Und dann hätte er aufgelegt, erzählte sie, einfach so aufgelegt.

Ich musste abbiegen. Ich setzte den Blinker, achtete auf den Verkehr, bog ab und schaute noch einmal im Innenspiegel nach hinten. Sie weinte nun nicht mehr; aber ehrlich, es gefiel mir nicht, in diese Verwirrung einbezogen zu werden.
Zweiunddreißig sei seine Neue, erzählte sie weiter, Zwei-und-drei-ßig, wobei sie jede Silbe einzeln ausgesprochen hatte, zwanzig Jahre jünger als er. Und dann seine Scheißehrlichkeit, so sie, seine verdammte Scheiß-ehr-lich-keit; immer so ehrlich, immer alles sagen müssen, immer alles brühwarm raus und immer so ein Verständnis für alles; sie seinen doch erwachsene Leute, man müsse doch über alles reden können. Scheiß auf erwachsene Leute! Aber das liege nun auch alles schon Monate zurück, Schnee von gestern, so sie, und kurze Zeit später sei er dann ohnehin ausgezogen.
Ich hörte sie nochmal schniefen.
Und ob ich mir vorstellen könne, wie still und ruhig die große Wohnung seitdem sei, fragte sie mich dann. Still und ruhig, so still und ruhig; und hier machte sie eine Pause und ich überlegte, wie ich auf die Frage antworten sollte.
Und sie sei doch eigentlich so ein richtiger Familienmensch, fuhr sie fort, noch bevor ich eine Antwort parat hatte, und dass sie den Trubel um sich doch irgendwie brauche, dass ihr das Essen so allein in dieser großen Wohnung gar nicht richtig schmecke, gar nicht richtig schmecke.
Sie schniefte noch einmal ins Taschentuch.
– Können sie das verstehen?, fragte sie.
– Mh, sagte ich, und schmeißen sie das Tuch dann einfach auf den Boden, sagte ich noch.
– Danke.
– Nicht dafür.
– Und wissen sie, sagte sie dann, wir sind vor sechs Jahren extra wegen ihm in diese Stadt gekommen. Er hätte dann bessere Chancen in seinem Job, sagte er damals. Als wenn wir‘s nicht gut gehabt hätten, zu hause auf dem Land; und nun ruft er an und sagt, dass er von hier wegzieht.
– Ich denke, wir sind gleich da, sagte ich.
– Ja, da vorn um die Ecke, dann das Vierte rechts, sagte sie.
Der Klang ihrer Stimme war nun anders; nicht mehr wie Kellerlicht, eher knisternd und ein wenig nach Zellophan und Trotz und Neuertag.

Ich fuhr an den Bordstein.
– Macht Vierzehnsechzig, Madam.
Sie reichte mir einen Schein nach vorn.
– Stimmt so, sagte sie, denke, es ist besser, wenn Sie das alles gleich wieder vergessen, versprochen?
Ich nickte.
– Und sonst?, fragte ich.
– Was sonst?
– Na ja, Sie kommen zurecht?
– Womit?
– Schlüssel, Treppe?
– Ich denke schon, aber danke, sagte sie, schwankte zur Haustür, suchte nach dem Schlüssel und ging ins Haus.
Ich wartete bis das Treppenlicht erloschen war.
Ich startete den Motor.
Ich machte den Motor wieder aus.
Ich schaltete das Radio an.
Ich machte das Radio wieder aus.
Und nun?
Weiß nicht genau.
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja anders.
Weiß man erst, wenn man‘s tut, dachte ich, ließ das Fenster runter, zündete mir eine Zigarette an und schaute die Straße hinunter.

Vom andere Ende der Straße, dort wo ein paar Hecken den Übergang zum Flussufer markieren, kam ein junges Pärchen. Sie schwankten leicht und das Mädchen trug noch eine Flasche in der Hand. Es sah aus, als unterhielten sie sich und manchmal trug der Wind ein helles Lachen zu mir herüber. Plötzlich begann der Junge leichtfüßig von einem Fuß auf den anderen zu tänzeln, ballte die Fäuste, hob sie zum Kinn und schob seinen rechten Fuß nach vorn. Die Führhand schnellte ein paar mal in die Nachtluft.
Ich schaute ihm gebannt zu; Rechtsausleger, hatte richtig was los, das Bürschchen.
Er duckte sich ab, flink, scheinbar mühelos, zeigte noch zweimal die Führhand und versetzte der Nacht einen linken Haken, der sich gewaschen hatte.
Das Mädchen zuckte keinen Deut, kicherte los, hob die Hand zum highfiven und umarmte ihren Helden.
Ich schnippte die Kippe aus dem Fenster, startete den Motor und fuhr langsam an ihnen vorbei. Er legte seine Arme um das Mädchen, drückte sie gegen die Hauswand und küsste sie; und als ich am Ende der Straße abbog, da konnte ich sehen, dass er sie immer noch küsste.
 

Vagant

Mitglied
Erstmal das Einfache.

Werter Hagen.
Ich bin niemand der meint, dass man nun unbedingt dieses oder jenes gelesen oder gesehen haben muss, möchte Dir (als alten Taxler) aber trotzdem mal 'night on earth' ans Herz legen.
Eine Nacht, fünf Städte, fünf Fahrten New York, Paris, Helsinki, Rom, LA. Sountrack: Tom Waits.
Ich hoffe, dass der YouTube-Link hier funktioniert. Ansonsten findest Du ihn sicher auch allein;-)

https://youtu.be/hthnoXzNgnw
Episode Rom, mit einem fantastisch speilfreudigen Roberto Benigni.

viel Spass, wünscht Vagant.

Hallo Lupine,
wir hatten noch nicht das Vergnügen – deshalb; willkommen auf meinem kleinen, privaten Kanal.
Danke fürs Lesen und die netten Worte.
Wenn jemand sagt, er hätte es gern gelesen, dann ist man als Autor!? (sagen wir besser; Verursacher) erst mal erfreut. Wer anders behauptet, der lügt.
Eins vornweg; Dein Vorschlag für ein mögliches Ende ist sicher so denkbar, vielleicht sogar die bessere Lösung.
Ich weiß, dass die Schlussszene nicht der üblichen Dramatik entspricht. Es fehlt ihr einfach der Bezug zum Text, sie ist dann am Ende vielleicht auch einfach zu eigenständig.
Aber ich möchte mich hier mal selbst zitieren und auf meine Antwort zu Hagen verweisen. Für mich liegt halt in dieser Szene der eigentliche kathartische Moment.
Allerdings muss ich eingestehen, dass er einfach nicht funktioniert (jedenfalls nicht so, nicht in meiner Intention).
Am Ende ist es ganz einfach; wenn man ES erklären muss, taugt ES nichts. Wenn man ES erklären muss, dann ist ES einfach schlecht geschrieben. Aber hier nehme ich ja fast schon die Antwort an Ji vorweg (sorry - die kommt dann etwas später).

Lg Vagant
 

Vagant

Mitglied
Hallo Ji,

Danke für Deine Aufmerksamkeit.
Ja, der Fahrer ist in der Tat ein grundsolider Typ. Er versucht jedem Fahrgast der Situation entsprechend entgegen zu treten, ist frei von Argwohn, hat keine nennenswerten Marotten und ihn plagen nicht mehr und nicht weniger Sorgen, als jede anderen Menschen auch.
Aber dieser Fahrer sollte in meiner Geschichte eigentlich nur als Erzähler in Erscheinung treten, nicht weiter Gewicht haben.
Nun musste ich feststellen, dass er dem als Ich-Erzähler ja gar nicht gerecht werden kann. Am Ende dreht sich das Ding doch zu ihm; also müsste er von Beginn an auch anständig eingeführt werden. Mit einem Tick, irgendeiner Marotte, mit Sorgen die ihn plagen, mit etwas, das ihn interessant macht.
Ich habe versäumt, den Moment der Reflexion genauer zu beschreiben. Hier habe ich einfach verdammt liederlich geschrieben.
Ich habe ja weitestgehend versucht die Beschreibung der äußeren Vorgänge zu vermeiden. Also dieses Wie-etwas-getan-wird, diese Warum-etwas-getan-wird. Das hätte aber dringend in den entsprechenden Absatz gehört (also dort, wo er dann allein im Auto verweilt). Hier hätte man einfach mal das Tempo herausnehmen müssen, genauer hinsehen müssen – denn oft kommt man ja gerade über die äußeren Vorgänge, über das genaue Beschreiben wie eine Handlung ausgeführt wird, in die inneren Vorgänge.
Das wäre mir ja auch alles aufgefallen, wenn ich es nicht nach dem Setzen des letzten Punktes gleich gepostet hätte, denke ich jedenfalls.
Also; ausdrucken, mal mit in die Badewanne nehmen, mal anständig drüber nachdenken.
Fazit; schlechte Erzählerwahl, und/oder einfach schlecht geschrieben.

Allerdings habe ich mich durch eure Anregungen dazu entschlossen, dieses Feld bei Gelegenheit einfach noch mal zu beackern. Entweder völlig neu, oder auf Grundlager dieser Datei, mal sehen.

mit Sonntagsgruß, Vagant.
 

Ji Rina

Mitglied
@Vagant:
Nun musste ich feststellen, dass er dem als Ich-Erzähler ja gar nicht gerecht werden kann. Am Ende dreht sich das Ding doch zu ihm; also müsste er von Beginn an auch anständig eingeführt werden. Mit einem Tick, irgendeiner Marotte, mit Sorgen die ihn plagen, mit etwas, das ihn interessant macht.
Hallo nochmal Vagant!

Ich freu mich, weil ich bei Deinem Kommentar sehe, dass Du verstanden hast was ich versuchte zu erklären. Und nu tu ich mich ein bisschen schwer, weil ich die Einzige bin, die an Deinem Text gemeckert hat. Lupine hat die Geschichte gut gefunden, hat aber leider nicht erklärt warum (das hätte mich mal interessiert).

@Vagant:
Am Ende ist es ganz einfach; wenn man ES erklären muss, taugt ES nichts. Wenn man ES erklären muss, dann ist ES einfach schlecht geschrieben.
Fazit; schlechte Erzählerwahl, und/oder einfach schlecht geschrieben.
Damit bin ich nicht einverstanden. Der Text taugt. Erklären musstest Du, um Meinungen auszutauschen und um so, eventuell einige Änderungen vornehmen zu können. Und schlecht geschrieben ist er auf keinen Fall. Ich find auch nicht, dass es darum geht, den Taxifahrer “interessant” zu machen, sondern irgendetwas von ihm zu “zeigen” dass den Leser dazu bringt, zu verstehen oder nachzuvollziehen, warum er gegen Ende an dieser Szene des Pärchens hängenbleibt (Ein Beispiel könnte sein, dass er selber mit einer hysterischen Alkoholikerin zusammen lebt, die ihn ständig aus der Wohnung schmeisst – oder ähnliches. Also im Sinne, dass er nur auf Frauen trifft, die seine Ohren zum bluten bringen). Aber dann müsstest Du wohl auch seine fröhliche Sprache ändern.)

Es braucht etwas, das auch diesen Satz erklärt:
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja anders.
Denn was ihm hier bei dieser Taxifahrt widerfährt, passiert jedem Taxifahrer tagtäglich in jeder Stadt, egal in welchem Land.
Ich bin Dir sehr dankbar für den Austausch und dass Du es mir nicht bös genommen hast.

Danke auch für den Benigni Link (er ist ein begnadeter!)
Hier noch einer:
https://www.youtube.com/watch?v=8cTR6fk8frs

Ach, eine Sache würde mich noch interessieren:
Schreibst Du in der Badewanne?
 

Vagant

Mitglied
Hallo Ji,

Ist 'DieLoren' nun so groß, oder Benigni so klein?
ich denke, mit dieser Dankesrede hat er ein bisschen den oscarnachttypischen Rahmen gesprengt. Schöner Clip.

......Und nu tu ich mich ein bisschen schwer, weil ich die Einzige bin, die an Deinem Text gemeckert hat.......

Da brauchst Du dich nicht schwer mit tun, wenn Schwächen erkannt werden, oder etwas im ersten Moment nicht schlüssig ist, dann immer raus damit – genau dafür ist diese Kommentarfunktion gedacht (am Ende ziehe ich ja einen Gewinn aus der Kritik)
Also das passt schon. Es gibt hier ohnehin nur wenige Autoren, die, wenn sie denn abliefern, dann ihre Sachen auch wirklich auf den Punkt gebracht haben.

Um die abschließende Frage zu beantworten: Ich lese in der Wanne, manchmal auch eigenes und manchmal habe ich zum Streichen auch einen Bleistift parat. Mehr dann aber auch nicht.

Lg Vagant.
 

Vagant

Mitglied
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja besser

Ich pickte sie vor einem der Clubs in der Innenstadt auf. Sie schwankte, und es sah so aus, als hätte sie ein Bett nötig.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich.
– Keine Angst, sagte sie, ich werde ihnen schon nicht auf die Polster brechen. Hab‘ nur einen kleinen über den Durst getrunken, ein paar Wodka-Lemon, mehr nicht.
– Wo soll es denn hingehen?
– Heim.
– Na dann, sagte ich und hielt die Wagentür Auf.
Sie sagte mir die Adresse und setzte sich auf die Rückbank. Ich startete den Taxameter, setzte den Blinker und fädelte mich wieder in den Verkehr ein.
– Ist ja noch eine Menge los, heute Nacht, sagte ich und warf einen kurzen Blick in den Innenspiegel.
– Ist halt Freitag.
– Ja ja, der Freitag ist der neue Sonntag, sag ich ja immer, und an solchen Abenden mache ich ja gut fünfzig Prozent meines Umsatzes. Sie waren im U-Boot? Soll ein klasse Laden geworden sein, was man so hört.
– Mag sein.
– Ist denn der alte Koslowsky da noch hinterm Tresen?
– Weiß nicht.
– Der soll ja seit einer Ewigkeit die...
– ... hören Sie, ich wäre ihnen dankbar, wenn Sie einfach den Mund halten würden. Machen Sie einfach nur ihren Job, bitte!
– Kein Ding, sagte ich, sah nochmal kurz durch den Innenspiegel nach hinten und konzentrierte mich dann auf den Verkehr.

Es dauerte ein paar Ecken entlang der neonhellen Fassaden der Bars und Kneipen, bis ich den Wagen auf der Nordspange hinaus in die Vorstadt rollen lassen konnte. Kurz darauf hörte ich sie leise schluchzen. Ich sah nach hinten und bemerkte, dass ihr Kajalstrich verschmiert war. Die Farbe lief wie ein kleiner Rinnsal die Wange hinunter und der Anblick erinnerte mich irgendwie an feuchten Waldboden. Dann sah ich, dass sie etwas in ihrer Handtasche suchte; fahrig, ohne erkennbares System. Kurz darauf gab sie die Suche auf.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich, ist alles in Ordnung?
– Danke, es geht schon, aber hätten Sie vielleicht mal ein Tempo für mich?
– Wenn‘s nicht mehr ist.
Ich reichte ihr ein Päckchen nach hinten und konzentrierte mich wieder aufs Fahren.
– Entschuldigung, sagte sie, aber das war wohl alles ein bisschen viel für mich, heute.
– Kein Ding. Ich denke, Sie müssen sich einfach mal richtig ausschlafen, morgen sieht die Welt schon ganz anders aus, bestimmt.
– Sie sind eher ein Mann für die einfachen Botschaften?, sagte sie und lachte ein kurzes Lachen.
– Ach, kompliziert wird es doch von ganz allein, irgendwann.
– Ja, irgendwann wird's das wohl.
– Mein Reden.
– Ja.

Ich fuhr weiter, hielt mich an unsere Abmachung und sagte kein weiteres Wort. Nach ein paar Metern begann sie mit leiser, brüchiger Stimme zu reden.
Ich dürfe das nun nicht so auf die Goldwaage legen, sagte sie, und dass sie ja sonst nicht so sei, also nicht so, wie ich sie gerade kennengelernt hätte, sagte sie noch, und dass ER sie nicht einfach so hätte anrufen dürfen; Nein, das hätte ER nicht tun dürfen, nicht heute morgen, nicht jetzt schon.
Ob ich mir das vorstellen könne, fragte sie mich, ob ich mir vorstellen könne, wie sie sich in diesem Augenblick gefühlt habe? Und es ginge es mich ja eigentlich nichts an, aber ob ich mir denn vorstellen könne, wie sich sich in diesem Moment gefühlt habe?, fragte sie noch mal.
Also ER ruft an, so sie, und sagt, dass er die Stadt verlassen werde. Sie könne erst mal gar nicht reagieren, erzählte sie, hätte das Telefon einfach nur gegen die Brust gedrückt und sich auf die Lippe gebissen, bis sie den Schmerz spüren konnte.
Ob sie noch dran sei, hatte er gerufen: Hallo! Bist Du noch dran! Sag doch auch mal was dazu, so er, und er wolle doch nur, dass sie Bescheid wisse, dass sie wisse, wie die Dinge laufen.
Und sie: Ja, aber es geht da um zwanzig Jahre Ehe, und nicht um DIE DINGE, wie Du sie nennst, und er könne ihr ruhig sagen, dass er mit IHR geht. Du gehst mit IHR, stimmt's? Du gehst mit IHR?
Sie solle es sich doch nicht so schwer machen, habe er dann gesagt: Gabi, bitte, wir haben da schon hundert mal drüber geredet, hat er gesagt, hundert mal. Und dann hätte er aufgelegt, erzählte sie, einfach so aufgelegt.

Ich musste abbiegen. Ich setzte den Blinker, achtete auf den Verkehr, bog ab und schaute noch einmal im Innenspiegel nach hinten. Sie weinte nun nicht mehr; aber ehrlich, es gefiel mir nicht, in diese Verwirrung einbezogen zu werden.
Zweiunddreißig sei seine Neue, erzählte sie weiter, Zwei-und-drei-ßig, wobei sie jede Silbe einzeln ausgesprochen hatte, zwanzig Jahre jünger als er. Und dann seine Scheißehrlichkeit, so sie, seine verdammte Scheiß-ehr-lich-keit; immer so ehrlich, immer alles sagen müssen, immer alles brühwarm raus und immer so ein Verständnis für alles; sie seinen doch erwachsene Leute, man müsse doch über alles reden können. Scheiß auf erwachsene Leute! Aber das liege nun auch alles schon Monate zurück, Schnee von gestern, so sie, und kurze Zeit später sei er dann ohnehin ausgezogen.
Ich hörte sie nochmal schniefen.
Und ob ich mir vorstellen könne, wie still und ruhig die große Wohnung seitdem sei, fragte sie mich dann. Still und ruhig, so still und ruhig; und hier machte sie eine Pause und ich überlegte, wie ich auf die Frage antworten sollte.
Und sie sei doch eigentlich so ein richtiger Familienmensch, fuhr sie fort, noch bevor ich eine Antwort parat hatte, und dass sie den Trubel um sich doch irgendwie brauche, dass ihr das Essen so allein in dieser großen Wohnung gar nicht richtig schmecke, gar nicht richtig schmecke.
Sie schniefte noch einmal ins Taschentuch.
– Können sie das verstehen?, fragte sie.
– Mh, sagte ich, und schmeißen sie das Tuch dann einfach auf den Boden, sagte ich noch.
– Danke.
– Nicht dafür.
– Und wissen sie, sagte sie dann, wir sind vor sechs Jahren extra wegen ihm in diese Stadt gekommen. Er hätte dann bessere Chancen in seinem Job, sagte er damals. Als wenn wir‘s nicht gut gehabt hätten, zu hause auf dem Land; und nun ruft er an und sagt, dass er von hier wegzieht.
– Ich denke, wir sind gleich da, sagte ich.
– Ja, da vorn um die Ecke, dann das Vierte rechts, sagte sie.
Der Klang ihrer Stimme war nun anders; nicht mehr wie Kellerlicht, eher knisternd und ein wenig nach Zellophan und Trotz und Neuertag.

Ich fuhr an den Bordstein.
– Macht Vierzehnsechzig, Madam.
Sie reichte mir einen Schein nach vorn.
– Stimmt so, sagte sie, denke, es ist besser, wenn Sie das alles gleich wieder vergessen, versprochen?
Ich nickte.
– Und sonst?, fragte ich.
– Was sonst?
– Na ja, Sie kommen zurecht?
– Womit?
– Schlüssel, Treppe?
– Ich denke schon, aber danke, sagte sie, schwankte zur Haustür, suchte nach dem Schlüssel und ging ins Haus.
Ich wartete bis das Treppenlicht erloschen war.
Ich startete den Motor.
Ich machte den Motor wieder aus.
Ich schaltete das Radio an.
Ich machte das Radio wieder aus.
Und nun?
Weiß nicht genau.
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja anders.
Weiß man erst, wenn man‘s tut, dachte ich, ließ das Fenster runter, zündete mir eine Zigarette an und schaute die Straße hinunter.

Vom andere Ende der Straße, dort wo ein paar Hecken den Übergang zum Flussufer markieren, kam ein junges Pärchen. Sie schwankten leicht und das Mädchen trug noch eine Flasche in der Hand. Es sah aus, als unterhielten sie sich und manchmal trug der Wind ein helles Lachen zu mir herüber. Plötzlich begann der Junge leichtfüßig von einem Fuß auf den anderen zu tänzeln, ballte die Fäuste, hob sie zum Kinn und schob seinen rechten Fuß nach vorn. Die Führhand schnellte ein paar mal in die Nachtluft.
Ich schaute ihm gebannt zu; Rechtsausleger, hatte richtig was los, das Bürschchen.
Er duckte sich ab, flink, scheinbar mühelos, zeigte noch zweimal die Führhand und versetzte der Nacht einen linken Haken, der sich gewaschen hatte.
Das Mädchen zuckte keinen Deut, kicherte los, hob die Hand zum highfiven und umarmte ihren Helden.
Ich schnippte die Kippe aus dem Fenster, startete den Motor und fuhr langsam an ihnen vorbei. Er legte seine Arme um das Mädchen, drückte sie gegen die Hauswand und küsste sie; und als ich am Ende der Straße abbog, da konnte ich sehen, dass er sie immer noch küsste.
 

Isegrims

Mitglied
Hallo Vagant

ziemlich skuriller Text, den ich schmunzelnd gelesen habe, manche der Selbtskommentare des Erzählers gefallen mir nicht (ZB: meine Rede), du könntest ihn deutlicher zeichnen, unsicherer machen, so demaskierend;

Und der Schluss mit dem Pärchen, das sich küsst, ist bisschen schnulzig, anspielungsreich, kann man aber so machen...:)

Aber ich hab's gern gelesen:)

viele Grüße
Isegrims
 

Vagant

Mitglied
hallo isegrims,
ja, ich weiß, das war nicht der große wurf;-) und ja eigentlich nur mal so aus der hüfte geschossen.
aber ich verstehe schon, was du meinst. die figuren sind so dünn wie die strory.
aber das 'schnulzige' ende, das nehme ich dir dann doch etwas übel.
manchmal habe ich mich halt nicht in der hand, da versuche ich, es am ende rund zu machen, ein bisschen optimistisch ausgehen zu lassen.
lg vagant.
 

Vagant

Mitglied
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja besser

Ich pickte sie vor einem der Clubs in der Innenstadt auf. Sie schwankte, und es sah so aus, als hätte sie ein Bett nötig.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich.
– Keine Angst, sagte sie, ich werde ihnen schon nicht auf die Polster brechen. Hab‘ nur einen kleinen über den Durst getrunken, ein paar Wodka-Lemon, mehr nicht.
– Wo soll es denn hingehen?
– Heim.
– Na dann, sagte ich und hielt die Wagentür auf.
Sie sagte mir die Adresse und setzte sich auf die Rückbank. Ich startete den Taxameter, setzte den Blinker und fädelte mich wieder in den Verkehr ein.
– Ist ja noch eine Menge los, heute Nacht, sagte ich und warf einen kurzen Blick in den Innenspiegel.
– Ist halt Freitag.
– Ja ja, der Freitag ist der neue Sonntag, sag ich ja immer, und an solchen Abenden mache ich ja gut fünfzig Prozent meines Umsatzes. Sie waren im U-Boot? Soll ein klasse Laden geworden sein, was man so hört.
– Mag sein.
– Ist denn der alte Koslowsky da noch hinterm Tresen?
– Weiß nicht.
– Der soll ja seit einer Ewigkeit die...
– ... hören Sie, ich wäre ihnen dankbar, wenn Sie einfach den Mund halten würden. Machen Sie einfach nur ihren Job, bitte!
– Kein Ding, sagte ich, sah nochmal kurz durch den Innenspiegel nach hinten und konzentrierte mich dann auf den Verkehr.

Es dauerte ein paar Ecken entlang der neonhellen Fassaden der Bars und Kneipen, bis ich den Wagen auf der Nordspange hinaus in die Vorstadt rollen lassen konnte. Kurz darauf hörte ich sie leise schluchzen. Ich sah nach hinten und bemerkte, dass ihr Kajalstrich verschmiert war. Die Farbe lief wie ein kleiner Rinnsal die Wange hinunter und der Anblick erinnerte mich irgendwie an feuchten Waldboden. Dann sah ich, dass sie etwas in ihrer Handtasche suchte; fahrig, ohne erkennbares System. Kurz darauf gab sie die Suche auf.
– Geht‘s denn, Madam, fragte ich, ist alles in Ordnung?
– Danke, es geht schon, aber hätten Sie vielleicht mal ein Tempo für mich?
– Wenn‘s nicht mehr ist.
Ich reichte ihr ein Päckchen nach hinten und konzentrierte mich wieder aufs Fahren.
– Entschuldigung, sagte sie, aber das war wohl alles ein bisschen viel für mich, heute.
– Kein Ding. Ich denke, Sie müssen sich einfach mal richtig ausschlafen, morgen sieht die Welt schon ganz anders aus, bestimmt.
– Sie sind eher ein Mann für die einfachen Botschaften?, sagte sie und lachte ein kurzes Lachen.
– Ach, kompliziert wird es doch von ganz allein, irgendwann.
– Ja, irgendwann wird's das wohl.
– Mein Reden.
– Ja.

Ich fuhr weiter, hielt mich an unsere Abmachung und sagte kein weiteres Wort. Nach ein paar Metern begann sie mit leiser, brüchiger Stimme zu reden.
Ich dürfe das nun nicht so auf die Goldwaage legen, sagte sie, und dass sie ja sonst nicht so sei, also nicht so, wie ich sie gerade kennengelernt hätte, sagte sie noch, und dass ER sie nicht einfach so hätte anrufen dürfen; Nein, das hätte ER nicht tun dürfen, nicht heute morgen, nicht jetzt schon.
Ob ich mir das vorstellen könne, fragte sie mich, ob ich mir vorstellen könne, wie sie sich in diesem Augenblick gefühlt habe? Und es ginge es mich ja eigentlich nichts an, aber ob ich mir denn vorstellen könne, wie sich sich in diesem Moment gefühlt habe?, fragte sie noch mal.
Also ER ruft an, so sie, und sagt, dass er die Stadt verlassen werde. Sie könne erst mal gar nicht reagieren, erzählte sie, hätte das Telefon einfach nur gegen die Brust gedrückt und sich auf die Lippe gebissen, bis sie den Schmerz spüren konnte.
Ob sie noch dran sei, hatte er gerufen: Hallo! Bist Du noch dran! Sag doch auch mal was dazu, so er, und er wolle doch nur, dass sie Bescheid wisse, dass sie wisse, wie die Dinge laufen.
Und sie: Ja, aber es geht da um zwanzig Jahre Ehe, und nicht um DIE DINGE, wie Du sie nennst, und er könne ihr ruhig sagen, dass er mit IHR geht. Du gehst mit IHR, stimmt's? Du gehst mit IHR?
Sie solle es sich doch nicht so schwer machen, habe er dann gesagt: Gabi, bitte, wir haben da schon hundert mal drüber geredet, hat er gesagt, hundert mal. Und dann hätte er aufgelegt, erzählte sie, einfach so aufgelegt.

Ich musste abbiegen. Ich setzte den Blinker, achtete auf den Verkehr, bog ab und schaute noch einmal im Innenspiegel nach hinten. Sie weinte nun nicht mehr; aber ehrlich, es gefiel mir nicht, in diese Verwirrung einbezogen zu werden.
Zweiunddreißig sei seine Neue, erzählte sie weiter, Zwei-und-drei-ßig, wobei sie jede Silbe einzeln ausgesprochen hatte, zwanzig Jahre jünger als er. Und dann seine Scheißehrlichkeit, so sie, seine verdammte Scheiß-ehr-lich-keit; immer so ehrlich, immer alles sagen müssen, immer alles brühwarm raus und immer so ein Verständnis für alles; sie seinen doch erwachsene Leute, man müsse doch über alles reden können. Scheiß auf erwachsene Leute! Aber das liege nun auch alles schon Monate zurück, Schnee von gestern, so sie, und kurze Zeit später sei er dann ohnehin ausgezogen.
Ich hörte sie nochmal schniefen.
Und ob ich mir vorstellen könne, wie still und ruhig die große Wohnung seitdem sei, fragte sie mich dann. Still und ruhig, so still und ruhig; und hier machte sie eine Pause und ich überlegte, wie ich auf die Frage antworten sollte.
Und sie sei doch eigentlich so ein richtiger Familienmensch, fuhr sie fort, noch bevor ich eine Antwort parat hatte, und dass sie den Trubel um sich doch irgendwie brauche, dass ihr das Essen so allein in dieser großen Wohnung gar nicht richtig schmecke, gar nicht richtig schmecke.
Sie schniefte noch einmal ins Taschentuch.
– Können sie das verstehen?, fragte sie.
– Mh, sagte ich, und schmeißen sie das Tuch dann einfach auf den Boden, sagte ich noch.
– Danke.
– Nicht dafür.
– Und wissen sie, sagte sie dann, wir sind vor sechs Jahren extra wegen ihm in diese Stadt gekommen. Er hätte dann bessere Chancen in seinem Job, sagte er damals. Als wenn wir‘s nicht gut gehabt hätten, zu hause auf dem Land; und nun ruft er an und sagt, dass er von hier wegzieht.
– Ich denke, wir sind gleich da, sagte ich.
– Ja, da vorn um die Ecke, dann das Vierte rechts, sagte sie.
Der Klang ihrer Stimme war nun anders; nicht mehr wie Kellerlicht, eher knisternd und ein wenig nach Zellophan und Trotz und Neuertag.

Ich fuhr an den Bordstein.
– Macht Vierzehnsechzig, Madam.
Sie reichte mir einen Schein nach vorn.
– Stimmt so, sagte sie, denke, es ist besser, wenn Sie das alles gleich wieder vergessen, versprochen?
Ich nickte.
– Und sonst?, fragte ich.
– Was sonst?
– Na ja, Sie kommen zurecht?
– Womit?
– Schlüssel, Treppe?
– Ich denke schon, aber danke, sagte sie, schwankte zur Haustür, suchte nach dem Schlüssel und ging ins Haus.
Ich wartete bis das Treppenlicht erloschen war.
Ich startete den Motor.
Ich machte den Motor wieder aus.
Ich schaltete das Radio an.
Ich machte das Radio wieder aus.
Und nun?
Weiß nicht genau.
Vielleicht laufen die Dinge in einer anderen Stadt ja anders.
Weiß man erst, wenn man‘s tut, dachte ich, ließ das Fenster runter, zündete mir eine Zigarette an und schaute die Straße hinunter.

Vom andere Ende der Straße, dort wo ein paar Hecken den Übergang zum Flussufer markieren, kam ein junges Pärchen. Sie schwankten leicht und das Mädchen trug noch eine Flasche in der Hand. Es sah aus, als unterhielten sie sich und manchmal trug der Wind ein helles Lachen zu mir herüber. Plötzlich begann der Junge leichtfüßig von einem Fuß auf den anderen zu tänzeln, ballte die Fäuste, hob sie zum Kinn und schob seinen rechten Fuß nach vorn. Die Führhand schnellte ein paar mal in die Nachtluft.
Ich schaute ihm gebannt zu; Rechtsausleger, hatte richtig was los, das Bürschchen.
Er duckte sich ab, flink, scheinbar mühelos, zeigte noch zweimal die Führhand und versetzte der Nacht einen linken Haken, der sich gewaschen hatte.
Das Mädchen zuckte keinen Deut, kicherte los, hob die Hand zum highfiven und umarmte ihren Helden.
Ich schnippte die Kippe aus dem Fenster, startete den Motor und fuhr langsam an ihnen vorbei. Er legte seine Arme um das Mädchen, drückte sie gegen die Hauswand und küsste sie; und als ich am Ende der Straße abbog, da konnte ich sehen, dass er sie immer noch küsste.
 



 
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