Vierzehn Zeilen Nemesis

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weghenkel

Mitglied
Vierzehn Zeilen Nemesis



Komm nur herein.
Die Tür ist ja nicht zu.
Es könnte immerhin ja sein:
Was ich dort seh, das bist noch einmal du.

Im Feuerschlund
Gefallne Engel. Ja.
Nachtrauer, sichtbar, log der Mund.
Der Nibelungenweg? Die Nacht ist da.

Lächle! Beweg dich doch!
So sternenkalt und weiß liegt Schnee.
Schon ist der Tag am nächsten. Wo ich kroch,

Zum Pranger, weicht sie nicht.
Du wirst sie kennen, deine Fee.
Sie schächtet deine Seele. Hält Gericht.
 
R

Ramona Linke

Gast
Hallo weghenkel,

wie sehr muss man enttäuscht worden
sein, um jemand so von Nemesis strafen
zu lassen.
Ich lese Trauer, Verbitterung und
Verzweiflung, ja, das Lesen deiner
Zeilen stimmt mich melancholisch.
Und was mich sogar beim Lesen schmerzt,
dass ist die Sache mit der Fee.
Sag bitte, bist Du Dir auch wirklich
sicher, dass es eine Fee ist, welche
in Deinem Gedicht ohne Betäubung schlachtet !?
Eine grausige Vorstellung, denn Feen sind
zierliche Fabelwesen, vielleicht gibt es
ja auch ein oder zwei böse von denen, aber
schächten . . . lieber weghenkel . .
trotz allem finde ich sie sehr gelungen,
Deine "Vierzehn Zeilen Nemesis" . . .
wünsche einen weniger blutrünstigen Nachmittag
und ein frohes Wochenende mit netten Gedanken ;)
herzlich RL
 

weghenkel

Mitglied
Geschächtete Seelen

Liebe Ramona Linke,
Ich denke, du liegst eigentlich ganz richtig mit deinem Verständnis des Textes. Jeder soll ohnehin in seinem Kopf ein Gedicht neu und anders entstehen machen, als es die verdichtete Wirklichkeit des Autors vorgibt.
Aber in zwei Richtungen würde ich dennoch deine Gedanken gerne lenken.
Trauer, Verbitterung und Verzweiflung - das klingt mir zu sehr nach “Betroffenheitsmache” (dummerweise gibt es jetzt auch noch eine Kategorie Betroffenheitspoesie, ich habe dem Moderator Holger schon signalisiert, wie unfroh ich über diesen Begriff bin). Am Ende soll noch Mitleid aufkommen. Nein. Es geht mir um die Analyse menschlichen Verhaltens. Wenn ich davon betroffen war, so ist das letztlich unbedeutend. Das Muster an sich ist mir wichtig, und die Konsequenzen sind es, die sich daraus ergeben, zugegebenermaßen vielleicht radikal gedacht. Wahrheit muß schon schonungslos sein, sonst trägt sie den Keim der nächsten Lüge in sich. Man darf die ästhetische Radikalität Trakls gern als Vorgabe sehn, sie spielt auch in den Text hinein (gefallne Engel im Feuerschlund assoziieren für die Belesenen vielleicht Franz Fühmanns einzigartigen Trakl-Essay: übrigens, wer es nicht kennt, die beste Interpretation lyrischer Texte, die je geschrieben worden ist), der Nibelungenweg ist der Weg der deutschen Seele ihrem Untergang entgegen. Die weibliche Figur im Hintergrund steht für diesen Weg. Fehlverhalten in dem Ausmaß, wie es die Voraussetzung für diesen Text bildet, ruft seit Ewigkeiten von sich aus die Nemesis aus den Plan. Das ist also kein Wunsch von mir. Das Prinzip Nemesis ist ein menschliches Daseinsgesetz. (Und wenn viele Ganoven scheinbar der Nemesis entrinnen, dann ist es wegen der Belanglosigkeit ihrer Missetaten im pneumatisch-mystischen Bereich - denn dort wirkt dieses Gesetz noch immer.) Rimbaud hat gefordert, die Dichter müsse sich zum Seher machen. Etwas von diesen seherischen Qualitäten, hoffe ich, vermitteln meine Texte.
Selbst Nachtrauer (so Lou Salomés großes Gedenken an Rilke) ist dem Verrat preisgegeben worden, in den heiligen Bezirken menschlich-poetischer und also liebender Koexistenz ein so schwerer Frevel, daß die antike Nemesis gar nicht anders kann, als sich zu Wort zu melden.
Nun zum poetischen Bild der Fee.
Wahrscheinlich wirst du jetzt schon nachvollziehn können, warum eine Fee zur Vollzugsmacht der Seelenschächtung wird. Gerade weil es hier nicht um den alltäglichen Verrat geht (der auch keine Nemesis wecken würde), sondern weil eine kreatürlich göttliche Dimension den jetzt so brutal zerstörten Rahmen seelischen Miteinanders bildete, weil also das ätherische Wesen der tiefen Liebe - entgegen allen Erwartungen und Voraussetzungen - gewaltsam (und nur in dieser Hinsicht ist Gewalt im Spiel, nirgends fließt Blut, Seelen bluten nicht, sie sind nicht körperlich, Metaphern bluten nicht) getötet wurde, übernimmt nun ein solch ätherisches Wesen die Aufgabe der schmerzlichen Bewußtmachung des Tatbestandes auf Seiten jener Frau, die so ihr Schicksal herausfordern zu müssen meinte.
Eine Seele wird geschächtet, das ist die Prophetie des Textes. Es wird so kommen.
Blutlos. Und, das ist wichtig, ohne Betäubung. Sie wird keine Zeit mehr haben, sich vorzubereiten auf das Schlimme, das sie überfallen wird. Weil sie, als es Zeit war, Verletzungen und Wunden zu heilen, keine Zeit aufbringen konnte dafür. Wollte. Wer keine Zeit hat für die existentiell wichtigsten Dinge des Lebens, den wird es kalt erwischen.
Natürlich kann man das alles auch jenseits von Metaphorik und Symbolik auf einen durchaus voraussagbaren Lebensweg beziehen. Wer so versagt, wird als lebendiger Mensch mehr und mehr versagen. Als Toter lebt er hin, bis ans Ende seiner Tage. Wenn auch unter womöglich glücklichen Umständen. Aber seelenlos. (Man lese in diesem Zusammenhang auch Oscar Wildes wunderbares Märchen vom Fischer und seiner Seele. - By the way, ich wundere mich immer - du scheinst ja auch so eine Vertreterin zu sein - was die Frauen am eigentlich banalen Märchen vom kleinen Prinzen finden. Lest Oscar Wilde, möchte ich allen immer zurufen, dann wißt ihr, was poetische Märchen sind! Ich laß es. Saint Exupéry hat eben den Vorteil, daß er von Namens wegen schon heilig ist.)

Zum Abschluß noch eine Gegenüberstellung (meine Gedichte werden ja recht wenig zur Kenntnis genommen in der Leselupe, manche gar nicht) zweier korrespondierender Sonette, die dir sicherlich einen noch tieferen Zugang zum Thema verschaffen.
Es ist nämlich so, daß beide formal mit einer trichterförmigen Veränderung der Verse arbeiten: beidesmal werden fünfhebige Jamben verändert bis hin zu nur noch zweihebigen Jamben (natürlich über die Zwischenschritte vierhebig und dreihebig).
Aber - jetzt wirst du sehn, daß das erste, scheinbar harmlosere Sonett, die Verengung liefert, also den Trichter, in den man hineingleitet, den Bombentrichter, auf dessen Grund das schlammige Elend liegt, und das zweite (dir bekannte) Sonett liefert die Öffnung - also den Ausweg aus dem Seelenkrater.

An meine Verflossene

Ein Stück weit. Deine kluge Redensart
Macht dich ein Stück weit nun schon aus
Seit Jahren. So apart
Hältst du ja haus

Mit ihr, hast sie den Linken abgelauscht,
Für gut befunden und spürst nicht,
Wie leer, nur aufgebauscht
Die Phrase spricht.

Doch das ist so: Weil du das selber bist.
Verantwortlich ein Stück weit nur.
Ein Stück weit Sozialist.

Wenn wer nach einem ganzen Leben fragt,
Folgst du ein Stück weit seiner Spur.
Nur nie zuviel gewagt!

Vierzehn Zeilen Nemesis

Komm nur herein.
Die Tür ist ja nicht zu.
Es könnte immerhin ja sein:
Was ich dort seh, das bist noch einmal du.

Im Feuerschlund
Gefallne Engel. Ja.
Nachtrauer, sichtbar, log der Mund.
Der Nibelungenweg? Die Nacht ist da.

Lächle! Beweg dich doch!
So sternenkalt und weiß liegt Schnee.
Schon ist der Tag am nächsten. Wo ich kroch,

Zum Pranger, weicht sie nicht.
Du wirst sie kennen, deine Fee.
Sie schächtet deine Seele. Hält Gericht.
 



 
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