Vincenzo

Vagant

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Vincenzo

Vincenzo war empfänglich für gedimmte Tage. Tage an denen ein schwerer Himmel wie ein Decke über der Stadt lag, das Thermometer bei der Null verharrte und nur ein paar Kerzen sein kleines Stehcafé in karamellfarbenen Licht versinken ließ.
Zum Feierabend löschte er die Kerzen und nahm die Jacke von Haken. Bevor er die Tür schloss schaute sich noch einmal um.
Vincenzo 'Sheriff' Gambroli, dachte er sich, der kleine Itaker aus der Nordstadt, der, dem aber auch niemand jemals etwas zugetraut hatte, dieser Bastard, genau der, der hatte sich dies hier aufgebaut, Chacka. Und er wünschte, sein Vater könne dies alles sehen.
Er schloss den Laden, schlug den Kragen hoch, vergrub die Hände in den Taschen und ging.

Er sah, dass in 'Heng's Khmer Wok' noch Licht brannte. 'Heng's Khmer Wok' war neu im Viertel. In seiner Kindheit befand sich in diesem Ladengeschäft eine kleine Schusterwerkstadt, in der seine Mutter regelmäßig Vincenzos Fußballschuhe flicken ließ, bis nichts mehr an ihnen zu retten war. Er hatte den Gestank von altem Leder und Klebstoff noch Jahre später in der Nase und konnte sich gut an die mürrischen Blicke des Meisters erinnern, der die Schlappen hundert Mal in seinen Händen drehte, und dessen Blick zu sagen schien, dass diese ganze Näherei, für die drei Mark die Vincenzos Mutter zahlen konnte, ihn noch in den Ruin treiben werde.
Er öffnete die Tür und ging hinein. Vincenzo mochte diesen fernen Hauch von Sesamöl, Ingwer und Garam-Masala der die Wände nun wie eine Patina überzogen hatte, er mochte die leise Musik, die immer irgendwo nahe der Zimmerdecke zu schweben schien, und er mochte die zurückhaltende Freundlichkeit mit der die Hengs ihr Geschäft führten.
Frau Heng war gerade damit beschäftigt die drei kleinen Tische abzuwischen. Als sie Vincenzo bemerkte, legte sie die Handflächen aneinander, hob sie zum Kinn und sagte ein kaum hörbares 'djum reap sua'. Vincenzo fragte, ob er noch etwas bekommen könne. Frau Heng ging zum Tresen, rief etwas in die Küche und deutet Vincenzo er solle nach hinten gehen. Bitte, schauen sie, Herr Sheriff, schauen sie.

Vincenzo lehnte im Türrahmen, der einmal den Laden von der Werkstadt des Schusters trennte, und schaute Herrn Heng dabei zu, wie er die Wokpfanne noch einmal über die Flamme stellte, Öl, Ingwer und Zwiebeln dazu gab und dies alles gekonnt durch rührte. Bei jedem Handgriff schaute Herr Heng über seine Schulter, sagte ᧮᧪᧯ ᧢᧼᧫᧰᧾᧶᧴᧡ und ᧢᧯᧶᧭᧡᧻᧿᧨᧦᧤᧫, deutete auf die vor ihm liegenden Karotten, Paprika und Dinge die Vincenco nicht erkennen konnte, nickte, wartete auf Vincenzos zustimmendes Nicken, lächelte ein kurzes Lächeln, das wie ein Luftballon aufzusteigen schien, sagte dann ᧫᧰ ᧡᧺᧯ ᧦᧤᧢᧨᧻᧼᧽ ᧾᧸᧦ und warf eines nach dem anderen in die Pfanne. Er schaute wieder über seine Schulter, nickte erneut, ließ den nächsten Ballon steigen, sagte ᧪᧬ ᧧᧪᧫ ᧼ , griff nach Sojasoße und verschiedenen Pasten, rührte erneut alles durch und kommentierte dies alles mit '᧢᧯᧽᧦ ᧼᧸᧨᧡᧱ ᧽᧾᧨ ', was Vincenzo aber genau so wenig verstand wie das Vorangegangene.
Um ihm zu bescheinigen, dass es so sicher perfekte, ja fast schon meraviglioso sei, nickte Vincenzo nun noch heftiger. Und als Vincenzo da nun dort im Türrahmen stand, in Herrn Hengs lebhafte Augen blickte, sich dem Klang dieser fernen Sprache hingab und dabei das Lächeln dieses alten Mannes sah, da fühlte er sich, vielleicht das erste Mal seit Jahren, zurückversetzt in eine Szene aus seiner Kindheit, die er schon längst vergessen glaubte. Er war sieben, vielleicht acht, und es war das einzige Mal, dass die Familie die Eltern seines Vaters in Italien besuchten. Er sieht sich im Türrahmen dieser lichtgefluteten umbrischen Küche stehen und schaut dabei zu, wie seine Großmutter und eine seiner Tanten damit beschäftigt sind den Teig für die Pasta zu kneten, Tomaten und Zucchini zu schneiden, Kräuter zu hacken, und dabei die ganze Zeit in einer fremden Sprache, von der Vincenzo allenfalls ein paar Brocken versteht, auf ihn einzureden. Immer wieder streichen sie ihm über den Kopf und sagten etwas wie bello ragazzo, una bello ragazzo. Und diese nebligen Erinnerungen mischten sich nun mit den Gerüchen dieser fremden Küche und den Geräuschen dieser fernen Sprache, sodass es ihm schwer ums Herz wurde, und er froh darüber war, sich im Türrahmen festhalten zu können.

Sie sind nur einmal zu den Großeltern gefahren, denn für weitere Reisen fehlte ihnen immer das Geld. Der Vater sei ein Tagträumer, sagte seine Mutter immer, ein Tagträumer der dem lieben Gott den Tag stiehlt – worunter sich Vincenzo nie etwas Genaues vorstellen konnte. Und dieser Tagedieb hat den lieben langen Tag nichts anders zu tun als darauf zu warten, dass der Visconti oder Pasolini oder weiß der Kuckuck wie der heißt hier anruft und ihm ein Billet für den Zug nach Cinacittà schickt, damit er dort den Italowestern retten kann, der Träumer.
Vincenzo war zehn als der Vater die Familie verlassen hatte. Seine Mutter hatte seit diesem Tag nie wieder ein Wort Italienisch mit ihm gesprochen.

Er ließ sich das Essen einpacken, zahlte und verabschiedete sich. Als er zu Hause angekommen war hörte er seinen Anrufbeantworter ab. Es gab eine Nachricht. Kathrin bat, dass er zurückrufen solle. Er kannte Kathrin schon so lange wie er zurückdenken konnte und irgendwann in all den Jahren hatten sie mal was zusammen. Vincenzo stellte das Essen auf den Küchentisch, lehnte sich an den Kühlschrank und wählte ihre Nummer. Sie redeten ein paar Minuten über dieses und jenes, über gemeinsame alte Bekannte, ihre Eltern und Geschwister, über die Bars die neu in der Stadt waren, und die Schuppen die es nun schon lange nicht mehr gab.
Dann sagte sie, dass sie manchmal an ihn denken müsse und er sich gerne öfter mal bei ihr melden könne, und dass sie heute Abend nichts weiter vor hätte und er vielleicht mal auf ein Glas vorbei schauen könnte, oder sie sich zusammen einen Film anschauen könnten, er mochte doch immer die Sachen vom Fatih Akin so gern.
Und nun versuchte sich Vincenzo vorzustellen, wie Kathrin zu Hause auf ihren Füßen sitzt, mit einer Hand in den Haaren spielt oder nach einer Tasse Tee greift.
Es gelang ihm nicht.
Er hätte gerade ein Essen auf dem Herd, log er, und dass er heute doch recht müde sei, sich aber in den nächsten Tagen mal bei ihr melden werde, sicher.
Ja, sagte sie, sie würde verstehen. Und eigentlich sei sie ja auch müde.
Sie redeten noch einige Minuten. Dann legten sie auf.

Vincenzo schaltete den Fernseher an, zappte sich auf der Suche nach irgendeiner Fußballübertragung durch die Kanäle und aß. Nach dem Essen ging er auf den Balkon und zündete sich eine Zigarette an.
Es ist verdammt kalt, dachte er, während der Rauch von einer Böe davon getragen wurde. Er sog langsam die Luft durch die Nase. Es roch nach Schnee.
Er trat von der Brüstung zurück und beschloss den Rest der Zigarette in der Balkontür zu rauchen. Als er fertig war schnippte er die Kippe in die Nacht und blieb noch ein paar Augenblicke auf der Schwelle stehen. Und als er da so stand dachte er, dass es immer die Türschwellen gewesen sind, auf denen er sich am wohlsten gefühlt hat.
 
Flüssiger Stil, gefällt mir gut und regt den Leser an, weiterzulesen. Aber so ein richtigkrachender Plot fehlt hier schon, das ist das Manka an der Geschichte. iregdetwas müsste passieren ...
 

Vagant

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hallo m. milan,
danke fürs lesen. natürlich hast du recht. es gibt keinen plot, jedenfalls keinen der diesen namen verdient.
ein mann macht feierabend, nimmt sich was zu essen mit, führt ein telefonat und am ende geht er eine rauchen - ziemlich dünn.
aber dafür habe ich wenigstens mal einen konflikt. die episode ist ein teil mehrere kurzer geschichten, die örtlich und thematisch irgendwie verzahnt sind, ohne dabei eine fortsetzungsgeschichte zu sein. etwas im stil eines episodenfilms. falls du interesse hast: "3 minuten", hier im kurzgeschichtenforum.
lg vagant.
 

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Vincenzo war empfänglich für gedimmte Tage. Tage an denen ein schwerer Himmel wie ein Decke über der Stadt lag, das Thermometer bei der Null verharrte und nur ein paar Kerzen sein kleines Stehcafé in karamellfarbenen Licht versinken ließ.
Zum Feierabend löschte er die Kerzen und nahm die Jacke von Haken. Bevor er die Tür schloss schaute sich noch einmal um.
Vincenzo 'Sheriff' Gambroli, dachte er sich, der kleine Itaker aus der Nordstadt, der, dem aber auch niemand jemals etwas zugetraut hatte, dieser Bastard, genau der, der hatte sich dies hier aufgebaut, Chacka. Und er wünschte, sein Vater könne dies alles sehen.
Er schloss den Laden, schlug den Kragen hoch, vergrub die Hände in den Taschen und ging.

Er sah, dass in 'Heng's Khmer Wok' noch Licht brannte. 'Heng's Khmer Wok' war neu im Viertel. In seiner Kindheit befand sich in diesem Ladengeschäft eine kleine Schusterwerkstadt, in der seine Mutter regelmäßig Vincenzos Fußballschuhe flicken ließ, bis nichts mehr an ihnen zu retten war. Er hatte den Gestank von altem Leder und Klebstoff noch Jahre später in der Nase und konnte sich gut an die mürrischen Blicke des Meisters erinnern, der die Schlappen hundert Mal in seinen Händen drehte, und dessen Blick zu sagen schien, dass diese ganze Näherei, für die drei Mark die Vincenzos Mutter zahlen konnte, ihn noch in den Ruin treiben werde.
Er öffnete die Tür und ging hinein. Vincenzo mochte diesen fernen Hauch von Sesamöl, Ingwer und Garam-Masala der die Wände nun wie eine Patina überzogen hatte, er mochte die leise Musik, die immer irgendwo nahe der Zimmerdecke zu schweben schien, und er mochte die zurückhaltende Freundlichkeit mit der die Hengs ihr Geschäft führten.
Frau Heng war gerade damit beschäftigt die drei kleinen Tische abzuwischen. Als sie Vincenzo bemerkte, legte sie die Handflächen aneinander, hob sie zum Kinn und sagte ein kaum hörbares 'djum reap sua'. Vincenzo fragte, ob er noch etwas bekommen könne. Frau Heng ging zum Tresen, rief etwas in die Küche und deutet Vincenzo er solle nach hinten gehen. Bitte, schauen sie, Herr Sheriff, schauen sie.

Vincenzo lehnte im Türrahmen, der einmal den Laden von der Werkstadt des Schusters trennte, und schaute Herrn Heng dabei zu, wie er die Wokpfanne noch einmal über die Flamme stellte, Öl, Ingwer und Zwiebeln dazu gab und dies alles gekonnt durch rührte. Bei jedem Handgriff schaute Herr Heng über seine Schulter, sagte ᧮᧪᧯ ᧢᧼᧫᧰᧾᧶᧴᧡ und ᧢᧯᧶᧭᧡᧻᧿᧨᧦᧤᧫, deutete auf die vor ihm liegenden Karotten, Paprika und Dinge die Vincenco nicht erkennen konnte, nickte, wartete auf Vincenzos zustimmendes Nicken, lächelte ein kurzes Lächeln, das wie ein Luftballon aufzusteigen schien, sagte dann ᧫᧰ ᧡᧺᧯ ᧦᧤᧢᧨᧻᧼᧽ ᧾᧸᧦ und warf eines nach dem anderen in die Pfanne. Er schaute wieder über seine Schulter, nickte erneut, ließ den nächsten Ballon steigen, sagte ᧪᧬ ᧧᧪᧫ ᧼ , griff nach Sojasoße und verschiedenen Pasten, rührte erneut alles durch und kommentierte dies alles mit '᧢᧯᧽᧦ ᧼᧸᧨᧡᧱ ᧽᧾᧨ ', was Vincenzo aber genau so wenig verstand wie das Vorangegangene.
Um ihm zu bescheinigen, dass es so sicher perfekte, ja fast schon meraviglioso sei, nickte Vincenzo nun noch heftiger. Und als Vincenzo da nun dort im Türrahmen stand, in Herrn Hengs lebhafte Augen blickte, sich dem Klang dieser fernen Sprache hingab und dabei das Lächeln dieses alten Mannes sah, da fühlte er sich, vielleicht das erste Mal seit Jahren, zurückversetzt in eine Szene aus seiner Kindheit, die er schon längst vergessen glaubte. Er war sieben, vielleicht acht, und es war das einzige Mal, dass die Familie die Eltern seines Vaters in Italien besuchten. Er sieht sich im Türrahmen dieser lichtgefluteten umbrischen Küche stehen und schaut dabei zu, wie seine Großmutter und eine seiner Tanten damit beschäftigt sind den Teig für die Pasta zu kneten, Tomaten und Zucchini zu schneiden, Kräuter zu hacken, und dabei die ganze Zeit in einer fremden Sprache, von der Vincenzo allenfalls ein paar Brocken versteht, auf ihn einreden. Immer wieder streichen sie ihm über den Kopf und sagten etwas wie bello ragazzo, una bello ragazzo. Und diese nebligen Erinnerungen mischten sich nun mit den Gerüchen dieser fremden Küche und den Geräuschen dieser fernen Sprache, sodass es ihm schwer ums Herz wurde, und er froh darüber war, sich im Türrahmen festhalten zu können.

Sie sind nur einmal zu den Großeltern gefahren, denn für weitere Reisen fehlte ihnen immer das Geld. Der Vater sei ein Tagträumer, sagte seine Mutter immer, ein Tagträumer der dem lieben Gott den Tag stiehlt – worunter sich Vincenzo nie etwas Genaues vorstellen konnte. Und dieser Tagedieb hat den lieben langen Tag nichts anders zu tun als darauf zu warten, dass der Visconti oder Pasolini oder weiß der Kuckuck wie der heißt hier anruft und ihm ein Billet für den Zug nach Cinacittà schickt, damit er dort den Italowestern retten kann, der Träumer.
Vincenzo war zehn als der Vater die Familie verlassen hatte. Seine Mutter hatte seit diesem Tag nie wieder ein Wort Italienisch mit ihm gesprochen.

Er ließ sich das Essen einpacken, zahlte und verabschiedete sich. Als er zu Hause angekommen war hörte er seinen Anrufbeantworter ab. Es gab eine Nachricht. Kathrin bat, dass er zurückrufen solle. Er kannte Kathrin schon so lange wie er zurückdenken konnte und irgendwann in all den Jahren hatten sie mal was zusammen. Vincenzo stellte das Essen auf den Küchentisch, lehnte sich an den Kühlschrank und wählte ihre Nummer. Sie redeten ein paar Minuten über dieses und jenes, über gemeinsame alte Bekannte, ihre Eltern und Geschwister, über die Bars die neu in der Stadt waren, und die Schuppen die es nun schon lange nicht mehr gab.
Dann sagte sie, dass sie manchmal an ihn denken müsse und er sich gerne öfter mal bei ihr melden könne, und dass sie heute Abend nichts weiter vor hätte und er vielleicht mal auf ein Glas vorbei schauen könnte, oder sie sich zusammen einen Film anschauen könnten, er mochte doch immer die Sachen vom Fatih Akin so gern.
Und nun versuchte sich Vincenzo vorzustellen, wie Kathrin zu Hause auf ihren Füßen sitzt, mit einer Hand in den Haaren spielt oder nach einer Tasse Tee greift.
Es gelang ihm nicht.
Er hätte gerade ein Essen auf dem Herd, log er, und dass er heute doch recht müde sei, sich aber in den nächsten Tagen mal bei ihr melden werde, sicher.
Ja, sagte sie, sie würde verstehen. Und eigentlich sei sie ja auch müde.
Sie redeten noch einige Minuten. Dann legten sie auf.

Vincenzo schaltete den Fernseher an, zappte sich auf der Suche nach irgendeiner Fußballübertragung durch die Kanäle und aß. Nach dem Essen ging er auf den Balkon und zündete sich eine Zigarette an.
Es ist verdammt kalt, dachte er, während der Rauch von einer Böe davon getragen wurde. Er sog langsam die Luft durch die Nase. Es roch nach Schnee.
Er trat von der Brüstung zurück und beschloss den Rest der Zigarette in der Balkontür zu rauchen. Als er fertig war schnippte er die Kippe in die Nacht und blieb noch ein paar Augenblicke auf der Schwelle stehen. Und als er da so stand dachte er, dass es immer die Türschwellen gewesen sind, auf denen er sich am wohlsten gefühlt hat.
 

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Vincenzo war empfänglich für gedimmte Tage. Tage an denen ein schwerer Himmel wie ein Decke über der Stadt lag, das Thermometer bei der Null verharrte und nur ein paar Kerzen sein kleines Stehcafé in karamellfarbenen Licht versinken ließ.
Zum Feierabend löschte er die Kerzen und nahm die Jacke von Haken. Bevor er die Tür schloss schaute sich noch einmal um.
Vincenzo 'Sheriff' Gambroli, dachte er sich, der kleine Itaker aus der Nordstadt, der, dem aber auch niemand jemals etwas zugetraut hatte, dieser Bastard, genau der, der hatte sich dies hier aufgebaut, Chacka. Und er wünschte, sein Vater könne dies alles sehen.
Er schloss den Laden, schlug den Kragen hoch, vergrub die Hände in den Taschen und ging.

Er sah, dass in 'Heng's Khmer Wok' noch Licht brannte. 'Heng's Khmer Wok' war neu im Viertel. In seiner Kindheit befand sich in diesem Ladengeschäft eine kleine Schusterwerkstadt, in der seine Mutter regelmäßig Vincenzos Fußballschuhe flicken ließ, bis nichts mehr an ihnen zu retten war. Er hatte den Gestank von altem Leder und Klebstoff noch Jahre später in der Nase und konnte sich gut an die mürrischen Blicke des Meisters erinnern, der die Schlappen hundert Mal in seinen Händen drehte, und dessen Blick zu sagen schien, dass diese ganze Näherei, für die drei Mark die Vincenzos Mutter zahlen konnte, ihn noch in den Ruin treiben werde.
Er öffnete die Tür und ging hinein. Vincenzo mochte diesen fernen Hauch von Sesamöl, Ingwer und Garam-Masala der die Wände nun wie eine Patina überzogen hatte, er mochte die leise Musik, die immer irgendwo nahe der Zimmerdecke zu schweben schien, und er mochte die zurückhaltende Freundlichkeit mit der die Hengs ihr Geschäft führten.
Frau Heng war gerade damit beschäftigt die drei kleinen Tische abzuwischen. Als sie Vincenzo bemerkte, legte sie die Handflächen aneinander, hob sie zum Kinn und sagte ein kaum hörbares 'djum reap sua'. Vincenzo fragte, ob er noch etwas bekommen könne. Frau Heng ging zum Tresen, rief etwas in die Küche und deutet Vincenzo er solle nach hinten gehen. Bitte, schauen sie, Herr Sheriff, schauen sie.

Vincenzo lehnte im Türrahmen, der einmal den Laden von der Werkstadt des Schusters trennte, und schaute Herrn Heng dabei zu, wie er die Wokpfanne noch einmal über die Flamme stellte, Öl, Ingwer und Zwiebeln dazu gab und dies alles gekonnt durch rührte. Bei jedem Handgriff schaute Herr Heng über seine Schulter, sagte ᧮᧪᧯ ᧢᧼᧫᧰᧾᧶᧴᧡ und ᧢᧯᧶᧭᧡᧻᧿᧨᧦᧤᧫, deutete auf die vor ihm liegenden Karotten, Paprika und Dinge die Vincenco nicht erkennen konnte, nickte, wartete auf Vincenzos zustimmendes Nicken, lächelte ein kurzes Lächeln, das wie ein Luftballon aufzusteigen schien, sagte dann ᧫᧰ ᧡᧺᧯ ᧦᧤᧢᧨᧻᧼᧽ ᧾᧸᧦ und warf eines nach dem anderen in die Pfanne. Er schaute wieder über seine Schulter, nickte erneut, ließ den nächsten Ballon steigen, sagte ᧪᧬ ᧧᧪᧫ ᧼ , griff dann nach der Sojasoße, dann nach verschiedenen Pasten, rührte erneut alles durch und kommentierte dies mit '᧢᧯᧽᧦ ᧼᧸᧨᧡᧱ ᧽᧾᧨ ', was Vincenzo aber genau so wenig verstand wie das Vorangegangene.
Um ihm zu bescheinigen, dass es so sicher perfekte, ja fast schon meraviglioso sei, nickte Vincenzo nun noch heftiger. Und als Vincenzo da nun dort im Türrahmen stand, in Herrn Hengs lebhafte Augen blickte, sich dem Klang dieser fernen Sprache hingab und dabei das Lächeln dieses alten Mannes sah, da fühlte er sich, vielleicht das erste Mal seit Jahren, zurückversetzt in eine Szene aus seiner Kindheit, die er schon längst vergessen glaubte. Er war sieben, vielleicht acht, und es war das einzige Mal, dass die Familie die Eltern seines Vaters in Italien besuchten. Er sieht sich im Türrahmen dieser lichtgefluteten umbrischen Küche stehen und schaut dabei zu, wie seine Großmutter und eine seiner Tanten damit beschäftigt sind den Teig für die Pasta zu kneten, Tomaten und Zucchini zu schneiden, Kräuter zu hacken, und dabei die ganze Zeit in einer fremden Sprache, von der Vincenzo allenfalls ein paar Brocken versteht, auf ihn einreden. Immer wieder streichen sie ihm über den Kopf und sagten etwas wie bello ragazzo, una bello ragazzo. Und diese nebligen Erinnerungen mischten sich nun mit den Gerüchen dieser fremden Küche und den Geräuschen dieser fernen Sprache, sodass es ihm schwer ums Herz wurde, und er froh darüber war, sich im Türrahmen festhalten zu können.

Sie sind nur einmal zu den Großeltern gefahren, denn für weitere Reisen fehlte ihnen immer das Geld. Der Vater sei ein Tagträumer, sagte seine Mutter immer, ein Tagträumer der dem lieben Gott den Tag stiehlt – worunter sich Vincenzo nie etwas Genaues vorstellen konnte. Und dieser Tagedieb hat den lieben langen Tag nichts anders zu tun als darauf zu warten, dass der Visconti oder Pasolini oder weiß der Kuckuck wie der heißt hier anruft und ihm ein Billet für den Zug nach Cinacittà schickt, damit er dort den Italowestern retten kann, der Träumer.
Vincenzo war zehn als der Vater die Familie verlassen hatte. Seine Mutter hatte seit diesem Tag nie wieder ein Wort Italienisch mit ihm gesprochen.

Er ließ sich das Essen einpacken, zahlte und verabschiedete sich. Als er zu Hause angekommen war hörte er seinen Anrufbeantworter ab. Es gab eine Nachricht. Kathrin bat, dass er zurückrufen solle. Er kannte Kathrin schon so lange wie er zurückdenken konnte und irgendwann in all den Jahren hatten sie mal was zusammen. Vincenzo stellte das Essen auf den Küchentisch, lehnte sich an den Kühlschrank und wählte ihre Nummer. Sie redeten ein paar Minuten über dieses und jenes, über gemeinsame alte Bekannte, ihre Eltern und Geschwister, über die Bars die neu in der Stadt waren, und die Schuppen die es nun schon lange nicht mehr gab.
Dann sagte sie, dass sie manchmal an ihn denken müsse und er sich gerne öfter mal bei ihr melden könne, und dass sie heute Abend nichts weiter vor hätte und er vielleicht mal auf ein Glas vorbei schauen könnte, oder sie sich zusammen einen Film anschauen könnten, er mochte doch immer die Sachen vom Fatih Akin so gern.
Und nun versuchte sich Vincenzo vorzustellen, wie Kathrin zu Hause auf ihren Füßen sitzt, mit einer Hand in den Haaren spielt oder nach einer Tasse Tee greift.
Es gelang ihm nicht.
Er hätte gerade ein Essen auf dem Herd, log er, und dass er heute doch recht müde sei, sich aber in den nächsten Tagen mal bei ihr melden werde, sicher.
Ja, sagte sie, sie würde verstehen. Und eigentlich sei sie ja auch müde.
Sie redeten noch einige Minuten. Dann legten sie auf.

Vincenzo schaltete den Fernseher an, zappte sich auf der Suche nach irgendeiner Fußballübertragung durch die Kanäle und aß. Nach dem Essen ging er auf den Balkon und zündete sich eine Zigarette an.
Es ist verdammt kalt, dachte er, während der Rauch von einer Böe davon getragen wurde. Er sog langsam die Luft durch die Nase. Es roch nach Schnee.
Er trat von der Brüstung zurück und beschloss den Rest der Zigarette in der Balkontür zu rauchen. Als er fertig war schnippte er die Kippe in die Nacht und blieb noch ein paar Augenblicke auf der Schwelle stehen. Und als er da so stand dachte er, dass es immer die Türschwellen gewesen sind, auf denen er sich am wohlsten gefühlt hat.
 

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Vincenzo

(3)Vincenzo war empfänglich für gedimmte Tage. Tage an denen ein schwerer Himmel wie ein Decke über der Stadt lag, das Thermometer bei der Null verharrte und nur ein paar Kerzen sein kleines Stehcafé in karamellfarbenen Licht versinken ließ.
Zum Feierabend löschte er die Kerzen und nahm die Jacke von Haken. Bevor er die Tür schloss schaute sich noch einmal um.
Vincenzo 'Sheriff' Gambroli, dachte er sich, der kleine Itaker aus der Nordstadt, der, dem aber auch niemand jemals etwas zugetraut hatte, dieser Bastard, genau der, der hatte sich dies hier aufgebaut, Chacka. Und er wünschte, sein Vater könne dies alles sehen.
Er schloss den Laden, schlug den Kragen hoch, vergrub die Hände in den Taschen und ging.

Er sah, dass in 'Heng's Khmer Wok' noch Licht brannte. 'Heng's Khmer Wok' war neu im Viertel. In seiner Kindheit befand sich in diesem Ladengeschäft eine kleine Schusterwerkstadt, in der seine Mutter regelmäßig Vincenzos Fußballschuhe flicken ließ, bis nichts mehr an ihnen zu retten war. Er hatte den Gestank von altem Leder und Klebstoff noch Jahre später in der Nase und konnte sich gut an die mürrischen Blicke des Meisters erinnern, der die Schlappen hundert Mal in seinen Händen drehte, und dessen Blick zu sagen schien, dass diese ganze Näherei, für die drei Mark die Vincenzos Mutter zahlen konnte, ihn noch in den Ruin treiben werde.
Er öffnete die Tür und ging hinein. Vincenzo mochte diesen fernen Hauch von Sesamöl, Ingwer und Garam-Masala der die Wände nun wie eine Patina überzogen hatte, er mochte die leise Musik, die immer irgendwo nahe der Zimmerdecke zu schweben schien, und er mochte die zurückhaltende Freundlichkeit mit der die Hengs ihr Geschäft führten.
Frau Heng war gerade damit beschäftigt die drei kleinen Tische abzuwischen. Als sie Vincenzo bemerkte, legte sie die Handflächen aneinander, hob sie zum Kinn und sagte ein kaum hörbares 'djum reap sua'. Vincenzo fragte, ob er noch etwas bekommen könne. Frau Heng ging zum Tresen, rief etwas in die Küche und deutet Vincenzo er solle nach hinten gehen. Bitte, schauen sie, Herr Sheriff, schauen sie.

Vincenzo lehnte im Türrahmen, der einmal den Laden von der Werkstadt des Schusters trennte, und schaute Herrn Heng dabei zu, wie er die Wokpfanne noch einmal über die Flamme stellte, Öl, Ingwer und Zwiebeln dazu gab und dies alles gekonnt durch rührte. Bei jedem Handgriff schaute Herr Heng über seine Schulter, sagte ᧮᧪᧯ ᧢᧼᧫᧰᧾᧶᧴᧡ und ᧢᧯᧶᧭᧡᧻᧿᧨᧦᧤᧫, deutete auf die vor ihm liegenden Karotten, Paprika und Dinge die Vincenco nicht erkennen konnte, nickte, wartete auf Vincenzos zustimmendes Nicken, lächelte ein kurzes Lächeln, das wie ein Luftballon aufzusteigen schien, sagte dann ᧫᧰ ᧡᧺᧯ ᧦᧤᧢᧨᧻᧼᧽ ᧾᧸᧦ und warf eines nach dem anderen in die Pfanne. Er schaute wieder über seine Schulter, nickte erneut, ließ den nächsten Ballon steigen, sagte ᧪᧬ ᧧᧪᧫ ᧼ , griff dann nach der Sojasoße, dann nach verschiedenen Pasten, rührte erneut alles durch und kommentierte dies mit '᧢᧯᧽᧦ ᧼᧸᧨᧡᧱ ᧽᧾᧨ ', was Vincenzo aber genau so wenig verstand wie das Vorangegangene.
Um ihm zu bescheinigen, dass es so sicher perfekte, ja fast schon meraviglioso sei, nickte Vincenzo nun noch heftiger. Und als Vincenzo da nun dort im Türrahmen stand, in Herrn Hengs lebhafte Augen blickte, sich dem Klang dieser fernen Sprache hingab und dabei das Lächeln dieses alten Mannes sah, da fühlte er sich, vielleicht das erste Mal seit Jahren, zurückversetzt in eine Szene aus seiner Kindheit, die er schon längst vergessen glaubte. Er war sieben, vielleicht acht, und es war das einzige Mal, dass die Familie die Eltern seines Vaters in Italien besuchten. Er sieht sich im Türrahmen dieser lichtgefluteten umbrischen Küche stehen und schaut dabei zu, wie seine Großmutter und eine seiner Tanten damit beschäftigt sind den Teig für die Pasta zu kneten, Tomaten und Zucchini zu schneiden, Kräuter zu hacken, und dabei die ganze Zeit in einer fremden Sprache, von der Vincenzo allenfalls ein paar Brocken versteht, auf ihn einreden. Immer wieder streichen sie ihm über den Kopf und sagten etwas wie bello ragazzo, una bello ragazzo. Und diese nebligen Erinnerungen mischten sich nun mit den Gerüchen dieser fremden Küche und den Geräuschen dieser fernen Sprache, sodass es ihm schwer ums Herz wurde, und er froh darüber war, sich im Türrahmen festhalten zu können.

Sie sind nur einmal zu den Großeltern gefahren, denn für weitere Reisen fehlte ihnen immer das Geld. Der Vater sei ein Tagträumer, sagte seine Mutter immer, ein Tagträumer der dem lieben Gott den Tag stiehlt – worunter sich Vincenzo nie etwas Genaues vorstellen konnte. Und dieser Tagedieb hat den lieben langen Tag nichts anders zu tun als darauf zu warten, dass der Visconti oder Pasolini oder weiß der Kuckuck wie der heißt hier anruft und ihm ein Billet für den Zug nach Cinacittà schickt, damit er dort den Italowestern retten kann, der Träumer.
Vincenzo war zehn als der Vater die Familie verlassen hatte. Seine Mutter hatte seit diesem Tag nie wieder ein Wort Italienisch mit ihm gesprochen.

Er ließ sich das Essen einpacken, zahlte und verabschiedete sich. Als er zu Hause angekommen war hörte er seinen Anrufbeantworter ab. Es gab eine Nachricht. Kathrin bat, dass er zurückrufen solle. Er kannte Kathrin schon so lange wie er zurückdenken konnte und irgendwann in all den Jahren hatten sie mal was zusammen. Vincenzo stellte das Essen auf den Küchentisch, lehnte sich an den Kühlschrank und wählte ihre Nummer. Sie redeten ein paar Minuten über dieses und jenes, über gemeinsame alte Bekannte, ihre Eltern und Geschwister, über die Bars die neu in der Stadt waren, und die Schuppen die es nun schon lange nicht mehr gab.
Dann sagte sie, dass sie manchmal an ihn denken müsse und er sich gerne öfter mal bei ihr melden könne, und dass sie heute Abend nichts weiter vor hätte und er vielleicht mal auf ein Glas vorbei schauen könnte, oder sie sich zusammen einen Film anschauen könnten, er mochte doch immer die Sachen vom Fatih Akin so gern.
Und nun versuchte sich Vincenzo vorzustellen, wie Kathrin zu Hause auf ihren Füßen sitzt, mit einer Hand in den Haaren spielt oder nach einer Tasse Tee greift.
Es gelang ihm nicht.
Er hätte gerade ein Essen auf dem Herd, log er, und dass er heute doch recht müde sei, sich aber in den nächsten Tagen mal bei ihr melden werde, sicher.
Ja, sagte sie, sie würde verstehen. Und eigentlich sei sie ja auch müde.
Sie redeten noch einige Minuten. Dann legten sie auf.

Vincenzo schaltete den Fernseher an, zappte sich auf der Suche nach irgendeiner Fußballübertragung durch die Kanäle und aß. Nach dem Essen ging er auf den Balkon und zündete sich eine Zigarette an.
Es ist verdammt kalt, dachte er, während der Rauch von einer Böe davon getragen wurde. Er sog langsam die Luft durch die Nase. Es roch nach Schnee.
Er trat von der Brüstung zurück und beschloss den Rest der Zigarette in der Balkontür zu rauchen. Als er fertig war schnippte er die Kippe in die Nacht und blieb noch ein paar Augenblicke auf der Schwelle stehen. Und als er da so stand dachte er, dass es immer die Türschwellen gewesen sind, auf denen er sich am wohlsten gefühlt hat.
 

Vagant

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Vincenzo

Vincenzo war empfänglich für gedimmte Tage. Tage an denen ein schwerer Himmel wie ein Decke über der Stadt lag, das Thermometer bei der Null verharrte und nur ein paar Kerzen sein kleines Stehcafé in karamellfarbenen Licht versinken ließ.
Zum Feierabend löschte er die Kerzen und nahm die Jacke von Haken. Bevor er die Tür schloss schaute sich noch einmal um.
Vincenzo 'Sheriff' Gambroli, dachte er sich, der kleine Itaker aus der Nordstadt, der, dem aber auch niemand jemals etwas zugetraut hatte, dieser Bastard, genau der, der hatte sich dies hier aufgebaut, Chacka. Und er wünschte, sein Vater könne dies alles sehen.
Er schloss den Laden, schlug den Kragen hoch, vergrub die Hände in den Taschen und ging.

Er sah, dass in 'Heng's Khmer Wok' noch Licht brannte. 'Heng's Khmer Wok' war neu im Viertel. In seiner Kindheit befand sich in diesem Ladengeschäft eine kleine Schusterwerkstadt, in der seine Mutter regelmäßig Vincenzos Fußballschuhe flicken ließ, bis nichts mehr an ihnen zu retten war. Er hatte den Gestank von altem Leder und Klebstoff noch Jahre später in der Nase und konnte sich gut an die mürrischen Blicke des Meisters erinnern, der die Schlappen hundert Mal in seinen Händen drehte, und dessen Blick zu sagen schien, dass diese ganze Näherei, für die drei Mark die Vincenzos Mutter zahlen konnte, ihn noch in den Ruin treiben werde.
Er öffnete die Tür und ging hinein. Vincenzo mochte diesen fernen Hauch von Sesamöl, Ingwer und Garam-Masala der die Wände nun wie eine Patina überzogen hatte, er mochte die leise Musik, die immer irgendwo nahe der Zimmerdecke zu schweben schien, und er mochte die zurückhaltende Freundlichkeit mit der die Hengs ihr Geschäft führten.
Frau Heng war gerade damit beschäftigt die drei kleinen Tische abzuwischen. Als sie Vincenzo bemerkte, legte sie die Handflächen aneinander, hob sie zum Kinn und sagte ein kaum hörbares 'djum reap sua'. Vincenzo fragte, ob er noch etwas bekommen könne. Frau Heng ging zum Tresen, rief etwas in die Küche und deutet Vincenzo er solle nach hinten gehen. Bitte, schauen sie, Herr Sheriff, schauen sie.

Vincenzo lehnte im Türrahmen, der einmal den Laden von der Werkstadt des Schusters trennte, und schaute Herrn Heng dabei zu, wie er die Wokpfanne noch einmal über die Flamme stellte, Öl, Ingwer und Zwiebeln dazu gab und dies alles gekonnt durch rührte. Bei jedem Handgriff schaute Herr Heng über seine Schulter, sagte ᧮᧪᧯ ᧢᧼᧫᧰᧾᧶᧴᧡ und ᧢᧯᧶᧭᧡᧻᧿᧨᧦᧤᧫, deutete auf die vor ihm liegenden Karotten, Paprika und Dinge die Vincenco nicht erkennen konnte, nickte, wartete auf Vincenzos zustimmendes Nicken, lächelte ein kurzes Lächeln, das wie ein Luftballon aufzusteigen schien, sagte dann ᧫᧰ ᧡᧺᧯ ᧦᧤᧢᧨᧻᧼᧽ ᧾᧸᧦ und warf eines nach dem anderen in die Pfanne. Er schaute wieder über seine Schulter, nickte erneut, ließ den nächsten Ballon steigen, sagte ᧪᧬ ᧧᧪᧫ ᧼ , griff dann nach der Sojasoße, dann nach verschiedenen Pasten, rührte erneut alles durch und kommentierte dies mit '᧢᧯᧽᧦ ᧼᧸᧨᧡᧱ ᧽᧾᧨ ', was Vincenzo aber genau so wenig verstand wie das Vorangegangene.
Um ihm zu bescheinigen, dass es so sicher perfekte, ja fast schon meraviglioso sei, nickte Vincenzo nun noch heftiger. Und als Vincenzo da nun dort im Türrahmen stand, in Herrn Hengs lebhafte Augen blickte, sich dem Klang dieser fernen Sprache hingab und dabei das Lächeln dieses alten Mannes sah, da fühlte er sich, vielleicht das erste Mal seit Jahren, zurückversetzt in eine Szene aus seiner Kindheit, die er schon längst vergessen glaubte. Er war sieben, vielleicht acht, und es war das einzige Mal, dass die Familie die Eltern seines Vaters in Italien besuchten. Er sieht sich im Türrahmen dieser lichtgefluteten umbrischen Küche stehen und schaut dabei zu, wie seine Großmutter und eine seiner Tanten damit beschäftigt sind den Teig für die Pasta zu kneten, Tomaten und Zucchini zu schneiden, Kräuter zu hacken, und dabei die ganze Zeit in einer fremden Sprache, von der Vincenzo allenfalls ein paar Brocken versteht, auf ihn einreden. Immer wieder streichen sie ihm über den Kopf und sagten etwas wie bello ragazzo, una bello ragazzo. Und diese nebligen Erinnerungen mischten sich nun mit den Gerüchen dieser fremden Küche und den Geräuschen dieser fernen Sprache, sodass es ihm schwer ums Herz wurde, und er froh darüber war, sich im Türrahmen festhalten zu können.

Sie sind nur einmal zu den Großeltern gefahren, denn für weitere Reisen fehlte ihnen immer das Geld. Der Vater sei ein Tagträumer, sagte seine Mutter immer, ein Tagträumer der dem lieben Gott den Tag stiehlt – worunter sich Vincenzo nie etwas Genaues vorstellen konnte. Und dieser Tagedieb hat den lieben langen Tag nichts anders zu tun als darauf zu warten, dass der Visconti oder Pasolini oder weiß der Kuckuck wie der heißt hier anruft und ihm ein Billet für den Zug nach Cinacittà schickt, damit er dort den Italowestern retten kann, der Träumer.
Vincenzo war zehn als der Vater die Familie verlassen hatte. Seine Mutter hatte seit diesem Tag nie wieder ein Wort Italienisch mit ihm gesprochen.

Er ließ sich das Essen einpacken, zahlte und verabschiedete sich. Als er zu Hause angekommen war hörte er seinen Anrufbeantworter ab. Es gab eine Nachricht. Kathrin bat, dass er zurückrufen solle. Er kannte Kathrin schon so lange wie er zurückdenken konnte und irgendwann in all den Jahren hatten sie mal was zusammen. Vincenzo stellte das Essen auf den Küchentisch, lehnte sich an den Kühlschrank und wählte ihre Nummer. Sie redeten ein paar Minuten über dieses und jenes, über gemeinsame alte Bekannte, ihre Eltern und Geschwister, über die Bars die neu in der Stadt waren, und die Schuppen die es nun schon lange nicht mehr gab.
Dann sagte sie, dass sie manchmal an ihn denken müsse und er sich gerne öfter mal bei ihr melden könne, und dass sie heute Abend nichts weiter vor hätte und er vielleicht mal auf ein Glas vorbei schauen könnte, oder sie sich zusammen einen Film anschauen könnten, er mochte doch immer die Sachen vom Fatih Akin so gern.
Und nun versuchte sich Vincenzo vorzustellen, wie Kathrin zu Hause auf ihren Füßen sitzt, mit einer Hand in den Haaren spielt oder nach einer Tasse Tee greift.
Es gelang ihm nicht.
Er hätte gerade ein Essen auf dem Herd, log er, und dass er heute doch recht müde sei, sich aber in den nächsten Tagen mal bei ihr melden werde, sicher.
Ja, sagte sie, sie würde verstehen. Und eigentlich sei sie ja auch müde.
Sie redeten noch einige Minuten. Dann legten sie auf.

Vincenzo schaltete den Fernseher an, zappte sich auf der Suche nach irgendeiner Fußballübertragung durch die Kanäle und aß. Nach dem Essen ging er auf den Balkon und zündete sich eine Zigarette an.
Es ist verdammt kalt, dachte er, während der Rauch von einer Böe davon getragen wurde. Er sog langsam die Luft durch die Nase. Es roch nach Schnee.
Er trat von der Brüstung zurück und beschloss den Rest der Zigarette in der Balkontür zu rauchen. Als er fertig war schnippte er die Kippe in die Nacht und blieb noch ein paar Augenblicke auf der Schwelle stehen. Und als er da so stand dachte er, dass es immer die Türschwellen gewesen sind, auf denen er sich am wohlsten gefühlt hat.
 

Vagant

Mitglied
Vincenzo

[3]Vincenzo war empfänglich für gedimmte Tage. Tage an denen ein schwerer Himmel wie ein Decke über der Stadt lag, das Thermometer bei der Null verharrte und nur ein paar Kerzen sein kleines Stehcafé in karamellfarbenen Licht versinken ließ.
Zum Feierabend löschte er die Kerzen und nahm die Jacke von Haken. Bevor er die Tür schloss schaute sich noch einmal um.
Vincenzo 'Sheriff' Gambroli, dachte er sich, der kleine Itaker aus der Nordstadt, der, dem aber auch niemand jemals etwas zugetraut hatte, dieser Bastard, genau der, der hatte sich dies hier aufgebaut, Chacka. Und er wünschte, sein Vater könne dies alles sehen.
Er schloss den Laden, schlug den Kragen hoch, vergrub die Hände in den Taschen und ging.

Er sah, dass in 'Heng's Khmer Wok' noch Licht brannte. 'Heng's Khmer Wok' war neu im Viertel. In seiner Kindheit befand sich in diesem Ladengeschäft eine kleine Schusterwerkstadt, in der seine Mutter regelmäßig Vincenzos Fußballschuhe flicken ließ, bis nichts mehr an ihnen zu retten war. Er hatte den Gestank von altem Leder und Klebstoff noch Jahre später in der Nase und konnte sich gut an die mürrischen Blicke des Meisters erinnern, der die Schlappen hundert Mal in seinen Händen drehte, und dessen Blick zu sagen schien, dass diese ganze Näherei, für die drei Mark die Vincenzos Mutter zahlen konnte, ihn noch in den Ruin treiben werde.
Er öffnete die Tür und ging hinein. Vincenzo mochte diesen fernen Hauch von Sesamöl, Ingwer und Garam-Masala der die Wände nun wie eine Patina überzogen hatte, er mochte die leise Musik, die immer irgendwo nahe der Zimmerdecke zu schweben schien, und er mochte die zurückhaltende Freundlichkeit mit der die Hengs ihr Geschäft führten.
Frau Heng war gerade damit beschäftigt die drei kleinen Tische abzuwischen. Als sie Vincenzo bemerkte, legte sie die Handflächen aneinander, hob sie zum Kinn und sagte ein kaum hörbares 'djum reap sua'. Vincenzo fragte, ob er noch etwas bekommen könne. Frau Heng ging zum Tresen, rief etwas in die Küche und deutet Vincenzo er solle nach hinten gehen. Bitte, schauen sie, Herr Sheriff, schauen sie.

Vincenzo lehnte im Türrahmen, der einmal den Laden von der Werkstadt des Schusters trennte, und schaute Herrn Heng dabei zu, wie er die Wokpfanne noch einmal über die Flamme stellte, Öl, Ingwer und Zwiebeln dazu gab und dies alles gekonnt durch rührte. Bei jedem Handgriff schaute Herr Heng über seine Schulter, sagte ᧮᧪᧯ ᧢᧼᧫᧰᧾᧶᧴᧡ und ᧢᧯᧶᧭᧡᧻᧿᧨᧦᧤᧫, deutete auf die vor ihm liegenden Karotten, Paprika und Dinge die Vincenco nicht erkennen konnte, nickte, wartete auf Vincenzos zustimmendes Nicken, lächelte ein kurzes Lächeln, das wie ein Luftballon aufzusteigen schien, sagte dann ᧫᧰ ᧡᧺᧯ ᧦᧤᧢᧨᧻᧼᧽ ᧾᧸᧦ und warf eines nach dem anderen in die Pfanne. Er schaute wieder über seine Schulter, nickte erneut, ließ den nächsten Ballon steigen, sagte ᧪᧬ ᧧᧪᧫ ᧼ , griff dann nach der Sojasoße, dann nach verschiedenen Pasten, rührte erneut alles durch und kommentierte dies mit '᧢᧯᧽᧦ ᧼᧸᧨᧡᧱ ᧽᧾᧨ ', was Vincenzo aber genau so wenig verstand wie das Vorangegangene.
Um ihm zu bescheinigen, dass es so sicher perfekte, ja fast schon meraviglioso sei, nickte Vincenzo nun noch heftiger. Und als Vincenzo da nun dort im Türrahmen stand, in Herrn Hengs lebhafte Augen blickte, sich dem Klang dieser fernen Sprache hingab und dabei das Lächeln dieses alten Mannes sah, da fühlte er sich, vielleicht das erste Mal seit Jahren, zurückversetzt in eine Szene aus seiner Kindheit, die er schon längst vergessen glaubte. Er war sieben, vielleicht acht, und es war das einzige Mal, dass die Familie die Eltern seines Vaters in Italien besuchten. Er sieht sich im Türrahmen dieser lichtgefluteten umbrischen Küche stehen und schaut dabei zu, wie seine Großmutter und eine seiner Tanten damit beschäftigt sind den Teig für die Pasta zu kneten, Tomaten und Zucchini zu schneiden, Kräuter zu hacken, und dabei die ganze Zeit in einer fremden Sprache, von der Vincenzo allenfalls ein paar Brocken versteht, auf ihn einreden. Immer wieder streichen sie ihm über den Kopf und sagten etwas wie bello ragazzo, una bello ragazzo. Und diese nebligen Erinnerungen mischten sich nun mit den Gerüchen dieser fremden Küche und den Geräuschen dieser fernen Sprache, sodass es ihm schwer ums Herz wurde, und er froh darüber war, sich im Türrahmen festhalten zu können.

Sie sind nur einmal zu den Großeltern gefahren, denn für weitere Reisen fehlte ihnen immer das Geld. Der Vater sei ein Tagträumer, sagte seine Mutter immer, ein Tagträumer der dem lieben Gott den Tag stiehlt – worunter sich Vincenzo nie etwas Genaues vorstellen konnte. Und dieser Tagedieb hat den lieben langen Tag nichts anders zu tun als darauf zu warten, dass der Visconti oder Pasolini oder weiß der Kuckuck wie der heißt hier anruft und ihm ein Billet für den Zug nach Cinacittà schickt, damit er dort den Italowestern retten kann, der Träumer.
Vincenzo war zehn als der Vater die Familie verlassen hatte. Seine Mutter hatte seit diesem Tag nie wieder ein Wort Italienisch mit ihm gesprochen.

Er ließ sich das Essen einpacken, zahlte und verabschiedete sich. Als er zu Hause angekommen war hörte er seinen Anrufbeantworter ab. Es gab eine Nachricht. Kathrin bat, dass er zurückrufen solle. Er kannte Kathrin schon so lange wie er zurückdenken konnte und irgendwann in all den Jahren hatten sie mal was zusammen. Vincenzo stellte das Essen auf den Küchentisch, lehnte sich an den Kühlschrank und wählte ihre Nummer. Sie redeten ein paar Minuten über dieses und jenes, über gemeinsame alte Bekannte, ihre Eltern und Geschwister, über die Bars die neu in der Stadt waren, und die Schuppen die es nun schon lange nicht mehr gab.
Dann sagte sie, dass sie manchmal an ihn denken müsse und er sich gerne öfter mal bei ihr melden könne, und dass sie heute Abend nichts weiter vor hätte und er vielleicht mal auf ein Glas vorbei schauen könnte, oder sie sich zusammen einen Film anschauen könnten, er mochte doch immer die Sachen vom Fatih Akin so gern.
Und nun versuchte sich Vincenzo vorzustellen, wie Kathrin zu Hause auf ihren Füßen sitzt, mit einer Hand in den Haaren spielt oder nach einer Tasse Tee greift.
Es gelang ihm nicht.
Er hätte gerade ein Essen auf dem Herd, log er, und dass er heute doch recht müde sei, sich aber in den nächsten Tagen mal bei ihr melden werde, sicher.
Ja, sagte sie, sie würde verstehen. Und eigentlich sei sie ja auch müde.
Sie redeten noch einige Minuten. Dann legten sie auf.

Vincenzo schaltete den Fernseher an, zappte sich auf der Suche nach irgendeiner Fußballübertragung durch die Kanäle und aß. Nach dem Essen ging er auf den Balkon und zündete sich eine Zigarette an.
Es ist verdammt kalt, dachte er, während der Rauch von einer Böe davon getragen wurde. Er sog langsam die Luft durch die Nase. Es roch nach Schnee.
Er trat von der Brüstung zurück und beschloss den Rest der Zigarette in der Balkontür zu rauchen. Als er fertig war schnippte er die Kippe in die Nacht und blieb noch ein paar Augenblicke auf der Schwelle stehen. Und als er da so stand dachte er, dass es immer die Türschwellen gewesen sind, auf denen er sich am wohlsten gefühlt hat.
 

Vagant

Mitglied
Vincenzo

[3]Vincenzo war empfänglich für gedimmte Tage. Tage an denen ein schwerer Himmel wie ein Decke über der Stadt lag, das Thermometer bei der Null verharrte und nur ein paar Kerzen sein kleines Stehcafé in karamellfarbenen Licht versinken ließ.
Zum Feierabend löschte er die Kerzen und nahm die Jacke von Haken. Bevor er die Tür schloss schaute sich noch einmal um.
Vincenzo 'Sheriff' Gambroli, dachte er sich, der kleine Itaker aus der Nordstadt, der, dem aber auch niemand jemals etwas zugetraut hatte, dieser Bastard, genau der, der hatte sich dies hier aufgebaut, Chacka. Und er wünschte, sein Vater könne dies alles sehen.
Er schloss den Laden, schlug den Kragen hoch, vergrub die Hände in den Taschen und ging.

Er sah, dass in 'Heng's Khmer Wok' noch Licht brannte. 'Heng's Khmer Wok' war neu im Viertel. In seiner Kindheit befand sich in diesem Ladengeschäft eine kleine Schusterwerkstadt, in der seine Mutter regelmäßig Vincenzos Fußballschuhe flicken ließ, bis nichts mehr an ihnen zu retten war. Er hatte den Gestank von altem Leder und Klebstoff noch Jahre später in der Nase und konnte sich gut an die mürrischen Blicke des Meisters erinnern, der die Schlappen hundert Mal in seinen Händen drehte, und dessen Blick zu sagen schien, dass diese ganze Näherei, für die drei Mark die Vincenzos Mutter zahlen konnte, ihn noch in den Ruin treiben werde.
Er öffnete die Tür und ging hinein. Vincenzo mochte diesen fernen Hauch von Sesamöl, Ingwer und Garam-Masala der die Wände nun wie eine Patina überzogen hatte, er mochte die leise Musik, die immer irgendwo nahe der Zimmerdecke zu schweben schien, und er mochte die zurückhaltende Freundlichkeit mit der die Hengs ihr Geschäft führten.
Frau Heng war gerade damit beschäftigt die drei kleinen Tische abzuwischen. Als sie Vincenzo bemerkte, legte sie die Handflächen aneinander, hob sie zum Kinn und sagte ein kaum hörbares 'djum reap sua'. Vincenzo fragte, ob er noch etwas bekommen könne. Frau Heng ging zum Tresen, rief etwas in die Küche und deutet Vincenzo er solle nach hinten gehen. Bitte, schauen sie, Herr Sheriff, schauen sie.

Vincenzo lehnte im Türrahmen, der einmal den Laden von der Werkstadt des Schusters trennte, und schaute Herrn Heng dabei zu, wie er die Wokpfanne noch einmal über die Flamme stellte, Öl, Ingwer und Zwiebeln dazu gab und dies alles gekonnt durch rührte. Bei jedem Handgriff schaute Herr Heng über seine Schulter, sagte ᧮᧪᧯ ᧢᧼᧫᧰᧾᧶᧴᧡ und ᧢᧯᧶᧭᧡᧻᧿᧨᧦᧤᧫, deutete auf die vor ihm liegenden Karotten, Paprika und Dinge die Vincenco nicht erkennen konnte, nickte, wartete auf Vincenzos zustimmendes Nicken, lächelte ein kurzes Lächeln, das wie ein Luftballon aufzusteigen schien, sagte dann ᧫᧰ ᧡᧺᧯ ᧦᧤᧢᧨᧻᧼᧽ ᧾᧸᧦ und warf eines nach dem anderen in die Pfanne. Er schaute wieder über seine Schulter, nickte erneut, ließ den nächsten Ballon steigen, sagte ᧪᧬ ᧧᧪᧫ ᧼ , griff dann nach der Sojasoße, dann nach verschiedenen Pasten, rührte erneut alles durch und kommentierte dies mit '᧢᧯᧽᧦ ᧼᧸᧨᧡᧱ ᧽᧾᧨ ', was Vincenzo aber genau so wenig verstand wie das Vorangegangene.
Um ihm zu bescheinigen, dass es so sicher perfekte, ja fast schon meraviglioso sei, nickte Vincenzo nun noch heftiger. Und als Vincenzo da nun dort im Türrahmen stand, in Herrn Hengs lebhafte Augen blickte, sich dem Klang dieser fernen Sprache hingab und dabei das Lächeln dieses alten Mannes sah, da fühlte er sich, vielleicht das erste Mal seit Jahren, zurückversetzt in eine Szene aus seiner Kindheit, die er schon längst vergessen glaubte. Er war sieben, vielleicht acht, und es war das einzige Mal, dass die Familie die Eltern seines Vaters in Italien besuchten. Er sieht sich im Türrahmen dieser lichtgefluteten umbrischen Küche stehen und schaut dabei zu, wie seine Großmutter und eine seiner Tanten damit beschäftigt sind den Teig für die Pasta zu kneten, Tomaten und Zucchini zu schneiden, Kräuter zu hacken, und dabei die ganze Zeit in einer fremden Sprache, von der Vincenzo allenfalls ein paar Brocken versteht, auf ihn einreden. Immer wieder streichen sie ihm über den Kopf und sagten etwas wie bello ragazzo, una bello ragazzo. Und diese nebligen Erinnerungen mischten sich nun mit den Gerüchen dieser fremden Küche und den Geräuschen dieser fernen Sprache, sodass es ihm schwer ums Herz wurde, und er froh darüber war, sich im Türrahmen festhalten zu können.

Sie sind nur einmal zu den Großeltern gefahren, denn für weitere Reisen fehlte ihnen immer das Geld. Der Vater sei ein Tagträumer, sagte seine Mutter immer, ein Tagträumer der dem lieben Gott den Tag stiehlt – worunter sich Vincenzo nie etwas Genaues vorstellen konnte. Und dieser Tagedieb hat den lieben langen Tag nichts anders zu tun als darauf zu warten, dass der Visconti oder Pasolini oder weiß der Kuckuck wie der heißt hier anruft und ihm ein Billet für den Zug nach Cinacittà schickt, damit er dort den Italowestern retten kann, der Träumer.
Vincenzo war zehn als der Vater die Familie verlassen hatte. Seine Mutter hatte seit diesem Tag nie wieder ein Wort Italienisch mit ihm gesprochen.

Er ließ sich das Essen einpacken, zahlte und verabschiedete sich. Als er zu Hause angekommen war hörte er seinen Anrufbeantworter ab. Es gab eine Nachricht. Kathrin bat, dass er zurückrufen solle. Er kannte Kathrin schon so lange wie er zurückdenken konnte und irgendwann in all den Jahren hatten sie mal was zusammen. Vincenzo stellte das Essen auf den Küchentisch, lehnte sich an den Kühlschrank und wählte ihre Nummer. Sie redeten ein paar Minuten über dieses und jenes, über gemeinsame alte Bekannte, ihre Eltern und Geschwister, über die Bars die neu in der Stadt waren, und die Schuppen die es nun schon lange nicht mehr gab.
Dann sagte sie, dass sie manchmal an ihn denken müsse und er sich gerne öfter mal bei ihr melden könne, und dass sie heute Abend nichts weiter vor hätte und er vielleicht mal auf ein Glas vorbei schauen könnte, oder sie sich zusammen einen Film anschauen könnten, er mochte doch immer die Sachen vom Fatih Akin so gern.
Und nun versuchte sich Vincenzo vorzustellen, wie Kathrin zu Hause auf ihren Füßen sitzt, mit einer Hand in den Haaren spielt oder nach einer Tasse Tee greift.
Es gelang ihm nicht.
Er hätte gerade ein Essen auf dem Herd, log er, und dass er heute doch recht müde sei, sich aber in den nächsten Tagen mal bei ihr melden werde, sicher.
Ja, sagte sie, sie würde verstehen. Und eigentlich sei sie ja auch müde.
Sie redeten noch einige Minuten. Dann legten sie auf.

Vincenzo schaltete den Fernseher an, zappte sich auf der Suche nach irgendeiner Fußballübertragung durch die Kanäle und aß. Nach dem Essen ging er auf den Balkon und zündete sich eine Zigarette an.
Es ist verdammt kalt, dachte er, während der Rauch von einer Böe davon getragen wurde. Er sog langsam die Luft durch die Nase. Es roch nach Schnee.
Er trat von der Brüstung zurück und beschloss den Rest der Zigarette in der Balkontür zu rauchen. Als er fertig war schnippte er die Kippe in die Nacht und blieb noch ein paar Augenblicke auf der Schwelle stehen. Und als er da so stand dachte er, dass es immer die Türschwellen gewesen sind, auf denen er sich am wohlsten gefühlt hat.
 

Vagant

Mitglied
Vincenzo

Vincenzo war empfänglich für gedimmte Tage. Tage an denen ein schwerer Himmel wie ein Decke über der Stadt lag, das Thermometer bei der Null verharrte und nur ein paar Kerzen sein kleines Stehcafé in karamellfarbenen Licht versinken ließ.
Zum Feierabend löschte er die Kerzen und nahm die Jacke von Haken. Bevor er die Tür schloss schaute sich noch einmal um.
Vincenzo 'Sheriff' Gambroli, dachte er sich, der kleine Itaker aus der Nordstadt, der, dem aber auch niemand jemals etwas zugetraut hatte, dieser Bastard, genau der, der hatte sich dies hier aufgebaut, Chacka. Und er wünschte, sein Vater könne dies alles sehen.
Er schloss den Laden, schlug den Kragen hoch, vergrub die Hände in den Taschen und ging.

Er sah, dass in 'Heng's Khmer Wok' noch Licht brannte. 'Heng's Khmer Wok' war neu im Viertel. In seiner Kindheit befand sich in diesem Ladengeschäft eine kleine Schusterwerkstadt, in der seine Mutter regelmäßig Vincenzos Fußballschuhe flicken ließ, bis nichts mehr an ihnen zu retten war. Er hatte den Gestank von altem Leder und Klebstoff noch Jahre später in der Nase und konnte sich gut an die mürrischen Blicke des Meisters erinnern, der die Schlappen hundert Mal in seinen Händen drehte, und dessen Blick zu sagen schien, dass diese ganze Näherei, für die drei Mark die Vincenzos Mutter zahlen konnte, ihn noch in den Ruin treiben werde.
Er öffnete die Tür und ging hinein. Vincenzo mochte diesen fernen Hauch von Sesamöl, Ingwer und Garam-Masala der die Wände nun wie eine Patina überzogen hatte, er mochte die leise Musik, die immer irgendwo nahe der Zimmerdecke zu schweben schien, und er mochte die zurückhaltende Freundlichkeit mit der die Hengs ihr Geschäft führten.
Frau Heng war gerade damit beschäftigt die drei kleinen Tische abzuwischen. Als sie Vincenzo bemerkte, legte sie die Handflächen aneinander, hob sie zum Kinn und sagte ein kaum hörbares 'djum reap sua'. Vincenzo fragte, ob er noch etwas bekommen könne. Frau Heng ging zum Tresen, rief etwas in die Küche und deutet Vincenzo er solle nach hinten gehen. Bitte, schauen sie, Herr Sheriff, schauen sie.

Vincenzo lehnte im Türrahmen, der einmal den Laden von der Werkstadt des Schusters trennte, und schaute Herrn Heng dabei zu, wie er die Wokpfanne noch einmal über die Flamme stellte, Öl, Ingwer und Zwiebeln dazu gab und dies alles gekonnt durch rührte. Bei jedem Handgriff schaute Herr Heng über seine Schulter, sagte ᧮᧪᧯ ᧢᧼᧫᧰᧾᧶᧴᧡ und ᧢᧯᧶᧭᧡᧻᧿᧨᧦᧤᧫, deutete auf die vor ihm liegenden Karotten, Paprika und Dinge die Vincenco nicht erkennen konnte, nickte, wartete auf Vincenzos zustimmendes Nicken, lächelte ein kurzes Lächeln, das wie ein Luftballon aufzusteigen schien, sagte dann ᧫᧰ ᧡᧺᧯ ᧦᧤᧢᧨᧻᧼᧽ ᧾᧸᧦ und warf eines nach dem anderen in die Pfanne. Er schaute wieder über seine Schulter, nickte erneut, ließ den nächsten Ballon steigen, sagte ᧪᧬ ᧧᧪᧫ ᧼ , griff dann nach der Sojasoße, dann nach verschiedenen Pasten, rührte erneut alles durch und kommentierte dies mit '᧢᧯᧽᧦ ᧼᧸᧨᧡᧱ ᧽᧾᧨ ', was Vincenzo aber genau so wenig verstand wie das Vorangegangene.
Um ihm zu bescheinigen, dass es so sicher perfekte, ja fast schon meraviglioso sei, nickte Vincenzo nun noch heftiger. Und als Vincenzo da nun dort im Türrahmen stand, in Herrn Hengs lebhafte Augen blickte, sich dem Klang dieser fernen Sprache hingab und dabei das Lächeln dieses alten Mannes sah, da fühlte er sich, vielleicht das erste Mal seit Jahren, zurückversetzt in eine Szene aus seiner Kindheit, die er schon längst vergessen glaubte. Er war sieben, vielleicht acht, und es war das einzige Mal, dass die Familie die Eltern seines Vaters in Italien besuchten. Er sieht sich im Türrahmen dieser lichtgefluteten umbrischen Küche stehen und schaut dabei zu, wie seine Großmutter und eine seiner Tanten damit beschäftigt sind den Teig für die Pasta zu kneten, Tomaten und Zucchini zu schneiden, Kräuter zu hacken, und dabei die ganze Zeit in einer fremden Sprache, von der Vincenzo allenfalls ein paar Brocken versteht, auf ihn einreden. Immer wieder streichen sie ihm über den Kopf und sagten etwas wie bello ragazzo, una bello ragazzo. Und diese nebligen Erinnerungen mischten sich nun mit den Gerüchen dieser fremden Küche und den Geräuschen dieser fernen Sprache, sodass es ihm schwer ums Herz wurde, und er froh darüber war, sich im Türrahmen festhalten zu können.

Sie sind nur einmal zu den Großeltern gefahren, denn für weitere Reisen fehlte ihnen immer das Geld. Der Vater sei ein Tagträumer, sagte seine Mutter immer, ein Tagträumer der dem lieben Gott den Tag stiehlt – worunter sich Vincenzo nie etwas Genaues vorstellen konnte. Und dieser Tagedieb hat den lieben langen Tag nichts anders zu tun als darauf zu warten, dass der Visconti oder Pasolini oder weiß der Kuckuck wie der heißt hier anruft und ihm ein Billet für den Zug nach Cinacittà schickt, damit er dort den Italowestern retten kann, der Träumer.
Vincenzo war zehn als der Vater die Familie verlassen hatte. Seine Mutter hatte seit diesem Tag nie wieder ein Wort Italienisch mit ihm gesprochen.

Er ließ sich das Essen einpacken, zahlte und verabschiedete sich. Als er zu Hause angekommen war hörte er seinen Anrufbeantworter ab. Es gab eine Nachricht. Kathrin bat, dass er zurückrufen solle. Er kannte Kathrin schon so lange wie er zurückdenken konnte und irgendwann in all den Jahren hatten sie mal was zusammen. Vincenzo stellte das Essen auf den Küchentisch, lehnte sich an den Kühlschrank und wählte ihre Nummer. Sie redeten ein paar Minuten über dieses und jenes, über gemeinsame alte Bekannte, ihre Eltern und Geschwister, über die Bars die neu in der Stadt waren, und die Schuppen die es nun schon lange nicht mehr gab.
Dann sagte sie, dass sie manchmal an ihn denken müsse und er sich gerne öfter mal bei ihr melden könne, und dass sie heute Abend nichts weiter vor hätte und er vielleicht mal auf ein Glas vorbei schauen könnte, oder sie sich zusammen einen Film anschauen könnten, er mochte doch immer die Sachen vom Fatih Akin so gern.
Und nun versuchte sich Vincenzo vorzustellen, wie Kathrin zu Hause auf ihren Füßen sitzt, mit einer Hand in den Haaren spielt oder nach einer Tasse Tee greift.
Es gelang ihm nicht.
Er hätte gerade ein Essen auf dem Herd, log er, und dass er heute doch recht müde sei, sich aber in den nächsten Tagen mal bei ihr melden werde, sicher.
Ja, sagte sie, sie würde verstehen. Und eigentlich sei sie ja auch müde.
Sie redeten noch einige Minuten. Dann legten sie auf.

Vincenzo schaltete den Fernseher an, zappte sich auf der Suche nach irgendeiner Fußballübertragung durch die Kanäle und aß. Nach dem Essen ging er auf den Balkon und zündete sich eine Zigarette an.
Es ist verdammt kalt, dachte er, während der Rauch von einer Böe davon getragen wurde. Er sog langsam die Luft durch die Nase. Es roch nach Schnee.
Er trat von der Brüstung zurück und beschloss den Rest der Zigarette in der Balkontür zu rauchen. Als er fertig war schnippte er die Kippe in die Nacht und blieb noch ein paar Augenblicke auf der Schwelle stehen. Und als er da so stand dachte er, dass es immer die Türschwellen gewesen sind, auf denen er sich am wohlsten gefühlt hat.
 

Vagant

Mitglied
Vincenzo

[ 3]Vincenzo war empfänglich für gedimmte Tage. Tage an denen ein schwerer Himmel wie ein Decke über der Stadt lag, das Thermometer bei der Null verharrte und nur ein paar Kerzen sein kleines Stehcafé in karamellfarbenen Licht versinken ließ.
Zum Feierabend löschte er die Kerzen und nahm die Jacke von Haken. Bevor er die Tür schloss schaute sich noch einmal um.
Vincenzo 'Sheriff' Gambroli, dachte er sich, der kleine Itaker aus der Nordstadt, der, dem aber auch niemand jemals etwas zugetraut hatte, dieser Bastard, genau der, der hatte sich dies hier aufgebaut, Chacka. Und er wünschte, sein Vater könne dies alles sehen.
Er schloss den Laden, schlug den Kragen hoch, vergrub die Hände in den Taschen und ging.

Er sah, dass in 'Heng's Khmer Wok' noch Licht brannte. 'Heng's Khmer Wok' war neu im Viertel. In seiner Kindheit befand sich in diesem Ladengeschäft eine kleine Schusterwerkstadt, in der seine Mutter regelmäßig Vincenzos Fußballschuhe flicken ließ, bis nichts mehr an ihnen zu retten war. Er hatte den Gestank von altem Leder und Klebstoff noch Jahre später in der Nase und konnte sich gut an die mürrischen Blicke des Meisters erinnern, der die Schlappen hundert Mal in seinen Händen drehte, und dessen Blick zu sagen schien, dass diese ganze Näherei, für die drei Mark die Vincenzos Mutter zahlen konnte, ihn noch in den Ruin treiben werde.
Er öffnete die Tür und ging hinein. Vincenzo mochte diesen fernen Hauch von Sesamöl, Ingwer und Garam-Masala der die Wände nun wie eine Patina überzogen hatte, er mochte die leise Musik, die immer irgendwo nahe der Zimmerdecke zu schweben schien, und er mochte die zurückhaltende Freundlichkeit mit der die Hengs ihr Geschäft führten.
Frau Heng war gerade damit beschäftigt die drei kleinen Tische abzuwischen. Als sie Vincenzo bemerkte, legte sie die Handflächen aneinander, hob sie zum Kinn und sagte ein kaum hörbares 'djum reap sua'. Vincenzo fragte, ob er noch etwas bekommen könne. Frau Heng ging zum Tresen, rief etwas in die Küche und deutet Vincenzo er solle nach hinten gehen. Bitte, schauen sie, Herr Sheriff, schauen sie.

Vincenzo lehnte im Türrahmen, der einmal den Laden von der Werkstadt des Schusters trennte, und schaute Herrn Heng dabei zu, wie er die Wokpfanne noch einmal über die Flamme stellte, Öl, Ingwer und Zwiebeln dazu gab und dies alles gekonnt durch rührte. Bei jedem Handgriff schaute Herr Heng über seine Schulter, sagte ᧮᧪᧯ ᧢᧼᧫᧰᧾᧶᧴᧡ und ᧢᧯᧶᧭᧡᧻᧿᧨᧦᧤᧫, deutete auf die vor ihm liegenden Karotten, Paprika und Dinge die Vincenco nicht erkennen konnte, nickte, wartete auf Vincenzos zustimmendes Nicken, lächelte ein kurzes Lächeln, das wie ein Luftballon aufzusteigen schien, sagte dann ᧫᧰ ᧡᧺᧯ ᧦᧤᧢᧨᧻᧼᧽ ᧾᧸᧦ und warf eines nach dem anderen in die Pfanne. Er schaute wieder über seine Schulter, nickte erneut, ließ den nächsten Ballon steigen, sagte ᧪᧬ ᧧᧪᧫ ᧼ , griff dann nach der Sojasoße, dann nach verschiedenen Pasten, rührte erneut alles durch und kommentierte dies mit '᧢᧯᧽᧦ ᧼᧸᧨᧡᧱ ᧽᧾᧨ ', was Vincenzo aber genau so wenig verstand wie das Vorangegangene.
Um ihm zu bescheinigen, dass es so sicher perfekte, ja fast schon meraviglioso sei, nickte Vincenzo nun noch heftiger. Und als Vincenzo da nun dort im Türrahmen stand, in Herrn Hengs lebhafte Augen blickte, sich dem Klang dieser fernen Sprache hingab und dabei das Lächeln dieses alten Mannes sah, da fühlte er sich, vielleicht das erste Mal seit Jahren, zurückversetzt in eine Szene aus seiner Kindheit, die er schon längst vergessen glaubte. Er war sieben, vielleicht acht, und es war das einzige Mal, dass die Familie die Eltern seines Vaters in Italien besuchten. Er sieht sich im Türrahmen dieser lichtgefluteten umbrischen Küche stehen und schaut dabei zu, wie seine Großmutter und eine seiner Tanten damit beschäftigt sind den Teig für die Pasta zu kneten, Tomaten und Zucchini zu schneiden, Kräuter zu hacken, und dabei die ganze Zeit in einer fremden Sprache, von der Vincenzo allenfalls ein paar Brocken versteht, auf ihn einreden. Immer wieder streichen sie ihm über den Kopf und sagten etwas wie bello ragazzo, una bello ragazzo. Und diese nebligen Erinnerungen mischten sich nun mit den Gerüchen dieser fremden Küche und den Geräuschen dieser fernen Sprache, sodass es ihm schwer ums Herz wurde, und er froh darüber war, sich im Türrahmen festhalten zu können.

Sie sind nur einmal zu den Großeltern gefahren, denn für weitere Reisen fehlte ihnen immer das Geld. Der Vater sei ein Tagträumer, sagte seine Mutter immer, ein Tagträumer der dem lieben Gott den Tag stiehlt – worunter sich Vincenzo nie etwas Genaues vorstellen konnte. Und dieser Tagedieb hat den lieben langen Tag nichts anders zu tun als darauf zu warten, dass der Visconti oder Pasolini oder weiß der Kuckuck wie der heißt hier anruft und ihm ein Billet für den Zug nach Cinacittà schickt, damit er dort den Italowestern retten kann, der Träumer.
Vincenzo war zehn als der Vater die Familie verlassen hatte. Seine Mutter hatte seit diesem Tag nie wieder ein Wort Italienisch mit ihm gesprochen.

Er ließ sich das Essen einpacken, zahlte und verabschiedete sich. Als er zu Hause angekommen war hörte er seinen Anrufbeantworter ab. Es gab eine Nachricht. Kathrin bat, dass er zurückrufen solle. Er kannte Kathrin schon so lange wie er zurückdenken konnte und irgendwann in all den Jahren hatten sie mal was zusammen. Vincenzo stellte das Essen auf den Küchentisch, lehnte sich an den Kühlschrank und wählte ihre Nummer. Sie redeten ein paar Minuten über dieses und jenes, über gemeinsame alte Bekannte, ihre Eltern und Geschwister, über die Bars die neu in der Stadt waren, und die Schuppen die es nun schon lange nicht mehr gab.
Dann sagte sie, dass sie manchmal an ihn denken müsse und er sich gerne öfter mal bei ihr melden könne, und dass sie heute Abend nichts weiter vor hätte und er vielleicht mal auf ein Glas vorbei schauen könnte, oder sie sich zusammen einen Film anschauen könnten, er mochte doch immer die Sachen vom Fatih Akin so gern.
Und nun versuchte sich Vincenzo vorzustellen, wie Kathrin zu Hause auf ihren Füßen sitzt, mit einer Hand in den Haaren spielt oder nach einer Tasse Tee greift.
Es gelang ihm nicht.
Er hätte gerade ein Essen auf dem Herd, log er, und dass er heute doch recht müde sei, sich aber in den nächsten Tagen mal bei ihr melden werde, sicher.
Ja, sagte sie, sie würde verstehen. Und eigentlich sei sie ja auch müde.
Sie redeten noch einige Minuten. Dann legten sie auf.

Vincenzo schaltete den Fernseher an, zappte sich auf der Suche nach irgendeiner Fußballübertragung durch die Kanäle und aß. Nach dem Essen ging er auf den Balkon und zündete sich eine Zigarette an.
Es ist verdammt kalt, dachte er, während der Rauch von einer Böe davon getragen wurde. Er sog langsam die Luft durch die Nase. Es roch nach Schnee.
Er trat von der Brüstung zurück und beschloss den Rest der Zigarette in der Balkontür zu rauchen. Als er fertig war schnippte er die Kippe in die Nacht und blieb noch ein paar Augenblicke auf der Schwelle stehen. Und als er da so stand dachte er, dass es immer die Türschwellen gewesen sind, auf denen er sich am wohlsten gefühlt hat.
 



 
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