Vom Gehen im Schnee

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El Gazzo

Mitglied
Dichter Nebel verwandelt das oberösterreichische Machland zwischen Mauthausen und Grein in eine Waschküche. Ein trüber Ersatz für ein kalendergerechtes tief verschneites Winterbild. Aber das Machland ist ein Flachland und heute gerade ein bisschen angezuckert.

Das Wetter kann mich an diesem klirrend blauen Jännertag also nicht daran hindern, eine flotte Runde zu gehen. Bei minus drei Grad quillt mein Atem in gleichmäßigem Rhythmus aus meinem Mund, wie eine mäßig belastete Dampfmaschine. Der Reif klebt an Büschen und Bäumen entlang des Naarn-Flusses und verleiht ihnen das Aussehen von pelzigen Junggeweihen. Vereinzelte Vögel klammern sich ängstlich ans Geäst, als ob sie es bereuen, nicht mit ihren sensibleren Artgenossen für ein paar Monate in den Süden gezogen zu sein.

Meine Gedanken zerstreuen sich, verlieren sich bald hier, bald dort hin, graben ihre eigenen Kanäle. Da trete ich versehentlich in eine zugefrorene Pfütze. Dabei entsteht ein Geräusch, das irgendwie nicht dazu passt, sich aus den vielen Alltagsgeräuschen ausgliedert. Es zu beschreiben, fällt mir schwer. Zunächst kann ich keinen Vergleich finden. Es ist ein Knacken, ein scharfes Knacken, fast schon ein Krachen, wie ein Schuss. Trocken und ohne jedes Echo, wie ein Hammerschlag auf einen wulstigen Porzellanteller.

Andererseits bin ich geradezu angetan von diesem schallenden Kontrast, der ein Loch schlägt in die landschaftliche Stille und anders ist als alles, was meine Ohren in den vergangenen Tagen, Wochen, ja Monaten umgab. Zögernd weitergehend wenden sich meine Gedanken wieder dem „Fort-Schritt“ zu, die Eisfläche schon weit hinter mir.

Doch nach dieser Feststellung werde ich hellhöriger. Der nächsten gefrorenen Lache sehe ich mit Erwartung entgegen. Da es in den vergangenen Tagen wärmer war und mehrmals regnete, lässt diese nicht lange auf sich warten. Sie erscheint mir wie das Modell eines Bergsees. Beim gezielten Aufsetzen meines Fußes bricht die Decke abermals. Ich erwarte jenes „krach“, das mir noch in den Ohren sitzt. Aber es hört sich völlig anders an. Nicht mehr hell und scharf, sondern kompakt und stumpf. Genau genommen entstehen zwei Geräusche knapp hintereinander, als kommen sie jedes aus einer anderen Quelle.

Das erste, einem Winseln oder Ächzen verwandt, klingt so als ob sich das Eis erst überlegen muss, ob es brechen soll. Obwohl das alles sehr schnell geht, erfahre ich doch den Eindruck, als dehne sich dieser Laut, zöge er sich zäh in die Länge.
Das zweite, das den größeren Anteil hat, ist irgendwie hohl, reißt nicht so jäh ab. Ja, es hallt sogar ein bisschen nach und wird dadurch wuchtiger. Ich erschrecke, weil ich der Eisdecke soviel Varianz nicht zutraue. Mein sportlicher Ausflug bekommt so, völlig unerwartet, eine zusätzliche Bedeutung als akustische Erkundungstour.

Die nächste vermeintliche Schallquelle erspähe ich schon von weitem, da sich ein verirrter Sonnenstrahl in ihr spiegelt. Ein gezielter Tritt - ein neues Erlebnis. So geht es wieder und wieder. Selten gleicht ein Brechen dem anderen. Einmal fühle ich mich an einen Donnerschlag erinnert, manchmal an eine losbrechende Lawine, einmal sogar an eine rollende Kugel beim Roulette. Ich beginne die Klangfarbe mitzu- bestimmen, indem ich mehr oder weniger an den Rand der Pfütze steige oder mit unterschiedlicher Stärke auftrete. Ähnlich einem Trommler, der auf seinem Instrument auf dieselbe Weise die Töne variiert.

Ich habe längst gewendet und kann so die Einbrüche, die meine Schuhgröße zeigen, aus einer anderen Perspektive sehen. Der kleine Ausflug geht gleichzeitig mit meiner Kondition zu Ende, da ich auf dem Rückweg mein Tempo beschleunige.
Nach einer knappen Stunde, in der wohlverdienten Badewanne weiter dampfend, komme ich zum Schluss, an diesem Tag auf eine kindliche Weise das Gehen neu entdeckt zu haben. Das Gehen - im Schnee.
 

wondering

Mitglied
Hallo Snowwalker,

das gefällt mir gut, wie bewusst du deinen Spaziergang gemacht und wie genau du Einzelheiten wiedergegeben hast.
Fein beobachtet, den Moment genossen...
so kommt es sehr lebendig bei mir an.

schön!

ich habe nur eine ganz winzige Anmerkung:
"Vereinzelte Vögel klammern sich ängstlich ans Geäst, als ob sie es bereuen, nicht mit ihren sensiblen Artgenossen für ein paar Monate in den Süden gezogen zu sein. "

...als ob sie es bereuTen... Konjunktiv

aber es ist winzig gegenüber deinem Bewusst-Sein :)

Viele Grüße
wondering
 

Rainer

Mitglied
hallo el gazzo,

auch von mir zuerst einmal herzlichen glückwunsch zu diesem text. sowohl sprachlich als auch inhaltlich finde ich ihn faszinierend; auch ansonsten schließe ich mich wondering voll an.

ein paar kleine problemchen habe ich aber noch damit :) :

der schon von wondering "monierte" satz. bereuen oder bereuten? da gefällt mir bereuen besser (`tschuldigung wondering :)), da die armen federnträger es wohl noch immer tun. mir "missfällt" ein anderes wort: sensibel. wären die verbliebenen vögel nicht empfindsam (sensibel), so würden sie doch unbeeindruckt von väterchen frost auf ihren ästen hocken. demnach fände ich sensibleren besser, da die zugvögel stark vereinfacht (wir lassen mal alle anderen aspekte aussen vor :)) einfach empfindsamer als die hiergebliebenen sind.

das bild des hammerschlages auf den dickwulstigen porzellanteller finde ich schräg. bei mir stellt sich einfach kein ton im kopf dazu ein, der mit eigenen "pfützenkrachenlassen - erfahrungen" korrelliert. birst der teller, so springen doch einzelne teilstücke davon, und erzeugen eigene, höherfrequente töne. das dürfte aber einem pfützentritt nicht passieren. selbst wenn stücke aus der pfütze herausfliegen sollten, fallen diese meines erachtens nach anders als porzellan (dichteunterschied).


trotzdem, es ist ein sehr schöner und vor allem schwulstfreier text, an den ich bei meinem nächsten winterspaziergang bestimmt denken werde.


viele grüße

rainer
 

El Gazzo

Mitglied
Hallo Wondering

Ich stimme deiner Verbesserung mit Freude zu. Danke für deine Wortmeldung.

Hallo Rainer

Auch dir sei Bedankung angetan, denn dein Vorschlag ist ebenfalls besser als meine Lösung.
Im letzten Punkt stimme ich dir allerdings nicht zu. Das Eis fliegt nicht weg, sondern bricht ein. Der darunterliegende Raum wirkt als Resonanzkörper, wie bei einer Gitarre. Das ist es ja, was auch hohl klingen kann. Zerbrich mal einen dicken Blumentopf, es hört sich an wie ein dumpfer Knall.
Ein besseres Wort für "wulstig" hätte ich allerdings auch gern. Es steht für "dick". Die dünnen klingen heller.

Liebe Grüsse und einen schönen Tag

El Gazzo
 

Rainer

Mitglied
hallo el gazzo,

okay :).
statt wulstig (bezeichnet meines erachtens nach auch mehr den rand) fallen mir spontan nur sehr unprosaische wörter wie dickwandig, klobig etc. ein, die mir auch nicht gefallen.

zwei unbeholfene vorschläge:
beschrieb es doch so, wie du es mir beschrieben hast; mit dem blumentopf.
oder ersetze den porzellanteller durch eine fallende steingutschüssel.

oberlehrerhafter exkurs: porzellan, steingut oder ton (ich denke du meinst einen ton-blumentopf) sind unterschiedliche materialien; zwar sind es alles keramiken, aber sehr differenziert in ihrer inneren struktur (die für den klang beim brechen ausschlaggebend ist)
porzellan: sehr hart, deswegen heller klang beim brechen
(vergl. glas)
steingut: weniger hart, und meist, auf grund des gröberen ausgangsmaterials, mit großer wandstärke verarbeitet (tiefer ton)
ton: am "weichesten", da die körner je nach brenntemperatur nur teilweise bis kaum miteinander versintert sind, kommt es beim bruch zur verschiebung der körner gegeneinander, aber die körner selbst brechen nicht durch (sehr tiefer ton).
(vergl. den dumpfen klang beim auftreffen eines steines auf nassen sand; oder ein gegen die hausmauer geworfener schneeball. auch hier werden unterstrukturen gegeneinander verschoben, aber nicht gebrochen).


viele grüße

rainerneunmalklug
 

El Gazzo

Mitglied
Hi Rainer,

Ich kann an Recherchen nicht anrüchiges finden, ganz im Gegenteil!!
Auseinandersetzung dritter mit meinen Werken (?!?!),
der Sache auf den Grund gehen,
gibt es was Schöneres...

Danke für deine Zeit

El Gazzo
 
L

Lotte Werther

Gast
Lieber El Gazzo,

Ich las deinen Text und bin überrascht.
Kenne ich dich doch bisher aus den Lyrik-Foren, wo du Akzente setzt.

Dein Gehen im Schnee hat Widerhall in mir ausgelöst. Ich hörte das Eis knacken, hatte auch mit dem Porzellanteller keine Mühe und deine kindliche Freude auf die nächste Pfütze ist mir sowieso sehr nahe.

Dein Stil hat sich im Vergleich zum ersten hier eingestellten Prosatext grundlegend geändert.
Er ist nun kompakt, präzise, ohne überflüssigen Ausschmückungen. Mit kleinen Ausnahmen, zum Beispiel dem Nebensatz zu den Vögeln, die im Geäst klammern. Dieser Satz würde bei mir einfach lauten: "Vereinzelte Vögel klammern sich ängstlich ans Geäst".

Ich gratuliere zu diesem Ergebnis und wünsche weiter viel Freude am Schreiben mit immer besseren Texten.

Lotte Werther
 



 
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