Vom Smaragd und der Couch

5,00 Stern(e) 1 Stimme

Silberpfeil

Mitglied
An grauen, regenverhangenen Tagen halte ich mich gerne in einem warmen, gemütlichen Zimmer auf. Gerade jetzt genieße ich den Ausblick auf eine nasskalte Regenlandschaft, doch ich fühle mich nicht behaglich. Die Couch, auf der ich sitze, ist zwar sehr gemütlich, sie erinnert mich aber auch an das große, grüne Sofa meiner Eltern, aus längst vergangenen Zeiten.

Dort habe ich viele glückliche Augenblicke erlebt. Momente der Freude und der Geborgenheit. So dachte ich zumindest, aber es gab auch Zeiten, die nicht so schön waren. Zeiten, die alles veränderten. Einmal, damals war ich vier Jahre alt, hat Mami aus Versehen Papas Schatz umgestoßen.

Sein Schatz war ein großer, ringförmiger Smaragd, der nach oben etwas schmaler wurde und eine Öffnung hatte. Ich weiß noch, wie er den Smaragd immer angehoben hat, um dann die Öffnung zu küssen, ganz kurz nur. Jedenfalls hatte er immer behauptet, dass es ihm Glück bringt, wenn er den Schatz küsst, je öfter, desto besser. Doch obwohl ich noch sehr klein war, ahnte ich, dass darin eine Flüssigkeit enthalten war, die er heimlich getrunken hat. Daher stellte ich mir vor, dass es sich vielleicht um eine Art Lebenselixier handelt, das ihm Glück und Freude bringt. Schon immer war ich neugierig darauf, welche geheimen Kräfte es auszulösen vermochte, doch ich hatte mich nie getraut, heimlich etwas davon zu nehmen, denn der herbe, leicht bittere Geruch schreckte mich ab. Ich glaube, an manchen Tagen brauchte Papa mehr Glück als an anderen, denn dann verlangte er von Mami, dass sie ihm mehrere Smaragde brachte, auch wenn er davon immer irgendwie müde wurde. Mami gefiel das gar nicht, aber sie hat ihm trotzdem nie widersprochen.

Papa und ich haben in diesen Momenten viel gemeinsam gelacht, über die Menschen im Fernsehen oder einfach so, ohne besonderen Grund. Er hat sich sogar freiwillig mit mir Zeichentricksendungen angeschaut. Am liebsten mochte ich Bugs Bunny und obwohl auch ich es wirklich lustig fand, wie das Häschen sprach und an seiner Karotte kaute, konnte ich Papas Reaktion darauf nicht ganz verstehen, denn er konnte sich selten auf der Couch halten, wenn Bugs Bunny anfing seine Weisheiten des Tages preiszugeben. Papa verfiel dann in einen so heftigen Lachkrampf, dass er, sich den Bauch haltend, auf den Boden rutschte, mit Tränen in den Augen und erst Minuten später wieder klar sprechen konnte. Ehrlich gesagt fand ich dieses Verhalten dann doch übertrieben und es wäre mir lieber gewesen, wenn er nicht so explodiert wäre, aber weil ich ihn ja lieb hatte, ließ ich mir mein Unbehagen nicht anmerken und lachte für gewöhnlich einfach mit.

Mit Mami habe ich tagsüber immer viele spannende Dinge erlebt. Zum Beispiel gingen wir oft in den Supermarkt, wo ich von der netten Wurstverkäuferin ein Stück Fleischwurst bekam oder wir besuchten das Postamt, wo so ein seltsamer Mann uns bediente, der das ganze Gesicht voller Haare hatte. Er kam uns immer entgegen, wenn er uns das Postamt betraten sah, um Mami die Pakete abzunehmen, die sie verschicken wollte. Sie hatte nämlich oft Rückenschmerzen und ab und zu taten ihr auch die Arme weh und waren ganz blau, wenn sie sich, wie sie sagte, gestoßen hat. Aber am Abend hatte Mami meistens schlechte Laune. Sie gesellte sich daher selten zu uns ins Wohnzimmer und putzte lieber die Küche. Doch an diesem einen Abend wollte sie Papa wohl etwas Gutes tun, denn sie brachte ihm seine Zigaretten. Dabei hat sie aus Versehen seinen Smaragd umgestoßen. Er fiel vom Tisch, mit der Öffnung nach unten, bespritzte die grüne Couch mit seinem Inhalt und landete dann auf der Seite liegend auf dem Teppich, der sich schnell dunkel färbte.

Ich war verwirrt. In meiner Phantasie hatte ich mir immer ausgemalt, dass das übelriechende Elixier die gleiche Farbe hat, wie der Smaragd selbst, aber der Teppich wurde einfach nur immer dunkler. Mit meinen vier Jahren hatte ich schon einige Flecken gesehen, viele davon sogar selbst verursacht, aber dieser hier war neu für mich. Meine Neugier gewann die Oberhand und so streckte ich meine Hand aus, die Gedanken einzig auf die immer größer werdende Pfütze am Boden gerichtet.

Plötzlich riss jemand meinen Arm nach oben und vor lauter Schreck wäre ich fast über den kleinen Wohnzimmertisch gestolpert. Ich blickte in das Gesicht meiner Mutter und sie sah wieder so müde aus. Sie sagte nur ein einziges Wort: „Nein“, aber sie sagte es in einem Ton, bei dem ich mich sofort schlecht fühlte, ohne zu wissen warum. War sie wütend auf mich?
Ich wollte doch nur kurz den Fleck berühren, mehr nicht. Was war geschehen, dass sie plötzlich so verändert wirkte?

Papa griff nach seinen Zigaretten und Mami sagte irgendetwas zu ihm, lauter als vorher. Ich weiß nicht was sie gesagt hat, nur dass sie jetzt definitiv wütend klang. Der Fleck ging mir nicht aus dem Kopf. Mein Blick wanderte zu dem Smaragd am Boden, doch er war nicht mehr da. Ich suchte den Raum ab und entdeckte ihn am Boden neben der Tür, in tausend winzig kleine Teile zersprungen. Vom flackernden Licht des Fernsehers beleuchtet, glitzerten die einzelnen Teile in einem satten Grün und der Anblick erschien mir fast schön, aber ich wusste gleich, dass hier etwas nicht stimmte. Wie war er dort hingekommen und was war passiert? "Das war doch Papis Schatz, warum ist er kaputt?", wollte ich laut fragen, doch aus meinem Mund kam nur ein seltsames Quieken.

Mami packte mich unerwartet und heftig. Sie trug mich in mein Kinderzimmer, sprach davon, dass alles gut werden würde, tätschelte dabei mein Haar und mein Gesicht. Sie weinte, stumm, ich merkte es, obwohl ich es lieber nicht mitgekriegt hätte. So aber musste ich wider Willen auch weinen, dabei war mir immer noch nicht bewusst, was gerade geschehen war. Warum war aus dem lustigen Abend plötzlich so eine schreckliche Szene geworden? Mami hielt mich lange im Arm, sprach aber ansonsten kein Wort mehr. Aus dem Wohnzimmer war ebenfalls kein Laut zu hören. Irgendwann schlief ich dann ein.

In dieser Nacht träumte ich böse Träume, aber ich wachte nicht richtig auf. Ich träumte, dass Mami und Papa sich anschrien und dabei schlimme Worte an den Kopf warfen. Ich träumte von kleinen grünen Monstern auf zwei Beinen, mit Messern statt Händen, die mir den Finger abschneiden wollten, um mich davon abzuhalten, den Streit meiner Eltern zu schlichten. In meinem Traum hat Papa uns verlassen. Er packte eine Tasche mit seinen Habseligkeiten und verließ das Haus, ohne sich bei mir zu verabschieden, ohne mich noch einmal in den Arm zu nehmen.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, sprang ich sogleich aus dem Bett und lief, noch im Schlafanzug, ins Wohnzimmer, denn ich wollte mich davon überzeugen, dass alles nur ein schlimmer Traum war. Und so war es scheinbar auch, denn der Raum war aufgeräumt und ordentlich, wie jeden Morgen.

In Wirklichkeit sah ich nur was ich sehen wollte, wusste es aber besser. Papa war nicht mehr da, genauso wie die Scherben und der Fleck am Boden nicht mehr da waren. Mama betrat leise hinter mir das Zimmer und betrachtete mich mit traurigem Blick. Sie sprach aus, was ich bereits ahnte. Papa habe uns verlassen. Er könne uns nun nicht mehr wehtun und wir könnten endlich ein Leben in Ruhe und Frieden führen…!

Damals verstand ich nicht so recht wovon sie sprach. Aus meiner Sicht hatten wir ein schönes Leben, es gab immer viel zu lachen und ich war glücklich. Papa hatte mir nie wehgetan. Seit er nicht mehr zu unserem Leben gehörte - und ich muss zugeben, dass ich ihn nie mehr wiedergesehen habe, da er scheinbar nicht nur uns, sondern auch die Stadt verlassen hatte - vermisste ich ihn und mir fehlten die lustigen Abende auf der Couch, ja selbst seine übertrieben alberne Reaktion auf Bugs Bunny. Mama hat sich toll um mich gekümmert, aber mit ihr war das Leben einfach weniger spaßig.

Jetzt bin ich erwachsen, verheiratet, habe selber eine kleine Tochter und bin selber kurz davor, meinen Ehemann zum Teufel zu jagen. Erst vor zwei Wochen hatte ich das erste Mal ein extrem ausführliches und ehrliches Gespräch mit meiner Mutter über meinen Vater. Erst jetzt weiß ich gänzlich, was damals passiert ist, wie oft sie von ihm geschlagen wurde, wenn ich bereits schlief und dass sie die Prügelattacken vor mir und anderen Menschen verheimlicht hat, um mich zu beschützen. Sie erzählte mir, wie tief der Schock saß und welche Angst sie ausgestanden hatte, nachdem der Mann, den sie so sehr liebte, sie das erste Mal geschlagen hatte. Sie sagte mir, ihre größte Angst wäre es gewesen, er könne eines Tages auch auf mich losgehen. Da er sie nicht regelmäßig schlug und nie ins Gesicht, sondern immer auf den Rücken oder auf andere Stellen am Körper, die man mit Kleidung gut bedecken konnte, hatte ich nie etwas bemerkt.

Auch nachdem mein Vater uns verlassen hatte, hat sie nie schlecht über ihn geredet. Um es genau zu sagen, haben wir das Thema kaum angeschnitten, denn wenn ich damit anfing, dass ich ihn vermisste, wurde sie immer gleich traurig und so ließ ich es irgendwann sein. Ich habe meinen Vater immer in guter Erinnerung behalten.

Ich bin meiner Mutter sehr dankbar dafür, dass sie mich beschützt hat und vor lauter Liebe zu mir die Kraft gefunden hat, meinen Vater rauszuwerfen. Und ich danke ihr dafür, dass sie meine Kindheitserinnerungen nicht mit einem gewalttätigen Familienleben vermischt hat.

Aber manchmal kann man seine Kinder auch zu sehr beschützen, manchmal ist es besser, sie kennen die Wahrheit. Zumindest wünschte ich, sie hätte früher mit mir geredet und nicht erst jetzt, wo ich selber vor dem gleichen Problem stehe und von meinem Mann geschlagen werde. Jetzt, wo es passiert ist und nichts auf der Welt es mehr rückgängig machen kann.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Silberpfeil,

für mich laufen solche Geschichten immer außer Konkurrenz – Geschichten, die schon durch mindestens ein anderes Forum geschleift wurden und nun mit allen dort erhalten Tipps überarbeitet hier eingestellt werden. Das machen viele so, und es ist ja auch nicht verboten. Allerdings kann ich mich in so einem Fall nicht mehr zu einer Bewertung durchringen, denn es ist ja in einigen Bereichen gar nicht mehr Deine Geschichte. Aber Du hast sie gut überarbeitet, und deshalb gefällt sie mir so wie sie jetzt dasteht.

Gruß Ciconia
 

Silberpfeil

Mitglied
Hallo Ciconia,

danke für deinen Kommentar. Weiß du, ich hätte mich nicht hier angemeldet und meine Geschichte gepostet, wenn ich mit dem anderen Forum zufrieden wäre. Ich erwarte von anderen Lesern auch keine Anleitung zum Schreiben von Geschichten, sondern möchte nur wissen, was die Leser interessiert und welcher Part ihnen gefällt oder eben nicht gefällt.
Ansonsten ist jedes einzelne Wort durch mich entstanden und ich hoffe, dass noch weitere Kommentare folgen.
Bald schon folgt dann hoffentlich meine nächste Geschichte und ich würde mich freuen, wenn sie dir gefällt.

Viele Grüße
Silberpfeil
 



 
Oben Unten