Vom Tag, an dem ganz einfach das Wunder ankam

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Christina

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Vom Tag, an dem ganz einfach das Wunder ankam


Christof hatte seine Hausschuhe abgestreift. Er lehnte sich weit in seine Couch zurück, atmete tief durch und wühlte sich durch die Haare.
Er wusste gar nicht so recht, wie spät es gerade war. Kurz vor Mitternacht – wo war eigentlich dieser Tag geblieben?
Christof fühlte sich ausgelaugt und erschöpft wie nach einem langen Arbeitstag. Er hatte aber heute gar nicht gearbeitet. Er hatte sich frei genommen, weil seine Frau heute Geburtstag hatte.
Am Morgen wusste er noch nicht, wie er diesen Tag verbringen sollte.
Denn es war der erste Geburtstag, den er nicht mit seiner Frau feiern konnte.
Sie war Monate vorher gestorben.

Christof hatte heute versucht, auszuschlafen. Aber er hatte die ganze Nacht in einer Art Dämmerzustand verbracht. Er blieb lange liegen, schwebte zwischen Tag- und Nachtträumen, und konnte diese sogar genießen. Seine Gedanken flatterten durch alle Sphären und blieben doch gleichzeitig in ihm gefangen.
Dieses ist kein Geburtstag, dachte er, als er aufstand, dieses ist ein Erinnerungstag. Er wunderte sich, dass ihm das gar nicht heftig weh tat.
Einen Moment überlegte er, ob er zwei Frühstücksgedecke aufstellen sollte.
Dann schüttelte er über sich selbst den Kopf. Aber er holte nur Dinge auf den Tisch, die seine Frau gerne mochte.
Christof hatte sich Brötchen aufgebacken. Er blickte zufrieden über den Tisch und belegte seine Brötchenhälften. Als er den ersten Schluck aus der heißen Kaffeetasse nahm, spürte er Tränen aufsteigen und loslaufen.
Er schluchzte nicht, atmete nicht einmal anders, aber da waren Tränen.
Seine Frau liebte gemütliche Frühstücke und besonders mochte sie heißen Kaffee. Nun ja, da gestand er sich durchaus zu, ein paar leise Tränen laufen zu lassen.
Ihm wurde bewusst, dass er das unglaubliche Glück besessen hatte, sogar mehrere Jahrzehnte mit ihr verbracht zu haben. Eine wunderbare Dankbarkeit erfasste ihn und darüber versiegten seine Tränen.
Er hatte sehr lange nicht mehr gemütlich gefrühstückt, aber heute konnte er es.

Gegen Mittag beschloss Christof, ein wenig an die Luft zu gehen.
Gehen bedeutet vorwärts kommen, dachte er lächelnd, und das kann ja nicht schaden.
Am Friedhofseingang fand er sich wieder. Da kam er nicht mehr vorwärts.
Plötzlich fühlte er so etwas wie Trotz und er wollte den Friedhof nicht betreten. Er starrte auf die Außenmauer. Mit dem Gefühl von verzweifeltem Zorn hatte er heute nicht gerechnet. Er wollte einen ruhigen Tag verbringen und einfach nur an seine Frau und die gemeinsamen Zeiten denken. Dabei sollte kein negativer Gedanke an sie aufkommen.
Nun fand er sich hier, hilflos in seinem Zorn, und wollte ihr Grab nicht sehen. Minutenlang stand er da wie angewurzelt. Die Zwiesprache mit ihr verselbstständigte sich in seinem Kopf. Für die Welt stand er ganz still da, aber in Wahrheit schrie er seine Frau an: „Du hast gesagt, du würdest mich nie wirklich verlassen! Du hast mir versprochen, ich würde dich spüren! Ich warte schon so unerträglich lange – aber ich spüre dich nicht!“
Christof wurde übel. Er hatte das Gefühl, sich setzen zu wollen und sich einfach nicht mehr zu rühren. Seine Beine aber machten kehrt und gingen erstaunlich zielstrebig und mit festen Schritten nach Hause.

Dort stellten sie sich an den Herd.
Christof verstand sich nicht auf das Kochen. Aber seine Frau hatte ihm in den letzten Monaten beigebracht, ihrer beider Lieblingsgericht zuzubereiten.
Es gelang ihm heute wie von selbst.
Er aß es in sich hinein, als wäre es ein Stück seiner Frau, das er aufnehmen wollte. Hastig aß er, nahm wenig Geschmack wahr, aber viel Gefühl.

Der Nachmittag zerrann zwischen Geplapper aus dem Fernseher, dösen und malen.
Ja, Christof malte gerne. Niemand hätte erkennen können, was er malte, aber er malte sich Gedanken und Gefühle aus dem Leib, deren Sinn er genau kannte. Und es entspannte ihn wie ein Ventil. Auf diese Weise konnte er sich entlasten und ausdrücken.

Gegen Abend holte er die Fotoalben hervor, an die er irgendwie schon den ganzen Tag gedacht hatte. Seine Hände blätterten die Seiten und sein Herz blätterte zwischen Wehmut und Glücksgefühlen. Er legte die Alben irgendwann beiseite, hörte sich die Tagesnachrichten an, las in der Zeitung und dann in einem lange nicht mehr angefassten Buch.
Es war sehr still um ihn, und noch viel stiller in ihm. Diese Stille war sehr leer und das fand er einerseits schon lange unerträglich, andererseits war sie aber auch Kontrast zu betäubender Betriebsamkeit und zu trauriger Einsamkeit.
Manchmal tat sie ihm noch am wohlsten. Er empfand diese Stille jedoch immer auch wie ein Vakuum und ein undefinierbares Warten .......

War er über seinem Buch eingeschlafen, oder war er nur in sich versunken gewesen – nun, da es fast schon Mitternacht war?
Er verspürte keinerlei Müdigkeit. Es wurde ihm nun nur mit einem Mal wieder so schwer ums Herz. Ach, ich erlaube mir doch einfach einmal wieder ein bisschen zu weinen, dachte er. Und dann weinte er, bis er keine Luft mehr bekam.
Am Fenster konnte er frische holen. Er öffnete es weit, atmete tief ein und aus, und suchte nach den Sternen – nach dem, der am hellsten leuchtete.
Draußen war um diese Zeit nichts zu hören.

Aus irgendeinem Grund wollte Christof sich umdrehen. Am anderen Ende des Raumes konnte er auf vielleicht zehn, zwölf Schritte Entfernung seine verglaste Eingangstür sehen. Der Bewegungsmelder hatte die Außenbeleuchtung angehen lassen. Hier schleichen heute wieder die Katzen herum, dachte Christof, und wandte seinen Blick wieder aus dem Fenster.
Sein Herz begann heftig zu hämmern.
Mein Außenlicht ist gar nicht so hell ....., schoss es ihm durch den Kopf.
Langsam drehte er sich wieder um.
Er sah ein Licht vor seiner Türe, wie er es in einer solchen Helligkeit noch nie gesehen hatte. Es war unbeschreiblich und unglaublich hell - aber es blendete nicht.
Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Christof schmerzhaftes Herzklopfen, rasenden Puls und heftige Atemnot – ohne jeden Anflug von Panik oder irgendeines Angstgefühls! Trotz seiner heftigen körperlichen Reaktionen fühlte er sich sicher und seltsam ruhig, wie niemals zuvor. So fühlt sich Frieden an, überfiel ihn der Gedanke, und dann ´ich schnappe über`. Währenddessen setzten sich seine Beine wie von selbst und ferngesteuert langsam in Bewegung. Fast würdevoll schritt er auf seine Eingangstür zu, die ihn magisch anzuziehen schien. Doch je näher er der Tür kam, desto blasser und schwächer wurde dieses Licht. Als er die Tür erreicht hatte, war es dort dunkel wie immer.
Instinktiv drehte Christof sofort um und ging wieder an sein Fenster. – Nein, er bemerkte, dass er rückwärts lief, weil er seinen Blick nicht von dieser Tür lösen konnte. Er fühlte eine nie gekannte, intensive Sehnsucht nach diesem Licht, wollte es aus tiefstem Herzen wieder haben.
Mit jedem Schritt rückwärts kam die Helligkeit mehr zurück. Als er das Fenster in Krebsmanier wieder erreicht hatte, erstrahlte die Tür in dem gleichen herrlichen Licht wieder, wie zuvor.
Fassungslos starrte er in dieses Licht. Er konnte mit seinem Blick völlig tief darin eintauchen.
Er hätte nicht sagen können, wie lange dies alles dauerte, eine Zeit schien dafür nicht zu messen zu sein. Vermutlich geschah dies alles eher kurz.
Sein wild pochendes Herz hatte nicht aufgehört, in dieser Weise in ihm zu hämmern. Trotzdem brauchte er kaum einen Atemzug.
Eine tiefe Ruhe erfasste ihn. Er sah dieses Licht da vorne, welches er in dieser Art noch nie gesehen hatte, und er fühlte von den Füßen ausgehend Wärme in und an ihm aufsteigen, eine kaum merkliche Wärme, und doch deutlich spürbar. Als sie seine Haarspitzen erreicht hatte, fing sein Herz an, wieder in ganz normalem Takt zu schlagen.
Immer noch schaute er regungs- und bewegungslos in dieses Licht, als er eine tiefe Ruhe, geradezu unirdischen Frieden, eine als Schwerelosigkeit empfundene Erleichterung und eine alles umfassende Liebe spüren konnte – dies alles in einem einzigen wohl kurzen Augenblick!
Unendlich überwältigt sprach Christof leise, nein, tonlos, mit kaum sichtbar bewegten Lippen: „Ich danke dir von ganzem Herzen. Es ist jetzt alles gut.“
In diesem Moment verschwand das Licht, langsam und sachte, nicht plötzlich. Es blendete sich ganz zart aus. Christof wusste, er brauchte es jetzt nicht mehr an der Tür zu suchen. Und auch sonst nirgendwo mehr.

In unerklärbarer Tiefe berührt, bewegt und belebt begann Christof zu weinen.
Nie in seinem Leben hatte er befreiter und beglückter geweint.
 

majissa

Mitglied
Liebe Christina,

eine leise Geschichte, anrührend und teilweise recht bildhaft erzählt. Sie könnte aber besser sein, würdest du mit "hatte" und "diese" sparsamer umgehen und weitestgehend auf langatmige Erklärungen verzichten. Mehr zeigen! Beispielsweise hier:

Ja, Christof malte gerne. Niemand hätte erkennen können, was er malte, aber er malte sich Gedanken und Gefühle aus dem Leib, deren Sinn er genau kannte. Und es entspannte ihn wie ein Ventil. Auf diese Weise konnte er sich entlasten und ausdrücken.

Ich hätte lieber gleich das Bild gesehen, als mit einem Schulterzucken zur Kenntnis zu nehmen, dass da einer gerne malt. Warum auch immer...

Ohne die zahlreichen Erklärungen und Wiederholungen gewänne der Text m.E. enorm.

LG
Majissa
 



 
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