Von Ruhm und Nachruhm

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Raniero

Textablader
Von Ruhm und Nachruhm

Jobst Spatenfeld, der spätberufene Schriftsteller hatte eine Idee.
Er stand unmittelbar vor der Vollendung seines Erstlingswerkes, einer Ansammlung von niedlichen Kurzgeschichten, welches er, wenn nicht sofort dem gesamten Kontinent, so doch einem größeren Leserkreis nahe bringen wollte, in gebundener Form, versteht sich.
Jobst war in der Tat nicht mehr der Jüngste, und daher machte er sich einige Sorgen; die erste darüber, dass er zu lange Zeit brauche, um ein zweites Werk auf die Beine zu stellen, eine weitere, weil er befürchtete, dass sein erstes Buch nicht die Zahl der Abnehmer erreichen würde, die er sich vorgestellt hatte, doch in seinem Hinterkopf schlummerte noch eine ganz andere Sorge:
Wie könnte er es erreichen, vorausgesetzt, die beiden ersten Sorgen würden sich von selbst oder durch irgend eine andere wundersame Fügung lösen, seinen zwar noch nicht vorhandenen jedoch eventuell einsetzenden Ruhm zu konservieren und darüber hinaus, falls ihn vorzeitig das Zeitliche segnen würde, diesen Ruhm in lang anhaltenden Nachruhm zu verwandeln?
Angetrieben von einer inneren Unruhe der besonderen Art beschloss er, sich in einschlägiger Literatur über diese Frage zu informieren, und in der Tat, nach nicht allzu langer Suche hatte er Glück und wurde zu seiner großen Überraschung und Erleichterung fündig.
Da gab es doch wahrhaftig einen schriftstellernden Kollegen, man konnte ihn durchaus als einen durchtriebenen Satiriker bezeichnen, auch er nicht mehr jung an Jahren, das Gegenteil war eher der Fall, welcher sich bereits seit längerer Zeit ausführlich mit der Frage der Konservierung von Ruhm und vor allem Nachruhm beschäftigte.
Dieser Pfiffikus hatte eine an Schlichtheit nicht zu überbietende aber dennoch verblüffende These aufgestellt:
Ein jeder Künstler, so behauptete er, gleich welcher Zunft, habe sich beizeiten, sprich zu Lebzeiten, selbst um die Einrichtung einer eigenen Gedenkstätte zu kümmern.
Hierbei machte er folgende Unterscheidung; planbare und nicht planbare Stätten des Ruhmes.
Eine nicht planbare Stätte, so gab er dem verdutzten Wissensbegierigem mit auf den Weg, habe quasi ein jeder unter den Sterblichen; die Stelle, die Unterkunft, wo er das Licht der Welt erblickt habe, das Geburtshaus beispielsweise, auch wenn davon nicht einmal die Grundfesten mehr standen, schließlich gab es ja Gedenktafeln und Hinweisschilder.
Zur zweiten Kategorie, den sogenannten planbaren Gedenkstätten hingegen rechnete der unentbehrliche Ratgeber beispielsweise eine Wohnstätte, ein schönes Gebäude etwa, welches sich ein Kunstschaffender im Verlaufe seines auf den Ruhm ausgerichteten Lebens zur eigenen Nutzung und gemeinhin vor Ablauf seiner eigenen Lebensfrist selbst zu errichten gedachte.
In Ermangelung eines eigenen Hauses und weil er in seinem Alter keine wertvolle Energie mehr verschwenden wollte, entschied sich Jobst Spatenfeld stattdessen dafür, seinem ehemaligen Elternhaus diese Referenz zu erweisen.
Dieses hatte er zwar schon in Jugendjahren verlassen und war mit seinen Eltern und Geschwistern in eine andere Stadt gezogen, fernab von seinem Geburtsort, und seitdem hatte keiner seiner Familie mehr von dem Verbleib dieses Hauses gehört, allerdings war es ihnen auch ziemlich gleichgültig.
Nun jedoch schien ihm Eile geboten.
Ob es noch stand?
Entschlossen gab er sich daran, Erkundigungen einzuholen.
Wiederum war das Glück auf seiner Seite, und nach kurzer Zeit brachte er in Erfahrung, dass sein ehemaliges Elternhaus noch existierte, in unveränderter Form und an gleicher Stelle, wo er es einst verlassen hatte.
Anhand des Fotomaterials, welches er bei seiner Recherche erhalten hatte,
musste er jedoch mit Bedauern feststellen, dass die nachzeitigen Eigentümer es offenkundig nicht für nötig gehalten hatten, das Haus einmal instand zusetzen, nicht einmal frische Farbe schien die Fassade in all den Jahren gesehen zu haben.
„Der hätte es ja einmal nötig, der alte Kasten“, dachte Jobst verärgert, „sieht so das Geburtshaus eines späteren Nobelpreisträgers aus?“
Bei der Überlegung, wie er es anstellen könnte, diesem Gebäude die Aura eines großen Monuments zu verschaffen, ohne es kaufen und auf eigene Kosten renovieren zu müssen, brachte ihn ein Blick auf das Foto des efeuumrankten Hauses auf eine, wie er glaubte, geniale Idee.
‚Wozu so eine alte Hütte erwerben,‘ sagte er sich, ‚ich will doch nicht selbst drin wohnen. Und wenn so ein Kauf irgendwann doch absolut vonnöten sein sollte, den könnte man immer noch durchführen, wenn erst einmal der Nobelpreis...
Nein, es muss sich ein anderer Weg finden lassen, meinem Geburtshaus die nötige Ehre zu erweisen‘.
Je ausgiebiger er das Foto betrachtete, umso mehr sagte ihm die nicht renovierte Efeufassade zu; da ließe sich bestimmt etwas machen, man könnte schließlich auch mit kleinen Schritten dem großen Ruhm einen Anfang setzen.

Gesagt, getan.
Jobst Spatenfeld beschloss, seine Geburtsstadt aufzusuchen und das alte Wohnhaus selbst aus der Nähe in Augenschein zu nehmen, unauffällig und ohne großen Aufhebens; gleichzeitig wollte er mit diesem Besuch eine nostalgische Reise in die Vergangenheit verbinden.
Zu diesem Zweck quartierte er sich in einem Hotel im Zentrum seines ehemaligen Wohnortes ein.
Direkt am Mittag nach seiner Ankunft machte er sich auf den Weg zu dem Haus, in welchem er vor vielen Jahren zur Welt gekommen war.
Das Gebäude selbst befand sich ebenfalls im Stadtzentrum, nicht weit von seinem Hotel entfernt, mit einem herrlichen Blick auf das alte Rathaus, ein Blick, den er schon zu Kindheitszeiten zu genießen wusste.
Schwärmerische Erinnerungen kamen in ihm auf, vor allem an die Weihnachtszeit, als seine Geschwister und er es kaum erwarten konnten, das der viereckige Turm des Rathauses während der Weihnachtszeit ringsum mit drei elektrischen Lichterketten bestückt wurden, die des Abends weithin in alle vier Himmelsrichtungen strahlten.
„Ich freu mich so auf die Weihnachtszeit“, hatte er einstmals überschwänglich seinen Geschwistern mitgeteilt „wenn die Rathausglocken leuchten!“
Seine Geschwister wiesen ihn daraufhin, dass er einen verbalen Lapsus begangen habe, da Glocken im allgemeinen nicht leuchteten. Schmunzelnd erinnerte er sich an diese Episode, ein wenig erstaunt, dass er schon zu so früher Zeit eine Vorliebe für abstruse Formulierungen hegte.

Das Haus befand sich in der Tat wie erwartet und vom Foto her bekannt an der alten Stelle – wo hätte es auch sonst stehen sollen – dachte Jobst in abstruser Form, wie in alten Zeiten – und als er nun vor dem mittelgroßen zweistöckigen Gebäude stand, wurde er von gemischten Gefühlen erfasst.
Der Blick auf den Rathausturm bot sich wie eh und je, nur dass er jetzt nicht mit Lichterketten bekränzt war, Mitte Januar.
Eine Zeitlang betrachtete er gedankenversunken das ehemalige Elternhaus, das nun schon seit so langer Zeit von Fremden bewohnt wurde.
Dann besann er sich des eigentlichen Grundes seines Besuches und inspizierte ein wenig genauer die Hausfassade.
‚Ja, hier könnte es gehen‘, sagte er sich, als er inmitten der grünbewachsenen Fläche in der Nähe des Hausnummernschildes eine kahlgebliebene Stelle entdeckte. Aus dem Gebäude heraus drang kein Laut nach draußen, es schien sich nichts zu rühren, drinnen; Wer weiß, vielleicht waren die Bewohner ausgeflogen oder hatten sich zur Mittagsruhe begeben

Einige Tage lang beschattete Jobst sein ehemaliges Elternhaus, bis er den Zeitpunkt gekommen sah, zu handeln. In diesen Tagen hatte er herausgefunden, wie viele Personen in dem Gebäude wohnten und sich über diese und ihre Gepflogenheiten ein genaues Bild gemacht.
Als weit und breit im Straßenbereich niemand zu sehen war und er sicher sein konnte, dass alle Bewohner das Haus verlassen hatten, schritt er am späten Nachmittag bei einbrechender Dunkelheit zur Tat.
Kurzentschlossen trat er an das Gebäude heran und befestigte mittels geeignetem Werkzeug, das er in einer Stofftüte mitgebracht hatte, eine kleine silberglänzende Plakette aus edlem Metall an der Hausfassade, genau an der vom Efeu verschonten Stelle neben der Hausnummer.
Auf dieser Plakette stand in schwarzen Buchstaben zu lesen:
Geburtshaus von Jobst Spatenfeld.
Die ganze Aktion hatte nur einige Minuten in Anspruch genommen, genauso, wie er es eingeplant hatte, und voller Zufriedenheit verließ Jobst nach einem letzten Blick auf sein Meisterwerk die von ihm selbst markierte Gedenkstätte.
Ein Anfang war gemacht.
Auf dem Weg zum Hotel malte er sich das folgende Szenario aus.
Die Bewohner des Gebäudes kehrten zurück und entdeckten, einer nach dem anderen, mit höchstem Erstaunen, dass dieses Haus, in dem sie so viele Jahre ahnungslos zugebracht hatten, zu höchsten Weihen ausersehen war.
Da wohnten sie doch tatsächlich in einem Haus, welches einstmals einen zu größten schriftstellerischen Leistungen auserkorenen Mitbürger beherbergt hatte, nein, nicht nur das, dieser große Sohn der Stadt war sogar in diesem Gebäude zur Welt gekommen.
Welche Freude machte sich da breit, gepaart mit seligem Glücksgefühl.
Wie ein Lauffeuer würde sich dieses herumsprechen, in der Straße, im Viertel, in der ganzen Stadt und weit, weit darüber hinaus....
In Gedanken sah er sie vor sich, große Reisebusse, die ihre Menschenladungen entließen, vor dem Gebäude, Menschen, die in Ehrfurcht verharrten.
Nun gut, dieses würde alles nicht sofort und über Nacht einsetzen, aber er konnte ja schließlich noch warten. Vorerst würde er erst einmal die Abreise antreten, alles weitere ergäbe sich von selbst.
Am nächsten Morgen, nachdem er das Hotel verlassen hatte und sich im Taxi auf dem Weg zum Bahnhof befand, wurde er noch einmal von einem Gefühl der Vorfreude übermannt. Er bat den Fahrer, einen kleinen Umweg einzuschlagen, an seinem ehemaligen Elternhaus vorbei, ein letzter Blick zurück.
Als sie in die Straße einbogen, traute Jobst seinen Augen nicht. Auf der Straße vor dem Haus hatten sich bereits zahlreiche Reisebusse angesammelt. Verwirrt bat er den Taxifahrer, kurz anzuhalten. So eine schnelle Reaktion hatte er nun doch nicht erwartet. Er hatte doch erst ein Buch geschrieben!
Jobst trat näher heran und gewahrte eine größere Menschenmenge, die sich in ehrfurchtsvoller Weise vor dem Haus versammelt hatte.
Vorsichtig sprach er einen Mann im mittleren Alter an.
„Gibt es hier etwas Besonderes zu sehen, guter Mann?“
„Sehen Sie doch selbst, schauen Sie sich doch das Schild an. Also so etwas, sind Sie denn gar nicht informiert, wo Sie sich hier befinden?“
‚Und ob ich informiert bin‘, dachte Jobst mit diebischem Vergnügen.
„Nicht das Schild da vorne“, rief der Mann ihm zu, „das Schild an der linken Hausseite, die schwarze Plakette, Mann Gottes!“
Mit einem krampfartigen Gefühl in der Magengrube trat Jobst an das besagte Schild heran, er musste es wohl im seinem Eifer auf der Suche nach Ruhm übersehen haben.
Auf dem Schild stand der gleiche Text wie auf der Plakette, die er am Tag zuvor an der Vorderseite des Hauses angebracht hatte, nur, dass statt seines Namens der seines älteren Bruders, mit dem er seit längerer Zeit keinen Kontakt mehr pflegte, dort in goldenen Lettern prangte.
Nun fiel es Jobst wieder ein; hatte sein Bruder nicht vor kurzem den Nobelpreis in Medizin erhalten?
 



 
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