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Tasso

Mitglied
Verehrte Vera-Lena,

eine "Weltuntergangsstimmung" lese ich aus dem Gedicht heraus:
"Wie Staub; unterbelichtet; schläfriger; leeren Baum; Kargheit" und vor allem aus dem Zeilen: "trank er vom Sonnenrand / ..." alles negativ besetzte Begriffe aus unterschiedlichen Begriffsebenen. Dabei deuten die Zeilen: "als es noch Zeit war, / die Schwärze / ihr dunkelblaues Kleid trug, / die Enge sich noch / nirgendwo drängte, / ..." für mich auf die Verschwendung der Resourcen hin, ist die Erde übervölkert. Denn wenn die Nacht von Licht erhellt ist, dann ist sie nicht mehr dunkelblau.

Je mehr ich mich mit Deinem Gedicht beschäftige desto mehr hat es mir zu sagen. Einzig der direkte Vergleich mit dem Vergleichspartikel "wie" gefällt mir nicht. An sich sollte man direkte Vergleiche vermeiden. Das ist aber kein Postulat und muss vom Autor selbst entschieden werden.

Gerne gelesen.

Tasso dPaI.
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo Tasso,

danke für Deine Interpretation!

Ich möchte noch etwas hinzufügen.

Das "und geht wer Hand in Hand" steht inmitten des Textes und markiert die Stelle, wo vom "Vormals" die Rede ist. Es geht immer alles gut bis ein gewisses Maß erreicht ist, aber der Mensch ist sich dessen oft nicht bewusst, was er auslöst durch sein Handeln und wenn er es weiß, möchte er sich nicht vom Gewohnten verabschieden.

"und geht wer Hand in Hand" bezeichnet die Zeit, als die Menschen noch in Kommunikation miteinander lebten, noch Schwierigkeiten in Großfamilien bewältigten. Als das Leben noch nicht so teuer war, wie es jetzt für einen Single ist, der noch nicht einmal etwas einkaufen kann, das er als Einzelperson aufessen könnte, der mehr Heizung braucht als die Menschen, die zu mehreren in einer Wohnung leben.

Ich plädiere hier für gar nichts, das möchte ich unbedingt betonen. Ich versuche nur mit Sprache ein Wortfeld zu erzeugen, dass mithilfe von Klang und Suggestion der einzelnen Wörter eine Situation, die sich nicht mehr leugnen lässt, erfahrbar zu machen versucht.

Danke, dass Du mich in meinen Text hinein begleitest.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 
H

Heidrun D.

Gast
Interpretiert ist vieles, Vera-Lena,

deshalb möchte ich dich "nur" für deine wunderbare Sprache loben:

...
die Schwärze
ihr dunkelblaues Kleid trug,
die Enge sich noch
nirgendwo hindrängte,
der reife Apfel
im Grase lag.

Das ist Lyrik!

Liebe Grüße
Heidrun
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Heidrun,

danke für Dein Lob! Zwar hat mir, wie immer, der Himmel diesen Text eingegeben und ich werde Dein Lob eine Etage höher weiterleiten, aber freuen tu ich mich trotzdem sehr, ja sehr. :)

Dir ganz liebe Grüße!
Vera-Lena
 
I

Iphi

Gast
Liebe Vera Lena,

zunächst: Dieses Gedicht hinterlässt Trauer in mir, eine weiche, gute, sinn-volle Trauer, die das 'Vormals' erkennt (zu erkennen glaubt) und die die Reife zulässt, einfach wahrzunehmen, wie es ist.
Dann: Ein A-Gedicht, getragen und umrahmt vom weichen O und U, das schafft eine fast Mahlersche Melodie.
Drittens und nur, weil ich es mehrmals falsch las:

der reife Apfel
im Grase lag.

Ich las: im Gras lag.

Auf das e (Grase) könntest Du verzichten, es schmälert nichts. Aber vielleicht ist dies auch nur meine Lesart.

Sehr, sehr gern gelesen und nun hole ich mir Rose Ausländer, um in der Stimmung zu bleiben.

Herzlich,
Iphi
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Iphi,

erst einmal erschrocken: Nein, nein *lach*. Das "e" bei Gras muss unbedingt bleiben, weil sonst der Klang kaputt ist. Der Text muss ein weinig breiter ausklingen, als es sich bei "[blue]Gras lag"[/blue] anhört. Die zwei "kurzen a" direkt hintereinander sind mir zu abrupt. Bei "Grase lag" wird ja das erste"a" in "Grase" lang gesprochen.

Mit den Klängen aus den Vokalen stimme ich Dir zu. Sie sind mir immer wichtig.

Deine Interpretation von Trauer und Annehmenkönnen, liegt ebenfalls auf meiner Ebene.

Na, Rose Ausländer, auch von mir geschätzt und geliebt. Sie hat für mein Gefühl nie ein Wort zu viel und nie ein Wort zu wenig.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 
I

Iphi

Gast
Ja siehst Du, doch nur meine Lesart:
Wir sprechen hier in der Schweiz ein langes Graas mit weichem, kaum hörbaren s am Ende. Da misch ich mich dann in Zukunft lieber nicht mehr ein *lach* - so müssen dann meine Gedichte für Euch auch komisch oder silbenmässig falsch klingen? Da muss ich drüber nachdenken. :)

Lieben Gruss,
Iphi
 

Vera-Lena

Mitglied
Ach, das ist ja interessant, liebe Iphi, Ich habe mich nämlich gewundert, dass gerade Du ein kurzes "a" in diesem Gras hier haben wolltest. Wir sprechen das a in Gras zwar auch lang aber längst nicht so lang wie in Grase.
Wie schwierig ist es dann erst mit Texten, die aus anderen Sprachen übersetzt werden. Da bekommt man klanglich nichts mitgeliefert, und trotzdem bin ich dankbar und bewundere alle Übersetzer wie zB Presque_rien, die uns schon beachtliche Dinge aus dem Russischen serviert hat.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 



 
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