Wackrer Meister tot

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Es war an der Oberelbe … Halt, das muss ich erklären: Von Dresden aus gesehen meint Oberelbe: Pirna, Bad Schandau, Sächsische Schweiz – und von Hamburg: Geesthacht, Lauenburg, Bleckede. Ich bin also zu Fuß an dieser unteren Oberelbe unterwegs. Es riecht stark nach Süßwasser, Gras und Laub. Artlenburg ist ein adrett-behäbiges Dorf am Flachufer, gegenüber der bewaldete Steilhang. Ich habe mir die alte Kirche schon angesehen und suche den Zugang zum Deich.

Als ich um die Ecke biege, nimmt ein Lastauto fast die ganze Straßenbreite ein, es ist ein Wagen der Sperrmüllabfuhr. Dann ein schepperndes Geräusch. Im Weitergehen entdecke ich den Arbeiter, dem beim Hochwerfen von allerlei Krempel etwas zu Boden gefallen ist. Mein Blick tastet den Asphalt ab und bleibt an etwas Gerahmtem hängen. Vom Text hinter Glas kann ich nur die Großbuchstaben entziffern: MEISTERBRIEF. Der verwendete Schrifttypus war in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts beliebt.

Was mag er gewesen sein: Fleischermeister, Glasermeister, Friseurmeister? Heute nennen sich einige Fernsehmeister … Wie viel Mühe hat ihn der Meisterbrief gekostet? Erst Lehrling sein, vermutlich auch damals kein Zuckerschlecken, selbst wenn er Konditor gelernt haben sollte, dann Jung-Geselle, Alt-Geselle, endlich der Meisterkurs – so viele Stationen, die absolviert werden wollten. Er wird beim Erreichen einer Stufe jeweils erleichtert gewesen sein, am Ende bestimmt auch etwas stolz.

Junge Meister heiraten gern in ältere Betriebe ein – und versuchen, selbst nicht in die Lage ihrer Vorgänger zu kommen. Der Meister will immer einen Meistersohn zeugen und sich ihn als Nachfolger großziehen. Der Meister und die Meisterin haben daher gewöhnlich zwei Söhne, zur Sicherheit. Diesem hier scheint es nicht geglückt zu sein, entweder das Zeugen oder das Großziehen. Wie roh, wie pietätlos: das Dokument seiner Bewährung von den Erben für überholt und künftig nutzlos erklärt. Auf den Kehricht damit. Eine Lebensleistung dem Vergessen anheimgegeben. Und an anderen Häusern prangt noch das Ehrenschild im Giebelfeld, wenn einer mal Schützenkönig war - 1884! Das Leben ist ungerecht. Und das ist eine Phrase.

Ich gehe weiter und höre es dann hinter mir klirren. Blicke mich noch einmal um: Die schützende Glasplatte war beim Herabfallen zerbrochen, Dutzende von Fragmenten und Splittern sind beim Wiederaufheben aus dem Rahmen gefallen. Der Arbeiter hat viel Mühe, den Glasbruch aufzusammeln und dem ruinierten Meisterbrief und dem übrigen Geraffel hinterherzuwerfen. Mit seinen Händen in ihren dicken Schutzhandschuhen fegt er immer weitere Bruchstücke auf dem Asphalt zusammen. Dann reicht es ihm – er gibt dem Fahrer ein Zeichen: Weiter! Es wartet ja noch so viel anderer Schrott vor den Türen der Leute.

Ein Schulfreund von mir zitierte gern das folgende Sprüchlein: Wo die Pfuscher haben Brot / Leiden wackre Meister Not …Oder sie nähren sich redlich und sind irgendwann tot und vergessen.
 

Wipfel

Mitglied
Hi Arno, ich kenne die Gegend, sehr aufgeräumt da. Irgendwann radelte ich auf einer Fahrradtour an der Elbe lang. Doch gerade darum: braucht es die Erklärung und den Dresden-Verweis für dein kurzes Stück? Und auch die letzten beiden Sätze braucht es nicht. Wozu den moralischen Zeigefinger? Dennoch gern gelesen.

Grüße von wipfel
 
Danke, Wipfel, für Reaktion und Hinweise. Die Elb-Einleitung soll den Lesern vermitteln, wo ungefähr die herzlose Sperrmüllabfuhr gewesen ist. Den meisten dürfte die Gegend kein Begriff sein. Der Schluss hat keine "moralische" Intention, es ist nichts weiter als eine Assoziation des Beobachters, mit der der Text ausklingen soll.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 
G

Gelöschtes Mitglied 18005

Gast
Hallo Arno

ich stelle mich in Hinsicht auf die eventuelle Überflüssigkeit der anfänglichen Erklärung der Ortschaft hinter wipfel. Beziehungsweise finde ich auch so noch keinen Nutzen an dieser "Elb-Einleitung", da mir die aufgelisteten Orte, außer Dresden und Hamburg, nichts sagen. Insofern hat diese Geographisierung lediglich erreicht, dass ich den Text etwa zweimal angefangen aber dann nach diesen ersten hilflosen Sätzen wieder liegen gelassen habe. Erst heute, einen Monat später, bin ich dazu in der Lage gewesen komplett zu Ende zu lesen.

Leider bin ich nicht gerade in Fieber ... inhaltlich gab es mehrere Stellen die ich als allzu spezifisches Gefasel betrachtet habe ... der Text ist so ... langweilig (?) aber ich kann leider nicht begründen woran das liegen mag ... vielleicht daran, dass kaum etwas passiert, vielleicht weil mich das Schicksal der Meister kaum kümmert und das Werk auch nicht geschafft hat jenes Schicksal deutlich zu vermitteln, allerdings kann ich mir dieses Thema grundsätzlich schon als sehr interessant vorstellen, jedoch ist es Dir nicht gelungen die Kurzprosa derartig zu gestalten.

LG
Peter

PS: Es ist wohl der vierte Absatz - reine Fakten, da könnte ich doch gleich auf Wikipedia recherchieren und wäre deutlich mehr amüsiert.
 



 
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