Wäre ich nur zu Hause geblieben

hera

Foren-Redakteur
Teammitglied
"Würdest du mich zur Walpurgisnacht auf den Sportplatz begleiten", hatte meine Nachbarin Manuela gefragt. "Meine Tochter möchte so gerne Knüppelkuchen backen." (Für alle, die das nicht kennen: Ein einfacher Kuchenteig wird auf einem langen, fingerdicken Ast über dem Feuer geröstet.)
Nun ja, eigentlich war das ja nicht mein Ding, aber ich wollte keine Spielverderber sein.
Wir ließen uns mit Bier, und Saft für Sophie, an einem der vielen bunten Gartentische nieder.
Leider waren wir etwas spät dran. Man kennt das ja: Ehe der Lippenstift perfekt ist und die Frisur sitzt. Nein umgekehrt: Ehe der Lippenstift sitzt und die Frisur perfekt ist. Ach, egal.
Die anderen Kinder saßen längst um das Feuer und rösteten ihren Teig. Für uns war kein geeigneter Ast mehr übrig.
"Ich will jetzt aber Knüppelkuchen backen", sagte Sophie mit Nachdruck.
"Warte nur ein bisschen. Wir erwischen bestimmt noch einen", tröstete ich sie.
Aber sie begann zu heulen.
"Verdammt", schimpfte ihre Mutter. "Woher bekommen wir so einen dämlichen Knüppel?"
"Hinter dem Sportplatz ist ein kleines Bach-Tal. Da gibt es bestimmt was", schlug ich vor.
"Ach du lieber Himmel", stöhnte Manuela. "Ich gehe doch nicht im Dunkeln in diese Einöde. Ich breche mir nicht freiwillig die Knochen oder lasse mich von einem Serienkiller, der da hinten bestimmt schon lauert, wegfangen."
"Ich gehe", sagte ich. Die laute Musik hier war sowieso kaum zu ertragen.
Ich lief hinter dem Sportplatz den Hang zum Bach hinunter. Es war doch ziemlich dunkel hier und ich schätzte das Gefälle falsch ein. Ich fiel auf den Po und rutschte den Rest des Abhangs hinunter. Mit den Füßen landete ich im Bach. Beim Aufstehen verfingen sich meine langen Haare im Gebüsch. "Mist verdammter!!", fluchte ich. Auf was hatte ich mich da eingelassen?
Ich nahm einen geeigneten Baum ins Visier. Der Ast, der mir am besten gefiel, ließ sich aber nicht abbrechen, obwohl ich mich mit meinem ganzen Gewicht dranhängte. Wieso hatte ich keine Kettensäge dabei??
Schließlich gab ich auf. Ein kleiner Ahornbaum stach mir ins Auge. Tat er natürlich nicht! Er fiel mir ins Auge. Nein, das nun auch wieder nicht. Egal! Ich riss den ganzen Baum heraus. Was man doch für Bärenkräfte entwickelt, wenn man Wut hat.
Ich befreite den Baum von seinen Zweigen. Ein prima Knüppel. Gut gemacht! Nur die Wurzel, die ging nicht ab.
Wenn das Kind über die Wurzel meckert, dann...
Mir fiel gerade nichts Geeignetes ein.
Ich kroch den Hang auf allen Vieren wieder hoch und betrat den Sportplatz.
Immer noch wutentbrannt über mein Missgeschick bahnte ich mir einen Weg durch die Menge.
Plötzlich klatschten alle um mich herum. Verdutzt hielt ich inne. Zwei Männer kamen auf nich zu, strahlten mich an, und hoben mich hoch!!!
Ich klammerte mich an meinen Ast.
Die Männer trugen mich zur improvisierten Bühne.
Ich war zur "Schönsten Hexe der Stadt" gewählt worden. Das ist doch nicht zu fassen. Erst jetzt wurde mir klar, wie ich aussah: zerzauste Haare, zerfledderte Klamotten. Und dieser Wurzelbesen...
"Immer musst du so auffallen", war meiner Nachbarin ihr einziger Kommentar.
Wenigstens war Sophie mit dem Knüppel zufrieden.

Das Bild von mir, am nächsten Tag in der Zeitung, war die Krönung.
Nie, nie wieder würde ich mich auf der Straße blicken lassen können.
 

Frank Zimmermann

Junior Mitglied
Hexe

Eine schöne Schmunzelgeschichte, die eine Begebenheit kurzweilig wiedergibt und dabei auch noch das ein oder andere Sprachspiel zu bieten hat. Danke!
 



 
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