Walnüsse

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Kayl

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Weihnachtszeit, Zeit nicht nur der Besinnung, der Familie, der frommen Lieder, der leuchtenden Kerzen, sondern auch Zeit des Schenkens und des Beschenkt-Werdens.
Eine Familie, seit Jahrzehnten mit uns befreundet, brachte uns einen Beutel Walnüsse aus ihrem großen Garten mit Nussbäumen. Naheliegend, dass sie uns in der Adventszeit an ihrer Ernte beteiligten.
Wir haben keinen der üblichen Nussknacker, weder zum Schrauben noch zum Hebeln. Als Technikmensch habe ich eine passende Zange im Auto. Fachleute bezeichnen sie als Wasserpumpenzange, warum weiß ich nicht, wir haben keine Wasserpumpe, aber ich habe sie oft am Auto und im Haus gebraucht, jedoch nie bei einer Wasserpumpe.
Die Maulweite ist verstellbar, ist also für kleine und große Nüsse geeignet.
Ich holte sie aus dem Auto, einige Tage nach dem Besuch, und sah dem Genuss mit Vorfreude entgegen. Sind nicht auch Omega-3-Fettsäuren darin enthalten, unserer Gesundheit förderlich?
Die große Hebelwirkung sollte das Nüsseknacken zu einem Kinderspiel werden lassen. Dachte ich. Falsch gedacht! Die Nüsse schienen wie aus Granit. Natur pur. Nicht wie die aus Kalifornien, groß wie Eier und mit einer Schale, die schon beim Druck bloßer Hände auseinander bricht.
Eine Nuss ins stählerne Maul und gedrückt – gedrückt – gedrückt, bis die Griffe der Zange unter meinem Händedruck zusammen federten. Ein Knall wie ein Schuss, und die Schale zerbarst und feuerte ihre Teile in alle Richtungen durchs Zimmer, nicht auf den Teller wie geplant. Auch essbare Teile waren dabei, die ich vom Boden auflesen konnte, aber das meiste versteckte sich in unzugängliche Ecken der restlichen Schale. Also Zange enger stellen und die kleinen Schalenstücke zu noch kleineren zerbrechen, und aus den Krümeln Schalenbröckelchen und Essbares aussortieren, was bei dieser Winzigkeit nur anhand der Farbe möglich war, braun Schale – gelb essbar.
Meine Nuss-Zwischenmahlzeit schien zu einem tagesfüllenden Programm zu werden. Ein halbes Dutzend Nüsse hatte ich geduldig geknackt, zerbrochen, zerbröselt, dann gab ich auf. Weil aber auch drei Nüsse im Beutel waren, die von den Kindern der Familie liebevoll mit Silber- und Goldbronze bemalt waren, zwei in Silber, eine in Gold, konnten wir sie nicht einfach zum Müll geben. Wir gaben den Beutel weiter an eine ältere Dame aus der Nachbarschaft, die während unserer Reisen nach der Post sieht. Sie bedankte sich herzlich, aber als wir einige Tage später mit ihr telefonierten, beichtete sie, sie habe stundenlang in allen Schränken vergeblich nach ihrem Nussknacker gesucht und den Beutel ihrer Tochter gegeben.
Es kam der Heilige Abend. Wir hatten die Walnüsse längst vergessen, weil man doch an solchen Tagen anderes im Kopf hat.
Es klingelte. Wir öffneten. Eine Mitarbeiterin vom Roten Kreuz aus unserer Nachbarschaft stand vor uns, bedankte sich für unseren ehrenamtlichen Einsatz, bimmelte mit einem Messing-Glöckchen, wünschte frohe Festtage und streckte uns einen Beutel mit roter Schleife entgegen.
Die Schleife war neu, aber der Beutel kam uns bekannt vor, und er enthielt immer noch die drei bemalten Walnüsse.
 



 
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